St Anno

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Autor: Johann Gottfried Herder
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Titel: St Anno
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aus: Zerstreute Blätter (Fünfte Sammlung) S. 184–206
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Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1793
Verlag: Carl Wilhelm Ettinger
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Erscheinungsort: Gotha
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Quelle: Google und Commons
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2.

„Ein Pindar unter Deutschen Mönchen der dunkelsten Jahrhunderte?“ Kein Pindar, aber ein pindarisches Loblied. Thun Sie auf alles Verzicht, was die griechische Sprache, Mythologie und poëtische Weisheit, vor dem versammleten Griechenlande, beim Lobe ihrer Helden und jedes Vaterlandes derselben Glänzendes hatte, und erwarten hier, wie es billig ist, Deutsche Geschichte, Deutsches Lob, Chronik- und Mönchssagen; bemerken dabei aber den epischen Gang des Gedichts, (die Seele des pindarischen Liedes:) so wird Ihnen meine Benennung nicht anmaassend dünken. Sie werden am Gebäude des Liedes keinen Tempel des olympischen Jupiters, sondern in der Zusammenstellung seiner Glieder einen gothischen Bau finden, der indeß auch von Sinn und Kraft seines Urhebers zeiget. Es ist der Lobgesang auf den heiligen Anno, Erzbischof von Kölln, den Opitz fand und zu finden verdiente. 9)[1]

Wir hörten vielfach singen
von alten Dingen,
wie schnelle Helden fochten,
wie sie feste Burge brachen,
wie sich liebe Freunde schieden,
wie reiche Könige all zergingen. –
Nun ist Zeit, daß wir denken,
wie wir selbst sollen enden.
Christ, unser Herre gut,
so manche Zeichen er vor uns thut,
als er auf dem Siegberg hat gethan
durch den theuerlichen Mann
den heiligen Bischof Anno –

Bemerken Sie, wie groß der Bischof angekündigt wird, als ein letzter Zeuge und Botschafter des nahenden Endes der Welt, von dem man sich damals überzeugt hielt. Schön wäre es, wenn wir noch jetzt die interessanten Gesänge besäßen, die dieser Eingang anführt; sie sind aber dahin, und deßhalb wollen wir auf die wenigen Ueberbleibsel um so sorgsamer achten.

Als ein frommer Gesang kündigt sich also dies Lied an, und holet weit aus:

In der Welt Anbeginne,
da Licht war und Stimme, (das schaffende Wort)
da die heilige Gotteshand
die weisen Werke schuf so mannichfalt:
da theilte Gott sie all’ in zwei;
diese Welt ist das Eine Theil,
das andre ist geistig.
Da mengete die weise Gotteslist
von den Zweien Ein Werk, das der Mensch ist,
der beides ist, Körper und Geist;
dannenher ist Er nach den Engeln allermeist.
Alles Geschöpf ist an den Menschen,
wir sollen ihn zur dritten Welt zählen;
in solchen Ehren ist geschaffen Adam,
hätt’ er sie sich erhalten!

Der Mensch wird verführet, und Gott wird gewahr, daß, da alle seine andre Werke recht gehen, der Mensch ausschweife:

Der Mond und die Sonne
sie geben ihr Licht mit Wonne;
Die Sterne behalten ihre Fahrt,
sie geben Frost und Hitze stark.
Das Feuer hat aufwärts seinen Zug,
Donner und Wind ihren Flug;
Die Wolken tragen den Regenguß,
Nieder wenden Wasser ihren Fluß.
Mit Blumen zieret sich das Land,
Mit Laube decket sich der Wald,
Das Wild hat seinen Gang,
schön ist der Vogelsang.
Ein jeglich Ding die Art noch hat,
die ihm Gott zuerst vergab;
wären nicht die zwei Geschöpfe,
die er geschuf, die besten;
die verkehrten sich in Tollheit,
dannen erhub sich das Leid.

Fünf Welten fahren zur Hölle, bis Gott seinen Sohn sandte, der als Befreier der Menschen edel und sieghaft eingeführt wird; der Schluß davon ist:

in der Taufe wurden wir Christusmann.
Den Herren sollen wir lieben.

