Tagebuch 1841 1
Die Franzosen sind ein Weinvolk, und es ist oft die Bemerkung gemacht worden, daß ihr Charakter viel Aehnlichkeit mit ihren Trauben hat. Im September, wo dem Weinstock die volle Gluth in den Kopf steigt, da steigt auch den Anwohnern der Seine das Blut zu Kopfe, und man kann die Bemerkung machen, daß der September seit mehren Jahren ein Erndtemonat der Unruhen, und der Wonnemonat der Emeuten gewesen ist. War der September des vorigen Jahres ruhiger, als der diesjährige? Man erinnere sich, daß die Arbeiter sich zusammenrotteten, um eine Erhöhung ihres Lohns zu fordern, ihre Herrn verließen, die Straßen durchstreiften, und von der bewaffneten Macht auseinander getrieben werden mußten. Und doch regierte damals Herr Thiers, der große Volksmann, der Schnellsegler und Tausendsappermenter! Warum soll Herr Guizot nicht auch das Recht haben, daß man unter seinem Regiment die Fenster einschlägt, das Straßenpflaster aufreißt und die Marseillaise singt? – Der ganze Spektakel, den das Journalecho noch verzehnfacht, ist bei weitem mehr lärmhafter, als ernster Natur. Herbstfeuerwerk, bei dem man in die Luft schießt, ohne treffen zu wollen. Es ist viel unnützes Pulver in diesem Monate verschossen worden; die Götter haben das jugendliche Haupt des Herzogs von Aumale beschützt, und die Hüfte Heinrich Heine’s ist nur leicht von der Kugel gestreift worden. Der junge Prinz wird als der talentvollste unter den Söhnen Louis Philipps bezeichnet. Im Charakter gleicht er seinem ältesten Bruder; er soll die deutsche Sprache ziemlich gut verstehen, wie dieß bei allen seinen Geschwistern mehr oder weniger der Fall ist. Unter allen Königen, die auf dem französischen Throne saßen, ist Louis Philipp der erste, der Deutsch versteht, und die Kenntniß desselben seinen Kindern zur Aufgabe macht. Vielleicht liegt hierin ein Wink für die Zukunft, ein Fingerzeig für den Beruf der Dynastie, der deutschen Nation gegenüber.
Mehrere Drucker, Succursalisten benannt, hatten seit lange ihre Pressen und Werkzeuge zu den patentirten und beeidigten Druckern gebracht, bei denen sie ihr Geschäft ungestört betrieben. Die Behörde hat Untersuchungen gegen dieses Verfahren eingeleitet, das sowohl dem Buchstaben, als dem Geiste des Gesetzes zuwiderläuft. In Folge eines Spruches, vom Monat Mai, sind die Succursalisten ein jeder zu 6 Monate Gefängniß, und einer Geldstrafe von 10,000 Franken verurtheilt; die patentirten Drucker, die ihren Namen dazu hergegeben haben, haben jeder 500 Franken Strafe zu erlegen. Das Journal des Debats hat jedoch unlängst den Spruch des königlichen Gerichtshofes mitgetheilt, nach welchem jenes Urtheil für ungültig erklärt, und die Wiederauslieferung der Lettern, Pressen und der übrigen, mit Beschlag belegten Werkzeuge, befohlen wird.
Die Eröffnung des italienischen Theaters fand dieser Tage statt. Der Saal ist aufs prächtigste decorirt worden. Man hat die Sorge für die Bequemlichkeit so weit getrieben, daß man unter den Sperrsitzen kleine kupferne Zirkel angebracht hat, wo die Herrn ihre Hüte hinein stellen können, so daß man jetzt nicht mehr genöthigt sein wird, seine Kopfbedeckung den ganzen Abend über in Händen zu halten.
