Studentenliebe

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Autor: Roderich Benedix
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Titel: Studentenliebe
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aus: Die Gartenlaube, Heft 34, S. 529–532
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[529]
Studentenliebe.
Von Roderich Benedix.[1]


Konrad an Amalie.
Mein theures Mädchen!
Nachdem ich in meiner neuen Heimath angekommen bin, ist es mein Erstes Dir zu schreiben. Wie schmerzlich mir die Trennung von Dir geworden, hast Du wohl in den Thränen bemerkt, die ich nicht zurückhalten konnte. Ich schämte mich deren und riß mich rasch von Dir los; jetzt thut mir das Leid, denn auch dem Manne gab die Natur die Eigenschaft zu weinen. Und war denn nicht unsere Trennung eine sehr schmerzliche? Ich habe keine Lustreise angetreten, von der ich bald zurückkehren werde, ich bin hierher gekommen, um mir mein Loos zu gründen, und voraussichtlich werden Jahre vergehen, ehe ich so weit bin, zu sagen: „Komm, Amalie, theile mein Loos, ziehe zu mir in das Haus, das ich uns gebaut habe.“ Das Schicksal theilt seine Gaben verschieden aus. Manchen ebnet es die Wege mit freigebiger Hand, sie brauchen nur zuzugreifen, um Alles zu haben, was ihr Herz begehrt; Anderen weist es einen schweren Weg an, sie müssen mühsam wandern und viele Hindernisse wegräumen, ehe sie zu ihrem Ziele gelangen. Die Ersteren, welche die Welt die Glücklichen nennt, werden vielfach beneidet. Ich kenne solchen Neid nicht. Mir scheint, als hätte man weniger Freude an dem, was man so halb umsonst bekommt, als an dem, was man sich durch eigene Kraft und Mühe erwirbt. Ich meine auch, es müsse sich behaglicher in dem Hause wohnen, das man sich selbst erbaut, als in dem, das man ererbt hat. Ich meine auch, in dem Selbstbewußtsein, daß man Alles seiner eigenen Kraft, seinem eigenen Fleiße verdanke, liege eine Bedingung des wahren Glückes. Und bin ich auch in trauriger Stimmung von Dir geschieden, so bin ich doch nicht niedergedrückt, im Gegentheile fühle ich Muth und Kraft in mir, frisch an die Aufgabe meines Lebens zu gehen. Was meinen Muth und meine Kraft erhöht, ist der Gedanke, daß ich nicht für mich allein arbeite, sondern für Dich mit. Ich kann mir ja meine Zukunft nicht ohne Dich denken. Mit Dir aber erscheint sie mir im rosigsten Lichte. So laß uns denn mit vollem Vertrauen dem entgegensehen, was das Schicksal uns beschieden hat. Unser Glück liegt in uns selbst. Bewahre mir Deine Liebe und Treue, so wie ich nichts Anderes denke, als Dich; und je länger wir auf unsere Vereinigung warten müssen, desto süßer wird sie sein, haben wir sie erreicht. – Vielleicht kommt Dir der Ton meines Briefes etwas kühl und gemessen vor, vielleicht hast Du Klagen über den Schmerz der Trennung, feurige Versicherungen meiner Liebe erwartet. Allein Klagen halte ich für unmännlich, und der Versicherungen bedarfst Du nicht. Wenn Du von meiner Liebe nicht fest überzeugt bist, werden Dir auch die glühendsten Versicherungen diese Ueberzeugung nicht geben. Vielleicht ist meine Liebe darum desto echter und dauernder, je weniger sie leidenschaftlich sich äußert. Ich habe die Bemerkung gemacht, daß die aufloderndste Leidenschaft am raschesten sich abkühlte. Grüße Deine gute Mutter herzlich von mir und laß mich bald wissen, wie es Dir geht.   Mit Herz und Seele
Dein Konrad.


Amalie an Konrad.
Mein geliebter Freund!

Du hast Recht, es bedarf keiner feurigen Versicherung Deinerseits, um mich an Deine Liebe glauben zu lassen. Mein Vertrauen auf Dich ist felsenfest, und wie ich fühle, daß ich Dich nie vergessen kann, so weiß ich auch, daß Du mir treu bleiben wirst.

