Stropp der Hund

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Autor: Ernst Muellenbach
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Titel: Stropp der Hund
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aus: Die Gartenlaube, Heft 28, S. 887–893
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1892
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Liebesgeschichte
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Stropp der Hund.

Erzählung von Ernst Lenbach.
Mit Zeichnungen von C. Reichert.

Stropp der Hund saß unter der Hecke am Wege, fest auf die kräftigen krummen Vorderbeine gestemmt, und dachte nach. Ueber ihm blühte und duftete der Flieder, der grüne Wegsaum war mit lieblichen blauen, weißrothen und goldenen Blumen übersät. Die B[u]chfinken, diese leichtsinnigen Junggesellen, flatterten von Baum zu Baum und überboten einander in höchst bedenklichen Einladungen an die Jungfrauen ihres Volkes: „Zi – Zi – Zillichen, wellste met en’t Withshus gohn?“. Oben im Wipfel der Kastanie, entfernt vom Gewühle der Welt, wie es der Künstlerin ziemt, saß die Drossel und übte ihre große Frühlingsarie. Aber all dies rührte Stropp den Hund heute nicht. Kaum daß er dann und wann die runden Augen und das Krokodilmaul zugleich weit aufriß und mit einer hastigen Kopfbewegung nach irgend einem vorwitzigen Brummer schnappte, der es gewagt hatte, seine ernsten Betrachtungen mit einem leichtfertigen Liebesliedchen zu stören.

Von drinnen, aus dem kleinen weißen Häuschen, erklang das Klirren von Tellern und Gläsern, dazwischen langsames, ernstes Sprechen von zwei schon etwas alt[e]rsschwachen Menschenstimmen. Ab und zu hörte Stropp der Hund seinen eigenen Namen heraus, gar nicht mit jener aufmunternden oder liebkosenden Betonung, wie er ihn sonst zu hören gewohnt war. Alsdann wechselte er unmuthig das Stützbein, legte den langen spitzschnauzigen Kopf mit den zierlich gefransten Schlappohren auf die andere Seite und stieß einen tiefen Seufzer durch die Nase aus. Und jetzt hörte er wieder jenes häßliche Menschenwort, welches für ihn einen so traurigen Klang hatte: „abschaffen“.

Es war klar, daß dieses Wort etwas überaus Unangenehmes bedeuten mußte, unangenehm für Mensch und Thier. In verschiedenen Betonungen hatte es Stropp der Hund bei seinem früheren Herrn kennengelernt[.] Nach besonders schweren Vergehen bekam er es zu hören, begleitet von einer sehr ausdrucksvollen Handbewegung des Herrn: „Stropp, wenn du das noch einmal thust, so werde ich dich abschaffen!“ Und in den letzten Tagen ihres Beisammenseins, wie traurig hatte es da geklungen, wenn der Herr, auf dem gepackten Koffer sitzend, ihm unter sanftem Streicheln sagte: „Ja, armer Stropp, krummbeiniges Raubthier“ – oder „Fettwanst“ oder „gefräßiger Dackel“ oder wie sonst die zahlreichen Ehrennamen Stropps hießen – „ich muß dich jetzt abschaf[f]en!“ Und dann hatte ihn der Herr eines Tages hierher gebracht zu den beiden alten Leutchen; er hatte ihm noch eine schöne Rede gehalten, die mit den Worten schloß: „Und wenn du walzenförmiger Kobold hier nicht gut thust, dann soll dir die Frau Schmitz dein rechtes Schlappohr abschneiden und knusprig braten!“ Dann war er gegangen, und Str[o]pp hatte ihn nie wieder gesehen, den guten Doktor, der ihn von klein auf erzogen, frei nach Rousseaus „Emil“, ihn zur Perle der Redaktionshunde und zum Kenner jeglicher Sorte von Wurstschalen ausgebildet hatte. Und mit ihm hatte Stropp neben allem andern auch den Einzigen verloren, der über sämmtliche dunkle Stellen in Stropps Stammbaum hinwegsah und ihn hartnäckig für einen Vollblut-Dackel erklärte. O, es war hart! Lange Zeit brauchte das „gefräßige Ungeheuer“, die „wandelnde Ofenpfeife“, der „krummbeinige Don Juan“, bis er es verschmerzte, diese und andere mehr oder minder sinnvolle Bezeichnungen nicht mehr von redaktioneller Seite zu vernehmen. Aber die Zeit lindert alles, und im übrigen hatte Stropp der Hund es auch hier ganz gut gefunden. Eine Milchwirthschaft ist immer ein angenehmer Aufenthalt für einen häuslich denkenden Hund, der sich noch den Sinn für einfache und gesunde Nahrung bewahrt hat. Die neue Herrschaft behandelte ihn vortrefflich und hatte den schönen Vorzug, daß sie bedeutend weniger flink als Stropp war, was in Augenblicken des getrübten Einvernehmens zwischen beiden Parteien große Vortheile für Stropps körperliche Sicherheit bot. Die Lage des Häuschens war entschieden schöner als das etwas gar zu verräucherte Redaktionszimmer drunten in der Universitätsstadt. Es ließ sich herrlich traben und spielen auf der großen grünen Bergwiese, bis hinauf zu der Wallfahrtskirche und abwärts bis zur Landstraße. Der Maulkorbzwang reichte nicht hinauf in die freien Bergeslüfte, und die Wallfahrer und Spaziergänger aus der Stadt waren immerhin oft genug von Hunden begleitet, um Stropps gesellige Vorzüge, namentlich im Verkehr mit Damen, nicht ganz einschlafen zu lassen. Und dann im Winter, wie herrlich war es, die Bauernknaben auf ihren Stoßschlitten den glattgefrorenen Weg hinabsausen zu sehen, sie blitzenden Auges zu erwarten und dann mit fröhlichem Gebell hinterherzujagen, wobei sich eines von Stropps Ohren umklappte und seinem Kopfe etwas von dem kecken Aussehen eines Husarenczakos gab! Ja, er hatte sich recht eingewöhnt – und nun klang seit einigen Tagen wieder dieses häßliche „abschaffen“ in unverkennbarer Verbindung mit seinem Namen um ihn her und zwang seine Hundeseele, unholden Erinnerungen nachzugehen, eben jetzt, wo Frühlingsgefühle auch seine weißgefleckte Brust dehnen und seinem Gemüth einen höheren Schwung geben wollten!

Es war sehr ärgerlich. Auf alle Fälle hieß es jetzt, Augen und Ohren offen halten und sich allgemein von der besten Seite zeigen, um die Menschen, die nun leider einmal das Schicksal der Hunde spinnen und abschneiden, in möglichst guter Stimmung zu halten.

Während Stropp der Hund solchen ernsten Erwägungen nachhing, klang von unten den Weg herauf eintöniges Stimmengemurmel, erst leise und nun immer näher und lauter. Ein Trupp Wallfahrer zog zur Kirche hinauf, die Männer mit ungeheueren baumwollenen Regenschirmen und rothkattunenen Vorrathsbündeln, die Weiber mit Rosenkränzen und Gebetbüchern. Das waren Landleute, da fiel für Stropp jedenfalls nichts ab als höchstens ein Stoß mit dem Regenschirm. So stand er denn auf und wackelte nach mehrmaligem Dehnen und Gähnen ins Haus hinein, wo er in dem kleinen halb offenen Wirthszimmerchen das äußerste Ende einer blankgescheuerten Bank mit Beschlag belegte und wehmüthig den Duft von frischer Milch einsog.

