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Skizzen aus Ungarn II

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Textdaten
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Autor: Herbert König
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Titel: Die Haideschenke
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 21, S. 273, 275–276
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Ungarische Haideschenke.

[275]
Skizzen aus Ungarn.
Von Herbert Kg.
(Mit Abbildung einer Haideschenke.)
III.
Die Haideschenke.

So sehr auch der Ungar bemüht ist, seine Pußten als fruchtbare, weite grüne Ebenen zu schildern, so wenig lernt dies der Ausländer begreifen, der zum ersten Male diese endlosen Flächen bereist, und, wenn auch nicht ein wüstes, doch völlig unbebautes Land vor sich sieht, was wenigstens keinen erhebenden Eindruck zurückläßt. Hier rauscht in stundenlangen Morästen das Schilf zu dem Geschrei tausender von Wasser- und Sumpfvögeln, hier ist der schöne Kranich und der einsame Storch in seinem Elemente, hier entwickeln sich Schaaren von Eidechsen, Schlangen und Nattern in dem heißen Sande, wo eben nur noch das Waisenmädchen gedeiht, und Milliarden von Mücken, Eintagsfliegen und Lybellen durchschwirren die heiße Luft, die wie ein Alp über der Landschaft liegt. Es gehört ein reicher Patriotismus dazu, ein solches Stück Erde zu lieben, und doch giebt es viele, viele arme Teufel, die sterben würden, wollte man sie ihrer Pußta entreißen.

An jenen Herbstabenden, wenn die Sonne wie eine dunkelrothe Feuerkugel glüht und beim Untergehen immer schneller und schneller vom tiefschwarzen Horizont durchschnitten wird, und der Mond in seinem blaßgrünen Lichte schon lange auf das Verschwinden seiner mächtigen Nebenbuhlerin harrt – wenn sich dann schwerfällige Nebelmassen über der Erdoberfläche zeigen, die Anfangs lange dünne Streifen bilden, zuletzt aber in die fabelhaftesten und riesigsten Gestaltungen übergehen – wenn es dunkler und dunkler wird, und die Nebelmassen sich immer weißer und gespenstiger vom dunkeln Hintergrunde abheben – an einem solchen Abende muß man in der großen Pußta von Debreczin reiten, um die tiefe Melancholie begreifen zu lernen, welche das menschliche Herz erfaßt, wenn wir uns in einer großen, endlosen Ebene befinden. Man reitet dann wohl stunden- und meilenlang, ohne auf ein menschliches Wesen zu stoßen, vergebens sucht das Auge in dieser, fast möchte ich sagen, erhebenden Einförmigkeit, einen Haltepunkt, und glaubt endlich einen Baum zu sehen, auf den das Pferd instinktmäßig zusteuert, der aber näher betrachtet, sich in einen Ziehbrunnen verwandelt, in dessen Ständer das durstige Thier, ohne sich um seinen Reiter zu bekümmern, die Nüstern steckt. Blickt man dann von ungefähr über sich, sieht man wohl noch den einsam schwebenden Aasgeier, der vielleicht schon Tage lang dem Pferde folgte, auf die geringste Bewegung des Reiters aber sich eiligst in den Wolken verliert.

Man möchte gern durch die Pußta kommen, ehe es völlig Nacht wird und das nächste Städtchen, sei es noch so elend, erreichen, um nicht in der „Haideschenke“ übernachten müssen. Das ungarische Pferd läßt sich indeß beim Trinken höchst ungern stören und ehe es sich noch ganz verschnauft hat, glitzert schon der Abendstern am Himmel und die scharfe Nachtluft schüttelt den Reiter. Rasch steigt er auf, nachdem er noch einmal den Sattelgurt angezogen, giebt dem Thiere einen leichten Gertenschlag, das sich nun wieder unaufhaltsam vorwärts stürzt. Dabei hat er immer ein Sternbild im Auge, worauf er zusteuert, und das ihm als Richtschnur zu seinem Ziele, dem Nachtquartier dient, denn aus der Pußta kommt er heute doch nicht mehr. Jetzt schimmert am Horizonte ein mattes Licht, es ist ihm, als höre er wüstes Geschrei, immer vorwärts dringend, verwandelt sich aber das Geschrei in einzelne wild ausgestoßene Töne. Bald hört er auch Hufschlag – sein Pferd spitzt die Ohren und wiehert laut auf – ein „Csikós“! Und ehe noch das Wort ausgesprochen, fliegt die Centaurengestalt vorüber, hoch über sich die lange Peitsche schwingend und das rasende Thier noch durch wilde Aufschreie anhetzend, die in unserer Sprache wohl „Hurrah“ oder „Hussich“ bedeuten mögen.

