Sitzung der geographischen Gesellschaft zu Berlin vom 2. Juli 1870
Der Vorsitzende, Herr Bastian, theilt zunächst mit, daß ein neuerdings eingelaufener Brief von Prof. Kiepert dessen baldige Rückkunft in Aussicht stellt, ferner daß das letzte, aus Gatrôn datirte Schreiben des Dr. Nachtigal die dortigen Verhältnisse als günstig schildert und legt sodann die eingegangenen Geschenke vor. Hierbei knüpft derselbe an einen im Recueil des notes et mémoires de la Société archéol. de la Province de Constantine (2e Sér. Vol. III) erschienenen Aufsatz über die megalithischen Monumente in Nordafrica Bemerkungen über die weite Verbreitung solcher Denkmäler der Vorzeit und die Identität der über ihren Ursprung an den verschiedensten Orten in Nordafrica, Südindien und im Kaukasus umlaufenden Sagen. Ebenderselbe erörtert im Anschluß an W. Radlof’s „Proben der Volksliteratur der türkischen Stämme Südsibiriens 3. Theil“ einige das Volk der Kirgisen betreffende Fragen, u. a. macht er darauf aufmerksam, daß die Nachrichten der Chinesen über die Blondhaarigkeit der Uisūn, die wahrscheinlich ein [382] Kirgisenstamm waren, durch das Zusammenwohnen unterworfener Stämme mit denselben zu erklären sein werden.
Herr v. Maltzan, als Gast anwesend, gab sodann einen Ueberblick über seine bisherigen Reisen in Nordafrica und Arabien. Hauptobject der Studien desselben waren Archäologie und Epigraphik, namentlich phönicische. Daneben beschäftigten ihn überall die Erscheinungen des modernen Völkerlebens. In Nordafrica ruht die moderne arabische Kultur auf nationalberberischem Grunde; in compacten Massen sitzen die Berbern noch in Marocco und Algerien, weniger dicht und oasenhaft in Tunis und Tripolis; zwischen ihnen wohnt das Volk, welches wir Araber zu nennen gewohnt sind, das aber kaum zum fünften Theil sich echter Abstammung rühmen darf, sondern aus mehr oder weniger arabisirten Berbern besteht. Auf diesem Boden begann vor 18 Jahren der Reisende seine Thätigkeit mit einer Reise durch die Provinzen Algier und Oran, auf welcher er die damals noch ganz arabische Stadt Masuna im Daragebirge besuchte. Ein Versuch, in das Innere von Marocco einzudringen, mißlang ihm damals; er mußte sich begnügen, einige Küstenstädte dieses Landes kennen zu lernen, wandte sich darauf nach Spanien und kehrte nach Algerien zurück, um die östlichen Theile desselben zu durchwandern. Hier besuchte er u. a. Tebessa mit seiner merkwürdigen, ganz aus römischen Bauresten von den Byzantinern zusammengeflickten Citadelle und Lambessa, dessen römische Häuser, Tempel, Basiliken noch heut fast unversehrt dastehen, drang dann über Biscra in die Wüste ein und durchzog sie bis Tuggurt, wo er Gelegenheit hatte, der Anlegung von Oasenbrunnen seitens der Eingeborenen beizuwohnen und die Wasserfülle zu constatiren, die in der Tiefe des Wüstenbodens verborgen ist. Nun folgte eine Reise durch Tunis, welche beständig den Römerroutiers mit ihrem Netz von Ruinenstädten und Hochstraßen nachging. Im Jahre 1858 gelang es dem Reisenden endlich, von Suèra (Mogador) aus, nach Marocco zu kommen. Es geschah unter dem theuer erkauften Schutz eines Heiligen, der ihm zwar eine Audienz beim Kaiser verschaffte, nicht aber verhindern konnte, daß er für die übrige Zeit seines Aufenthalts im Judenviertel confinirt wurde. Hierauf führte er unter der Maske eines Magrebi (Algeriers) seine Reise nach Mecca aus, bei welcher er die Kaaba mit ihrer heiligen Umgebung erschauen und alle Gebräuche der Pilgerfahrt aus eigner Erfahrung kennen lernen konnte. Reiche Ausbeute an phönicischen, karthagischen, egyptischen Alterthümern gewährte eine Reise nach Sardinien, und ebenso erfolgreich war die im October 1868 nach Tunis unternommene, welche zahlreiche Denkmäler phönicischer Epigraphik zur Kenntniß des Reisenden brachte. Der Vortragende schloß mit einer Mittheilung seiner neuesten Reisepläne. Hiernach gedenkt derselbe, angeregt durch das von ihm jetzt edirte Manuscript Adolf v. Wrede’s, welcher Hadramaut in Arabien durchforschte, demnächst ebenfalls nach letzterem Lande aufzubrechen, um dort die östlich von Hadramaut liegenden Gebiete von Mahrah und Garah europäischer Wissenschaft zu erschließen.
Herr Dümichen gab zu den von Herrn v. Maltzan auf Sardinien vorgefundenen, theils echt egyptischen, theils den egyptischen nachgebildeten Alterthümern einige Erläuterungen. Jene Alterthümer stammten wahrscheinlich aus früheren Zeiten als es scheine; über das Alter aber der Verbindungen zwischen Egypten und Sardinien könne man auch aus egyptischen Denkmälern sich Aufschluß erholen. [383] In diesem Sinne sei auf eine egyptische Tempelinschrift zu verweisen, welche einen Siegesbericht über einen im 13. Jahrhundert v. Chr. vorgefallenen Völkerkampf am Mittelmeer enthalte und, richtig gelesen, neben Achivern und Lyciern auch Sikuler und Sarden auftreten lasse.
