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Sterben und Scheintod

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Textdaten
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Autor: Carl Ernst Bock
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Titel: Sterben und Scheintod
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 35, S. 479-480
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Sterben, Tod und Scheintod.

Sie sind „todt, gestorben, Leichen“ pflegt man von den sogenannten organischen oder belebten (lebenden, lebendigen) Geschöpfen, – zu denen nicht etwa blos die Menschen, sondern auch die Thiere und Pflanzen gehören, – zu sagen, sobald in ihnen der Stoffwechsel (s. Gartenlaube 1854. Nr. 9.) und mit diesem die Lebenserscheinungen erloschen sind. Da man nun die organischen Körper oder Organismen, also die Pflanzen, Thiere und Menschen, auch „beseelte“ nennt, so besteht noch der Gebrauch bei dem Tode derselben zu sagen: „die Seele sei entflohen.“ Man denke hierbei nun aber nicht etwa an ein unsichtbares, immaterielles Etwas, was wirklich aus dem sterbenden Körper forteilt, nachdem es während des Lebens als Lenker der Lebensthätigkeiten irgendwo im Körper residirte, sondern es ist damit nur angedeutet, daß durch irgend eine Ursache das die Lebensthätigkeiten veranlassende Zusammen- und Aufeinanderwirken der Körperstoffe und somit der Stoffwechsel aufgehoben worden ist. In diesem Sinne läßt sich anstatt des Wortes „Seele“ auch der Ausdruck „Lebenskraft“ gebrauchen. Von Vielen, ja sogar auch von den Gelehrten, die für und gegen den Materialismus schreiben, wird nun aber, jedoch ganz mit Unrecht, Seele gleichbedeutend mit „Geist“ gebraucht; von diesem ist natürlich hier durchaus nicht die Rede. Gebraucht man Seele in unserem Sinne, so hat also die Pflanze ebenso wie das Thier und der Mensch eine Seele, und es stirbt die Pflanze und wird zur Leiche gerade so wie das Thier und der Mensch.

Ein Organismus, wie der menschliche, stirbt (d. h. verliert den Stoffwechsel und mit diesem seine Thätigkeit) nicht in allen seinen Theilen in ein und demselben Momente. Bisweilen ist die Hirnthätigkeit (Bewußtsein, Gefühl, Verstand) bereits erloschen, während die Herz- und Lungenthätigkeit, sowie die Darmbewegungen noch eine Zeit hindurch fortbestehen. Dieses allmähliche und theilweise Absterben pflegt man mit dem Ausdruck „Agonie, Todeskampf“ zu bezeichnen und die dadurch erzeugten Erscheinungen, welche theilweise noch dem Leben, theilweise schon dem Tode angehören, nennt man Sterbe- oder Agonieerscheinungen. Je nachdem nun die eine oder die andere der hauptsächlichsten Lebenthätigkeiten früher als die übrigen wegfällt, danach hat man „einen Tod durch Ohnmacht, durch Stickfluß und durch Schlagfluß“ angenommen. Bei dem Tode durch Ohnmacht (Synkope) weicht die Herzthätigkeit zuerst, beim Stickfluß (Erstickung, Asphyxie) hört die Lunge und beim Schlagflusse (Apoplexie) das Gehirn zuerst auf thätig zu sein.

Die Lebensdauer des Menschen, welche nicht künstlich verlängert, wohl aber künstlich verkürzt werden kann, reicht beim naturgemäßen Verlaufe des Lebens gewöhnlich bis in die siebziger oder achtziger Jahre, bisweilen auch noch etwas weiter und der Tod erfolgt hier ohne vorhergegangene Krankheit, ohne nachweisbare besondere Ursache, sanft und allmählich oder rasch, merklich und mit Bewußtsein oder unvermerkt im Schlafe. Ein solcher Tod, durch Altersschwäche (Marasmus), ist der natürliche, normale, nothwendige. – Jede Todesart nun, welche von einer andern Veranlassung als der naturgemäßen Beendigung des Lebensprocesses (Stoffwechsels) herrührt, ist unnatürlich (abnorm, zufällig, frühzeitig) und erfolgt entweder durch Krankheit (durch falsches Vonstattengehen des Stoffwechsels), mehr oder weniger schnell, oder gewaltsam, durch äußere mechanische oder chemische Einflüsse. – Je nachdem nun beim unnatürlichen Tode die Sterbeerscheinungen mehr oder weniger deutlich hervorteten, längere oder kürzere Zeit andauern, bezeichnet man folgende Todesarten: einfacher Erschöpfungstod, bei welchem sich die Sterbeerscheinungen ganz allmählich aus schon vorhandenen krankhaften Zuständen entwickeln, so daß die Zeit ihres Beginns mit Bestimmtheit nicht ermittelt werden kann, und sich dann in mehr oder minder stetiger Aufeinanderfolge bis zum endlichen Erlöschen des Daseins steigern. Beim Sterben unter Todeskampf nehmen die Sterbeerscheinungen einen deutlich wahrnehmbaren Anfang und haben einen mehr oder weniger scharf begrenzten Verlauf. Der Tod wird ein langsamer oder rascher genannt, je nachdem die Sterbeerscheinungen längere oder kürzere Zeit währen. Beim [480] plötzlichen Tode beschränken sich diese Erscheinungen nur auf einen äußerst kurzen Zeitraum (auf einige Secunden bis Minuten) oder es fällt ihr Anfang sogar mit dem Erlöschen des Lebens zusammen. Unvermuthet tritt der plötzliche Tod ein, wenn demselben kein Kranksein vorherging.