Nicht lange nach ihm betrat eine unvergleichlich schönere Erscheinung das Zimmer, ein überaus hübsches junges Mädchen in feiner Stadtkleidung. Sie setzte sich auf einen der einfachen Holzstühle und bestellte bei der freundlichen grauhaarigen Frau Schmitz ein Glas Milch, worauf sich zwischen beiden das übliche Wettergespräch entspann. Dazu summten einige Fliegen, die Wanduhr ticktackte, und draußen zog langsam entschwindend das Gemurmel der Betenden vorüber.

Ein zweiter Gast erschien, diesmal ein Herr, und zwar ein noch junger Herr, ebenfalls in Stadtkleidung, mit einer Brille auf der Nase. Freundlich wie ein guter Bekannter begrüßte er die Wirthin, mit einer höflichen gemessenen Verbeugung die junge Dame, dann setzte er sich in ziemlicher Entfernung von dieser nieder und begann gleichfalls sich der Milchkur zu befleißigen. Stropp der Hund hatte ihn als halben Stammgast behandelt, das heißt, er hatte beim Eintritt des Herrn vier- bis fünfmal mit dem Schweif auf die Bank geklopft und war dafür mit einem Streicheln und einem „Na, alter Kerl?!“ belohnt worden. So weit versprach die Entwicklung der Dinge alltäglich zu bleiben.

Nun aber verließ Frau Schmitz das Zimmer, um nach ihren Hühnern zu sehen, und damit begannen die Verhältnisse einen spannenderen Charakter anzunehmen. Nämlich der junge Mann stand plötzlich auf, näherte sich nach einem vorsichtigen Rundblick mit bemerkenswerther Hast der jungen Dame, und im nächsten Augenblick sah Stropp der Hund, wie der Herr die Dame im Arme hielt und ungemein lebhaft küßte. Dazwischen redeten sie allerlei Worte, welche Stropp noch gar nicht in seinem Lexikon der Menschensprache besaß.

Stropp überlegte den Fall, während er als Mann von Welt sich den Anschein gab, völlig uninteressiert zu bleiben. Böses wollte der Herr dem Mädchen anscheinend nicht thun, auch schien [888] sie ja ganz zufrieden mit dem, was er that. Ueberdies kannte ihn Stropp bereits als einen netten freundlichen Menschen, der seinen Fuß beim Vorüberwandeln auf die Straße und nicht auf harmlose Hundeschwänze setzte und dem es auf ein Stückchen Zucker nicht ankam. Und endlich erinnerte sich Stropp, auch seinen früheren Herrn schon einmal in ähnlicher Situation mit einem Mädchen gesehen zu haben, wonach sich derselbe auffällig lustig und freigebig gegen das „krummbeinige Wurm“ benommen hatte. Al[s]o abwarten und diskret sein!

„Wie lieb von Dir, Ulla, daß Du so pünktlich bist!“ sagte der Herr unter anderem.

„Ach ich – ich hab’ ja Zeit genug,“ erwiderte das Mädchen, „ich muß Dir danken, daß Du so pünktlich den weiten Weg herkommst, wo Du doch so viel in Deinem Museum zu thun hast, Du armer lieber Karl!“

„Und Du bist sicher, daß der Onkel nichts merkt?“

„Wie sollte er? Ich bin einfach spazieren gegangen …“

„Natürlich, und da hab’ ich Dich einfach hier gefunden, Du süßer Frühlingsstrahl, Du!“

Stropp der Hund bemerkte, daß diese Reden keineswegs dicht aufeinander folgten. Vielmehr waren sie stets unterbrochen von allerlei merkwürdigen, anscheinend nicht unfreundlichen Gebärden und Handlungen. „Ungefähr wie draußen die Blumen zwischen dem grünen Klee stehen,“ dachte Stropp, der allmählich in eine poetische Stimmung gerathen war.

„Und Du willst jetzt öfters hierher kommen, Ulla? Gelt, Du thust es?“

„Ich wollte ja gern, aber sieh, Karl, nun kommen immer mehr Leute hierher …“

„Liebster Schatz, wir brauchen uns ja nicht hier zu treffen, dort hinten am Berge liegt der schöne stille Busch –“

„Und wenn uns einer von den Studenten sieht, die dort nach der Dorfschenke durchziehen – wenn der Onkel –“

„Ach, dieser Onkel!“

Nach einer kleinen Weile begann das Mädchen etwas zaghaft, indes sie liebkosend mit den Fingern seiner Rechten spielte:

„Sag’ ’mal, Karl – aber bitte, sei mir nicht böse – willst Du gewiß nicht böse sein?“

„Ulla, ich Dir böse!“

Es dauert immer länger, bis sie wieder zum Reden kommen, dachte Stropp der Hund.

„Sieh’, Karl, könntest Du denn in Eurem wissenschaftlichen Streite dem Onkel nicht ein wenig entgegenkommen – er ist so eigen – ach, nun bist Du doch böse!“

„Nein, Schatz, nicht böse. Du willst ja nur mein Glück. Aber was Du da sagst, das geht nicht. Jene Frage geht nur die Wissenschaft an, da darf die Liebe nicht entscheiden wollen, und wider mein Gewissen kann ich nicht zugeben, daß die Flasche antik ist. Mein Gott, wie kann aber auch Dein Onkel so etwas so persönlich fassen –“

„Ach, Karl, Du weißt nicht, wie eigen er ist. Und doch wieder so gut.“

„Und hat eine so gute Nichte, und die wird ihn zuletzt doch noch erweichen! Wir müssen’s abwarten, Liebchen … Still, man kommt. Also nächstens – in acht Tagen – drüben am Berge den schmalen Weg –“

„Ja, ja, Karl – aber laß, man kommt!“

In der That, „man“ kam, nämlich Frau Schmitz mit sechs frischen Hühnereiern und einer sehr scharfen Bemerkung für Stropp, welchen sie beschuldigte, zwei weitere Eier ausgetrunken zu haben. Das freundliche Dazwischentreten der beiden Gäste verhinderte eine fühlbarere Strafe für den vierbeinigen Eiertrinker. Bald darauf erhob sich die junge Dame, um ihren Spaziergang fortzusetzen. Der junge Herr verneigte sich höflich, sie nickte dankend.

„Kennen Sie die Dame, Herr Doktor?“ fragte Frau Schmitz.

