St. Fridolin und der Todte
Fridolin, der fromme Schotte,
Trat vor Landolf hin, den Grafen,
Sprach: „Was Gottes ist, gib Gotte!
Ist dein Bruder nicht entschlafen?
Meinem heil’gen Gotteshause
Gut und Habe zubeschieden,
Liegt zu Glaris in der Klause.
„Warum erndtest du die Felder,
Warum fällest du die Wälder
Die dem Kirchenbau gehören?
„Wagst du’s, einen Rausch zu trinken
Von dem rothen Ehrenweine,
Kirchengut, ist es das deine?
„Laß von deines Bruders Gabe,
Wald und Feld und Garten räume!
Daß der Bruder in dem Grabe
Aber Landolf sprach mit Lachen:
„Soll ich deinem Spruch mich beugen,
Muß mein Bruder erst erwachen,
Deine Worte selbst bezeugen.
Wenn zu Rankwil wird gerichtet,
Wohl dann mögen wir dich hören,
Sonst ist’s Lug, den du erdichtet.“ –
Fridolin, auf solche Tücke
Sieht in an mit einem Blicke,
Der durch Gräber könnte brechen.
Und von Säckingen am Rheine, –
Aus dem Kloster, an dem Stabe,
Bis gen Glaris zu dem Grabe.
Und er tritt beim Abendschauer
In die düstre Waldkapelle,
Er durchbricht des Grabes Mauer,
„Auf! erwach’ in Gottes Namen!“
Ruft er – „Urso! wehr’ den Tücken!“ –
Sieh! und aus dem Grabe kamen
Weiße Händ’ und Haupt und Rücken.
Zum Gerichte schon gerufen,
Steigt der Leichnam sonder Staunen,
Starr empor des Grabes Stufen.
Und ihm faßt die kalten Hände
Steigt mit ihm die Felsenwände
Auf, bis an der Gletscher Decken.
Durch das Hochgebirge schreitet
Der Lebend’ge mit der Leiche,
Um das Paar, das geistergleiche.
Wie der Morgen kaum sich hebet,
Steigen sie vom Felsgesteine,
Und der Senne sieht’s und bebet,
Aber Landolf im Gerichte
Sitzt zu Rankwil ohne Zagen,
Mit dem ersten Morgenlichte
Hat den Stuhl er aufgeschlagen.
Sitzen um ihn her, zu sprechen:
Jetzt erhält er doch die Güter,
Kein Verblichner kann sich rächen!
Horch! da pocht es an der Pforte,
Leis und scharf, und hohle Worte
Werden draußen schon gesprochen.
Durch die Thüre kommt geschritten
Fridolin mit seiner Leiche;
Sitzt dem Bruder gleich an Bleiche.
Weh! und aus des Todten Kehle
Steigen Laute, halb verloren:
„Was beraubst du meine Seele,
„Ja, ich zeuge diesem Frommen,
Daß mein Erb’ ihm zugefallen;
Gib zurück, was du genommen,
Laß getrost in’s Grab mich wallen!“
„Nimm dein Gut, Herr, und das meine,
Meinen Athem nimm, mein Leben!
Und behalte neu das Deine!“
Doch es wandte sich die Leiche
Sehnte sich, die müde, bleiche,
Wieder in die Ruh’ der Särge.
Wie des Abendlichtes Streifen,
Wie vom Mond zwei blasse Strahlen,
Bis sie in den Wald sich stahlen.
Und vom schrecklichen Gerichte
Eilet Landolf heim zum Rheine
Mit erbleichtem Angesichte,
Setzt das Kloster ein zum Erben
Seiner reichen Doppelhabe,
Neigt das Haupt zum sanften Sterben,
Ruhr beim Bruder bald im Grabe.