Ich habe die Ankunft Deines ersten Briefes recht sehnsüchtig erwartet. Obschon wir seit Monaten auf unsere Trennung vorbereitet waren, obschon wir dieselbe oft genug besprochen hatten, so traf mich der Schmerz, Dich auf so lange Zeit entbehren zu müssen, doch recht hart. Der Tag nach Deiner Abreise war ein gar trüber. Von Zeitzu Zeit tropfte eine Thräne auf meine Arbeit und oft sah ich unwillkürlich nach der Thür, als müßtest Du eintreten. Es wollte mir gar nicht zu Sinne, daß Du den ganzen Tag, ach viele, viele Tage nicht kommen würdest. Doch Du hast mir einst gesagt, daß man am besten einen Schmerz ertrüge, wenn man sich von der Nothwendigkeit desselben überzeuge, und an diesem Gedanken habe ich gesucht mich aufzurichten. Freilich wird die Zeit unserer Trennung eine recht traurige für mich sein. Dich beschäftigt und zerstreut Deine Arbeit, Deine Gedanken werden von mir abgezogen; anders ist es bei mir. Meine Arbeit gestattet mir fort und fort an Dich zu denken, und so werde ich meine Sehnsucht nach Dir selbst immer nähren. Doch bin ich nicht undankbar? Ist es nicht schon Glück an Dich denken zu können? Ja, ich will die Erinnerung an die Vergangenheit immer in mir wach rufen und mich an ihr erfreuen. Wie lebhaft steht der Auftritt vor meiner Seele, wie ich Dich kennen lernte, wie Du mir männlich zu Hülfe eiltest, als zwei halbtrunkene Menschen mich anfielen und mir Gefahr drohten, wie Du sie [530] zwangst zu fliehen und mich dann nach meiner Wohnung geleitetest. Am andern Tage kamst Du zu uns und frugst, ob mir der Schreck nicht geschadet hätte. Und als Du erfuhrst, daß mein Vater ein Freund des Deinigen gewesen, daß er, ein tüchtiger Gelehrter, zu früh gestorben und seine Wittwe und Tochter in nicht glänzenden Verhältnissen zurückgelassen hatte, daß Beide in stiller Zurückgezogenheit lebten: wie freundlich batest Du unsere Einsamkeit zuweilen durch Deinen Besuch unterbrechen zu dürfen! Mein lieber, lieber Konrad, Du warst mir, als ich Dich zuerst sah, wie ein rettender Engel erschienen, und so oft Du nun wieder kamst, begrüßte ich Dich mit derselben Freude. Warst Du doch der einzige Freund zweier einsamen Frauen, und der einzige Lichtblick in ihrem Leben waren Deine Besuche. Als ich dann merkte, daß Du öfter und öfter kamst und daß Du anfingst mich zu lieben – ach Konrad, welche Seligkeit mich damals erfüllte, kannst Du nicht glauben. Sieh, mein Freund, an diesen freundlichen Bildern ergötzte ich mich in meiner Einsamkeit und werde mich daran ergötzen, so lange wir getrennt sind, denn an sie zu denken, sie mir immer und immer wieder auszumalen, werde ich nicht müde. – Doch ich habe wohl schon zu viel geschrieben und es ist Zeit, daß ich aufhöre. Meine gute Mutter läßt Deine Grüße herzlichst erwidern.

So lebe denn wohl, mein lieber, lieber Freund, und denke zuweilen an Dein treues Mädchen
Amalie.




