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und dabei erzählte sie ihm alles, was sie über die junge Hexe und ihre Verhältnisse zu den Kirchensängern wusste, und das war sicherlich alles, was man überhaupt wusste, denn die Frau war alt und überdies hatte es ihr die Junge mit eigenem Munde erzählt; das Mütterchen war nämlich auch eine böse Zauberin.

„Was thun?“ sprach der Bursche.

„Ich will dir helfen,“ sprach die Frau, „und wenn du meinen Ratschlägen Folge leistest, wird dir auch geholfen sein. Wenn du nämlich morgen zum Brunnen gehst, um dich zu waschen, so wirst du einem wunderbar schönen Mädchen begegnen, das dich anlächeln wird, dir ihren Krug zum Gebrauche anbietet und dir noch anderes liebes erweisen möchte. Doch du musst streng und ernst bleiben und alles dies zurückweisen. Wenn du dann über die weite Wiese nach dem Kirchlein gehst, wird dir ein prächtiges Pferd begegnen, das dir nach läuft und dich so zum Aufsitzen locken will. Das darfst du aber auf keinen Fall thun, denn das Pferd ist das Mädchen, das dich auf diese Weise zu verderben sucht. Und wenn du endlich den Hügel zur Kirche emporsteigst, da wird an der steilsten Stelle dir ein Pflock aus dem Boden entgegenragen, ganz so, als ob er da wäre, damit der Wanderer sich auf ihn stütze. Doch du darfst ihn nicht berühren: sobald deine Finger ihn nämlich umklammern, giebt er nach und du stürzest mit ihm in die Tiefe, denn die junge Zauberin nahm auch diese Gestalt an, um dich zu vernichten. Thust du aber alles, mein Sohn, wie ich es dir sage, so wirst du gut fahren.“ So schloss die Alte ihre Belehrung.

Als nun am nächsten Tage der Kirchensänger sich zum Ausgehn rüstete, da sah ihn die alte Frau noch einmal aufmerksam an und begann dann: „Sänger, du bist es wirklich wert, dass ich dich für immer aus der Macht jenes Mädchens rette. Nimm diese Gerte und schlage unbarmherzig damit auf den Holzpfahl los; lass dich durch nichts bewegen, davon abzulassen, bis du müde und matt die Hände sinken lässt.“ Damit schickte sie ihren Gast aus dem Hause.

Dem Sänger begegnete auch wirklich alles, wie es ihm seine Wirtin vorausgesagt hatte. Er handelte auch ganz genau nach ihren Vorschriften und als der Pflock unter den Rutenschlägen jammerte und heulte, kehrte er sich keinesfalls daran, sondern hieb darauf los, bis die Gerte in Splitter ging und er kaum noch die Hände regen konnte. Da verschwand denn der übel zugerichtete Ast.

Wenige Tage nach dieser Begebenheit überraschte die Dorfbewohner die Kunde, die schöne Tochter des Schulzen sei tot. Kein Mensch wusste anzugeben, welcher Krankheit sie erlegen wäre, aber der Kirchensänger stellte in seinem Kopfe Vermutungen an; nur seine Wirtin hatte den Schlüssel zu dem Geheimnisse, den sie aber wohlweislich niemandem leihen wollte. Vor ihrem Tode hatte die schöne Sünderin noch gebeten, dass der neue Kirchensänger die drei Nächte, während der sie in der Kirche liegen würde, Gebete über ihrem Sarge sprechen sollte, was dieser zu thun bereit war.

Als nun der junge Mann zur Kapelle hinaufgehen sollte, um seine Pflicht zu verrichten, da gab ihm seine Beschützerin die Warnung mit

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Edmund Veckenstedt (Hrsg.): Zeitschrift für Volkskunde 1. Jahrgang. Alfred Dörffel, Leipzig 1888/89, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Volkskunde_I_026.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)