„Oberflächlich,“ war die Antwort. „Es ist doch die Nichte von dem alten Oberst zur Nieden?“

„Jawohl,“ bestätigte Frau Schmitz. „Ein sehr nettes liebes Mädchen.“

„Es scheint so,“ erwiderte der Doktor, der sic[h] anscheinend in vorzüglicher Laune befand. Er drehte an seinem schwarzen Schnurrbart, blinzelte die alte Wirthin schalkhaft an und bemerkte: „Zu so netten Leuten wie Sie, Frau Schmitz, kommen natürlich auch nur nette Leute! Das Hotel Schmitz kommt immer mehr in Flor!“

„Ach, Herr Doktor,“ meinte die Alte seufzend, „Sie haben gut spotten. Uns geht’s schlecht. Lange werden Sie Ihr Glas Milch wohl nicht mehr bei uns trinken können. Sehen Sie, die Wirthschaft trägt sich nicht mehr aus. Drunten in der Vorstadt das neumodische Café, das nimmt uns unser bißchen Verdienst ganz weg. Und dann will der Fiskus schon wieder mehr Pacht, und alles wird theurer. Wir sind um die Erlaubniß eingekommen, einen leichten guten Wein und ein leichtes Bier schenken zu dürfen – es ist ja weit und breit kein Wirthshaus hier oben, und wir hätten es ja bequem durch unseren Sohn, der ist in einer Weinhandlung und könnte uns dann auch hier helfen. Aber das wollen sie uns nicht bewilligen. Da werden wir denn wohl nächstens in die Stadt hinunterziehen. Und der da, der macht uns auch Sorge. Der neue Oberförster sagt, der Hund sehe ganz aus, als ob er wildere. Der arme Kerl, der ist ja zu fett und zu faul, um einen Regenwurm zu jagen, gelt, Ströppchen? Aber in der Stadt können wir ihn nicht halten. Wir müssen den Stropp abschaffen.“

Da war es, und jetzt ganz deutlich! Stropp der Hund zuckte auf; allein er bezwang sich und lauschte mit ängstlicher Spannung.

„Ach, das wäre aber schade,“ bemerkte jetzt der Herr, indem er Stropp mitleidig ansah, „schade für Sie und für den drolligen Kerl da und schade auch um das hübsche Plätzchen hier! Warum will man Ihnen denn die Erlaubniß nicht geben?“

„Ja, die Herren sagen, es liege kein Bedürfniß vor … Sie sagen, wir müßten Beweise …“

„Was, Beweise?“ rief der Doktor, indem er wie elektrisiert aufsprang, „na warten Sie, Frau Schmitz, die schaffen wir Ihnen. Heute abend, wenn Ihr Mann in die Stadt kommt, lassen Sie ihn bei mir ein Heft abholen, da werde ich hinein schreiben lassen, daß eine kleine Wein- und Bierschenke hier oben dem dringenden Wunsche aller Unterzeichneten entspreche. Das legen Sie hier auf. Und dann schicke ich Ihnen die Studenten her – die Mitglieder meiner Verbindung, meine Zuhörer, jegliches durstige Gebein, das ich kenne – und die sämmtlichen Herren von unserem Docententisch an der Spitze, die lasse ich gleich heute unterschreiben. Wir wollen doch sehen, ob hier kein Bedürfniß vorliegt. Und wenn erst ein Dutzend Studenten den Weg hierher gefunden hat, so kommen die anderen auch, die jetzt alle durch den Busch drüben zur Dorfschenke ziehen. Und dann bist Du auch geborgen, Stropp, alter Kerl, gelt?“

Der alte Milchmeier kam jetzt eben recht, um seinen Dank für das freundliche Anerbieten des Herrn Doktors mit dem seiner Frau zu vereinigen. Er war ein stiller, anscheinend etwas zur Beschaulichkeit neigender Mann, der sich auch diesmal willig der Ansicht seiner stärkeren Hälfte fügte.

Am Abend dieses schönen Frühlingstages trug Stropp der Hund folgende Thatsachen in das Buch seines Gedächtnisses ein: Die Alten wollen mich wirklich abschaffen, was ihnen aber natürlich selber sehr leid thut. Der freundliche Herr mit dem schwarzen Schnurrbart und den Gläsern vor den Augen will machen, daß ich hier bleibe. Er ist also ein guter Mensch, künftig als Stammgast erster Klasse und als werthvoller Beschützer zu behandeln. Er unterhält sich sehr vertraulich mit der jungen netten Dame, die auch freundlich gegen mich ist, sie verheimlichen es aber vor den anderen Menschen. Also wollen diese die Freundschaft zwischen beiden abschaffen. Man muß den beiden zu helfen suchen.

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Nota bene: beide sprechen mit Unwillen von jemand, den sie „Onkel“ nennen. Wer ist dies? Wahrscheinlich kein guter Mensch. Mein früherer Herr nannte auch jemand so, der eine rothe Nase hatte, meinen Herrn ausschalt und nach mir schlug. Ob dies derselbe ist? Oder giebt es mehrere Onkel unter den Menschen?

Im allgemeinen war Stropp der Hund von den Erfahrungen dieses Tages nicht unbefriedigt. In ziemlich gehobener Stimmung machte er einen Abendspaziergang nach der Kuppe des Berges und bellte dort noch ein Weilchen den Mond an, welcher groß, roth und rund wie ein richtiger Onkel über dem Gebirge jenseit des Stromes aufstieg und gar nicht aussah, als ob er sich aus irgend welchem Gebell auf Erden auch nur das Geringste machen würde.




Am Fuße des Berges zieht sich ein anmuthiger Pfad längs einem Bächlein hin, zuerst nur umsäumt von Brombeerranken wilden Rosen und Erlensträuchern, bis er dann weiterhin in den Busch tritt und nach allen Seiten kleine Fußsteige entsendet, die schönsten Wege für solche, die einsam oder zu Zweien dem Kuckuck lauschen und Blumen brechen wollen. „Einst war der Pfad von Wallern voll“, als er noch von den Studenten dazu benutzt wurde, auf dem nächsten Umwege über die Dorfschenke zum Berg hinaufzusteigen. Seit aber die Bitte der beiden Alten droben bewilligt worden und in dem kleinen Häuschen neben den Milchgläsern auch Flaschen und Römer klirrten, hatten die Musensöhne schnell begriffen, daß der gerade Weg der beste sei, und nur selten noch klangen Menschenschritte in das Rauschen und Plaudern des Bächleins, wenn hier und da ein paar Bewohner der Villenvorstadt sich einmal im Walde ergehen wollten. Um so freier und lustiger ließen die kleinen Vögel ihre Stimmen erschallen, die in dem dichten Geranke nisteten und umherschlüpften, das noch unbedrängt geblieben war von dem gleichmachenden Streben neuzeitlicher Forstwirthschaft. Mitten in einem spitzdornigen Gebüsch von Heckenrosen saß Frau Sylvia, die Grasmücke, auf ihrem ziemlich leichtfertig gebauten Neste, in dem vier winzige rothgesprenkelte Eier für die Fortdauer des Geschlechtes bürgten, und lauschte dem Gemahl, der in grauem Federkleid mit schwarzer Kapuze ihr ein verliebtes Ständchen brachte. „Ich weiß nicht,“ sagte die entzückte kleine Frau, „was die Menschen an der Nachtigall so Großes finden; singt sie nicht viel rauher und schriller als mein Mönch?“ Und der verliebte Schwarzkopf hörte es und sang noch einmal so süß und schmelzend, daß die Kleine ordentlich zitterte vor Stolz und Liebe.

