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zwei großen, scheinbar mit Getreide gefüllten Kisten all das lag, worauf ich aus war. Als ich so sehr schnell ans Ziel gelangt war, erklärte ich dem alten Frauchen, dies Versteck genüge durchaus; wir könnten die Sachen ruhig in den Kisten lassen. Dann bat ich Ihre Wirtschafterin um etwas Genießbares. So fand ich Gelegenheit, mich mit ihr längere Zeit zu unterhalten. Sie plaudert gern, die Alte, rühmte sich, Ihr volles Vertrauen zu besitzen, und – war spielend leicht auszuhorchen. Ich tat, als hätten Sie mich nur oberflächlich in die Sachlage eingeweiht, und obwohl ich nichts wußte, genügten allgemeine Andeutungen, von dem Frauchen zu erfahren, daß Sie, Herr von Blenkner, den Grafen und seine damalige Geliebte Mathilde Mulack im Verdacht hätten, Ihre Tante, die Gräfin Hildegard, ermordet, im See versenkt und das Märchen erfunden zu haben, sie wäre nach einem Streit mit ihrem Gatten nachts heimlich auf und davon gegangen und sodann bei dem Eisenbahnunglück in Köslin mit umgekommen, wobei dem verbrecherischen Paare die Unkenntlichkeit mehrerer bei der furchtbaren Katastrophe halb verkohlter weiblicher Leichen zu statten gekommen wäre. – Ich dankte der Alten herzlichst für alles Empfangene, wobei sich mein Dank freilich mehr auf die geistige Kost bezog, und verließ das Haus. Marie hatte nun auch unter anderem erwähnt, daß die Überreste der Toten – das heißt also der unechten Gräfin – in der Familiengruft im Park des Schlosses Szentowo beigesetzt worden wären. – Ich sagte nun schon, daß ich, bevor ich meinen Gehilfen Max Schüler am Seeufer traf, bereits das Schloß eine Weile umschlichen und dabei dem Grafen und der Gräfin in der Hauptallee des Parkes begegnet war. Sie gingen auf das Schloß zu und sprachen sehr leise miteinander, aber auch sehr erregt. Es war dies genau eine halbe Stunde vor Mitternacht. – Jetzt, als Marie die Familiengruft erwähnt hatte, kam mir sofort der Gedanke: Das Paar ist vielleicht in der Gruft gewesen, um sich zu überzeugen, ob der Verwesungsprozeß an der Leiche der unechten Gräfin so weit vorgeschritten wäre, daß selbst die genaueste Untersuchung eine Entdeckung dieser Leichenunterschiebung unmöglich machte. – Eine Stunde später – der

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Walther Kabel: Zwei Taschentücher. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zwei_Taschent%C3%BCcher.pdf/79&oldid=- (Version vom 1.8.2018)