Sommer 1898

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Textdaten
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Autor: Frank Wedekind
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Titel: Sommer 1898
Untertitel:
aus: Die vier Jahreszeiten
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1905
Verlag: Albert Langen, Verlag für Litteratur und Kunst
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Erscheinungsort: München
Übersetzer:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans dieser Ausgabe auf Commons
S. 63–65
Kurzbeschreibung:
Aus dem Zyklus Sommer.
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[63] Sommer 1898

     Ich, der alte Ahasver,
     Habe große Eile,
     Zu verscheuchen wünscht’ ich sehr
     Ewig lange Weile:

5
     Lenke wieder meine Bahn,

     Endlos mir beschieden,
     Nach dem alten Kanaan,
     Das ich lang gemieden.

Mir ist in der Ferne die Kunde geworden,

10
Es käme gezogen ein Herrscher von Norden,

Da setzt es vielleicht auch für mich einen Orden.

     Rückwärts schweift mein Auge matt,
     Reuevoll umdustert,
     Nach der alten Judenstadt,

15
     Drin ich einst geschustert,

     Derart, daß mich heute noch
     Gottes Welt verachtet,
     Weil ich nicht den Braten roch,
     Eh’ das Lamm geschlachtet!

20
[64] Wär’ Jener gekommen, wie Dieser kommt heute,

Mit stolzem Gepränge und großem Geleite,
Ich wäre moralisch gegangen nicht Pleite!

     Jener ritt die Eselin,
     Dieser den Trakhener,

25
     Ehr’ und Glück trägt Dieser hin

     Und sein Leben Jener.
     Durch der Rede reiches Wort
     Einzig sind die Beiden,
     Und ihr Ziehn von Ort zu Ort

30
     Nicht zu unterscheiden.


Was aber hilft tief mir im Busen die Reue!
Versagt’ ich denn jemals dem Herrscher die Treue?! –
Am Ende ereilt mich mein Unglück aufs neue!

     Kam doch auch zu jener Zeit

35
     Unter Kriegerscharen

     In verbrämtem Purpurkleid
     Einer angefahren! – –
     Wenn der Andre nun auch jetzt
     Beim Erlöserwerke

40
     Sich vor meine Türe setzt,

     Ohne daß ich’s merke?!

Von ihm stand kein Wort in der Zeitung geschrieben
Ich hätt’ ihn ja sonst von der Bank nicht vertrieben!
Und darin ist alles beim alten geblieben. –

45
     [65] Ja, wir Menschen stolpern blind

     Durch des Lebens Enge.
     Oft ist leer wie Schall und Wind
     Größtes Festgepränge.
     Irrt man ehrfurchtsvollen Blicks,

50
     Ehr’ und Macht zu suchen,

     Kommt der Mächt’ge hinterrücks,
     Einen zu verfluchen! –

Es wechseln nicht nur an der Börse die Größen! –
Nichts bleibt uns, inmitten von Püffen und Stößen,

55
Als ununterbrochen das Haupt zu entblößen.