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erschlossen werden kann, so giebt es doch eine bestimmte Bedingung, unter der sie direct thermodynamisch in Wirksamkeit tritt: das ist der Eintritt einer Veränderung oder Zertrümmerung der chemischen Atome; denn in diesem Falle muss nach dem Energieprincip latente Energie frei werden. So gering die Aussicht auf die Realisirung eines derartigen radicalen Vorgangs noch vor einem Decennium erscheinen mochte, so ist sie doch jetzt durch die Entdeckung der radioactiven Elemente und deren Umwandlungen in unmittelbare Nähe gerückt, und in der That liefert die Beobachtung der starken fortdauernden Wärmeentwicklung radioactiver Stoffe geradezu eine directe Stütze für die Annahme, dass die Quelle jener Wärmeentwicklung eben nichts Anderes ist als die latente Energie der Atome. Mit einer grossen latenten Energie ist nach der Beziehung (48) auch eine grosse Masse verbunden. Damit steht gut in Übereinstimmung der Umstand, dass die radioactiven Elemente ein besonders hohes Atomgewicht besitzen und auch, dass ihre Verbindungen zu den specifisch schwersten gehören.

Nach J. Precht[1] entwickelt 1 gr Atom Radium, wenn es von einer hinreichend dicken Bleischicht umgeben ist, pro Stunde . Dies ergiebt nach (48) für die Stunde eine Verminderung der Masse um

oder in einem Jahre eine Verminderung der Masse um 0,012 mgr. Dieser Betrag ist allerdings, besonders mit Rücksicht auf das hohe Atomgewicht des Radiums, immer noch so winzig, dass er wohl zunächst ausser dem Bereich der möglichen Erfahrung liegt.

Übrigens könnte es von vorn herein zweifelhaft erscheinen, ob für eine solche Messung die Waage das richtige Instrument ist. Denn die Beziehung (48) gilt nicht für die ponderable, sondern für die träge Masse, und es ist schon in der Einleitung hervorgehoben worden, dass diese beiden Grössen keineswegs identisch sind, wenigstens dann nicht, wenn man einer Hohlraumstrahlung im Vacuum, welche doch sicher Trägheit besitzt, keine Gravitationswirkung zuschreibt. Indessen sind nach allen unseren Erfahrungen Trägheit und Gravitation in jeder Beziehung, für die verschiedenartigsten Stoffe, von den leichtesten bis zu den schwersten, so eng mit einander verbunden, dass man wohl ohne Bedenken den Ursprung dieser beiden Wirkungen an der nämlichen Stelle suchen darf, nämlich in der latenten Energie der chemischen Atome. Nimmt man die Gravitation als direct proportional der latenten Energie an, so wäre die von der Temperatur abhängige


  1. J. Precht, Ann. d. Phys. 21, S. 599, 1906.
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Max Planck: Zur Dynamik bewegter Systeme. Verlag der Akademie der Wissenschaften, Berlin 1907, Seite 568. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zur_Dynamik_bewegter_Systeme.djvu/27&oldid=- (Version vom 30.9.2019)