Seite:Zwei Taschentücher.pdf/8

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Er war ein geduldiger und ebenso verliebter Bräutigam. Er hatte sich so sehr auf das Wiedersehen gefreut, zumal er Marga gestern nachmittag daheim nicht angetroffen und abends hatte arbeiten müssen. Noch bis zwei Uhr wollte er warten. Dann mußte er nach Hause. Seine Mutter hatte ihm heute eins seiner Leibgerichte gekocht. – Er schlenderte wieder vor dem Warenpalast auf und ab, ohne viel Hoffnung, daß die Ersehnte jetzt noch erscheinen würde. Sie hatte sicherlich eine ganz dringende Abhaltung. Anders ließ sich diese verpaßte Verabredung nicht erklären.

Um zwei Uhr rief er dann Mildens abermals an. Marga war noch nicht zurückgekehrt. Niemand wußte, ob sie etwas Besonderes vorgehabt hätte.

Leicht beunruhigt machte Harst sich auf den Heimweg. Die Straßenbahn war ziemlich leer. Er stand bequem auf der hinteren Plattform und grübelte über die Gründe nach, die dieses Stelldichein für Marga vereitelt haben könnten. Je länger er alle Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten prüfte, desto besorgter wurde er. Seine Braut, sagte er sich nun mit Recht, hätte ihn niemals vergeblich warten lassen, wenn sie nicht durch Umstände ferngehalten worden wäre, die ihre freie Entschlußfähigkeit ausgeschaltet hätten. Nur ein Unfall konnte hier vorliegen.

Ihm wurde ganz heiß bei diesem Gedanken. Dann wieder suchte er seine Angst zu zerstreuen, tröstete sich mit der Annahme, es läge vielleicht ein sehr harmloser Grund vor. Doch nur Minuten währte diese Selbsttäuschung. Wieder kroch ihm die ungewisse Furcht zum Herzen, in dem nur für weniges Raum war: für Marga, für seine Mutter und für seinen Beruf.

Von seiner Haltestelle der Straßenbahn hatte er noch einen kurzen Weg bis nach Hause. Frau Auguste Harst wohnte noch in demselben alten Gebäude, wo sie an der Seite des Tischlermeisters und späteren Holzhändlers Emil Harst 25 Jahre zufrieden und glücklich gelebt hatte und nun nach dessen plötzlichem Tode ganz in Liebe und Fürsorge für ihr einziges Kind aufging.

Empfohlene Zitierweise:
Walther Kabel: Zwei Taschentücher. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Taschent%C3%BCcher.pdf/8&oldid=- (Version vom 1.8.2018)