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Sonderlinge und Käuze

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Textdaten
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Autor: Adolf und Karl Müller
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Titel: Originalgestalten der heimischen Vogelwelt. 3. Sonderlinge und Käuze. b. Käuze: Zwergkauz. Uhu.
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Originalgestalten der heimischen Vogelwelt.[1]
Thiercharakterzeichnungen von Adolf und Karl Müller.
3. Sonderlinge und Käuze.
b. Käuze: Zwergkauz. Uhu.


Wir wählen für unsere Charakterzeichnungen zwei ganz entgegengesetzte Originalgestalten aus einer und derselben Vogelgruppe: die niedlichste Eule aus der Familie der „Tageulen“, Surniae, und einen Vertreter aus der Familie der „Ohreulen“, Bubones. Die erstere ist die Zwerg- oder Sperlingseule, auch „Zwergkauz“ oder „Käuzchen“ genannt, der letztere der Riese Uhu.

Lichtscheu und Nachtvögel sind sie zwar beide wie alle unsere Eulen. Allein die Zwergeule ist von der Wissenschaft nicht mit Unrecht in die Reihe der Tageulen versetzt worden, oder vielmehr, das Käuzchen hat es selbst gezeigt, daß es sich auch bei Tage sehen lassen kann und im hellen Lichte sogar ganz gut fortzukommen weiß.

Besonders die Minnezeit benimmt dem Käuzchen ein gut Theil seiner Zurückgezogenheit, und aus seinen dämmerigen Verstecken in Baumhöhlen, hinter Mauern und Steinrissen und aus dunklem Baumwuchs treibt es die Liebe mehr denn je hervor an den hellen Tag. Es ist freilich immer noch ein sonderbares Käuzchen, bei dessen Anblick die anderen Vögel des Lichtes in große Aufregung und Unruhe gerathen. Namentlich ist es die aufmerksame, rührige Wache der Meisenschaar, die das Käuzchen gewaltig auszuschimpfen pflegt, sobald es sich im Bereiche des hellen, sonnigen Lebens, der lustigen Tagvögelgesellschaft zeigt. Doch Erfahrung und eine untrügliche vererbte Furcht läßt sogar die kecke Kohlmeise Vorsicht gebrauchen, wenn sie den fremden Gast umschwirrt. Denn der ungefährlich scheinende Zwerg, der nicht viel größer als ein Sperling und nur 16-18 cm lang ist, benimmt sich manchmal riesig räubermäßig und packt unversehens, flink wie er ist, den ersten besten Vogel am Kragen und rupft und würgt ihn zum Entsetzen der ihn umgebenden Schar trotz allen Schimpfens und Wetterns. Er ist ein Kauz - - aber ein solcher, der für den Thierfreund so außerordentlich viel Anziehendes, Unterhaltendes und Drolliges hat, daß man nicht müde wird, sein niedliches Bild und sein ergötzlich komisches Betragen zu betrachten.

Manchmal sitzt das Kerlchen längere Zeit in dem Laube eines Obstbaumes oder auf seinem Lieblingsorte, einer dichtbeasteten Eiche, sodaß man es mit einem Fernrohre ungestört beobachten kann. Da hockt es in der Ruhe mit dem etwas gesträubten, mausgrauen, mit weißen Flecken gezierten Mäntelchen und der weißen, braungestrichelten, ebenfalls leis aufgebauschten Unterseite, das [243] niedliche aschgraue Affengesichtchen tief eingezogen auf die Brust. Nur versteckt unter den kurzen weißbündigen Flügeln schaut das viermal weiß quergestreifte Schwänzchen hervor.

