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Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 4. Jg 1935, Heft 1

Das Recht auf Arbeit.
Von.
Ferdinand Tönnies.



Vorbemerkung. Dem Wunsch von Geheimrat Tönnies, ihm unsere Zeitschrift für eine ausführliche kritische Beurteilung der Arbeit des norwegischen Professors Bosse über das Recht auf Arbeit zur Verfügung zu stellen, sind wir gerne gefolgt, obwohl Problemstellung und Problembehandlung in diesem Werk uns nicht im Zentrum der gegenwärtigen Aufgaben der Sozialforschung zu stehen scheinen. Es wird von allgemeinem Interesse sein zu hören, wie Professor Tönnies, der die Soziologie auf deutschen und ausserdeutschen Universitäten nachhaltig beeinflusst hat, in der heutigen Situation wissenschaftlich argumentiert. Eine Stellungnahme behalten wir uns vor. Die Schriftleitung.

Recht auf Arbeit ist eine Formel, die dadurch sich empfiehlt, dass sie Ansprüchen, die sonst willkürlich und dreist erscheinen mögen, ein Selbstvertrauen auf ihre moralische Begründung verleiht, das im Kampfe der Parteien und auch der wissenschaftlichen Meinungen umso wertvoller sich geltend macht, je mehr das Recht als solches beachtet und der Staat wesentlich als zur Verwirklichung des Rechtes bestimmt gedacht wird. Dies aber ist der Kern des politischen Liberalismus, der bis in die jüngste Zeit als die formale Denkungsart des Bürgertums, des Bürgertums als Träger der höheren Gesittung und des Fortschrittes der Kultur im allgemeinen, besonders im literarisch kundgegebenen Bewusstsein der ihrer selbst bewussten Nationen Europas wie seiner Pflanzstätten begründet und gesichert schien. In jüngster Zeit ist dieser politische mit dem ökonomischen Liberalismus in eine schwere Krise geraten; nicht die erste, aber seine bisherigen Krisen rührten nur von dem Wiederaufleben der scheinbar überwundenen konservativen, ja reaktionären Denkungsart her, während neuerdings die durch ihre Volkstümlichkeit bedeutende Gegnerschaft des Sozialismus immer merkbarer hinzutritt, wenngleich man urteilen mag, dass in Wirklichkeit immer noch der alte Gegner des Liberalismus auch sein mächtigster Gegner geblieben ist und dass dieser als erfahrener Kämpfer und geübter Taktiker die Bundesgenossenschaft und Mitwirkung von Prinzipien sich gefallen lässt, die er sonst mindestens mit dem gleichen Hasse und sogar mit grösserer Verachtung

Empfohlene Zitierweise:
Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 4. Jg 1935, Heft 1. Librairie Felix Alcan, Paris 1935, Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Sozialforschung_-_Jahrgang_4_-_Heft_1.pdf/68&oldid=- (Version vom 30.8.2022)