Konrad an Amalie.
Mein liebes, gutes, mein herziges Mädchen!
Dank, tausend Dank für Deinen lieben Brief. Ich will Dir nur gestehen, daß meine Stimmung, als ich Dir zum ersten Male von hier schrieb, eine recht gedrückte war und daß ich einen gewissen Unmuth nicht bekämpfen konnte. Dein Schreiben hat mich merkwürdig belebt. Weiß ich doch, daß Du, mein Mädchen, mir lebst und mein gedenkst in treuer Liebe und daß Deine Wünsche und Gedanken mich umschweben. Ja, mein süßes Kind, auch ich rufe mir die Bilder der Vergangenheit in’s Gedächtniß zurück und oft des Abends in stiller Stunde schlage ich mir die Gedanken an meine Rechtsfälle aus dem Kopfe und träume halb wachend von Dir. Sind es doch schöne Träume! Wie ich Dich von Tage zu Tage lieber gewann, wie ich Dich dann fragte, ob Du mich lieben könntest, und Du mit verschämten Wangen ein leises Ja antwortetest und doch gleich Dein liebes Auge aufschlugst und mich so treu anblicktest, daß ich meinte in den Himmel zu schauen! Deine gute Mutter schüttelte anfangs den Kopf und meinte: es schlüge nie gut aus, wenn ein Mädchen einen Studenten liebe, es dauere gar zu lange, ehe ein solches Verhältniß zu einem gedeihlichen Ende kommen könne, und mittlerweile gingen meistens Liebe und Treue verloren. Sie mag Recht haben, daß oft flüchtige Neigung zwei junge Leute zusammenführt, die dann nicht aushält im Kampfe des Lebens, und daß solche Verhältnisse sich öfter lösen, als bestehen. Uns aber, meine süße Amalie, führte ja keine flüchtige Neigung zusammen, nein die innigste, wahrste Liebe war es, die uns verband. Und so ist es vielleicht gut, daß wir uns trennen mußten. Wir haben eine Prüfungszeit gewonnen. Könnten wir aufhören uns zu lieben, nun, so wäre zwischen uns nur eine vorübergehende Neigung gewesen und es wäre kein Schade, wenn diese durch die Zeit sich verflüchtigte. Dauert aber unsere Liebe über die Trennung hinaus, so hat sie sich bewährt und ist uns ein sicheres Pfand unseres ganzen Lebensglücks. Sieh, mein süßes Herz, so meint es das Schicksal doch eigentlich gut mit uns. Zuweilen hat mich auch die Unzufriedenheit beschlichen, daß ich arm bin, daß mein Vermögen gerade so groß, oder richtiger gesagt, gerade so klein war, daß ich zur Noth meine Studien beendigen konnte. Zuweilen habe ich auch gewünscht reich zu sein. nur um Dich schmücken zu können mit dem, was das Leben Schönes bietet. Aber ich war undankbar. Das Geschick versagte mir irdische Güter und gab mir dagegen Dich mit Deinem schönen, edlen Herzen. Für welchen Haufen von Gold möchte ich denn Dich vertauschen? O wie lebhaft trittst Du mir jetzt vor die Seele! Ich sehe Dich leibhaftig vor mir. Da sitzest Du in Deinem Lehnstuhl, Deine Arbeit ruht Dir im Schooße, Du wendest das Auge träumerisch gen Himmel, wo eben die scheidende Sonne den Saum der Wolken vergoldet, und Dein Gedanke weilt bei mir. So ist es. so muß es sein, jetzt eben sein. – – Bis hierbei hatte ich geschrieben, als mich der Gedanke an Dich so übermannte, daß ich die Feder wegwarf und hinauslief in’s Freie. Da, beim Anblick der scheidenden Sonne, als der glühende Purpur der Wolken den Abendhimmel erfüllte, als das herrliche Farbenspiel in ruhigem Wechsel erschien, meinte ich die Zukunft vor mir zu sehen, so rosig und golden wie der Himmel, und es war mir, als grüße mich Dein liebes Auge von da oben, und ich blieb stehen und lauschte, als müsse ich Deine süße Stimme vernehmen. Dann kehrte ich langsam heim und nun schließe ich diesen Brief mit einem herzlichen „Gute Nacht“. Schlafe ruhig und träume süß. Wenn der Gott des Traumes mir günstig ist, dann träume von
Deinem treuen  
Konrad.




Konrad an Amalie.
Mein süßes Leben!

