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Sylvesterträumen

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Textdaten
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Autor: Victor Blüthgen
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Titel: Sylvesterträumen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 52, S. 885
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[885]

Sylvesterträumen.

Die zwölfte Stunde! Sie jubeln und schrei’n,
Und ich bin einsam und allein
Und denke vergangener Tage.
Die Jahre wechseln, mein Leben dorrt —
Das alte Bangen nimmt keins mit fort,
Das ich im Herzen trage.

Es ist noch die alte Stube genau;
Und in der Stube die alte Frau,
Die lebte zwölf Monde weiter.
Und er schon drüben, und ich noch hier —
Wann reichst du wieder die Hände mir,
Mein alter treuer Begleiter?

Ich lebe gern; mich freut die Welt,
Die Sonne, die mir den Tag erhellt,
Schneeflocken und Lenzerwachen;
Manch gutes Auge in mein’s wohl blickt —
Daß ich die deinen dir zugedrückt,
Dämpft ewiglich Lust und Lachen.

Sie merken’s der alten Frau nicht an,
Wie die so gar nicht vergessen kann,
Und was sie treibt in Gedanken:
Ich bin wie der ruhelos suchende Wind,
Im Straßenlärm ein irrend Kind,
Wie Wein, der nicht kann ranken.

Ein neues Lahr — und Glockengeläut —
Und was sich liebt, sitzt beisammen heut
Und feiert sein Glück, das große.
Mir wiegen die Glocken mein Herzeleid,
Sie schwingen wie einst in schwerer Zeit —
Ich halte dein Bild im Schoße.

Und was der alte Kasten da faßt,
Die Locke grau und die Briefe verblaßt,
Das haucht dein Leben lebendig;
Und die Züge da grüßen mich herzvertraut –
Viel klarer mein feuchtes Auge schaut
Deine letzten Blicke beständig.

So will ich sitzen und denken dein,
Von allen fern — doch nicht allein.
Ich will dich fassen und halten,
Will fühlen, wie mich dein Hauch umweht
Und wie durch die arme Seele geht
Der ewigen Liebe Walten.
 Victor Blüthgen.