Der Csikós kam aus der Richtung jenes schimmernden Lichtes, dem der Reiter jetzt näher und näher kommt, und von dem er nun gewiß ist, daß es durch das Fensterloch der Haideschenke scheint. Er zieht leicht den Zügel an und in ruhigem Tritte geht sein ermüdetes Pferd auf die alte, verfallene Lehmhütte zu, aus deren Innerem eine leise klagende Musik tönt, der Anfang eines Csárdas, jener wunderbaren Weisen, die vielleicht in solchen armseligen Hütten erdacht wurden; denn eine Haideschenke heißt auf Ungarisch „Csárda“.

Der Reiter bindet sein Pferd an den Ständer des Ziehbrunnens, der wie eine lange Schildwache vor jeder Csárda steht, horcht erst ein wenig, ehe er in die Schenke tritt, und schlägt dabei mit dem Peitschenstock an die Thürpfoste oder räuspert sich auf sehr vernehmliche Weise, um sich gleichsam anzumelden. – Es ertönt kein Herein, denn die drei Gestalten, die er vor sich sieht, sind viel zu tief in den Csárdas versunken, den in der Ecke ein magerer Zigeunerknabe aufspielt und dessen Geige jetzt die Köpfe oder Herzen der Männer ausschließend zu beschäftigen scheint. Nur ein kleiner Spitz, auf Maisstroh lagernd, hat Lust, durch Knurren diese Gemüthsstimmung zu stören, wird aber sogleich durch einen Fußtritt zur Ruhe verwiesen. Dies veranlaßt den Reiter, sich ebenfalls sehr ruhig zu verhalten und auf eine Bank hinzustrecken; denn in den Mienen der drei Menschen liegt ein Etwas, das selbst der feingebildetste Mann respektiren muß, er mag wollen oder nicht.

Die Kürbisflasche mit den Holzbechern auf dem Tische scheint geleert zu sein, das Gelage vorüber. Dann wird der Mensch immer sentimental, zumal wenn er Musik hört. Auch diese gehen wohl einen Augenblick in sich – gedenken ihrer Kindheit oder besserer Tage – werfen einen Blick des Vorwurfs auf ihr jetziges Leben, erinnern sich dieses oder jenes tollkühnen Kameraden, den der Arm der strafenden Gerechtigkeit erreichte – und lassen dabei die Pfeife ausgehen und denken nicht einmal an Pferde- oder Schweinediebstahl. Hieraus mag man entnehmen, in welcher Gesellschaft sich unser Reiter befindet.

Oben am Tische steht eine athletische Figur in lässiger Haltung, unternehmend den Hut in die Stirn gedrückt, das ist ein Kondás, der hier mit diesem oder jenem Schweinekäufer zusammentraf, um mit ihm zum großen Nachtheil der Heerde seines Herrn einen geheimen Handel abzuschließen. Doch bleibt der Mann hierbei nicht stehen, und in der Nothwehr, d. h. würde er bei seinen Diebstählen oder Diebshandel ertappt, schleuderte er seine furchtbare Handaxt eben so gut nach einem Menschen, wie nach einem Schweine. Harmloserer Natur ist der alte Bursche ihm gegenüber, mit dem zottigen Mähnenhaar, das bis auf die Schultern fällt, und dem eisgrauen Schnurrbart, der noch in seiner ganzen Straffheit zu beiden Seiten gerade hinaus steht, und dessen Militärhose auf seinen frühem Stand schließen läßt. Dieser arme Teufel, einst ein flotter Csikós, wurde für ein österreichisches Husarenregiment ausgehoben, vielleicht wegen eines Disciplinarvergehens entlassen, und treibt sich nun seit dreißig bis vierzig Jahren in den Pußten oder Haideschenken herum, sein Leben mühselig fristend. Für einen Beutel Taback unternimmt er im Interesse seines Freundes und Gönners, des Kondás, eine Schleichpatrouille, steht als Vorposten Nächte lang, wenn’s in der Pußta nicht geheuer ist, d. h. wenn österreichische Gensd’armen gewissen verdächtigen Leuten (wie weiland Sobri und Konsorten), auf der Spur sind, und wird dabei alt und stumpf, wenn auch nicht in Ehren, doch im Elend. Der Dritte im Bunde, der hinten am Tische sitzt, ist ein Mann von entschiedenem Charakter, der nicht zwei oder drei Handwerke nebenbei treibt und als Deckmantel braucht, sondern seine Kräfte concentrirt, entschieden mit Messer oder kurzer Muskete auftritt, meist im Auslande, das will sagen, außerhalb der Steppe, lebt und sich nur in die Csárda verliert, wenn ihm sonst überall ein sicherer Aufenthalt abgeschnitten. Mit großer Gewandtheit hält er in Begleitung einiger Spießgesellen den ersten besten Reisewagen an, stößt bei der geringsten Widersetzlichkeit den unglücklichen Kutscher vom Bocke, ladet (wie die Fabel geht) die Reisenden sehr höflich ein, auszusteigen, schneidet die Lederkoffer auseinander und zertrümmert die Kisten, um sich des Inhalts zu versichern und hilft der Herrschaft wieder in den Wagen, sobald er sich seiner Commission entledigt. So wird gewöhnlich von den Wegelagerern Ungarns erzählt.