Heute sind es zwei Jahre, daß ich von Dir wegreiste, zwei Jahre, in denen ich Dich nicht geseben, den Ton Deiner Stimme nicht gehört habe. Wenn ich zurückblicke auf diese lange Zeit, so möchte ich die Frage an das Schicksal richten: warum sind diese Jahre für mein Glück verloren gewesen? Ist denn das Menschenleben so lang, daß man zwei Jahre davon ohne weiteres entbehren kann? Wie doch der Mensch so seltsam ist! Habe ich nicht früher gemeint, die lange Trennung sei ein freundliches Geschick, durch welche unsere Liebe sich stählen solle in Sehnsucht und Entbehren? So wechselt der Mensch seine Stimmungen. Eins nur wechselt nicht, unsere Liebe, Amalie. Sie trotzt der Zeit und erhält sich frisch und lebendig. Und doch beschlich mich der Unmuth, als ich nachrechnete und fand zwei Jahre Trennung. Nicht meinetwegen, Amalie, ich bin ein Mann und muß tragen und kämpfen können! Aber Deinetwegen. Dein Leben ist so einförmig, Dir spinnt sich ein Tag ab wie der andere, keine Abwechslung, keine Zerstreuung, keine Freude tritt an Dich heran. Wahrhaftig, wenn ich zuweilen eine Einladung erhalte, die ich nicht ablehnen kann, so ist mir als beginge ich ein Unrecht, daß ich einige Stunden in Gesellschaft verbringe, während ich Dich einsam zu Hause weiß. Oft habe ich mir schon vorgenommen, mich ganz zurückzuziehen, aber ich darf es nicht. Abgesehen davon, daß ich Manchen vor den Kopf stoßen würde, der mir wohl will, so hasse ich nichts so sehr, als den Schein eines Sonderlings. Aber ich kann Dir versichern, wenn ich mich der Gesellschaft auch einmal hingebe, wenn das Gespräch mich anregt und ich lebhaft Theil nehme, so fällst Du mir plötzlich ein in Deinem einsamen Stübchen und mir wird so weh um’s Herz, daß ich aufspringen und hinauslaufen möchte. Wie, wirst Du sagen, klagst Du? Ach ja, ich klage, laß mich einmal klagen. Daß mir die Trennung schmerzlich, warum soll ich es nicht gestehen? Wo ist denn geschrieben, daß man stumm und ruhig Alles ertragen müsse, daß man seinem Schmerze nicht Worte geben dürfe? Und warum soll ich Dir es verbergen, daß meine Sehnsucht nach Dir täglich größer wird und ich es kaum noch überwinde von Dir getrennt zu sein? Mir sind schon manches Mal tolle Gedanken durch den Kopf geschossen. Wegwerfen wollte ich meine Studien, eine andere Laufbahn anfangen, die mich rascher zum Ziele, zu Dir führt. Jahre lang muß man lernen und sich vorbereiten, will man dem Staate dienen, und wie spät und wie karg lohnt dieser unsere Dienste! Wird denn in der Welt nicht endlich einmal das wahre Verdienst belohnt? Denke an Dich selbst. Dein Vater war Gelehrter, der unendlich viel Gutes gewirkt hat, und wie ist er belohnt worden? Eine karge Pension schützt Dich und Deine Mutter eben vor dem Hungertode und der Fleiß Deiner Hände darf nie ermüden, soll Deine Mutter nicht die kleinen, gewohnten Bequemlichkeiten entbehren. Mein Vater war ein tüchtiger Arzt, der Trost und Hülfe an manches Krankenbett gebracht, der mancher Familie den Vater, mancher Mutter ihr Kind gerettet hat. Und was ward ihm zum Lohne? Ich, sein Sohn, habe mich kärglich durch’s Leben schlagen müssen und muß zu meinem geliebten Mädchen immer und immer wieder sagen: warte, warte, noch habe ich kein Haus, in das ich Dich führen, noch keinen Tisch, den ich für Dich decken kann. Und wenn ich dann sehen muß, wie leicht es Andern – doch es sei genug. Ich will Dich nicht ermüden mit meinen Klagen. Ach, ich knirsche mit den Zähnen, daß ich nach zwei Jahren keinen bessern Gruß für Dich habe, als: warte, warte. Deine schöne Jugendzeit verrinnt im Harren auf mich und zuletzt – –? Fast [531] möchte ich Dir sagen: gieb mich auf, wenn sich ein Anderer Dir naht, reiche ihm Deine Hand. Und doch kann ich es nicht sagen, ohne das Todesurtheil für mein eignes Lebensglück auszusprechen.

Vergieb, liebe Amalie, daß ich Dir meinen Unmuth nicht verborgen habe, aber ich mag auch diese Stimmung Dir nicht verheimlichen; Du sollst mich immer ganz kennen, wie ich bin. Lebe wohl! Ich kann mich nicht zwingen, kann in keine freundliche Stimmung kommen, besser also ich schreibe gar nichts mehr. Lebe wohl.   Mit alter Liebe
Dein Konrad.