Jetzt hebt das Käuzchen den einen Fuß unter den aufliegenden Bauchfedern hervor, als wollte es in die Luft greifen. Es hat lebhaft den Anschein, als ob der kleine Federbalg aus einem Traum erwache und, noch halb in diesen verloren, eine phantastische Bewegung ausführe. Wie niedlich und zierlich sehen sich die dichtbefiederten Füßchen an, und doch wie wehrhaft mit scharfen Fängen versehen sind sie! Plötzlich streckt sich der Vogel, und siehe: aus dem Federball wird stracks ein schlanker glatter Vogel, dessen Gefieder sich gar nicht ansieht wie das weiche, lockere seiner Eulenverwandten, sondern eher dem Kleide eines Sperbers oder andern Tagräubers gleicht. Auch sein Köpfchen mit dem stark übergehakten, gezahnten Oberschnabel erinnert, namentlich im Profil, an die Räuber des Tages. Doch mit einem Male empfangen wir einen Blick von dem uns zugewandten Auge, aus dessen Tiefe der nächtliche Schimmer des Eulengesichts dringt. Aber kaum hat sich dieser Zug wie ein übergleitender Schatten der Nacht einen Augenblick verrathen, so zeigt sich auch schon wieder ein freundlicheres Bild ist des Vogels behenden Wendungen, womit er sich auf dem Geäste bewegt. Mit Hilfe des Hakenschnabels klettert er papageiartig herum, lüftet die Flügel ein wenig und hält schelmisch Umschau. Gleich darauf verfällt der Kauz in eine wahre Possenreißerei. Mit dem hellkreischenden Rufe „Kirr kirr“ nickt er rasch mit dem Kopfe, schaut, denselben abwechselnd schief haltend, bald zur rechten bald zur linken, streckt sich jetzt mit glattanliegendem Gefieder senkrecht in die Höhe, um sich kurz darauf wie in übermüthiger Laune aufzublasen, oder unter Knappen des Schnabels sich zu schütteln; er verdreht den Hals, wobei sich das Gesicht unter auf- und zugehendem Schnabel und unter Sträuben der Wangen. und Kopfseitenfedern affenartig verzerrt.

Zwergeule von Meisen ausgeschimpft.
Zeichnung von Adolf Müller.


Sein Ab- und Zuflug von Baum zu Baum geht rasch in bogigen Linien wie derjenige seines nahen Verwandten, des Steinkauzes, ganz anders also als der Flug der Nachtkäuze oder der Ohreulen. Auch sein Betragen zur Minnezeit im März bietet Eigenartiges. Aus der Höhle einer Eiche, Föhre oder Buche erklingt dann der hohle Ruf des Männchens in den Silben „Klululu“; des Abends aber verläßt es das Nestloch, fliegt in fast senkrechter Richtung am Stamme herunter und streift meist ganz niedrig über die Triften und Schläge dahin. Erwähnt muß werden, daß das Käuzchen sich sehr nützlich von Kerfen aller Art ernährt; so ist es auch nach dieser Seite hin unserer Schonung und Theilnahme würdig.

Das gerade Gegentheil von dem Zwergkauze lernen wir in dem Riesen der Ohreulen, dem Uhu, kennen. Die ansehnlichen Federbüschel über dem Gehöre und seine bedeutende Leibesgröße, (er wird über 60 cm lang) machen ihn zum urbildlichen Vertreter der Familie der Ohreulen. Ist die Zierde seines Kopfes schon auffallend, so vollendet dessen Dicke und Größe das Absonderliche dieses Nachtvogels; sein großes, abgeplattetes, mit goldgelber Iris leuchtendes Auge, der ausgebauchte Schnabel und die stämmigen befiederten Beine mit der Räuberwehr von starkgebogenen, festen und langen Krallen verrathen schon im Aeußeren einen mächtigen Gesellen der Nacht.

Düster wie die Nacht ist auch sein massiges Gefieder. Unbestimmt rostgelb erscheint es in seiner Grundfärbung, oberseits dunkler als unterhalb, hier schwarz längsgestreift, dort schwarz geflammt, nur die Kehle und das Innere der sonst schwarzen Federbüsche zeigen hellere Töne. Der männliche Uhu, obgleich kleiner als der weibliche, hat erheblich höhere Ohrenbüschel, die sich etwas nach hinten biegen.

Sein Gebahren ist verschlossen, scheu, linkisch und täppisch am Tage; in der Nacht aber entfaltet sich sein Wesen; da wird er ein wilder, ungestümer, räuberischer Gesell.

Seine eigentliche Heimath sind Gebirgswaldungen mit schroffen Hängen und Felsgeklüften. Hier in diesen versteckten düsteren Schluchten und Winkeln sitzt er Tags über wie ein versteinertes Bild. Findet er keine passende Felsspalte, so wählt er auch wohl Waldstellen, wo das Laubdach der Bäume den Blick in seine Einsiedelei verschließt, oder versenkt sich in eine finstere Baumhöhle.

Im Odenwald und Taunus haben wir den scheuen, unheimlichen Vogel der Nacht eingehend zu beobachten Gelegenheit gehabt. Merkwürdigerweise trat dabei zu Tage, daß der Uhu da, wo er selten war, in der Zurückgezogenheit wilder Waldnatur hauste, bei häufigerem Vorkommen aber nahe an Plätzen menschlichen Verkehrs und bewohnten Stätten lebte und hier sogar nistete, so bei Winterkasten im Odenwalde. Dort war das Thier früher häufig vertreten, und es ist gewiß kein Zufall, daß von dort auch die Sage vom Auszuge des wilden Ritters Rodenstein entstammt.