Heinrich Heine hat sich dieser Tage mit seiner bisherigen Lebensgefährtin kirchlich und gesetzlich verlobt. Madame Heine ist eine behagliche Brünette, mit hübschen Augen; ohne sonst besondern Anspruch auf Schönheit machen zu können, hat sie doch jenen freundlichen, wir möchten sagen, dauerhaften Reiz, den die Französinnen bis zu ihrem Alter conscrviren. Leider versteht sie nicht eine Sylbe deutsch, und der Dichter des Buchs der Lieder bleibt mit seinen Prodnctionen auf sich allein verwiesen, und jener wohlthuende Einfluß, den eine Frau, eine geliebte Freundin, bei solchen Gelegenheiten ausübt, ist ihm geraubt. Hierin liegt vielleicht auch der Schlüssel zu den mannigfachen Fehl- und Uebergriffen, die man den schönsten Büchern Heine’s vorzuwerfen hat, jene Grausamkeiten, welche ihm so viele Feinde zugezogen. Heine, der Poet, hat keine Seele, der er sich mittheilen kaun, keine Seele, die ihn versteht, und die in bittern Augenblicken seinen Ausdruck mildert, seinen Zorn zur Besinnung ruft. Daher bleiben in seinen Büchern alle jene extravaganten Stellen stehen, zu welchen ein überwiegender Witz und eine größere Aufgeregtheit im Momente des Erzeugens führen, die aber, beim Ueberlesen, auf den Rath eines Freundes, einer Frau etc., gewöhnlich wieder verschwinden. Solche Freundeskritik fehlt Heine. In dem weiten, menschenvollen Paris steht der, trotz allen Fehlern, doch so herrliche Dichter allein.
Die letzten Tage des vorigen Monats waren sehr aufgeregt. Die Septemberfeste und ihre Nachklänge füllten die Woche. Die Septemberfeste sind für Brüssel mehr, als die Julifeste für Paris, man meint es hier ehrlicher damit. Zudem ist Belgien ein von Eisenbahnen durchzogenes Land; der ganze Extract der Bevölkerung der einzelnen Provinzen, Städte und Communen, fließt an solchen Tagen nach der Hauptstadt, und diese wird die wahre Repräsentation des Landes. Der Zudrang der Fremden war ungeheuer.
Uns kam bei dieser Gelegenheit die Idee, welche veränderte Gestalt die Gesellschaft in wenigen Jahren erhalten wird, wenn die Eisenbahnen Europa nach allen Seiten durchziehen. Man denke sich dann ein Fest, wobei die ganze civilisirte Welt betheiligt ist, ein Gutenbergsfest zum Beispiel! Da strömen nicht mehr Tausende herbei, da kommen Millionen gezogen. Werden dann die staatlichen Grenzen noch so tiefe Schnitte machen können? Werden die Schlagbäume dann noch immer stark genug sein, Völker von Völkern zu trennen, wenn diese in Massen einander zu eilen?
Die Anstalten zur Feier der Septemberfeste waren glänzender, als je: Zu den Volksspielen, Illuminationen, Pferderennen u. s. w., gesellte sich noch die Eröffnung einer neuen Eisenbahnlinie, der Wettstreit aller, vom Staate unterhaltenen, Atheneen und Stadtschulen, die Begründung einer neuen medizinischen Akademie in Brüssel, und vor Allem das merkwürdige Wettsingen, und die Preisevertheilung unter die verschiedenen Harmoniegesellschaften und Liedertafeln des Landes. Man zählt in den 9 belgischen Provinzen nicht weniger als 310 Musikvereine; fast jede Stadt und Commune hat eine solche Gesellschaft. An der Spitze dieser Vereine steht der der Hauptstadt, der nach dem Namen des berühmtesten Nationalcomponisten: Die Gesellschaft Gretry, sich benennt. Diese Gesellschaft hat nun eine Einladung an alle übrigen ergehen lassen, zu einem Wettspiel in der Hauptstadt sich einzufinden. So zogen denn am bestimmten Tage über vierzig Dilettanten-Vereine, aus allen Theilen des Landes, durch die Thore von Brüssel. Jede dieser Gesellschaften, die gewöhnlich aus den honorigsten Bürgern besteht, hatte ihre Fahne an der Spitze, und die meisten waren in ein besonderes Costüm gekleidet. Auch zwei deutsche Musikvereine: die Concordia-Gesellschaft, und die Liedertafel in Aachen, hatten sich eingestellt. Nachdem die Instrumentalmusiken durch zwei Tage, in einem eigens dazu erbauten Kiosk, öffentlich concurirt hatten, begann am Sonntag der Wettstreit der Singgesellschaften, in den ungeheuren Räumen der ehemaligen Augustinerkirche. Der Menschenandrang war zahllos, der König und die Königin in ihrer Mitte. Die Chöre der Flamänder waren, ihrer schönen Stimmen, und ihrer trefflichen Harmonie willen, wahrhaft bewundernswerth. Namentlich die Brügger, denen auch der erste Preis gewissermaaßen sicher war. Da begann die Aachner Liedertafel Arndts Lied: „Was ist des Deutschen Vaterland“ anzustimmen. Eine Todtenstille verbreitete sich plötzlich im Saale, um einem einstimmigen Jauchzen zu weichen, das sich durch den ganzen Saal verbreitete, als der Gesang zu Ende war. Wir haben keine Worte, um die allgemeine Begeisterung zu schildern, welche die deutschen Sänger erregten, um so mehr, als diejenigen, die nicht anwesend waren, uns leicht einer landsmännischen Partheilichkeit zeihen könnten. Genug, der erste Preis wurde unter einstimmigem Jubel der Aachner Liedertafel zuerkannt. Wir werden auf dieses merkwürdige Fest zurückkommen.
