Sforza, Herzog von Mailand (Gemälde der Dresdener Gallerie)

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Textdaten
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Autor: Adolph Görling
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Titel: Sforza, Herzog von Mailand
Untertitel: Von Leonardo da Vinci
aus: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie
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Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1848−1851
Verlag: Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne
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Erscheinungsort: Leipzig und Dresden
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Quelle: Scan auf Commons
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aktuelle Zuschreibung des Bildes: Von Hans Holbein dem Jüngeren
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Sforza
Duke of Milan.      Herzog von Mailand.

[291]
Sforza, Herzog von Mailand.
Von Leonardo da Vinci.

Mit einer bewundernden Ehrerbietung sprechen wir den Namen Leonardo da Vinci’s aus. Es ist einer der edelsten Geister aller Zeiten, welcher uns in ihm anspruchslos, ja kindlich bescheiden und dennoch in künstlerischer Beziehung in jeder Hinsicht unvergleichlich entgegentritt. Die ausgezeichnete Vielseitigkeit Leonardo’s ist allein fast ein Wunder. In seiner Jugend beschäftigten ihn Plastik, Malerei, Anatomie, Architectur, Geometrie, Mechanik, Poesie und Musik, und in keinem dieser vielen Fächer war der 1542 in dem Städtchen Vinci bei Florenz als der natürliche Sohn eines Notars geborne Jüngling nur oberflächlich ausgezeichnet, dieser Jüngling, welchem außerdem an körperlicher Schönheit, Gewandtheit und Stärke kaum Jemand sich vergleichen durfte.

Leonardo’s Lehrer hieß Andrea del Verrochio, aber er ließ diesen eben so strengen als mittelmäßigen Künstler in der fast überreichen Kraft seines Genies bald hinter sich zurück. Leonardo verdarb durch seine sich schon früh zeigende, außergewöhnliche Begabung zwei Werke seines Lehrers, die dieser geradezu für unerreichbar und unvergleichlich hielt: er meiselte einem taufenden Johannes einen so herrlichen ausgestreckten Arm, daß Verrochio die ganze Statue zerschlug. Ferner hatte der Lehrer eine Taufe Christi gemalt und der ausgelassene, jugendlich übermüthige Schüler nahm die Gelegenheit wahr, in dieses Bild noch einen Engel zu malen, dessen unerreichte himmlische Grazie den Verrochio bewog, nicht nur das Bild zu zerstören, sondern auch nie mehr Pinsel und Palette anzurühren.

Ein düsteres Geschick ruht auf den Arbeiten Leonardo da Vinci’s; die Mehrzahl seiner herrlichen Schöpfungen ging unter, und wir können nur nach den uns gebliebenen Resten und nach einzelnen ganz erhaltenen Stücken die Größe dieses durch und durch poetischen Künstlers einigermaßen abnehmen. Es war die Plastik, die den Leonardo zuerst fesselte, und hier schuf der, welcher stets die genialste Kraft mit der vollkommensten Anmuth vereinigte, zuerst allegorische Ungeheuer und die Züge der versteinernden Medusa. Diese, sowie seine frühesten Cartons, Poseidon, der Herrscher der Wellen im Sturm, und der Sündenfall Adam und Eva’s, sind verloren.

Bald drauf wußte da Vinci sich als Musiker und geistreicher Improvisator einen Namen zu erwerben. Lodovico Sforza, genannt il Moro, ward auf den begabten Künstler aufmerksam und berief ihn eben als Improvisator an den herzoglichen Hof von Mailand, entweder 1481 oder 1482. Es ist dieser Lodovico, zuweilen auch Lodovico Maria, genannte Fürst aus der Familie des kühnen Condottieri Muzio Attendolo’s, dessen von Leonardo gemaltes Bildniß wir hier sehen.

