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junge Dame abgesehen zu haben schien, und flüsterte ihm zu: „Gehen Sie langsam voraus in die Nebenstraße, Max Schraut. Aber – keine Dummheiten –!“

Der Taschendieb gehorchte. Er mußte große Geistesgegenwart besitzen. Er war nicht einmal zusammengezuckt bei dem unerwarteten, verhängnisvollen Befehl.

Nun aber begann er den Assessor flehentlich zu bitten, ihn laufen zu lassen. „Ja, ich bin ausgebrochen. Nur deshalb, weil meine alleinstehende Mutter todkrank ist – nur deshalb! Jetzt ist sie gestorben – gestern abend. Ich möchte ihr doch wenigstens das letzte Geleit geben. Dann – mein Wort darauf! – stelle ich mich freiwillig.“

„Und soeben wollten Sie wieder Ihren alten Trick versuchen, Schraut. Sie hatte die kleine Beißzange ja schon in der Hand.“

Der Dieb stöhnte auf. „Die – die Beerdigungskosten,“ flüsterte er, und ein paar Tränen rannen ihm in den falschen Bart.

Harst schaute ihn prüfend an, gab ihm dann einen Hundertmarkschein und sagte: „Nach der Beerdigung melden Sie sich bei mir. Ich wohne Schmargendorf, Blücherstraße 10.“

Dann schritt er davon. –


***


Es wurde eins. Marga erschien nicht. Und sie war doch die Pünktlichkeit selbst. Um halb zwei läutete Harst bei Mildens in der Bismarckstraße in Charlottenburg vom nächsten Zigarrengeschäft an. Seine Schwiegermutter gab ihm den Bescheid, Marga wäre bereits um zehn Uhr von Hause weggegangen.

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Walther Kabel: Zwei Taschentücher. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Taschent%C3%BCcher.pdf/7&oldid=- (Version vom 1.8.2018)