Den Freunden der wohlfeilen Bücher, die ihren Heißhunger nach französischer Literatur durch die Brüsseler Nachdrucke für ein billiges Geld bisher befriedigt haben, drohte eine große Gefahr. Wenn die in Frage stehende Zollvereinigung zwischen Belgien und Frankreich wirklich sich realisirt hätte, wäre das ganze belgische Nachdruckergeschäft mit einem Schlage aufgehoben. Die Brüsseler Nachdrucke haben bisher mehre Millionen Franken jährlich in Circulation gebracht und von dieser Seite ist die Frage von Wichtigkeit für das Land. Nicht nur die Buchhändler, sondern auch die großen Druckereien, Papierfabrikationen, Schriftgießereien, lithographische Anstalten und Buchbindereien mit vielen Tausend Arbeitern sind bei dieser Catastrophe betheiligt. Es versteht sich von selbst, daß die Betheiligten nicht die Hände müßig in den Schooß legten und keine Mühe scheuten, um die Gefahr abzuwenden. In den letzten Tagen fanden mehre große Zusammenkünfte statt. Buchhändler, Drucker und Papierfabrikanten vereinigten sich und organisirten eine Ausschußcommission, die aus den bekannten beiden Buchhändlern Haumann und Cans und aus dem reichen Papierfabrikanten Henessy besteht. Ein Memoire wurde dem Minister des Innern übergeben, um die großen Nachtheile und die plötzliche Brodlosigkeit, die für Viele durch die Aufhebung dieser Art Industrie entstehen würde, zu schildern. Herr Haumann ist dieser Tage, mit Aufträgen und Vollmachten versehen, nach Paris gereist, um an Ort und Stelle zu wirken. Man sagt die französische Regierung war geneigt die Büchervorräthe, die sich noch zur Zeit des Vertragsabschlusses vorfinden würden, aufzukaufen. Dieses wäre allerdings das beste Mittel, den fernern Nachdruck zu verhindern, denn wir erinnern uns, daß vor einigen Jahren, als der Nachdruck in Oesterreich aufgehoben wurde, der wiener Nachdrucker Lechner, der ein großes Lager nachgedruckter medicinischer Werke besaß, noch lange Zeit das Geschäft des Nachdruckens weiter trieb und nur die Vorsicht brauchte, die Jahreszahl auf dem Titel vor dem Datum des Nachdruckverbots zu datiren. Von dieser Seite, wie gesagt, hätte die französische Regierung weislich gehandelt. Aber welche ungeheure Summen müßte sie verwenden, alle diese Vorräthe aufzukaufen. Nun bringen die neuesten Nachrichten die sichere Mittheilung, daß die Verhandlungen über eine Zollverbindung sich zerschlagen haben. Die Freunde der wohlfeilen Ausgaben brauchen nun nicht zu zittern.
Zwei Arbeiter (Frederic Grandrieu, Tischlergeselle, und Louis Adolphe Gigot) sind dieser Tage in Brüssel aufgefangen und ins Staatsgefängniß geführt worden. Beide sind Franzosen. Ihr Verhör wird sehr geheim betrieben, da ihr Verbrechen im Zusammenhange mit dem Attentate auf den Herzog von Aumale steht.
Unter den deutschen Celebritätcn, welche im Laufe dieses Sommers Belgien bereisten, finden sich die Namen: Savigny, Ranke, Rau, Thiersch, Cornelius, Bendemann.
Von Delcourt, einem jungen sprachgewandten belgischen Schriftsteller, erscheint eine Uebersetzung von Göthe’s Egmont in flamändischer Sprache. Diese Uebersetzung wird wahrscheinlich auch in Deutschland Interesse erregen. Setzen wir uns in die Zeit des Egmont zurück, so müssen wir uns die größere Hälfte des Dramas in flamändischer Mundart gesprochen denken. Oranien und die Regentin sprachen gewiß also. Egmont, der Hofmann, bediente sich vielleicht des Französischen oder des Spanischen als Umgangssprache. Einen eignen Reiz aber müssen die meisterlichen Volksscenen dieser Dichtung durch die Uebertragung in den Localausdruck gewinnen.