Wir wüßten für Abenteurer von Geist und Kraft kein verführerischeres Beispiel, als dasjenige der Familie Sforza. Ein Ambrosius Spinola, ein Christian von Halberstadt und der Graf [292] von Mansfeld sinken hier weit zurück. Der Graf Alberigo di Barbiano, der eigentliche Stifter des Condottierewesens, sagte selbst, daß er von seinem Schüler Attendolo, den er Sforza, das heißt den Kräftigen oder Bezwingenden taufte, weit übertroffen wurde. Und die Familie dieses geistvollen und tapfern Landmanns aus Cottignola in der Romagna, der dieser die Macht und den Zauber seines Namens hinterließ, so daß der Sohn Franzesco Sforza sich allen italienischen Staaten furchtbar machen konnte, bewahrte den unternehmenden Muth des Stifters so sehr, daß bald (1447) ein Sforza auf dem Throne der Visconti in Mailand saß. Franzesco’s Großsohn, Giovanni Galeazzo, war noch ein Knabe, als der unternehmende Lodovico il Moro Sforza ihn von der Herrschaft verdrängen und ihn durch Gift oder Erdrosselung aus dem Wege räumen ließ. Jedenfalls war’s Lodovico Sforza, welcher während seiner Regierung die merkwürdigsten Umschwünge der damaligen italienischen Staatengeschichte aufzuweisen hat. Auf seinen Betrieb kam Karl VIII. und fiel in Neapel ein und gründete eine französische Uebermacht bei dem Gange der Begebenheiten auf der italienischen Halbinsel. Lodovico Sforza ward gezwungen, dem italienischen Bunde gegen Frankreich beizutreten, unterlag aber, als Vormauer Italiens, zuerst dem Angriffe Ludwig XII. (1499), welcher ihn vertrieb. Die herbeieilenden Schweizer, von Lodovico gut bezahlt, verschafften ihm zwar wieder sein Herzogthum, aber als Ludwig von Frankreich dieselben besser bezahlte, blieb Lodovico Sforza abermals verlassen, später, und ward von einem Schweizer Officier verrathen, gefangen und nach Frankreich abgeführt, wo er in den Kerkern von Loches 1510 verschied.

Leonardo[WS 1] da Vinci konnte von einem Herrscher, wie derjenige war, den er so ausgezeichnet im Bildniß darstellte, wenig Unterstützung erwarten, und so finden wir ihn während der heftigsten politischen Wirren sehr bald nach seinem Einzuge in Mailand mit der Errichtung einer Kunstakademie im größten Style beschäftigt. Die Richtung seiner Schule stellte da Vinci in dem für seine Schüler sowohl, als seine Gegner geschriebenen „Trattato della pittura“ fest, eine Schrift, welche nicht minder schätzbar ist, als seine Gemälde, dennoch aber in ihrer erhabenen Einfachheit und Größe der künstlerischen Anschauung seinen Zeitgenossen, wie viel mehr seinen Schülern, ziemlich unverständlich geblieben sein muß.

Als sein nächstes Werk, welches großen Ruhm erwarb, muß das Modell einer Reiterstatue des Franzesco Sforza genannt werden, welches in unzähligen Versen von den Italienern als ein Wunder gepriesen wurde. Es hat sich von dieser Schöpfung nicht einmal eine Zeichnung erhalten. In die Zeit seiner Wirksamkeit in Mailand fällt außer diesem Portrait Lodovico Sforza’s die Ausführung mehrer Bildnisse, wie desjenigen, welches la belle ferronière genannt wird, eine Carità, die früher in Cassel sich befand u. s. w. Sein ausgezeichnetes Genie wandte sich auch auf praktische Unternehmungen, und der Künstler ward zum Wohlthäter, indeß er das Wasser der Adda nach Mailand leitete, und außer andern ähnlichen Werken den schiffbaren Kanal von Mortesano nach den chiavennesischen Thälern und dem Veltlin über zweihundert Miglien weit zog.

Weltberühmt aber ist eine seiner Mailänder Arbeiten, das Abendmahl, geworden, ein Bild, welches nie mehr seines Gleichen haben wird. Es war in dem Refectorio der Dominicaner der Santa Maria della Grazia al fresco gemalt. Es ist namentlich dadurch sehr beschädigt und unkenntlich geworden, daß französische Reiter das Refectorium zum Pferdestall machten und die Ausdünstung der Thiere verderblich einwirkte, vieler Säbelhiebe und Lanzenstiche, welche das [293] Prachtwerk empfing, nicht zu gedenken. Der Kopf des Judas Ischariothes soll dem Pater Guardian des Klosters, welcher dem Maler seinen Lohn verkümmerte, angehört haben. Wer hätte nicht da Vinci’s Abendmahl bewundert, wo Christus, die liebevolle Ergebung auf dem göttlichen Antlitze, zu seinen Jüngern spricht: Wahrlich, einer unter Euch wird mich verrathen; des Menschen Sohn geht dahin, wie geschrieben steht, aber wehe dem Menschen, durch den er verrathen wird! Dies Bild, mit einer idealen Charakteristik der Köpfe, wie sie selten oder nie ein einziges Meisterbild zeigt, mit diesen bewegten Mienen und Stellungen, womit die Jünger fragen: Bin ich’s? Der beste Stich nach diesem Werke ward von Raphael Morghen geliefert, und dieser hat so viele Nachbildungen erfahren, daß man ohne Uebertreibung sagen darf, die ganze Christenheit kennt das Abendmahl aus dem Refectorio der Dominicaner von Mailand. Raphael Sanzio’s sixtinische Madonna kann sich bei Weitem nicht einer ähnlichen Verbreitung rühmen.