Christus erhebt die Kreuzesfahne, und sendet seine zwölf Boten in die Länder:

Vom Himmel gab er ihnen die Kraft,
Daß sie überwunden die Heidenschaft,
Rom überwand Petrus,
Die Griechen der weise Paullus,
St. Andreas in Patras u. f.

bis auf den heiligen Johannes, der süß predigen konnte, und aus dessen Grabe noch Himmelbrot wächset; ja bis auf alle Märtirer,

die mit ihrem heiligen Blute
erfüllten Christus Gemüthe;
Mit Arbeiten kamen sie zu ihrem Herren,
nun hat er sie mit Ehren.

So kommt der Gesang auf die Bekehrung der Franken, insonderheit Köllns, wo eine Menge Heiliger von St. Mauritius Heer rasten,

auch die eilftausend Mägde,
durch Christus Lieb’ erschlagene,
manche Bischöfe so herrlich,
und zeichenhaftig,
als die Mähr’ ist von St. Annen,
deß loben wir Christ mit Gesange.

     Zu Kölln ward er geweihet Bischof,
deß soll die Stadt loben Gott!
daß in der schönsten Burge,
die in der Deutschen Lande je wurde,
Richter war der frommste Mann,
der je zum Rheine kam;
dazu, daß die Stadt desto heerer gedieh,
wenn ein so weiser Herr sie erleuchtete,
und daß seine Tugend so heller wäre,
der einer so herrlichen Stadt pflegete.
Kölln ist der heeresten Burge Eine,
St. Anno bracht’ ihr Wohlfahrt heim.

Jetzt gehet er pindarisch zum Anbeginn der Burg zurück, kommt bis auf Ninus, Semiramis. Die Bilder der vier Monarchieen aus Daniel werden prächtig aufgeführet, und bei dem dritten Thierbilde Alexanders Feldzug nach Indien romantisch beschrieben. Mit vier Heeren fuhr er aus,

bis er der Welt Ende
an den goldnen Säulen erkannte;
In Indien er die Wüste durchbrach,
mit zweien Bäumen er sich besprach;
mit zweien Greifen
fuhr er in Lüften.
In einem Glase ließ er sich in die See –

Seine ungetreuen Männer werfen die Ketten weit hinaus, und rufen ihm zu:

willt du sehen Wunder,
so wälz’ dich am Grunde.

Er sieht fürchterliche Ungeheuer: die Woge führt ihn weit fort,

bis er mit einem Blute
das scharfe Meer grüßte;
als die Flut das Blut empfand,
warf sie den Helden ans Land.
So kam er wieder in seine Reiche;
wohl empfingen ihn die Griechen.
Manches Wunders vergnügte sich derselbe Mann,
Drei Theile der Welt er ihm gewann. –

Das erzählte Abentheuer ist keine leere Ausschweifung: denn es hat Bezug auf ähnliche Schicksale des St. Anno.

Bei dem vierten Thierbilde, den Römern, eilt der Gesang zu Cäsar und zu den Deutschen, die dieser Held in mehr als Einem Jahr nicht bezwingen konnte und zuletzt mit Bedinge gewann. Hier kömmt der Dichter auf das Lob der Völker Deutschlands, der Schwaben, Bayern, Sachsen, Thüringer, und zuletzt seiner Trojanischen Franken. Die Ordnung zu einander ist mit Verstande gedacht und mit den Fabeln des Ursprungs dieser Völker, die damals für Wahrheit galten, sinnreich bekleidet. Wäre für Deutsche eine patronymische Mythologie in den mittleren Zeiten zu gewinnen gewesen; so wäre sie auf diesem, obwohl ganz falschen und fabelhaften Wege gewonnen. Da dies nicht seyn konnte, so mag jede Provinz wenigstens ihre alten Lobsprüche hören. Die Schwaben,

ein Volk, zu Rathe gut,
Redfertig gnug,
die sich deß fest vornahmen,
daß sie gute Helden wären,
wohl fertig und krieghaft;
doch bezwang Cäsar all ihre Kraft.

Den Bayern lobet er ihr Bayerisch Schwert, (Noricus ensis) das durch den Helm schlug; er lobt ihren Helm und Harnisch, und leitet sie aus Armenien ab, wo auf den Bergen Ararat die Arche noch zu sehen seyn soll.