Doch unser Reiter, der, außer an jenem Abende in der Haideschenke, noch manchen andern solcher Vögel sah, der in Pesth [276] mehr als einer Einlieferung und Verurtheilung beiwohnte, glaubt hier ein wenig berichtigen zu dürfen, ohne deshalb dem chevaleresken Charakter der Ungarn, der selbst dieser Klasse, die außer dem Gesetze steht, eigen ist, nahe treten zu wollen. Der Edelmuth der Räuber, selbst der ungarischen, ist nie weit her. Es mag allerdings Ausnahmen geben, wie z. B. der noch lebende Rosa Sandor eine ist, dessen Galanterie, namentlich gegen Damen, nicht genug geschätzt werden kann, und der in Pesth im Jahre 1849 oder 1850 die größte Sensation erregte, als er es wagte, im ungarischen Nationaltheater zu erscheinen. (Daß er nicht augenblicklich festgenommen wurde, mag, nebenbei bemerkt, als Beweis dienen, wie hoch im Ansehen damals Alles stand, was zum Magyarenthum nur die geringste Beziehung hatte; und Rosa Sandor war leider ein geborner Ungar.)

Im Allgemeinen aber stehen diese Leute mit den Bravo’s Italiens auf gleicher Stufe, deren Edelmuth eben so gut eine vorübergehende Laune ist, als die Grausamkeiten, die sie gegen sogenannte „widerspenstige“ Reisende begehen. Noch in neuester Zeit ist eine That von einem Kondás an seinem frühern Herrn verübt worden, die so wenig mit der vielgerühmten Chevalerie dieser Pußtensöhne gemein hat, daß sich Einem beim Anhören der furchtbaren Mordthat die Haare sträuben. Solche Schurken werden von der Regierung allerdings sehr kurz prozessirt, wie alle jene Individuen, die das Land unsicher machen durch Mord und Räubereien. Nach höchstens vierundzwanzig Stunden ist ein solcher eingebrachter Bursche ein todter Mann, denn des Gesetzes Schärfe fand nach der allgemeinen Desarmirung des Landes für nöthig, jeden Verdächtigen, der auf offenem Felde mit Schuß- oder Hiebwaffe ergriffen wurde, festzunehmen und nach geschehener Untersuchung zu erschießen. Und meist waren diese Menschen die verwegensten Räuber und Diebe, in deren Leben der Richter selten einen Hang nach Romantik als etwaigen Milderungs- oder Entlastungsgrund entdecken konnte.

Gattungen dieser Leute nun suchen und finden auch ihr sicheres Asyl meistens in der Haideschenke, bis diese einmal, von den Kugeln der österreichischen Gensd’armen durchlöchert, in sich zusammenfällt. Aber meist ist dann bei der Haussuchung das Nest leer, die Vögel sind ausgeflogen, nur liegt vielleicht eine zertretene Geige am Boden, die dem armen Zigeuner bei der Flucht aus der Hand gerissen wurde. Doch läßt man bei solcher Gelegenheit dem Zigeuner nie Zeit, sein einziges Hab und Gut mit sich fortzunehmen, oft wird er auf’s Pferd gebunden, um ihn ganz sicher zu entführen, denn zurückbleibend, wäre er ein zu gefährlicher Verräther.

Auch die drei Helden der Csárda entfernten sich auf einen schrillen Pfiff, der durch die Stille der Nacht drang, und ließen unsern Reiter allein, der es jedoch für nöthig fand, ihnen bis an sein Pferd hinaus das Geleite zu geben, damit die Herren nicht etwa aus Versehen sein Miethroß mitnähmen. Aber der Zigeuner spielte seinen Csárdas fort, und wenn er zu Ende war, fing er ihn wieder von Neuem an, Anfangs eben so leise klagend, zuletzt ebenso ausgelassen rasend, wie das erste Mal. Dann streckte er sich schüttelnd vor Frost auf ein elendes Lager in der Ecke der Hütte, zog einen härenen Fetzen bis an die Ohren herauf und schlief ein.

In dieser Gesellschaft brachte unser Reiter die Nacht zu, ohne recht einschlafen zu können, denn in dem Hotel schien’s ihm eben nicht recht geheuer. Mit dem ersten Sonnenstrahle bestieg er wieder sein Pferd, trabte noch einige Meilen südöstlich und erreichte endlich Debreczin, wo man für so mäßigen Preis den besten Tokayer trinkt. Die Pußta mit ihrer Schenke ließ er aber weit und gern hinter sich liegen, und gedachte der heimathlichen Berge mit wärmeren Gefühlen als je zuvor.