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Er wartete also, bis die beiden sich mit einem Händedruck trennten, und schlich dem Hageren dann nach. Dieser schlenderte der Friedrichstraße zu und stellte sich hier vor ein von Passanten dicht belagertes Schaufenster, in dem als Reklame für ein Spielwarengeschäft mechanische Puppen allerhand Künste zeigten. Der aufgeweckte Junge ließ kein Auge von dem Zylinder-Onkel, wie er ihn bereits getauft hatte, da der Lange eine glänzende Angströhre, dazu auch noch Monokel trug. Karl betrachtete ihn nun sehr genau aus nächster Nähe. Der Hagere hatte ein gelbliches, schmales Gesicht, aufgedrehten schwarzen Schnurrbart und sehr starke schwarze Augenbrauen. Er sah ganz wie ein Italiener aus – nach des Jungen Ansicht.

Dann beobachtete er etwas, das er noch nie in seinem Leben mitangesehen hatte. Nur gelesen hatte er darüber in Zeitungen und Büchern. Doch nun konnte er sich selbst davon überzeugen, daß es wirklich solche Leute mit so unheimlicher Fingerfertigkeit gab.

Sein Ehrgeiz aber wurde noch reger. Er mußte unbedingt herausbekommen, wo dieser lange Zylinder-Onkel wohnte, denn er wollte Harst keine halben Neuigkeiten überbringen. Mochten die Kartoffelpuffer auch kalt werden! –

Harst wunderte sich, daß Karl noch immer nicht zurück war. Die Uhr ging nun bereits auf vier. Er saß jetzt an dem im Bibliothekszimmer stehenden Stutzflügel und spielte Wagner – den Fliegenden Holländer –, wenn auch nur mit leisem Anschlag. Er liebte die Musik, und er besaß ein Gehör, das ihm gestattete, alles auswendig zu spielen. Seit Margas Ermordung berührte er heute die Tasten wieder zum ersten Mal. Vordem hatte er stets am Flügel phantasiert, wenn er eine besonders schwere berufliche Arbeit vorhatte. Niemals flogen ihm bessere, klarere Gedanken zu, als wenn seine Ohren von einer Flut von Tönen umrauscht wurden. Es war, als ob die Töne Brücken bauten von einer Schlußfolgerung zur anderen.

Er spielte – und sein Denken umspielte die bisherigen Erfolge seiner Nachforschungen.

Plötzlich stand er auf. – Er mußte herausbringen, wer

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Walther Kabel: Zwei Taschentücher. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Taschent%C3%BCcher.pdf/26&oldid=- (Version vom 1.8.2018)