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schenken, Herr Harst? Der „Andere“ und Viktor können ja nur die Mörder sein! Wer sonst?! Die Kriminalpolizei hat ja ermittelt, daß die Reuperts allein in ihren Zimmern zwischen elf und zwölf Uhr mittags waren. – Wer also sollte –“

Harst drückte meinen Arm, so daß ich schwieg. „Schraut,“ flüsterte er, und seine grauen, dunkelbewimperten Augen funkelten förmlich, „Schraut, dieser Kriminalfall schien ganz klar zu liegen, so klar, daß man eben nur noch die Mörder aufzustöbern brauchte. Schien! Dieser Brief hier hat einen Sturm von Zweifeln in mir entfacht. Sind die Reuperts wirklich die Mörder? Wenn nicht – auf wessen Konto kommt dies Verbrechen? Wie konnte Gertrud Hold ihrem Geliebten glauben, er sei unschuldig? Was mag Viktor ihr anvertraut haben bei jener letzten Aussprache? Hat er sie dabei schlau belogen? Was für ein Märchen erfand er, das so beschaffen war, sie zu überzeugen? – Schraut, ich sage Ihnen: im Vergleich zu diesem Problem ist die Szentowo-Geschichte fraglos lächerlich einfach gewesen! Doch gerade das freut mich!“ Er holte eine Mirakulum hervor und rauchte ein paar schnelle Züge. – „Ich muß mich beruhigen, Schraut. Ich leide an Jagdfieber. Ich muß mich entschließen, was ich tun soll. Es gibt für mich jetzt drei Wege. Erstens: nach Doberan! Ich könnte hinfahren und Viktor ins Gebet nehmen. – Zweitens: Gertrud Hold! Ich könnte sie zwingen, sich mir anzuvertrauen. – Drittens: ich kann der neuen Fährte folgen, das heißt, mich auf meine Findigkeit verlassen und erst hier weiter arbeiten und volle Klarheit schaffen.“ Er sprang auf. Dreimal durchquerte er das Zimmer. Dann sagte er, indem er mir die Hand auf die Schulter legte: „Schraut, ich habe diesen Brief durch gemeinen Überfall an mich gebracht. Das war meiner nicht würdig! Ich werde weiter dem Pockennarbigen nachstellen, werde so tun, als wüßte ich nichts von dem Inhalt dieses Schreibens, das ich hiermit sozusagen aus meinem Hirn auswische! Sie, Schraut, müssen’s auch – verstanden? – Wir wollen nicht als Handtaschenräuber Erfolge erzielen! Ich werde der Gertrud Hold

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Walther Kabel: Zwei Taschentücher. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Taschent%C3%BCcher.pdf/113&oldid=- (Version vom 1.8.2018)