Amalie an Konrad.
Mein lieber, lieber Freund!
Wie tief hat mich Dein letzter Brief betrübt! Konrad, mein lieber Konrad, was soll das heißen? Sind wir denn nicht nach einer Trennung von zwei Jahren dem schönen Ziele auch um zwei Jahre näher? Wußten wir denn nicht voraus, daß wir kämpfen und ringen mußten um unser Ziel? Und nun, auf halber Laufbahn sollte uns der Muth verlassen? Doch nein, das kann nicht sein. Du hast Dich einen Augenblick vom Unmuth übermannen lassen und gerade in dieser Stimmung mir geschrieben. Das ist mir aber lieb, Konrad, ich sehe, daß Du mir nichts verbirgst, und danke Dir für Deine Aufrichtigkeit. Ei, mein Freund, ich sehe ja doch, daß die Männer, selbst die besten, zu denen Du gehörst, die Geduld verlieren können. Denn weiter ist doch Dein Unmuth nichts, als ein Augenblick, wo Du ungeduldig wurdest. Wir Frauen harren besser aus. Und wenn Du sagst, daß Du hauptsächlich um meinetwillen so unmuthig wärest, so sage ich Dir offen: dazu hast Du keine Ursache. Mein Leben ist nicht so einförmig, wie Du glaubst, und freudenleer ist es gar nicht, im Gegentheil es ist voll Fest- und Feiertage. Ist denn nicht jeder Tag, wo ich einen Brief von Dir bekomme, ein Festtag? Und habe ich in den zwei Jahren nicht viele, viele solcher Festtage gehabt? Da im untersten Fache meines Nähtisches liegt eine recht ansehnliche Zahl von Deinen Briefen. Und jeden Tag, Morgens und Abends, lese ich einige von ihnen durch. So bringt mir jeder Tag meine Freude! Und bin ich denn so ganz einsam? Habe ich nicht meine gute Mutter? Meinst Du, es freue mich nicht für sie sorgen und vor allen Dingen mit ihr sprechen zu können? Nein, Konrad, ich sehne mich auch Dich wieder zu sehen, aber trotzdem bin ich heiter und glücklich. Kann denn eine Braut unglücklich sein, der die Zeit täglich näher rückt, wo sie mit ihrem Geliebten vereinigt werden soll? Also gräme Dich nicht, mein lieber, lieber Konrad. Mich drückt keine Sorge, kein Kummer, und der Gedanke an Dich, die Hoffnung auf Dich machen mich glücklich. Darum reiße Dich aus Deinem Unmuth heraus. Vermeide es nicht unter Freunden und Genossen fröhlich zu sein. Wenn ich Dir dann in den Sinn komme, so trinke Dein Glas aus und denke im Stillen, es sei auf mein Wohl, und wenn Du Dir dann mein Bild recht vergegenwärtigst, so wirst Du sehen, daß es freundlich lächelt und dankbar Dir zunickt. Lieber, lieber Konrad, antworte mir recht rasch und sage mir, daß solche trübe unmuthige Stunden bei Dir nur selten sind. Denn wäre das Gegentheil der Fall, so würde ich mich grämen und würde fürchten, daß die Treue, mit der Du an mir festhältst, Dir in Deinem Streben hinderlich sei. Geh, mein Freund, Du verkennst ja ganz. was Dir zukommt. Du willst mich in Dein Haus führen, das lasse ich mir gefallen. Aber Du willst auch den Tisch decken? Erlaube, lieber Freund, das ist meines Amtes und das lasse ich mir nicht nehmen. Ei, in meinen geträumten Zukunftsplänen spielt es ja die Hauptrolle, wie ich für Dich und Deine Bequemlichkeiten recht emsig sorgen kann. Nein, nein, mein Freund, den Tisch zu decken lasse ich mir nicht nehmen. Also den Kopf in die Höhe, mein Konrad. Ich habe noch viel Muth und heitere Hoffnung, Du wirst doch hinter Deinem Mädchen nicht zurückstehen wollen? Geschwind, Konrad, setze Dich hin und schreibe mir einen recht freundlichen, sonnenhellen Brief. Du machst mir dann wieder einen Festtag! Tausend Grüße meinem lieben, lieben Freunde von seiner treuen und glücklichen Braut
Amalie.




Konrad an Amalie.
Mein herrliches Mädchen!

Dein Brief hat mich tief beschämt und mich doch zugleich auf das Freudigste bewegt. Geschämt habe ich mich, daß mich mein Unmuth hinreißen konnte, Dir einen Brief voll Klagen zu schreiben und ihn auch wirklich in Deine Hände gelangen zu lassen. Ich möchte Etwas darum geben, wenn ich mich Dir nicht so schwach gezeigt hätte. Und doch ist diese Schwäche Gelegenheit geworden, nicht Dich von einer neuen Seite. aber in der ganzen Fülle Deiner Liebenswürdigkeit kennen zu lernen. Ja, meine Amalie, indem Du an Dich gar nicht denkst, indem Du Dich glücklich schilderst, nur um mich zu beruhigen, indem Du alle Entbehrungen leugnest und mich glauben machen willst, daß nie eine trübe Stimmung auf Dir laste, wie die, welche bei mir zu heftigem Unmuth ausschlug, verleugnest Du ganz Dich selbst in hingebender Liebe. Das ist echt weiblich. Und in dieser echten Weiblichkeit liegt der Vorzug, die Stärke eures Geschlechts. Die Liebe ist die Hauptaufgabe des Weibes. Das Weib ist schwach und stark in der Liebe. Die Liebe erfüllt ihr ganzes Leben. Deswegen kann das Weib eine Höhe der Vollkommenheit erreichen, die dem Manne versagt ist. Es giebt ganz vollkommene Gattinnen, Hausfrauen, Mütter.