Man sagt, daß auf den Gipfeln
noch seyn, die Deutsch sprechen,
gegen Indien so fern!
Bayern waren immer zum Kriege gern;
den Sieg, den Cäsar an ihnen gewann,
mit Blut mußt’ er ihn gelten.
 
     Der Sachsen Wankelmuth
that ihm Leides gnug.
So er sie wähnt all’ überwunden zu haben,
so waren sie aber gegen ihn –

Sie, meint der Dichter, seyn in Alexanders Heer gewesen, mit Schiffsmengen nieder zur Elbe gekommen,

da die Thüringer sassen,
die wider sie sich vermaassen.
Bei den Thüringern die Sitte war,
daß große Messer sie hießen Saß,
deren die fremden Krieger viele trugen,
damit sie die Thüringer schlugen.
Mit Untreu sie ihnen sprachen,
da sie Fried’ gelobet hatten;

von den Messern groß
wurden sie geheißen Saß.
Und wie sie auch ihre Ding’ anfingen;
den Römern mußten sie dienen.

Seine Franken endlich leitet er von Troja her; mithin werden sie Verwandte der Römer. Wie Aeneas in Welschland, so hat Franko in Deutschland sich angebauet; Lützelburg ist die kleine Troja, und Xanthen nennet sich vom Fluße Xanthus. Alle diese überwundenen Deutschen Nationen folgen ihrem Bundsverwandten Cäsar Rom entgegen:

Wer mochte zählen die Menge,
die Cäsar’n eilten entgegen,
von Osten allenthalben,
als der Schnee fällt auf den Alpen,
mit Schaaren und Völkern,
als der Hagel fährt von den Wolken.
Da ward die hehreste Volksschlacht
die in diesem Mähregarten, (berühmten Lande)
je gerühmt ward.

     O wie die Waffen klungen,
da die Rosse zusammen sprungen!
Heerhorne tönten,
Blutbäche strömten;
die Erde drunten spaltete,
die Höll’ entgegen schimmerte;
da die hehresten der Erde
sich suchten mit Schwertern.
Da erlag dann manche breite Schaar,
mit Blute beronnen gar;
da mochte man sehn dräuen,
durch Helme zerhauen,
manchen Pompejus-Mann,
da Cäsar den Sieg nahm.

Cäsar erfreuet sich des Sieges, geht an der Spitze des Heeres nach Rom; die Römer holen ihn ein in ihre Stadt, fangen ein neu Regiment an: Cäsar läßt die neue Regierungsart auch den Deutschen Nationen anpreisen, damit sie ihrem Reich einen neuen Glanz verschafften. Er thut zu Rom die Schatzkammer auf, und beschenkt seine Getreuen mit Goldstücken, Kleidern und Mänteln.

Seitdem waren Deutsche Mann
zu Rom lieb und werthsam.

Augustus folgt ihm; der läßt durch Agrippa Kölln bauen; Worms, Speier, Metz, Trier werden allesamt mit Ehren genannt; und da jetzt alles aus der Geschichte und Fabel vorbereitet ist, den St. Anno durch Lobgesang zu ehren, so wird der Gesang eigentlich christlich. Unter August wird der Heiland der Welt gebohren; zu Rom erscheinen heilige Gotteszeichen:

Aus der Erden ein lautres Oel entsprang’
schön rann es über’s Land;
um die Sonn’ ein Kreis stund,
also roth als Feur und Blut.

     Da begann zu nahen
uns allen die Gnade,
ein neues Königreich;
dem muß die Welt entweichen.

Petrus schickt aus Rom, den Franken zu predigen, Apostel, den Eucharius, Valerius, Maternus; sie werden mit Thaten und Wundern hergenannt; drei und dreißig Bischöfe sind nach ihnen gewesen

bis auf St. Anno Gewalt;
deren sind nun heilig sieben.
Die scheinen uns vom Himmel,
wie das Siebengestirn des Nachts thut.
St. Anno’s Licht ist hehr und gut;
unter den andern ist glänzender sein Schein,
wie der Hyacinth im goldnen Fingerlein.
     Den viel theuren Mann
mögen wir nun zum Beispiel haben,
den sollen als einen Spiegel ansehn,
die Tugend und Wahrheit wollen pflegen –

So gehet der Gesang in seine Lebensgeschichte.

Wie die Sonne in den Lüften,
die zwischen Erd’ und Himmel geht,
beiden Hälften scheinet:
so ging der Bischof Anno
vor Gott und vor Menschen.