Da bog sich auf der anderen Seite des Bächleins ein Strauch zur Seite, eine schwarze Schnauze wand sich schnaufend hindurch, ein langer Leib mit dunklem glänzenden Fell schob sich auf krummen dicken Beinen nach und flog in kühnem Schwunge über die Wasserrinne just vor das Sängerpärchen hin. Die aber kannten ihn schon und ließen sich auch nicht stören, als der plumpe Gast gerade unter ihrem Strauche zur Uebung ein wenig zu graben begann, daß die Erdklümpchen herumflogen und seine Nase bald eine Brille von Erde trug. Sie wußten, daß Stropp der Hund ihnen nichts zuleide that, und seine groben Manieren mußte man eben hinnehmen; sicherte er sie doch auch durch seine bloße Anwesenheit vor dem Besuche von Katzen und Wieseln.

Stropp der Hund hatte seine Gründe dafür, daß er seit einiger Zeit den Schauplatz seines beschaulichen Daseins möglichst viel an diese abgelegene Stelle verlegte. Der wirthschaftliche Aufschwung seiner Herrschaft hatte ihn zwar vor dem Abgeschafftwerden beschützt; aber seine Lage war entschieden ungemüthlicher geworden. Die Herren Studenten, welche jetzt bei Philemon und Baucis einkehrten – diese Namen hatten sie dem würdigen Ehepaare verliehen – wußten anscheinend durchaus nichts von den Rücksichten, die ein philosophisch angelegter Hund beansprucht. Mit ihrem etwas geräuschvollen Wesen störten sie seine verdauungsvollsten Betrachtungen, und es gab Leute unter ihnen, die das reichlich bemessene Nackenfell des armen Kerls als eine willkommene Einladung ansahen, an seinem hin und her schwebenden Körper die Gesetze der Pendelschwingung zu veranschaulichen. Andere versteiften sich darauf, ihm seinen ehrlichen rheinischen Namen abzugewöhnen und ihm unter Anwendung empfindlicher Püffe Geschmack für eine neue Benamsung beizubringen, wobei ihre Wahl zwischen „Cerberus“, „Phylax“, „Nero“, „Apollo“ und ähnlichen klassischen Erinnerungen schwankte. Und wenn er dann der Bedrängniß entrann und ein wenig auf der Bergwiese spazierte, so kam auch ganz unfehlbar der neue Oberförster mit einem durstigen und folglich verdrießlichen Gemüthe daher und veranlaßte Frau Baucis, dem armen Stropp einen Maulkorb anzulegen, der noch dazu aus dem Nachlasse eines Mopses angekauft und seinem jetzigen Inhaber viel zu knapp war.

In der That, die Zeiten waren schlecht geworden, und Stropp der Hund sah oft mit schmerzlicher Miene auf die glitzernden Wellen des Bächleins und erwog bei sich, ob es nicht doch in der Welt noch angenehmere Herren gäbe. Aber woher einen nehmen und nicht stehlen?

Da war der freundliche Herr Doktor mit der Brille und dem schwarzen Schnurrbarte. Stropp mußte wohl zuerst auf ihn verfallen; denn von seinem jetzigen Ruheplatz aus sah er ihn oft genug. Der Herr Doktor schien neuerdings viel Freude an Waldspaziergängen zu haben. Merkwürdigerweise schien ferner die hübsche junge Dame mit den braunen Locken und den braunen Augen dasselbe Vergnügen stets beinahe zur selben Zeit mit dem Herrn Doktor auszuüben. War der Herr langsam an Stropps Ruheposten vorübergeschritten, stets begrüßt von einem freundlichen Knurren und Schweifwedeln, so folgte auch alsbald die junge Dame. Hintereinander, übrigens ohne anscheinend voneinander Notiz zu nehmen, entschwanden sie an der Wegbiegung, dort wo der eigentliche Stadtbusch anfing, den Blicken Stropps und etwaiger sonstiger Spaziergänger. Nach einiger Zeit kehrte dann die Dame von ihrem Erholungsgange zurück, und bald darauf folgte auch der Herr, ohne aber von der vor ihm Herschreitenden bei seiner Kurzsichtigkeit etwas zu gewahren. Das war alles so regelmäßig und sicher wie das Amen in der Kirche.

Heute schien indessen eine Störung im Programm vorzuliegen. Der Herr Doktor kam pünktlich, wurde von Stropp dem Hund freudig begrüßt und dankte mit einem schmeichelnden Klaps und ein paar Worten, die den armen Köter ganz selig stimmten; er war in dieser Hinsicht seit einiger Zeit nicht verwöhnt. Dann sah Stropp, wie der Herr sich in einiger Entfernung aufstellte, scheinbar mit dem Zerlegen einer wilden Rose beschäftigt, und zwischendurch entschieden ungeduldig durch die Brille den Weg hinabspähte. Dann aber verfinsterte sich sein Gesicht plötzlich, und er trat langsam den Rückweg an, und als Stropp der Hund seinen Blicken folgte, sah er die junge Dame herankommen, doch nicht allein. Ein alter Herr, der unangenehm an den Herrn Oberförster erinnerte, schritt [890] an ihrer linken Seite. – Die Sache wurde interessant. Stropp der Hund duckte sich unter den Grasmückenbusch und beobachtete.

Mit höflichem Gruße, den der Alte gemessen, die Dame mit leichtem Nicken erwiderte, schritt der Herr Doktor an den beiden vorüber. Diese nahmen auf einer Rasenbank unfern von Stropps Beobachtungsposten Platz.

„Muß einem gerade der den Spaziergang vergällen, wenn das Zipperlein einem ’mal Ruhe läßt!“ brummte der Alte.

„Aber Onkel,“ erwiderte die junge Dame mit ihrer sanften süßen Stimme, „früher hast Du den Herrn Doktor doch besser leiden mögen. Du fandest ihn ganz erträglich, als er in der Villa hinter uns einzog.“

Aha, der Onkel! dachte Stropp. Ungefähr so habe ich ihn mir auch vorgestellt.

„Ich habe mich eben getäuscht,“ antwortete der Alte mürrisch. „Damals wußte ich ja noch nicht, daß vom ihm jener infame Aufsatz ist, in dem er meine römische Glasflasche, das Kleinod meiner Sammlung, für gefälscht erklärt und mich – mich, den Oberst zur Nieden, unter die Fälscher wirft!“

„Onkel!“ rief Fräulein Ulla, „das hat der Doktor doch nicht gethan. Nur die Flasche, sagt er, sei falsch –“

„Was“, brauste der Alte auf, „und macht er damit nicht mich, der ich sie überall als echt hingestellt habe und noch hinnstelle, zum Fälscher und Hehler? Willst Du einen alten Offizier Seiner Majestät über den Ehrenpunkt belehren, Mädchen? Himmeldonnerwetter, es kommt mir beinahe vor –“

„Ums Himmels willen, Onkel, ereifere Dich nicht,“ bat Fräulein Ulla. „Bedenke Deine Gesundheit! Wollen wir weiter gehen?“

Der Alte brummte noch einiges in den Bart, erhob sich schwerfällig, und sie schritten weiter. Dabei gewahrte Fräulein Ulla, was Stropp der Hund schon längst bemerkt hatte, daß der Herr Doktor in einiger Entfernung hinter einem Baume stand und mit ziemlich trübseligem Gesicht herüberguckte. Diese Wahrnehmung schien sie sehr zu erschrecken; denn sie ließ ihr Taschentuch fallen, das sie eben hervorgezogen. Als sie es wieder aufhob, blieb ein kleiner Brief auf dem Boden liegen.