Der plötzliche Tod, welcher vom Laien ganz mit Unrecht als Schlagfluß bezeichnet wird und den Betroffenen im Liegen, Gehen, Stehen, bei leichter und starker Bewegung oder Beschäftigung, beim Essen oder Stuhlgange überraschen kann, rührt nicht etwa immer von ein und derselben Ursache (besonders vom Hirnschlagflusse) her, sondern kommt ebenso häufig bei Lungen- und Herzkrankheiten, wie bei Hirnleiden zu Stande; auch können Gefäß-, Magen- und Darmübel, sowie acute Erkrankungen des Blutes einen solchen veranlassen. Ja es passirt gar nicht so selten, daß der Arzt vor der geöffneten Leiche eines plötzlich Verstorbenen steht und nirgends in derselben einen Grund zum Tode entdecken kann.

Die Sterbe- oder Agonie-Erscheinungen bestehen in Zeichen beginnender und vorschreitender Lähmung des Nerven- und Muskelsystems, gewöhnlich gemischt mit Symptomen der vorhandenen Krankheit. Gewöhnlich sterben die verschiedenen Apparate in einer bestimmten, ziemlich regelmäßigen Reihenfolge nach einander. Der Verlust der Muskelspannung gibt sich gleich anfangs durch Veränderung der Gesichtszüge und zitternde, kraftlose Bewegungen zu erkennen. Das blaßgelbliche Gesicht (das „Hippokratische“ genannt) wird lang, schlaff, eingefallen, das Auge eingesunken, starr, leblos und halbgeschlossen, die Nase spitz, schmal und mit eingefallenen Flügeln, die Wangen schlaff und runzlig, der Mund halb geöffnet, die Lippen trocken, das Kinn lang und spitz. Die Sprache wird schwach und zitternd; der Körper sinkt zusammen und im Bette herab; das Athmen ist schwach, oberflächlich, langsam und mühevoll, endlich aussetzend und röchelnd (d. i. das Sterberasseln); das Schlucken wird unmöglich und eingefülltes Getränk fällt wegen der Lähmung der Speiseröhre mit kollerndem Geräusche in den Magen; der Herzschlag wird immer schwächer und undeutlicher; der Puls, anfangs sehr beschleunigt, setzt endlich aus und wird fadenförmig schwach; oft geht wegen Lähmung der Schließmuskeln Stuhl und Urin unwillkürlich ab. Kälte und bisweilen kühler klebriger Schweiß zieht sich von Finger und Zehenspitzen gegen den Rumpf; der Gesichts- und Gehörsinn schwindet; Bewußtsein, Athmen und Blutkreislauf hören ganz auf und das Leben erlischt. – Manche im Todeskampfe Ringende behalten das Bewußtsein fast bis zum letzten Athemzuge, ja man will sogar bisweilen in den letzten Momenten des Lebens eine Steigerung der geistigen Thätigkeit bemerkt haben, wenigstens eine Rückkehr des vorher umnebelten Bewußtseins und Verstandes. – Oft ist der Todeskampf für den Sterbenden, wie für die Umstehenden, äußerst qualvoll und peinlich, besonders bei großer Unruhe und Beängstigung, sowie bei schmerzhaftem Leiden des Kranken.

Der Moment, in welchem der Tod wirklich eintritt, ist niemals genau anzugeben; ebensowenig läßt sich auch sagen, welches die wesentliche Veränderung sei, auf welcher der Tod beruht. Ohne Zweifel hängt derselbe immer zuletzt vom Gehirn und obern Theile des Rückenmarks (vielleicht sogar allein vom verlängerten Marke) ab. Wahrscheinlich fällt der wirkliche Tod nicht immer mit dem scheinbaren Erlöschen des Lebens, d. h. mit dem Aufhören aller Lebenserscheinungen zusammen. Denn es gibt Fälle, bei welchen letztere eine geraume Zeit vollkommen aufgehört zu haben schienen und doch erst viel später als gewöhnlich die Leichenerscheinungen eintraten, ferner Fälle (von Scheintod), wo sogar nach wochenlanger Dauer des todähnlichen Zustandes das Leben wiederkehrte, sei es nur auf kurze Zeit oder mit vollständiger Herstellung. (Ueber den Scheintod und das Verhalten unseres Körpers nach dem Tode später.)
Bock.