Innerhalb vierzehn Tagen ereigneten sich auf unsern Eisenbahnen zwei gräßliche Beispiele raffinirten Selbstmords. Ein Mann warf sich der Länge nach auf die Eisenschienen, in dem Momente, wo der Wagenzug anrasselte; die gräßliche Zerschmetterung erfolgte im Augenblicke. Das Entsetzengeschrei, welches die Journale hierüber ausdrückten, hat nichts zu Folge gehabt, als daß wenige Tage darauf ein Anderer (ein Gärtnerbursche von 21 Jahren) demselben Beispiele folgte.
In einem Privatbriefe, den wir dieser Tage erhielten, lasen wir folgende Stelle: „In La Valetta speiste ich an der Tablec d’Hote. Plötzlich tönten deutsche Laute an mein Ohr, österreichischer Dialect. Ein Herr mit etwas verwittertem Gesichte, in dessen Mienen ein sonderbares Gemisch von Wohlleben und Sorgen sich ausdrückte, unterhielt sich auf gut Wienerisch von den Herrlichkeiten seiner vaterländischen Kirche. Ich erkundigte mich nach seinem Namen, und erfuhr, es sei Herr Geimüller, der gefallene Bankheld aus Wien. Herr Geimüller in Malta! Für einen maltheser Ritter hat der Mann kein Talent. Eine Niederlage von 8 Millionen Wiener Gulden ist schwerer zu verbessern, als eine verlorene Schlacht. Herr Geimüller hat von den Trümmern seines Heeres Nichts gerettet; wie man versichert, soll Rothschild, der bedeutende Summen bei dem Banquerott verlor, ihm großmüthigerweise noch 3000 Gulden Reisegeld baar geschenkt haben, um dem Gebeugten die Entfernung von dem Orte seines Unglücks möglich zu machen. Der Mann verdient dieses Mitleid nicht. Auf eine leichtsinnigere und schlechtere Manier hat selten ein Banquerott stattgefunden. Herr Geimüller hat nicht nur Depositengelder angegriffen, sondern selbst Kisten mit Silber, die ihm der schwedische Gesandte anvertraut. Seit 1830 ist Herr Geimüller ohne alles Vermögen, und doch gab er während dieser Zeit Feste, die manchmal gegen 8000 Gulden an einem Tage aufzehrten.“
Mancher unserer Leser wird sich vielleicht wundern, wenn er erfährt, daß Gervinus, der Verfasser der Geschichte der deutschen Nationalliteratur, erst 34 Jahre zählt. Er ist ein großer, hagerer Mann, von etwas finsterem Aussehen, den aber alle, die ihn näher kennen, als einen vortrefflichen Menschen schildern. Seitdem er mit seinen sechs Collegen die Göttinger Universität verließ, lebt er in Heidelberg auf einem reizenden Landhause, seinem Eigenthum, an der Seite seiner Frau, die als eine Dame von seltener Schönheit gerühmt wird.