Auch der Mann ist der stärksten Liebe fähig, allein die Liebe darf sein Leben nicht ausfüllen. Er hat noch andere Pflichten, Pflichten für das allgemeine Leben. für seinen Beruf, für die Gemeinde und den Staat. Und diesen Pflichten in ihrem vollen Umfange zu genügen, vermag der Mann nicht. Insofern sind die Frauen glücklicher. Darum auch, weil wir die Fülle eurer Liebe nicht erreichen können, bewundern wir Euch. Wir lieben Euch gewissermaßen um eurer Liebe willen. Habe Dank, mein herziges Kind, für Deinen schönen Brief oder besser für die Offenbarung Deines schönen Herzens. Du hast Recht, ich bin nicht immer so trübe und verstimmt, wie ich Dir in meinem letzten Briefe erschien. Es sind eben nur Stunden des Unmuths, die ich wieder bekämpfe, und es ist abscheulich von mir, in einer solchen Stunde an Dich geschrieben zu haben. Ich mag Dich nachträglich gar nicht um Verzeihung deshalb bitten, weil Du verziehen hast, ehe ich gebeten habe. Wenn aber jemals mich der Unmuth wieder beschleichen sollte, will ich Deinen Brief lesen und jenen dadurch verscheuchen.

So hast Du mir ein treffliches Mittel gegeben, mir meine Heiterkeit zu bewahren. Dank, tausend Dank, meine Amalie. Und nun lebe wohl für heute. Ich bin so überhäuft mit Arbeiten, daß ich die Nächte zu Hülfe nehmen, meine liebste Beschäftigung abkürzen muß, die, an Dich zu schreiben. Lebe wohl. Der Gedanke, daß Du einen Menschen mit Deiner schönen Liebe unendlich glücklich machst, möge Dich stärken in Deiner Einsamkeit.
Dein glücklicher Konrad.


Konrad an Amalie.
Mein süßes Herz!
Eine gute Nachricht sollen Dir diese Zeilen bringen. Ich habe mein drittes Examen gemacht und habe es glänzend bestanden. Sie hatten mir es schwer machen wollen und haben mich auf allerlei Proben gestellt, aber ich war überall sattelfest. Meine Collegen wünschen mir Glück, und der Präsident hat mir schmeichelhafte Worte gesagt. Ich freue mich über Alles Deinetwegen. Es kommt mir vor, als sei ich jetzt erst Deiner ganz würdig geworden. Siehst Du, meine Taube, daß Ihr besser daran seid, als wir Männer? Ihr braucht nichts, als zu lieben, und damit seid Ihr würdig zur höchsten Stufe, die eine Frau erreichen kann. Wir aber müssen Jahre lang arbeiten und ungeheuer viel lernen, ehe wir sowohl dem Staate würdig erscheinen, als auch einer Frau würdig werden. Nun, süßes Kind, vergieb, daß ich abbreche, Zwei meiner Genossen sitzen bei mir, um mich zu dem Schmause abzuholen, der bei solchen Gelegenheiten üblich ist. Ich wollte aber nicht warten, Dir die Nachricht mitzutheilen, bis ich morgen vielleicht Kopfschmerzen habe, und so mache sich denn dieses Blatt schon heute auf die Reise und bringe die herzlichsten, glühendsten Grüße meinem lieben Bräutchen.
Dein treuer Konrad.




Amalie an Konrad.
Mein theurer, theurer Freund!

