Stunden der Andacht/Eine Legende

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« Hagbaha Stunden der Andacht Dank für die Genesung »
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[139]
Eine Legende,
aus dem Menorath Hamaor, zur Erbauung, am Versöhnungstage, zur Zeit des Mussaphgebetes.[1]

Ueber Juda war gekommen eine Zeit der Noth und Schmach,
Salomonis heil’ger Tempel tief in Schutt und Asche lag,
Reich an Trümmern, leer an Menschen, lag Jerusalem zerstört,
Doch die Glaubenstreue hatte nicht im Volke aufgehört.

Da begann der Heidenkaiser eines Tags mit wildem Spott:
„Will doch sehen, ob sie halten fest an ihrem alten Gott;
Bringt mir her die fromme Mutter, die, wie jüngst man mir gesagt,
Lebt mit ihren sieben Söhnen, gläubig, fromm und unverzagt!” –

Und die fromme Mutter führen sie, gleich einer Sünderin,
Ist Geleite ihrer Söhne vor den Thron des Kaisers hin,
Und er spricht zum ält’sten Sohne: „Siehst du jene Erzgestalt?
Das ist meines Gottes Bildniß, beuge dich vor ihm alsbald!”

Doch es gibt zur Antwort Jener: „Unsre heil’ge Schrift gebeut:
„Ich der Herr, ich bin dein Gott, der aus Egypten dich befreit,
Keinen andern Göttern sollst du weihen im Gebete dich,
Keinem Götzenbild dich beugen, denn dein Gott allein bin ich!“[2]

Also sprechend ward der Jüngling weggeführt zu Qual und Tod,
Und der Herrscher d’rauf dem Zweiten: „Opfre diesem Gott!” gebot;
Doch der sprach: „Wer andern Göttern dienet als dem Herrn allein
Soll vertilgt mit seiner Sünde von dem Erdenrunde sein.”[3]

Tödten ließ auch ihn der Kaiser und befahl mit kaltem Hohn:
”Kniee zum Gebete nieder nun du dritter frommer Sohn!”
„Im Gesetz,” erwiedert dieser, „steht – wie du auch zornig bist:
„Höre Israel, der Ew’ge, unser Gott, der einz’ge ist!”[4]

[140]

Wenig Augenblicke später fiel er durch des Henkers Schwert,
Und vom vierten Bruder Jener nun den Götzendienst begehrt,
Doch es spricht der Jüngling gläubig: „Ehre nur dem Herrn gebührt,
Ihn nur bet’ ich an, der gnädig aus der Knechtschaft uns geführt.”[5]

Also sprach er, fest umschlungen von des nächsten Bruders Arm,
Und so litten Beide freudig bald des Martertodes Harm.
Jetzt gebot dem sechsten Sohne auch der Kaiser grausig wild:
„Zögre nicht und wirf dich nieder hier vor meines Gottes Bild!”

Ruhig doch entgegnet Jener: „Lieben soll ich immerdar
Meinen Gott von ganzer Seele, ihn den Herrn nur treu und wahr.”[6]
Kaum verhallten seine Worte, da auch strömte hin sein Blut,
Als ein neues Opfer blinder, gräßlicher Tyrannenwuth.

Und den letzten Sohn der Mutter rief der Kaiser zu sich hin,
Ihn, den Jüngsten, einen Knaben, der mit kindlich reinem Sinn
In des Herrschers finst’res Auge blickte ohne Furcht und Scheu,
Jugendfrische in dem Antlitz, in dem Herzen Lieb’ und Treu’.

„Lieber Knabe!” sprach der Kaiser mit verstellter Freundlichkeit,
„Du gewiß bist vor dem Bildniß dich zu neigen wohl bereit!”
„In der Schrift,” so rief der Knabe, steht: „Erkennt und glaubt die Lehr’:
Gott im Himmel und auf Erden ist der Herr, und keiner mehr.”[7]

Und der Kaiser bittet hastig: „Sieh, vom Finger werf’ ich hier
Diesen gold’nen Ring zu Boden, nimm’ ihn auf und bring’ ihn mir,
Daß, wenn du nach ihm dich bückest, doch das Volk sei überzeugt,
Hättest mein Gebot erfüllet, dich vor meinem Gott gebeugt!”

Da beginnt das Kind zu weinen, und zum Herrscher drauf es spricht:
„Wie? du scheust dich vor den Menschen und ich sollte doch mich nicht
Fürchten selbst vor Gott, dem König aller Kön’ge, der die Welt
Einst erschuf sammt allen Wesen, dessen Allmacht sie erhält?”

Zornentbrannt befiehlt der Kaiser: „Schlagt ihn an den Pfahl geschwind!”
Doch die Mutter küßt noch einmal brünstig ihr geliebtes Kind,
Läßt noch einmal ihn, den Knaben, in den Mutterarmen ruh’n,
Und von ihren Lippen tönen schmerzerfüllt die Worte nun:

[141]

„Liebe Kinder, wenn ihr droben Vater Abraham geschaut,
Saget ihm, er habe einen Altar für den Sohn gebaut;
Doch ich hätte der Altäre sieben aufgerichtet heut’,
Hätte meine sieben Söhne d’rauf dem Opfertod geweiht.”

„Schwer geprüft von meinem Gotte, hab’ ich doch das tiefe Weh
Seiner Prüfung fest bestanden, Preis und Lob ihm in der Höh’!”
Und die Mutter schwieg, da rissen grausam sie das Kind ihr fort,
Und bald unterlagen Beide, Kind und Mutter schnödem Mord. –

Düstern Grimmes saß der Wüth’rich, als sein Henker es vollbracht,
War doch unbesiegt geblieben echter Glaubenstreue Macht.
Da ertönte eine Stimme aus des Himmels Höh’ herab:
„Ihrer ist das ewige Leben nach der dunklen Erde Grab!”


  1. Von L. Liber.
  2. 2. B. M. 20, 2–5.
  3. 2. B. M. 22, 19.
  4. 5. B. M. 6, 14.
  5. 5. B. M. 4, 39.
  6. 5. B. M. 5, 6.
  7. 5. B. M. 4, 89.