Im Reichspallast seine Tugend solche war,
daß ihm das Reich ganz untersaß;
beim Gottesdienst in den Gebehrden
war er, als wenn er ein Engel wär’.
Seine Ehr’ erhielt’ er zu beider Seit,
und ward zu den ersten Herren gezählt.
Seine Güt’ erkannte viel und mancher Mann;
Vernehmt, wie seine Sitten waren gethan.
Offen waren seine Worte;
für die Wahrheit er niemand furchte.
Als ein Löwe saß er vor den Fürsten,
als ein Lamm ging er unter den Dürft’gen;
den Tummen war er scharf,
den Guten war er sanft;
Waisen und Wittwen,
die lobeten hoch seine Sitten.
Seine Predigten und sein Ablaß
Niemand konnt sie thun baß;
Selig stund die Köllnische Welt,
da sie solches Bischofs war werth.

Wenn jedermann des Nachts schlief, stund er auf, besuchte die Kirchen und Armen mit seiner Gabe, that Werke der Mildthätigkeit, daß er ein Vater aller Waisen heißen konnte. Desgleichen stand es im ganzen Reiche wohl, da er des Gerichts pflegte und den jungen Heinrich erzog. Auswärtige Könige sandten ihm darüber Geschenke, von denen er zu Gottes Lobe vier Münster erbauete;

das fünfte ist Siegeberg, seine liebe Stadt,
darauf steht nun sein Grab.

Jetzt kommen die Widerwärtigkeiten die er erduldet.

Daß nicht die grosse Ehre
verwirrte seine Seele,
thät ihm Gott, wie der Goldschmidt thut,
so er wirken will, eine Spange gut.

Dieser schmelzt das Gold im Feuer, erhebts mit feiner Arbeit, feinen Dräthen, schleift die Edelsteine mit mancher Zubereitung;

so schliff Gott St. Anno.
mit mancher Arbeit.

Oft und viel fochten ihn die Landherren an, das Gott ihm denn immer zu Ehren wandte;

Viel ihn verriethen,
die ihn sollten behüten;
Viel ihn verachteten,
die Er zu Ehren gebracht.

Zuletzt konnte es niemand vermeiden; er wurde zu Kölln mit Waffen aus der Stadt vertrieben, wie David, einst vertrieben ward,

All’ nach des heilgen Christus Bild;
das sandt’ ihm Gott vom Himmel.

Unter dem vierten Heinrich geräth das ganze Reich in Verwirrung:

Mord, Raub und Brand
verheerten Kirchen und Land;
von Dännemark bis in Apulien,
von Kerlingen bis in Ungarn.
Denen niemand mochte widerstehn,
wenn sie mit Treue wollten beisammen gehn,
die stifteten jetzt Heerzüge groß
wider Neffen und Hausgenoß.

Das Reich kehrt seine Waffen
in seine eigne Adern;
mit siegehafter Faust
überwand es sich selbst,
daß die getauften Leichnam’
dahin geworfen lagen
zum Aase den bellenden,
den grauen Waldhunden.
Da das nicht gelang St. Anno zu söhnen,
verdroß es ihn länger zu leben.

Jetzt kommen die Offenbahrungen, die ihm geschehen sind; der Lobgesang hebt sich: denn er nähert sich Anno’s Tode. Auf einer Reise im Thüringer Lande thut sich ihm der Himmel schön auf; er sieht die göttliche Wonne, die er nicht verkünden darf einem weltlichen Mann; er sieht, was zukünftig geschehen soll, und wird darüber so bestürzt, daß

von dannen an er begonnte zu siechen.

Eines Nachts dünkt ihn, er trete in einen königlichen Saal; er sieht wundersame Thronstühle, wie im Himmel seyn sollen, allenthalben behangen mit Golde:

Die vielen theuren Steine leuchteten da überall,
Sang und Wonne war da groß und mannichfalt;
Da sassen der Bischöfe manche,
sie schienen zusammen wie Sterne.
Der Bischof Bardo war ihr Einer,
St. Heribert glänzt als ein Edelstein;
Andere Herren genug,
und war ein Leben und ein Muth! –
Da stund ein Stuhl ledig und prächtig;
St. Anno ward deß hoch erfreut.
Der Stuhl stand ihm zu Ehren da;
nun lobt’ er Gott, da er es sah.
O wie gern hätt’ er da gesessen!
den lieben Stuhl, wie gern erfaßt!
aber das wollten ihm nicht erlauben die Fürsten,
eines Fleckens wegen vor seiner Brust.