Hierauf besprach Herr Zenker die seit October 1869 am Rhein vorgekommenen Erdbeben, indem er zunächst die Erscheinungen schilderte, welche in Groß-Gerau und Umgegend beobachtet worden sind. Er wandte sich sodann gegen die neuerdings aufgestellte Theorie, wonach Erdbeben durch die Ebbe- und Fluthbewegungen des feurig-flüssigen Erdinnern hervorgerufen würden. Die Schwerkraft werde zwar auch im Innern der Erde durch die Anziehung von Sonne und Mond dieselbe Richtungsänderung erfahren, auf welche die Entstehung der Ebbe und Fluth des Meeres zurückzuführen ist; doch ergebe diese nur eine theoretische Fluthhöhe von höchstens 4 Fuß, welcher denn auch die der Fluth zuzuschreibende Druckschwankung im Innern der Erde nur entsprechen könne. Nun sei diese Veränderung einestheils unbedeutend, anderntheils finde sie nicht plötzlich, sondern allmählich statt, sodaß in ihr eine Veranlassung zu Erdstößen nicht zu finden sei. Auch die Eintrittszeiten der Erdbeben bieten keinerlei Anhalt für eine derartige Theorie. Nach dieser müßten die Erschütterungen vorzugsweise nahe der Culminationszeit des Mondes und nahe dem Vollmond oder Neumond eintreten, was beides sich nicht bestätigt. Die Erdstöße in Groß-Gerau waren durchschnittlich 3 Stunden von der Culmination entfernt, d. h. sie lagen der Ebbezeit gerade so nahe wie der Fluth. Wenn man aber das Erdbeben in Peru vom 13. August 1868 mit der großen Sonnenfinsterniß vom 18. desselben Monats in Verbindung bringen wollte, so sei dies ganz unzutreffend, da der 13. August dem Fluthminimum vom 11. August näher gelegen habe, als dem Fluthmaximum am Verfinsterungstage. So fallen auch die auf die besprochene Theorie gegründeten Prophezeiungen in Nichts zusammen. – Herr Spiller, der eine Erwiederung auf diesen Vortrag beabsichtigte, konnte der vorgerückten Zeit wegen nicht mehr das Wort erhalten.
Zum Schluß brachte der Vorsitzende den vom 14. bis 21. August bevorstehenden internationalen geographischen Congreß zu Antwerpen in Erinnerung und forderte zu zahlreicher Betheiligung an demselben auf.
An Geschenken gingen ein:
1) v. Dechen, Erläuterungen zur geologischen Karte der Rheinprovinz und der Provinz Westphalen. Bd. I. Orographische und hydrographische Uebersicht. Bonn 1870. – 2) Niemann, Bloemlezing uit maleische geschriften. 1. St. ’s Gravenhage 1870. – 3) Grad, Observations sur la constitution et le mouvement des glaciers. Strasbourg 1870. – 4) Radloff, Proben der Volksliteratur der türkischen Stämme Süd-Sibiriens. Thl. III. St. Petersburg 1870. – 5) Dasselbe Werk russisch. – 6) Gl’istituti tecnici in Italia. Firenze 1869. – 7) Statistica del regno d’Italia. Movimento dello stato civile nell’ anno 1868. Firenze 1869. – 8) Statistica del regno d’Italia. Navigazione nei porti del regno. Anno 1868. Firenze 1869. – 9) Statistica del regno d’Italia. Amministrazione pubblica. Bilanci comunali anni 1867–1868; bilanci provinciali anno 1869. Firenze 1870. – 10) Statistica del regno d’Italia. Le opere pie nel 1861. Compartimenti dell’ Umbria e delle Marche. Dasselbe nel 1867. Compartimento del Veneto. Firenze [384] 1870. – 11) Maestri, Rapport sur les publications de la direction de statistique du royaume d’Italie. Florence 1869. – 12) Congresso delle camere di commercio. 2da sessione. Prato 1869. – 13) Maestri, Proposta di programma presentata a S. E. il Ministro d’agricoltura. Firenze 1869. – 14) Relazione dei giurati italiani sulle esposizione universale del 1867. Fasc. IV. Firenze 1869. – 15) Ollier de Marichard et Pruner-Bey, Les Carthaginois en France. Montpellier 1870 – 16) Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Bd. V. Heft 3. Berlin 1870. – 17) Mitteilungen der geographischen Gesellschaft in Wien. 1870. No. 9. Wien. – 18) Recueil des notices et memoires de la Société archéologique de la Province de Constantine. 2e Sér. Vol. III. Constantine 1869. – 19) Wild, Jahresbericht des physikalischen Central-Observatoriums für 1869. St. Petersburg 1870. – 20) Bulletin de la Société Imp. des Naturalistes de Moscou. 1869. N. 4. – 21) Bulletin de l’Académie Impér. des Sciences de St. Pétersbourg. T. XIV. No. 4. 5. St. Pétersbourg 1870. – 22) Gaea. Natur und Leben. 1870. Heft 3. 4. Köln. – 23) Revue maritime et coloniale. 1870. Mai, Juin. Paris. – 24) Bulletin de l’Académie d’Hippone. 1869. No. 7. 8. Bone. – 25) Bijdragen tot de taal-, land- en volkenkunde van Nederlandsch Indië. 3. Volg. D. IV St. 4. ’s Gravenhage 1870. – 26) Zeitschrift für des Berg-, Hütten- und Salinenwesen in dem preußischen Staate. Bd. XVIII. Lief. 1. Berlin 1870. – 27) Revue des cours scientifiques de la France et de l’étranger. 1870. N. 26–30. Paris – 28) Preußisches Handelsarchiv. 1870. No. 22–25. Berlin – 29) The first Annual Report of the American Museum of Natural History. January 1870. New-York.