Seite:Zwei Taschentücher.pdf/65

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

und lassen Sie sich alles erzählen, was hier in der Gegend in den letzten Jahren an irgendwie auffälligen Ereignissen vorgekommen ist. Ich werde versuchen, recht bald –“ – Da trat der Gendarm ein – wuchtig, schwerfällig und mit unheilverkündender Miene. Harst ging ihm entgegen. „Herr Wachtmeister, ich will ehrlich sein. Ich besitze keine Papiere. Sie sind mir letztens gestohlen worden.“

„Ach was?! Gestohlen! – Kommen Sie mit.“ – Draußen fragte der Graf den Drehorgelspieler nach dem Namen, schaute ihn dabei in einer Weise an, daß Harst aus diesen bohrenden Blicken, die dennoch eine gewisse ängstliche Unruhe verrieten, die Bestätigung einer Vermutung entnahm, die schon im Garten des Gemeindevorstehers in ihm aufgezuckt war. – „August Müller[1], gnädiger Herr,“ erwiderte er recht kläglich. – Auch die Gräfin hatte sich nun weit vorgebeugt und musterte Harst mit ähnlichen Blicken.

„Bringen Sie den Menschen sofort nach Malchin ins Amtsgerichtsgefängnis,“ befahl der Graf dem Gendarm. „Ich werde morgen persönlich mit dem Amtsrichter dieserhalb Rücksprache nehmen. Ich schicke Ihnen vom Gut einen Einspänner. Dann sind Sie noch vor Dunkelwerden in Malchin.“

Eine halbe Stunde darauf ratterte ein einfacher Kastenwagen die Chaussee entlang. Harst saß hinten auf einem Strohbündel dem Gendarm gegenüber. Er war jetzt sehr zufrieden, daß er sich nicht der Papiere Schraut-Schülers bedient hatte, denn er glaubte, abermals etwas entdeckt zu haben, das vielleicht von Wichtigkeit war. Der Graf[2] hatte zu Schimmeck gesagt: „– oder auch nur mit der Sache ganz entfernt zusammenhängendes –“, und die Gräfin hatte ihren Gatten als erste Begrüßungsworte gefragt: „Hat er sich nochmals gemeldet, Erwin?“ Hierauf verriet der Graf wieder ein recht seltsames Interesse für den Drehorgelspieler, das er dann seiner Frau gegenüber durch den unvollendeten Satz begründete:[3] „Du kannst Dir wohl denken, weshalb ich –“ Schließlich dann noch die scharf prüfenden, mißtrauischen Blicke. – All das genügte Harst zu der Annahme, daß Lippstedt ihn für den hielt, der er in Wirklichkeit war, eben für den Liebhaberdetektiv, der ja bereits einmal von Berlin aus telephonisch

  1. Vorlage: Mller
  2. Vorlage: De rGraf
  3. Vorlage: begründete?
Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Zwei Taschentücher. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 64. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Taschent%C3%BCcher.pdf/65&oldid=- (Version vom 1.8.2018)