Ganz wie damals bei meinem früheren Herrn und dem Fräulein Susanne, dachte Stropp der Hund. Aber was war denn das?

Nach dem Beispiel seines früheren Herrn mußte doch nun der Herr Doktor behutsam anrücken, das Briefchen aufheben, es mit Staub und allem an die Lippen führen und dann verschwinden! Anstatt dessen blieb das Briefchen liegen, wo es lag, und der kurzsichtige Herr Doktor guckte zum Himmel hinauf, als ob der – nach Stropps Anschauungsweise – voll von Würsten hinge. Anscheinend war er poetisch oder sonstwie verzückt. Und nun machte auch das Paar oben Halt, um umzukehren.

Da mußte eingeschritten werden. Mit einem kühnen Satze schwang sich Stropp der Hund aus seinem Versteck hervor, und im nächsten Augenblick hatte er das Brieflein im Maul und galoppierte auf den Herrn Doktor zu, ließ es aber diesem nicht sogleich, sondern lockte ihn seitab auf einen halbverwachsenen Pfad.

„Da siehst Du, was das für ein Herr ist,“ knurrte der Alte, der sich mit seiner Nichte aufs neue einer Ruhebank zugewandt und den letzten Theil jenes Vorgangs noch gerade mit angesehen hatte. „Hier tollt er mit einem anscheinend seiner ganz würdigen Köter herum und läßt sich von ihm Papier apportieren. Und jetzt prügelt er das arme Vieh wohl noch gar. Höre nur, wie es heult.“

„Das ist nur vor Freude, so heult der Hund immer, wenn er sich freut,“ erwiderte Fräulein Ulla. „Ich kenne das Thier, es ist der Hund oben aus der Milchwirthschaft.“

„So? Du kennst den Hund und er kennt den Hund – ei da kennt ihr Euch wohl auch schon näher? Höre, Ulla –“

„Aber Onkel, sei doch still, man kommt. Sieh, dort naht der Herr Professor, mit dem Du schon längst über Deine neuen Gräberfunde reden wolltest.“

„In der That,“ lächelte der Onkel ganz versöhnt, „ein glückliches Zusammentreffen – Ihr Diener, Herr Professor!“

Der alte Herr bot beiden die Schnupftabakdose an, auch Ulla griff scherzhaft mit den feinen Fingerchen hinein – und im nächsten Augenblick schlugen die Wogen eines Gesprächs über ihr zusammen, in dem zwei fränkische Skelette und ein altes Steinbeil die Hauptrolle spielten.

Abseits aber, zwischen den Erlenbüschen, stand Doktor Sassen und vollzog vor den Augen des fröhlich wedelnden Stropp gewissenhaft das von diesem aufgestellte Programm. Und nachdem er das Briefchen geküßt, gelesen und wieder geküßt, blickte er entzückt um sich und rief: „Wie schön ist die Welt heute, wie lieblich der Vogelsang und der Blüthenduft und all das Leben und all die Liebe! Nein, da wäre es Sünde, jetzt sich in das alte Museum zu vergraben und Urväterhausrath auseinanderzuklauben – komm, Stropp, du kluger Hund, vierbeiniger Liebesbote, willst du mit durch den Wald gehen? – Was bedeutet dieses tiefsinnige Knurren, weiser Stropp? Wurst? Sollst du auch haben, drüben in der Dorfschenke – komm, hopp!“ Und alsbald waren die beiden Leichtsinnigen im Waldesgrün verschwunden. – –

Es versteht sich, daß Stropp der Hund auf seinem Posten unter dem Vogelnest war, als die beiden jungen Leute einige Tage darauf wieder ernsthaft hintereinander herwandelten. Diesmal aber begnügte er sich nicht damit, den Vorüberschreitenden seine Aufwartung zu machen. Leise und bedächtig trottete er ihnen nach, und als Doktor Sassen im lauschigen Waldwinkel abseits vom Wege Ulla umfaßte und küssen wollte, fuhr sie erröthend zurück und rief: „Aber Karl – da, der Hund sieht es ja!“

Karl lachte herzlich und küßte sie doch. „Der darf es sehen“, meinte er und nickte Stropp zu, welcher mit unendlich ernsthaftem Gesicht zwischen dem Gebüsch durch auf das Paar guckte. „Gelt, Stropp, Du verräthst uns nicht, du merkst nur auf, daß uns keiner sonst überrascht und der dumme Doktor kein Briefchen liegen läßt?“

Auch Ulla lachte nun und streichelte Stropp über sein schwarzes Fell. „Aber nun geh’, Stropp, mein kluges Hundchen, geh’, setz’ Dich draußen an den Weg und sieh, daß uns niemand findet! – Ach, Karl, ich war so erschrocken neulich – ich fürchte, der Onkel hat ’was gemerkt! Es ist zu traurig. Erst, als Du neben uns einzogst und er Deinen Namen noch nicht wußte, da gefielst Du ihm so gut –“

„Ja ja, merkwürdig, Ulla! Und daß auch mir eine gewisse kleine Nachbarin gleich so gut gefiel, ehe ich wußte, wie sie hieß –“

„Hätte sie Dir sonst nicht gefallen?“

Eine ganze Weile ging das Gespräch der beiden unter Scherzen und Küssen hin und her, im grüngoldigen Dämmerlicht des Sommerwaldes, unter Vogelliedern und leisem Summen von allerlei winzigem Gethier. Dann wurden sie ernsthaft, er tröstete die Geliebte und sie ihn.

„Vertraue mir, Karl, ich bleibe Dein, Du bist ja mein Ein und Alles. In zwei Jahren kann ich frei verfügen, dann folge ich Dir, so schwer es mir wird, den alten Mann einsam und unversöhnt zu lassen –“

„Und bis dahin, Herz, bin ich gewiß auch so weit, Dir ein eigenes Heim und eine Stellung zu bieten, wie sie Deiner würdig ist. Ich habe gute Aussichten, mein Werk schreitet herrlich voran, seit das süße Deingedenken jederzeit über meiner Arbeit schwebt“, und so fort, all das Herzliche, Tiefernste und Lieblich-Thörichte, das sich zwei junge Menschenkinder zu erzählen haben in jener Zeit des Lebens, von der es im alten deutschen Märchen heißt: „Sie waren in den Brauttagen und hatten jedes die größte Freude am andern.“

Derweil saß Stropp der Hund ernsthaft am Wege und gab acht, ob sich kein Lauscher nahte, und baute auch in seiner verschwiegenen Hundeseele anmuthige Luftschlösser, in denen er sich als vielgeschätzten Hausfreund eines so schönen und thierfreundlichen Paares sah, fern von übermüthigen Studenten und maulkorbeifrigen Leuten in grünen Uniformröcken. Und so ging es einige Zeit.

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Eines Tages aber – den vier rothgesprenkelten Eiern der Frau Sylvia waren bereits vier kleine Vöglein entkrochen, und diese hatten bereits ihr erstes graues Federkleid und hockten stolz wie die Türken dicht nebeneinander auf einem Hagedornzweig – da nahte für den Doktor und Stropp eine höchst unliebsame Ueberraschung.