Wild wie die Einöde, in der sie leben, ist auch die Liebe der Uhus. Die männlichen verursachen bei ihren Kämpfen der Eifersucht ein gespensterhaftes Geräusch, das übertönt wird von den eigentümlichsten, schauerlichsten Rufen, die weithin aus den Wäldern dringen. Neben dem bekannten hohlen „Uhu“ entstehen krächzende, ächzende Laute, stöhnende und wie fernes Heulen schallende Töne, verbunden mit Knappen der Schnäbel und Klatschen der Flügel. Die weiblichen Uhus begleiten dieses unheimliche Konzert der erzürnten Kämpfer mit Tönen, die menschlichem Jammergeschrei [244] zu vergleichen sind. Dieses Lärmen und Toben erhebt sich in manchen Stunden der Nacht zu wilder Raserei, so daß den Beherztesten ein Grauen erfaßt. – Sobald es des Abends zu dämmern anfängt, wird der Uhu auf seinem Sitze („Stande“) unruhig; er tritt einige mal hin und her, schüttelt sich und ordnet sein Gefieder, um darauf sofort abzustreichen. Dieser Abstrich ist fast unhörbar leis, der Weiterflug, namentlich wenn er wie gewöhnlich dem Raub gilt, geht mit unglaublicher Raschheit und Gewandtheit durchs Geäste in mäßiger Höhe über dem Boden dahin. Diese Raubzüge durchs Waldesdunkel gelten nicht sowohl den Mäusen und Ratten, seiner Lieblingsspeise, sondern vielmehr vorherrschend dem Klein- und Mittelgeflügel. Er scheucht mit klatschenden Flügelschlägen, namentlich an Nadelholzbäumen herstreifend, die schlafenden Vögel auf und fängt die wirr Aufflatternden mit Leichtigkeit.

In den Reihen der Säugethiere ist das Rehkitzchen, selbst das Wildkalb nicht sicher vor seinen wuchtigen Angriffen. Und wie sein Raubwesen eine große Menge von Thieren gefährdet, so ist auch das Feld seiner räuberischen Thätigkeit ein großes und mannigfaltiges. Aus dem Walde lenkt sich sein nächtlicher Flug zur Steppe und zu den Feldern, zu Bächen, Flüssen und Teichen, und er schlägt hier die auf der Wasserfläche oder am Ufer ruhenden Wildenten so sicher, wie er auf Wiesen und Feldern die Lerche, im Busch das Rothkehlchen erhascht, oder wie er an andern Orten den Hasen, das Kaninchen, den Marder, Iltis und das Wiesel bewältigt. Selbst seine Verwandten überfällt er mit Mordgier, und mit dem Erbeuten von Lurchen und Kerbthieren beschließt er seinen ergiebigen Raubzug. Die überwiegende Schädlichkeit des Thieres aber wird durch die Ueberreste der Gewölle bewiesen, welche er an seinen "Ständen" und in seinen Schlupfwinkeln auswürgt.

Im März erbaut der Uhu seinen Horst, einen zusammengetragenen Mischmasch von derbem Gezweig, Geäst, Laub und Moos in einer Felsenspalte, einer Mauer- oder Erdhöhle, auf Ruinen und altem Gemäuer eines einsamen Gebäudes, selbst auf dem Boden an einem Abhange, oder er wählt den verlassenen Horst eines Tagraubvogel, eines Raben oder des schwarzen Storchs zum Nistplatze.

Sind die flaumigen Jungen aus den zwei bis vier runden, weißen, grobkörnigen Eiern geschlüpft, dann beginnt der Höhepunkt des Raubwesens, das weit über das Maß des Bedürfnisses hinausgeht. Wie die Jungen schon anfänglich ihr boshaftes Wesen dem Nahenden dadurch zeigen, daß sie sich auf den Rücken werfen und die Fänge vorstrecken, so wird die Wildheit des alten Uhus in diesem Zeitpunkte selbst dem Menschen gefährlich, sobald der Brut Gefahr droht. Ja, der so unbändige, räuberische Unhold der Nacht liebt seine junge Nachkommenschaft dermaßen, daß er sie im Falle der Noth vom Nistplatze nach einem sichereren Orte fortträgt - ein Lichtstrahl in dem Bilde des einsiedlerischen Kauzes.



  1. Vergl. Halbheft 18 des vorigen Jahrgangs der „Gartenlaube“.