Bald aber hörte Mailand, von dem hellen Kriegsfeuer umgeben, und im Jahre 1499 unter großem Blutvergießen erobert, auf, ein Sitz für ruhige Kunstausübung zu sein. Leonardo wanderte nach Florenz zurück. Hier zeigte er, daß sein Genie an Mächtigkeit dem des jungen Buonarotti’s nichts nachgab, obwohl da Vinci diesem Titanen an Grazie und tief gemüthlichem Reiz weit überlegen war. Es war Niccolo Piccinim’s Sieg mit den Florentinern, den da Vinci malte und – obgleich Gemälde und Carton wie gewöhnlich bei Leonardo – verloren sind, so besitzen wir doch noch in einem später von Edelink gestochenen Blatte eine einzige Reitergruppe aus diesem Stücke, die in ihrer Unübertrefflichkeit uns ahnen läßt, was die Kunst beim Untergang jener Schöpfung verlor. Noch immer jedoch sind außer dem Abendmahl Werke genug vorhanden, welche den Ruhm da Vinci’s beweisen. So das Portrait Sforza’s, welches wir hier geben; Johannes der Täufer, in der französischen Nationalgallerie – wenigstens besaß es diese noch 1813 –; eine Leda, Eigenthum der Kaunitz’schen Gemäldesammlung in Wien; ferner ein Portrait eines schönen Weibes, La Gioconda genannt; ein Carton zu Ehren der Santa Anna und die heiligen drei Könige, letzteres Bild in Florenz befindlich. Auch besitzt Rom in der Gallerie di Sciarra eine Vanitas und Modestia oder Pietas und in London bewahrt die Nationalgallerie einen Christus mit den Schriftgelehrten. In Frankreich besitzt die Nation eine Vierge aux rochers von da Vinci’s Hand. Der Meister arbeitete von 1513 in Rom, wo er die größte Gunst des Papstes, Leo X., genoß; später in Paris, als Freund des ritterlichen Königs Franz, wo er im Jahre 1519 plötzlich im 67. Jahre seines Alters starb.

Leonardo ist ein Künstler ersten Ranges, dessen wunderbare Begabung nur zum allergeringsten Theile durch seine Werke wiedergegeben wurde. Sein Geist war eben so kraftvoll, als subtil, seine Phantasie so mächtig und schwungreich, als anmuthig und zart; seine Empfindung ist stets edel und groß, und seine künstlerische Schwärmerei hatte ein Ideal von göttlicher Schönheit vor Augen. Dennoch ward dieses Ideal nie unwirklich, denn schwerlich möchte es einen durchgeistigteren Naturalismus geben, als denjenigen, welchen wir in da Vinci’s Werken nachweisen können. Ein ganz eigenthümlicher Zug dieses Malers war, daß er sich nie Genüge leisten konnte, weshalb er sich meistens lange vor der Vollendung von seinen Werken abwandte und sie seinen Schülern überließ, welche sie ausmalen, gut machen oder verderben konnten, ohne daß da Vinci je dieser Stücke mit einem Worte erwähnte. Diesem Genius ist in seinen Werken auch nicht eine einzige Schwäche, ein Fehler, eine schiefe Richtung u. s. w. vorzuwerfen; er ist einzig, unvergleichlich. [294] Als Mensch war er liebenswürdig, heiter, von strengen Sitten, seinem Wahlspruch gemäß: Sempre vogli quel che tu debbi; oder: Immer wolle, was du sollst. Als Künstler blieb dieser herrliche Genius in seiner eignen Meinung bis an sein Ende ein Stümper, ein Schüler, der nichts schaffen konnte, was der wahren Idee der Kunst angemessen sei. Es ist sehr oft nach da Vinci gestochen; sein Leben ward von Brown beschrieben, und sein erwähnter „Trattato“ etc. und seine Bilder haben oft Kunstphilosophen und Kritikern Stoff zu Entwickelung ihrer Theorien gegeben, wie dem Amoretti u. A. Nachahmer hat Leonarda viele; unter seinen Schülern darf Bernardo Luini den Rang behaupten. Zu jeder Zeit bewundert, ist Leonardo nie übertroffen worden.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Leonarda