Warum mußte auch die sonst so kluge Ulla gerade ein Briefchen, das sie für diesen Tag an den Rosenstrauch berief, in ihrem Nähkörbchen liegen lassen? Warum mußte der Onkel gerade dort sein Federmesser suchen und anstatt dessen den Brief finden? Nun war er an Stelle der Nichte erschienen und polterte gegen den Doktor mit einem solchen Zorne los, daß Stropp der Hund den Schweif so eng als möglich anzog und bei sich dachte: „Gott sei Dank, daß dieser Mann wenigstens nicht Oberförster ist!“

Aber Doktor Sassen benahm sich mustergültig.

Seine Ruhe und Beharrlichkeit hielt sämmtlichen Attacken des alten Reiteroffiziers stand, und schließlich zog der Onkel, nicht besiegt, aber auch nicht als Sieger, brummend ab, nachdem ihm der Doktor erklärt hatte: „Ich habe ein in Ihrem Besitz befindliches, von Ihnen als antik hochgeschätztes Kunstwerk nach meiner wissenschaftlichen Ueberzeugung für unecht erklärt, ohne daß ich die Ehre hatte, Sie zu kennen. Sie, Herr Oberst, haben kein Recht, darin eine Beleidigung Ihrer Person zu finden. Ich bin weder Ihrer Person, noch Ihren Verdiensten um die Alterthumswissenschaft zu nahe getreten. Für mich hat diese ganze unglückliche Verwicklung durchaus nichts zu thun mit unseren persönlichen Beziehungen. Wenn Sie auf dem Gegentheil bestehen, so muß ich dies aufs tiefste bedauern. Aber seien Sie überzeugt, daß Ulla und ich darum nicht voneinander lassen werden, selbst wenn wir darauf verzichten müßten, daß Sie Ihre treue Vormundschaft über Ulla mit der Beistimmung zu unserer Verlobung krönen. Daß Sie nichts Ungerechtes oder Hartes gegen Ulla persönlich unternehmen, dafür bürgt mir Ihre Ehre als Offizier und als Vormund. Kann ich Ihre Vorstellung von einem Angriffe meinerseits auf Ihre persönliche Ehre besser widerlegen, als indem ich meine Braut vertrauensvoll unter Ihrem Schutze lasse?“

Auf diese Worte erwiderte der Alte nichts, er sah den Doktor mit einem langen Blicke an, grüßte höflich und zog ab. – –

Die Sonne war schon lange untergegangen, als Doktor Sassen am Abend dieses Tages sein einsames Wohngemach betrat. Den ganzen Nachmittag war er umhergewandert, voll süß-trauriger Empfindungen, Liebes- und Lebenspläne schmiedend und verwerfend. Er hatte es anfangs kaum bemerkt, daß ihm ein Weggenosse folgte, und als [e]r es bemerkte, vermochte er ihn mit allen gütlichen und bösen Mitteln nicht mehr loszuwerden. Was sich Stropp der Hund einmal in seinem harten Schädel vornahm, das war auch nicht so leicht wieder herauszubringen; und er hatte es sich nun einmal vorgenommen, dem Herrn Doktor heute zu folgen. Ach, auch für den armen Stropp war es ein Unglückstag gewesen! Der Morgen hatte ihm bereits von den verschiedensten Seiten Prügel und Schelte eingetragen. Als Eierdieb, als vermeintlicher Wilderer und wegen thätlicher Beleidigung eines verkaterten und somit sehr reizbar gestimmten Studenten war er zur Verantwortung gezogen worden, bis er schließlich einfach weggelaufen war, und nun hatte er auch noch statt des erhofften Zuckerstücks, das Fräulein Ulla ihm nie mitzubringen vergaß, diese niederschlagende Erscheinung des Onkels erleben müssen! In solcher Bedrängniß erachtete er den möglichst engen Anschluß an den Herrn Doktor als die einzige Rettung. Solange er bei diesem war, geschah ihm wenigstens nichts allzu Schlimmes, er hatte so einen schützenden Dämon, in dessen mächtigem Geleit er wieder einmal ein gutes Stück Welt durchschweifen durfte, und schließlich mußte doch der freundliche Herr auch irgendwo ein Zimmer haben und in dem Zimmer vermuthlich auch ein Plätzchen für einen armen verstoßenen Hund. Er wollte sich dem Herrn dafür nach Kräften nützlich und dankbar erweisen, ja er war sogar bereit, den Onkel auf Verlangen gehörig in die Waden zu beißen, vorausgesetzt, daß der Onkel keine hohen Stiefel trug. Einstweilen begnügte er sich damit, seinen Gönner unter aller schuldigen Rücksicht auf dessen gedrückten Gemüthszustand mit allerlei Kapriolen und Kunststückchen zu ergötzen und ihm auf jede Weise seine Ergebenheit zu bezeigen.

So waren sie miteinander umhergezogen, hatten in einem abgelegenen Walddörflein zu Abend gespeist und landeten schließlich in der Wohnung des Doktors. Stropp der Hund fand alsbald einen molligen Fußteppich vor dem Schreibtisch, der ihm ein angenehmes und standesgemäßes Nachtlager verhieß. Der Doktor aber rückte einen Stuhl ans Fenster und blickte sehnsüchtig hinüber nach dem Hause des Obersten.

Nur ein allerdings ziemlich geräumiger Garten, der in der Mitte durch eine niedrige Hecke geschieden war, trennte ihn von der Wohnung der Geliebten. Aus ihren süßen Plaudereien und den Mittheilungen seiner alten Hauswirthin kannte er genau die Vertheilung der Räume in der Villa drüben. Unten waren Küche, Dienerzimmer und vor allem, nach dem Garten hinaus, die umfangreiche Sammlung von römischen und fränkischen Grabfunden untergebracht. Oben rechts im ersten Stock lag die Wohnung des Obersten, dann folgte in der Mitte ein geräumiger, mit Waffen und Bildern ausgeschmückter Saal, und dann links ein seltsam ausgestattetes Gemach, welches den größten Schatz des alten wunderlichen Herrn, die römische Flasche, barg. Auf einem Sockel aus kostbarem Holz war sie dort unter einem Glassturz aufgestellt, umgeben von einem stilvollen Gehänge aus Seidenstoffen. Daneben aber an den Wänden standen hohe Regale, angefüllt mit allem, was über dieses unglückselige Gefäß jemals von Kundigen und Unkundigen, von dem Obersten und – leider! – auch von ihm, dem Doktor Sassen, geschrieben und gedruckt worden war. Greifbar deutlich sah der Doktor vor seinem inneren Auge das zierliche wie aus Spinnweben gefertigte Kunstwerk mit den scheinbar ganz frei über dem Rande schwebenden Menschen- und Thierfigürchen. Ohne Zweifel, es war ein Meisterstück der Glasmacherkunst, aber daß es nicht antik war, darüber waren ja sämmtliche Sachkenner einig, nur der Oberst bestand seit einem Jahrzehnt auf seinem Wahn und war ungerecht genug, diesem Wahn sogar das Glück seiner Nichte aufopfern zu wollen. Ach ja, Ulla! Dort über dem Heiligthum der verhängnißvollen Flasche lag ihr Stübchen friedlich im Dämmerlicht der Sommernacht. Jetzt strahlte ihre Lampe mit sanftem Scheine auf, und es war, als wisse sie, daß dort unten im dunklen Gelehrtenzimmer zwei liebende Augen sich sehnsuchtsvoll zu ihr lenkten – leise, allmählich anschwellend klang eine wunderholde Musik herüber, Ulla sang zum Klavier das Lieblingslied des Geliebten, Webers seelenvolle Melodie „Leise, leise, fromme Weise“. So also suchte sie ihn zu trösten – Karl fühlte, wie ihm die Augen feucht wurden vor Liebe und Rührung.