Heute fühle ich recht schmerzlich, daß ich nicht bei Dir sein darf, nur um meiner Freude einen recht warmen Ausdruck geben zu können. Ach, das Schreiben drückt ja so wenig aus, was man fühlt, was man denkt, was man sagen will. Die Freudenthräne im Auge, das glückliche [532] Lächeln, den hellen, fröhlichen Ton der Stimme kann man ja nicht zu Papiere bringen. Meinen herzlichsten Glückwunsch, Konrad! Ach, lieber Freund, mir bist Du durch Dein Examen nicht um ein Haar lieber geworden, ich ehrte und schätzte Dich schon vorher eben so hoch. Aber um der Welt willen freut es mich doch unendlich. Ich glaube, man kann ein braver und tüchtiger Mann sein, selbst wenn man kein drittes Examen zu bestehen vermag, aber es ist doch schön, daß Du es so glänzend bestanden hast. Ach, ich besinne mich noch recht wohl, daß mein guter Vater davon sprach, wie schwer jetzt den jungen Leuten das Examen gemacht würde. Warum ist denn das nur, Konrad? Ist denn eine so fürchterliche Menge von Kenntnissen nothwendig, daß man ein guter Staatsbeamter oder Richter sein kann? Ich sollte doch denken, daß Redlichkeit, Unparteilichkeit, Menschenkenntniß und Scharfblick die nothwendigsten Eigenschaften für einen Beamten seien. Diese werden aber nicht gelehrt und in diesen werdet ihr auch nicht examinirt. Mein Gott, was schreibe ich da! Ich weiß auch wirklich nicht, sind das meine Gedanken, oder ist mir das so aus den Gesprächen meines Vaters sitzen geblieben? Ich komme auch nur darauf, weil Du mich dauerst, daß Du so fürchterlich hast studiren müssen, selbst die Nächte hindurch. Daher kommt es, daß so viele junge Leute mit Brillen gehen, weil sie sich die Augen verdorben, und daß sie engbrüstig werden, weil sie zu viel sitzen müssen. Du darfst jetzt nicht mehr so viel studiren und künftig – – – das wird sich finden. Ich glaube, ich schreibe in meiner Freude lauter dummes Zeug, darum ist es wohl besser, ich höre auf. Ich hoffe, Du hast Dir bei Deinem Schmause ein kleines Räuschchen getrunken, weil Du in Gedanken oft auf mein Wohl angestoßen hast. Dein Räuschchen hat auch bis hierher auf mich gewirkt, denn ich bin auch ein wenig trunken vor Freude! So lebe wohl, mein liebster Freund, – ich hoffe, Du wirst nun, wenn Du Dich nicht mehr mit Justinian und den andern alten Knasterbärten abzugeben hast, wieder Zeit bekommen, recht viel zu denken an

Dein Dich liebendes Mädchen   Amalie.




Konrad an Amalie.
Mein theures, geliebtes Mädchen!

