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– würden Sie mir nicht ausnahmsweise mitteilen, was Sie überhaupt von diesem rätselhaften Leuchten in den Tiefen des Sees halten?“

„Nun – eine Naturerscheinung kommt hier nicht in Frage. Es gibt zwar leuchtende Weidenstümpfe, es gibt Irrlichter[ws 1], das sind leuchtende Sumpfgase, es gibt Leuchtkäfer und so weiter, – doch all das nur auf dem Lande in sauerstoffhaltiger Luft. Unter Wasser sind – mit Ausnahme des sogenannten Meeresleuchtens im Mittelmeer – noch keine auf natürliche Ursachen zurückzuführenden Lichterscheinungen beobachtet worden. Ich habe mich hierüber daheim genau unterrichtet durch Nachlesen im Konversationslexikon. – Was sonst also? – Die Theorie, die ich mir da zurechtgebaut habe, ist zu phantastisch, als daß ich sie Ihnen auftischen könnte, lieber lernbegieriger Schüler. Sie würden mich auslachen, tatsächlich. Wenigstens innerlich, – und aus Höflichkeit würden Sie vielleicht sich so äußern: „Herr Harst, Schatzgeschichten gehören zum Rüstzeug von Familienroman-Schreibern. Trotzdem – wer kann wissen –“ Nein, lassen wir jetzt noch alles Nachsinnen als zwecklos unterwegs. Halten wir uns lediglich an das Tatsächliche. Und das ist der Verdacht gegen Bollschwing und Blenkner. Hier müssen wir die Sache anpacken. Und deshalb will ich auch, sobald wir in der Dorfherberge in Szentowo angelangt sind, zuerst zu dem Gemeindevorsteher gehen und mich diesem anvertrauen, falls der Mann auf mich einen guten Eindruck macht.“ –

Es war bereits kurz nach sechs Uhr, als Harst sich – jetzt ohne Drehorgel – zu dem Gemeindevorsteher begab, der gleichzeitig den größten Bauernhof in Szentowo besaß.

Das Dorf lag keine fünfzig Meter vom See ab auf dem flachen Nordufer. Der kleine See selbst war fast kreisförmig und im übrigen von bewaldeten, ziemlich steilen Höhen eingeschlossen. Das Schloß und die Baulichkeiten des Rittergutes Szentowo wieder erhoben sich mehr nach Osten zu ungefähr hundert Meter vom Dorf entfernt.

Der Gemeindevorsteher Schimmeck war nicht zu sprechen. Seine Frau erklärte Harst, der Herr Graf wäre bei ihrem Manne; er müsse also warten oder später wiederkommen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Siehe hierzu auch den Artikel Das Neueste über Irrlichter von Walther Kabel. Erschienen in: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1912, Bd. 12, S. 234–236.
Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Zwei Taschentücher. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 61. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Taschent%C3%BCcher.pdf/62&oldid=- (Version vom 1.8.2018)