Die Lampe im Stübchen Ullas war erloschen. Dafür leuchtete jetzt ein Licht in dem Zimmer des Obersten auf und glitt langsam durch dieses, an den Fenstern des [892] Saales vorbei in die Kammer, welche das Kleinod barg. Der Doktor war das schon gewohnt. Er wußte, daß der Alte keinen Abend vorüberg[e]hen ließ, ohne seinem vermeintlichen Römerschatz einen Besuch abzustatten, außer wenn ihn die Gicht an sein Lager fesselte. Heute verweilte der Lichtschimmer länger als sonst in jenem Gemach, oft hin und her schweifend; vielleicht, daß der Oberst sich noch in später Stunde dem Studium seiner Sonderbibliothek hingab. Der Doktor folgte dem Scheine, bis ihm die Augen matt wurden und endlich zusanken zu einem ungewollten tiefen Schlummer.

Ein schauerlich mißtöniges Geheul erweckte den Schläfer wieder. Verwirrt fuhr er aus seiner wenig bequemen Lage von dem Stuhle auf. Der Mond war inzwischen aufgegangen und goß einen breiten grünen Lichtstrom ins Gemach. Mitten in dieser grünsilbernen Strahlenbahn stand Stropp der Hund auf dem Schreibtisch, die Nase hoch erhoben, und sang seine ergreifende Weise zum Fenster hinaus. Als er merkte, daß der Doktor erwacht war, sprang er herab, kratzte und zerrte an diesem herum und lief dann wieder zum Fenster hin, um seinen musikalischen Vortrag fortzusetzen. War der Hund toll oder mondsüchtig? „Ruhig, Stropp, oder –!“ Aber was war denn das? Drüben das Licht des Obersten in der Schatzkammer – es brannte noch immer, aber es schien in unruhigem Flackern mit seltsamen röthlichen Spitzen an den Tüllgardinen hinaufzuklettern, eine dicke mißfarbige Wolke quoll durch einen offenen Fensterflügel heraus – Herr im Himmel, es brannte, und dicht darüber schlief Ulla!

Im nächsten Augenblick stand der Doktor im Garten – bei hellem Tage und ohne solchen Anlaß hätte er den Sprung aus dem Fenster vielleicht nicht gewagt. Stropp der Hund sprang ihm getreulich nach, und nun stürmten die beiden daher, über Blumenbeete und Wege, wie es sich eben traf, über die Hecke weg, hin zum Haus des Obersten. Gott sei Dank, da stand die Leiter des Gärtners – angelegt, hinauf und nun ohne Besinnen eine Scheibe am Fenster des Obersten eingeschlagen:

„Herr Oberst, öffnen Sie – es brennt bei Ihnen!“

„Kreuzschockkartätschen, wer bricht denn so grob da herein? Steh’, Lump, oder ich schieße!“

„Aber ums Himmels willen, so hören Sie doch, Herr Oberst – ich bin’s, Doktor Sassen – es brennt bei Ihnen im anderen Flügel!“

Das Fenster flog auf, bleich und verstört schauten sich die beiden Männer an. Wenige Worte der Erklärung, der Doktor stieg ein und beide stürzten zur Thüre hinaus auf den Flur; eine widerliche, athemraubende Rauchluft quoll ihnen entgegen.

„Dort, Herrgott wahrhaftig, es kommt aus der Schatzkammer – meine Nichte – retten Sie sie, helfen Sie mir!“

Aber ehe der Oberst noch weiter reden konnte, war der Doktor an ihm vorüber in den Qualm hinein gestürmt, die Treppe hinauf.

Im Hause wurde es lebendig. Thüren flogen auf, ärgerliche Männerstimmen und entsetzte Weiberrufe mischten sich. Aber Karl hörte nur eine Stimme, vor ihm öffnete sich eine Zimmerthür, eine weiße Gestalt schwankte hervor.

„Hierher, Ulla ich bin’s – Karl!“

„Karl, Du – –“ und hilflos lag sie in seinen Armen. Er umfaßte sie zärtlich und sicher und trug sie hinab, durch den Rauch, der immer dichter und dichter heraufwallte. Er fühlte nicht, wie der ätzende Qualm seine Augen beizte, er kam überhaupt selbst erst einigermaßen zur Besinnung, als er die Geliebte vor sich auf dem Sopha im Zimmer des Obersten erblickte, als sie die Augen aufschlug und ihn noch halb verständnißlos mit seligem Ausruf umhalste.

Allein jetzt war keine Zeit zu Liebeständeleien. Schnell hatte er Ulla der Fürsorge der von unten herbeieilenden Mägde übergeben und stürzte wieder hinaus auf den Flur. Dort rannte ein Mann hart an ihn, es war des Obersten alter Diener.

„Eilen Sie, schicken Sie zum nächsten Feuermelder – lassen Sie die Villen in der Nachbarschaft alarmieren, die Gartenspritzen herbei! Wo ist der Oberst?“

„Zu Befehl, Herr Doktor – da hinten!“

„Wo?“ Aber der Mann war schon verschwunden.

Sassen tappte mühsam den Flur entlang, die Rauchmassen wurden immer stärker, jetzt war er fast an der Thüre zur Schatzkammer angelangt, da blitzten und flackerten unheimlich rothe Flammen durch den Schwaden auf, und neben sich, an die Wand gelehnt, gewahrte er den Obersten:

„Ihre Nichte ist gerettet, Herr Oberst!“

Ganz tonlos klang es zurück:

„Ich weiß – ich danke Ihnen – Sie haben uns noch eben zur rechten Zeit gewarnt. Aber die Flasche – wir haben es dreimal versucht, es geht nicht mehr – sie ist hin.“

Der Alte schien ganz gebrochen. Der Doktor zog ihn mit sich fort, ohne größere Löschmittel war es jetzt in der That unmöglich, dem Feuerherde näherzukommen.

Nun erschien aber auch schon Hilfe. Hastige schwere Männerschritte polterten herauf, Wasserstrahlen zischten in das brennende Zimmer hinein – man konnte vordringen, dem gefährlichen Rauch Abzug verschaffen – nun hörte man auch von draußen das Signal der Feuerwehr – „merkwürdig, das Leitmotiv aus dem ‚Fliegenden Holländer‘, und noch merkwürdiger, daß ich so etwas jetzt merke!“ dachte Karl – und durch all den Lärm [k]lang von den Gärten her vielstimmiges Hundegeheul. Stropp hatte, da er dem Doktor nicht auf der Leiter folgen konnte, wenigstens in seiner Weise sich behilflich erweisen wollen, und mit seinem durchdringenden Gebell – die Natur hatte ihn mit einem sehr weittragenden Tenor begabt – erreichte er auch das Eine, daß seine sämmtlichen Stammesgenossen in der Nachbarschaft aufmerksam wurden und einstimmten.