Hast Du nach dem Poststempel gesehen, als Du diesen Brief eröffnetest? Schwerlich, denn als Du meine Handschrift erkanntest, genügte es Dir, zu wissen, der Brief sei von mir. Nun, sieh jetzt nach, woher der Brief kommt. Aus Heinrichshausen! Schwerlich werden Deine geographischen Kenntnisse so weit gehen, daß Du weißt, wo Heinrichshausen liegt. Und doch wird dieser Ort Dir von Wichtigkeit, denn er wird Dein künftiger Wohnort sein. Du lässest hier den Brief sinken – Du erschrickst – freudig – Du rufst: „Mutter, höre!“ Ich sehe das Alles vor mir. Nur rasch, Amalie, gieb Dich an das Einpacken, Du mußt kommen, bald kommen, sobald als möglich. „Aber wenn er nur ordentlich erzählte,“ denkst Du bei Dir, „daß ich ihn begriffe.“ Gut, mein Herz, ich will mir Mühe geben, ordentlich, der Reihe nach zu erzählen. Wo fange ich aber an? Richtig! Nach meinem glänzenden Examen hoffte ich auf eine baldige Anstellung – und doch verging Monat auf Monat, ehe davon die Rede war. Du wirst aus meinen Briefen in der Zeit hier und da eine Bitterkeit herausgelesen haben, die ich eben nicht unterdrücken konnte. Bei alledem wurden mir viele und just die schwierigsten Arbeiten zugetheilt. Da stieg in mir der Verdacht auf, daß man in mir den guten Arbeiter schätze und mich so lange als möglich in meiner jetzigen Stellung lassen wolle, die mir nichts oder wenig einbringt. Ich entschloß mich kurz, ging zum Präsidenten und sagte ihnm geradezu meine Meinung. Der Präsident sah mich an und lachte, indem er erwiderte: „Sie haben Recht, daß ich Sie gern hier behielte, und wer weiß, wie bald ich Sie wieder an uns fesseln werde. Aber mit dem Verdacht, daß ich Ihre Beförderung aus eigensüchtigen Gründen hindere, thun Sie mir Unrecht. Hier der Beweis. Dieses eben eingelaufene Schreiben vom Ministerium ernennt Sie zum Kreisrichter in Heinrichshausen.“ Ich war wie aus den Wolken gefallen und sah den Präsidenten etwas verdutzt an. Dieser reichte mir die Hand und sagte: „Meinen besten Glückwunsch! Ihre neue Stellung ist ehrenvoll, weil sie wichtig ist. Der letzte Kreisrichter, der vor kurzem in Ruhestand versetzt wurde, war ein alter Mann, der ohne eigentliche Thatkraft in dem Gerichtswesen des ganzen Kreises einen gewissen Schlendrian hat einreißen lassen. Das Ministerium glaubt in Ihnen den Mann gefunden zu haben, der mit sicherm Blick alle Mängel erkennen und beseitigen wird. Aber ich kann Ihnen keinen Augenblick Zeit gönnen. Sie müssen auf der Stelle, das heißt, mit dem nächsten Eisenbahnzuge, abreisen. Gleichzeitig mit dem Ministerialschreiben erhalte ich die Anzeige, daß in Heinrichshausen ein schweres Verbrechen begangen worden ist, dessen Untersuchung die untergeordneten Beamten nicht zu führen verstehen. Eben, als Sie mir gemeldet wurden, wollte ich zu Ihnen schicken, Sie müssen augenblicklich fort.“ Ich war wie im Traume, ich wußte nicht, was ich sagen sollte, ja, ich glaube, der Präsident hat mich förmlich hinausgeworfen, damit ich fort kam. Ich hatte eben auch nur so viel Zeit, das Nöthigste in den Koffer zu werfen und meinem Wirth meine übrigen Sachen zu übergeben, daß er sie mir nachschicke. So saß ich plötzlich im Eisenbahnwagen und kam da erst recht zur Besinnung. Eine Stunde früher noch voll Unmuth und Bitterkeit, und jetzt am Ziele meiner Wünsche. Nach langem, oft schwerem Harren kann ich Dir sagen: „Komm, Amalie, jetzt habe ich ein Haus für Dich.“ Und was für ein Haus, mein Liebchen! Laß mich nur weiter erzählen! Ich kam in Heinrichshausen an und die Untersuchung des Verbrechens nahm mich sogleich dermaßen in Anspruch, daß ich zwei Tage lang keinen ruhigen Augenblick gewinnen konnte, Dir zu schreiben. Denn ich wollte Dir ja Alles ausführlich berichten, mir konnten einige flüchtig hingeworfene Worte nicht genügen. Höre weiter. Meine Stelle ist gut und wird uns für die ersten Jahre ein anständiges Auskommen verschaffen, und daß ich später weiter kommen werde, verbürgt mir das Versprechen des Präsidenten. So komm denn, Du treues Lieb, die Du so lange fest an mir gehalten, komm, sei mein Weib, mache mich glücklich und sei selbst glücklich, indem Du der Segensengel meines Lebens bist. Ich denke, es soll Dir hier gefallen. Heinrichshausen liegt in einer reizenden Gegend. Die Stadt ist nicht übergroß, aber so viel ich bemerken konnte, sind die Bewohner gute, gebildete Menschen, mit denen sich schon wird leben lassen. Ich habe eine Amtswohnung, viel zu groß für uns im Anfange, mit schönen, großen Räumen, mit hübschem Garten und herrlicher Aussicht auf den Fluß und das Gebirge. Nun komm und verleihe dieser Wohnung ihren eigentlichen Schmuck. Für Deine gute Mutter ist ein Zimmer da, wie sie es liebt, still, sonnig, die Fenster mit Weinlaub bewachsen. Nur zögere nicht, Gieb Dich an das Packen Deines Hausraths, den Du mitbringen willst; was fehlt, ergänzen wir hier. Dann schreibe mir, wenn Du fertig bist, und ich komme und hole Dich ab. Unterwegs soll uns mein alter Universitätsfreund in Friedrichsdorf trauen, das mache ich Alles ab. Aber beeile Dich, denn jetzt, wo die Erfüllung meiner Wünsche so nahe, steigt meine Ungeduld zum Fieberhaften. Welch ein Wiedersehen! Oft, oft habe ich daran gedacht, nun es mir aber so nahe gerückt ist, strahlt mir der Augenblick in hellster Herrlichkeit entgegen, daß ich es kaum erwarten kann. Ich mag auch nicht mehr schreiben, denn mir kommt es vor, als verzögere ich durch jede Minute des Schreibens den Augenblick des Wiedersehens. Lebe wohl. mein süßes, süßes, süßes Mädchen, bald mein herziges, liebliches Weib!

Dein überglücklicher Konrad.



  1. Mit ausdrücklicher Genehmigung des Verfassers dessen so eben erschienenem „Briefsteller für Liebende“ entnommen, einer Sammlung ganz allerliebster Novelletten in Briefform.
    D. Red.