     Auf stand der Herren Einer, hieß Arnold,
zu Worms war er vormalen Bischof;
St. Annon nahm er bei der Hand,
sie giengen da besonders.
Er sprach: „tröst’ dich Gottes Treu!
Dieser Flecke wird dir weggethan.
Bereit ist dir der ewge Stuhl,
und das in kurzen Stunden;
Dann bist du diesen Herren willkommen,
Jetzt magst du unter ihnen nicht bleiben.
Wie lauter der soll seyn, den sie wollen leiden,
hat Christus dir in diesem Gesicht gezeiget.
O was wartet auf dich für Ehr und Gnade!“

     Hart ging es ihm zu Herzen,
daß er wieder kehren sollte zur Erde.
Wärs nicht mit ihm zur Stunde so bewandt;
um alle Welt hätt’ er nicht geräumet das Paradiesesland.
Solch’ ist die himmlische Wonne,
an die wir denken sollen Alt und Junge.

     Von dem Schlafe der Herr da aufstund,
wohl wußt’ er, was er sollte thun.
Er gab den Köllnern wieder seine Huld;
wie groß auch, daß er sie haßte, war ihre Schuld.

Von diesem Flecken ist er nun gereinigt und er nahet sich Gottes Lohne. Noch wird er kasteiet wie Hiob von Haupt zu Füßen und hart betäubt;

so schied die theure Seele
von diesem siechen Leibe,
von menschlichem Jammer
ins ewge Paradies.
Das Fleisch empfing die Erde,
der Geist fuhr auf zur Höhe.
     Als er zu Gottes Antlitz kam
zu ewigen Gnaden,
thät noch sein edler Muth
wie der Adler seinen Jungen thut,
wenn er sie lehren will ausfliegen.
Er schwebet über ihnen in voller Zier;
Er schwingt sich auf zur Höhe,

das sehn die Jungen gerne.
So wollt’ er uns auch führen,
wohin wir ihm sollten folgen;
Er zeiget uns hienieden,
welch Leben sei im Himmel.
Am Grabe, da sie wollten todt ihn haben,
da wirkt’ er schöne Zeichen;
die Siechen und Gekrümmten
die wurden da gesund.

Mit ausführlicher Pracht wird Ein Wunder, das St. Anno an einem Blinden bewirkt, her erzählt, dies an die größesten, prächtigsten Wunder Moses geschlossen und mit einem sehr treffenden edeln Lobe der göttlichen Güte geendigt.

Was sagen Sie zu diesem Gedichte? Zu seiner Composition, zu seiner Würde, zu seinem Umfange, zu Zusammenleitung seiner Theile, zu seiner moralischen Schönheit, endlich zur Blume seines Vortrages? Hätte jeder Heilige einen solchen Lobredner, jedes Kloster einen solchen Dichter gezogen; wie reich wären wir! wie gern wollten wir diese Heiligen ehren! Lesen Sie jetzt das Gedicht im Schilter oder lieber in Bodmers Opitz, und suchen das Ganze, (wie schwer es auch würde,) in Eins zu fassen; es ist wie eine ungeheure Gothische Kirche im schönsten Styl dieses Geschmacks. Nur St. Anno’s Leben und die Geschichte seiner Zeit müssen Sie dazu lesen; unglaublich ists, wie der Dichter von Allem die würdigste Seite zeigt und gleichsam die schönste Blume gepflückt hat. 10) [2] Nächstens eröfnet sich uns ein neues Feld der Zeiten.


  1. 9) Schilter T. I. Opitz Gedichte, Bodmers Ausg. S. 179.
  2. 10) Eben lese ich im Bragur, Th. 2. S. 440. daß eine Uebersetzung dieses mit historischen Anmerkungen von Herrn Prof. Hegewisch in Eggers Deutschen Magazin. (1791. May) zu finden. Der eben genannte würdige Mann hat uns vom Erzbischof Anno bereits einige Nachrichten übersetzt, in seinen Charakterzügen der Deutschen.