Uebrigens erwies es sich, daß der Brand noch ziemlich leicht zu löschen war. Die Bücher, Akten und Gehänge in der Schatzkammer brannten langsam und schlecht – der furchtbare Qualm freilich hätte allein eine vielleicht tödliche Gefahr bedeutet, wenn die Entdeckung später erfolgt wäre. So aber beschränkte sich der Schaden fast ganz auf das eine Gemach und einen Theil des anstoßenden Waffensaales. Die kostbare Flasche aber war vernichtet. Mit der Asche des zierlichen Gestells, auf welchem sie ruhte, hatten sich ihre Bestandtheile vermischt, und es war hinfort keine Möglichkeit mehr, die Erörterung über ihre Echtheit oder Unechtheit an ihr selbst weiterzuführen.

Nach einer Stunde angestrengter Arbeit war es gelungen, jede weitere Gefahr zu beseitigen und die Unglücksstätte so ziemlich aufzuräumen. Die kostbare Waffen- und Bildersammlung war zum Glück von dem Brande fast ganz verschont geblieben. Mehr Mühe hatte es den Obersten und den Doktor gekostet, sie vor dem rauhen Walten der hilfreichen Löschmannschaften zu beschützen. Doktor Sassen hatte wacker mitgearbeitet. Er sah jetzt aus wie ein Kohlenbrenner, als er zwischen den herbeigeeilten Nachbarn, den Dienern, Feuerwehrleuten und Mägden hinüberschritt in das Zimmer des Obersten. Da trat ihm Ulla entgegen. Sie hatte sich rasch von ihrem Schrecken erholt und waltete mit hausfraulicher Würde ihres Amtes, indem sie die leibliche Erquickung der wackeren Helfer leitete. Als der Geliebte erschien, schritt sie ihm leuchtenden Auges entgegen und streckte ihm beide Hände hin. „Mein Retter!“ Und ohne daß die Zwei es selber recht wußten, sanken sie sich in die Arme.

Nicht nur der Oberst, auch einige Herren aus den Nachbarvillen waren Zeugen dieses seligen Wiedersehens, und an der halboffenen Thüre steckten einige Mägde und Diener lebhaft wispernd die Köpfe zusammen. Als Ulla dieses Publikums inne wurde, fuhr sie erröthend zurück und stand einen Augenblick in holder Verwirrung da. Doktor Sassen aber bezwang rasch eine leichte Verlegenheit und trat auf den Alten zu[.] „Herr Oberst,“ begann [893] er – da unterbrach ihn dieser schon mit den Worten:

„Ich bin Ihnen großen Dank schuldig, Herr Doktor, und auch noch – na, auch noch Genugthuung für einige Aeußerungen in unserem letzten Gespräch, glaube ich – also Sie sollen sie haben. – Die Herren,“ wandte er sich sodann an seine Nachbarn, „sind hier, leider unter mißlichen Umständen, Zeugen einer kleinen Familienscene; Sie waren so freundlich, mir in der Gefahr zu Hilfe zu eilen – lassen Sie mich mit meinem Danke die Bitte vereinen, jetzt auf das Brautpaar anzustoßen. Ich habe die Ehre, Ihnen die gestern vollzogene Verlobung meiner Nichte Ulla zur Nieden mit Herrn Doktor Sassen anzuzeigen. Bitte, Ulla, fülle die Gläser! – Nun,“ fügte er leiser hinzu, „sind Sie zufrieden, Herr Doktor?“

Ob der zufrieden war und ob er und Ulla es dem wackeren alten Herrn dankten! Der Oberst hatte in dieser Nacht für den eingebildeten Schatz, den ihm das Feuer geraubt, einen wirklichen Schatz von unbezahlbarer Liebe und Verehrung gewonnen. Und das mochte er auch wohl selber empfinden; denn zwei große Thränen rannen ihm in den eisgrauen Bart, als er nun mit den freundlich glückwünschenden Herren auf das Wohl seiner Kinder anstieß.

„Schmuck wie ein Bräutigam“ sah nun freilich der glückliche Doktor eben nicht aus, und als es zum Scheiden kam – „für wenige Stunden“, flüsterte Ulla selig – war er eitel genug, sich von ihr den Schlüssel zum Gartenpförtchen auszubitten, „um nicht etwa draußen auf der Straße als der Brandstiftung dringend verdächtig abgefaßt zu werden“. An dem kleinen Pförtchen verabschiedete sich Ulla noch einmal zärtlich von ihrem „Retter“, wie sie ihn nannte. „Du,“ antwortete Karl ganz ehrlich, „eigentlich war ich’s aber nicht. Den Brand habe nicht ich entdeckt, sondern Stropp, dem ich ein freies Nachtquartier gewährte. Er ist seinen Leuten davongelaufen. Ich möchte ihn wohl behalten!“

„Ach, der liebe Kerl!“ meinte Ulla, „wo ist er denn aber geblieben, der Stropp?“

Da fuhr es auch schon aus den Büschen heraus, eine rundliche schwarze Masse, und sprang mit tollem Freudengeheul an den beiden empor. Stropp der Hund hatte geduldig abgewartet, bis man sich seiner erinnern würde. Nun hielt er es aber auch an der Zeit, sich zu melden und die Gunst der Verhältnisse auszunutzen. Die beiden waren ja anscheinend wieder vereint, der Onkel, so dachte Stropp, war offenbar „abgeschafft“ – und nun trug er sein Anliegen vor, welches, in die Menschensprache übersetzt, nur lauten konnte: „Bitte, behaltet mich hier bei Euch – ‚ich sei, gewährt mir die Bitte‘ u. s. w.“

Glücklich Liebende sind Sonntagskinder und verstehen auch die Sprache der Thiere. Aus Ullas freundlichen Worten und Karls Scherzen glaubte Stropp der Hund mit Gewißheit herauszuhören, daß seine Bitte vernommen und gewährt sei. Und so trottete er vergnügt und zufrieden hinter seinem neuen Herrn durch den Garten und sprang an der aufgeregten Wirthin, die ihnen das Gartenthürchen öffnete, schon mit dem ganzen Selbstgefühl eines anerkannten Hausbewohners vorüber.

Draußen im Garten begannen die Nachtigallen ihr süßes Morgenlied, im Osten kündete eine sanfte Röthe schon das Nahen des jungen Sommertages, und ein leises Lüftchen bewegte den Vorhang am Fenster des Doktors, als wollte es einen Gruß von der Braut bestellen. Der Doktor aber lag schon in seligen Träumen, und auch Stropp der Hund beschloß nun, nach einem letzten dankbaren Blick auf den künftigen Gebieter,

„Einen langen Schlaf zu thun,
Denn dieser letzten Tage Qual war groß.“

Bedächtig wackelte er zu dem Fußteppich vor dem Schreibtisch seines Gebieters, lockerte das schöne weiche Wollbett noch ein paarmal mit den Vorderpfoten, drehte sich zweimal um sich selbst und rollte sich dann mit einem Seufzer der Befriedigung zusammen, um die wohlverdiente Ruhe eines Feldherrn nach gewonnener Schlacht zu genießen.