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Als Harst noch mit ihr im Vorgarten stand, erschien auf der Dorfstraße derselbe Jagdwagen, der den Güterdirektor von der Bahn abgeholt hatte. Jetzt kutschierte eine sehr elegant gekleidete Dame, während hinten stocksteif ein Diener in Livree saß. Der Wagen hielt vor dem Gehöft. Trotzdem blieb Frau Schimmeck ruhig, wo sie war, bückte sich auch und pflücke ein paar Rosenblätter ab, auf denen Blattläuse wie besät saßen. Da rief eine helle Stimme: „Frau Schimmeck, mein Mann ist doch bei Ihnen?“ – „Jawohl, Frau Gräfin.“ Darauf ging sie langsam die Steinstufen zur Haustür empor.

Harst beobachtete alles mit den kritischen Blicken und den ebenso kritischen Gedanken des erfahrenen Menschenkenners. – Hier stimmt irgend etwas nicht, sagte er sich. Die Schimmeck benimmt sich der Gattin des Gutsherrn gegenüber in einer Weise, als gäbe es zwischen ihnen eine starke Abneigung, – mehr noch, als sähe die Bauernfrau jene nicht recht für voll an.

Die Gräfin Lippstedt stieg aus und betrat den Vorgarten. Sie war eine schlanke, große Erscheinung mit einem schmalen, stark gepuderten Gesicht und nachgetuschten Augenbrauen. Harst hatte diese Toilettenkünste mit einem schnellen Blick erfaßt, als er die Dame unterwürfig gegrüßt hatte.

Der Gruß blieb unerwidert. Harst war für die Gräfin Luft. Sie ging auf dem Hauptweg auf und ab, recht ungeduldig und hastig, schaute immer wieder nach der Haustür. Gut zehn Minuten drauf kam der Graf heraus, begleitet von dem Gemeindevorsteher. – „Auf Wiedersehen, lieber Schimmeck. Und – umgehend telephonische Meldung, sobald Sie irgend etwas Neues oder auch nur mit der Sache ganz entfernt Zusammenhängendes hören.“

Schimmeck verbeugte sich wortlos und verschwand wieder im Hause. Der Graf stutzte, als er Harst erblickte, und überhörte sogar die Frage seiner Frau: „Hat er sich nochmals gemeldet, Erwin?“

Graf Lippstedt mochte Mitte dreißig sein. Er war sehr groß, trug Spitzbart, sah auffallend bleich aus und hatte dunkle, strengblickende Augen. Seine Haltung war die eines

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Walther Kabel: Zwei Taschentücher. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Taschent%C3%BCcher.pdf/63&oldid=- (Version vom 1.8.2018)