Bei Gelegenheit der Beurtheilung eines Buches von Moritz Carierre, welche wir unlängst im Telegraphen lasen, fiel es uns auf, daß trotz des vielen Hin- und Herschreibens über Gutzkow, ein bedeutender Charakterzug seiner literarischen Individualität noch nicht beleuchtet wurde. Bei aller anscheinenden Rücksichtslosigkeit und wilder Leidenschaftlichkeit, mit welcher dieser Schriftsteller über den Gegenstand, den er angreift oder vertheidigt, sich stürzt, liegt in der Höhlung seiner Feder ein gewisser diplomatischer Geist, der ihm im Nothfalle immer eine Brücke zum Rückzuge offen läßt. Dieses tritt namentlich da hervor, wo er lobt. Im Grunde steht das Talent eines Kritikers auf einer bei weitem größern Probe da, wo er lobt, als da, wo er tadelt. Opposition machen kann jeder, der einen nur mittelmäßigen Fonds von Witz oder Bosheit hat, loben aber, motivirt loben, kann nur der feine Geist, der die Sache in ihrer genetischen Entwickelung durchdringt. Der oberflächliche Beurtheiler, wenn er heiß ist, läßt sich gewöhnlich von seinem Enthusiasmus über Stock und Stein dahinreißen, ohne Grenze und Maaß; ist er phlegmatisch, stumpf, so wirft er einige ausgetretene Phrasen hin, die auf das Hundertste, wie auf das Tausendste passen. Wenn Gutzkow lobt, packt er immer ein psychologisches Motiv. Er dringt mit einem merkwürdigen Blicke in das Individuum. Aber weit entfernt, von dem gewonnenen Gedanken sich hinreißen zu lassen, dreht er ihn von allen Seiten, und scheint sich selbst zu fragen: Gehe ich nicht zu weit? Gutzkow hat schwere Erfahrungen gemacht, und er läßt bei der Produktion niemals den Producenten aus dem Auge. Er ist mißtrauisch, sowohl gegen den Charakter, als auch gegen das Talent seiner Collegen. Werde ich dieses Lob nicht einmal zurücknehmen müssen? Werde ich nicht einmal gezwungen sein gegen den zu schreiben, für den ich jetzt schreibe? Solche Fragen scheinen unsichtbar zwischen den Zeilen sich hinzuschlängeln, und geben der Kritik ein gewisses Maaß, welches sie zu einem Kunstwerk erhebt. Es gehört eine große Selbstbeherrschung dazu, um die Klugheitsregel in Ausführung zu bringen, die da lautet: Sei mit deinen besten Freunden stets so, als könnten sie morgen deine ärgsten Feinde werden. Diese Herrschaft über sich selbst hat die Gutzkow’sche Kritik in ihren wärmsten Umarmungen. Wir kennen seit Voltaire keinen Schriftsteller, der mit noch so feinem Lobe, dennoch so wenig sich engagirt.
Lewalds Wohnhans in Baden-Baden wird von allen Reisenden als ein kleiner Feenpallast geschildert. Die reizendste Naturumgebung, die schönste Fernsicht aus allen Fenstern, und im Innern Alles was Comfort und ein sinnreicher Luxus einem modernen Epicuräer in so vollem Maaße bieten. Wo ist Gleim mit seinem Hüttchen? Die neue Literatur hat dem Strohdache Valet gesagt; Lorenz Kindlein ist eine abgespielte Komödie. Und es ist gut so. Unsere Schriftsteller haben lange genug als Krautjunker und Bettelmusikanten bei den Franzosen gegolten. Es ist Zeit, daß wir unsern Nachbarn zeigen, daß wir nicht nur zu denken, sondern auch zu leben wissen. Baden-Baden ist ein Absteigquartier für französische Reisende. Es ist recht gut, dast Lewald dort die Honneurs macht. Jules Janin soll keine Witze machen über die Wohnung eines deutschen Literaten.
Die „Europa“ hat ganz recht, den Jubel in einigen deutschen Städten über Thorwaldsen affectirt und lächerlich zu finden. Dänemark mag jubeln, weil es ihn den Seinigen nennt, und Kopenhagen seine Apostel besitzt. Deutschland hat gar nicht Ursache, über die Spätwerke, die es von Thorwaldsen’s Meißel erhielt, zu jubeln; weder Mainz, wegen der nichtssagenden Figur Guttenberg’s, noch Stuttgart, wegen der bedrückten Schulmeistergestalt, die uns den Sänger der Freiheit und der Seelengröße, den Schöpfer des Marquis Posa, und des Wallenstein, vorstellen soll. Aber Thorwaldsen arbeitete den Guttenberg, ohne Geld dafür zu[WS 1] nehmen u. s. w., und darüber sind denn freilich die Deutschen hingerissen. Bei alle dem, wenn Mainz, wenn Stuttgart ihm verbindlich sein mußten, an andern Orten war kein Grund zum Jubeln. Dergleichen kann wirklich, wie das Tabackrauchcn, ohne Bedürfniß zur Gewohnheit werden; beides geschieht aus Lust, sich zu betäuben. – Rauch hat Euren Albrecht Dürer, Euren Blücher, und, die wenigstens für Preußen gültigen, Scharnhorst und Bülow, gemeißelt. Diese Gestalten auf deutschem Boden sind bei weitem deutscher, edler und genialer gefaßt, als Thorwaldsen’s Bildsäulen. – (Zeit. für d. eleg. Welt.)
Das neue Drama „Monaldeschi“, das auf eine etwas geheimnißvolle Weise, ohne Namensnennung des Verfassers, bei mehren großen deutschen Bühnen eingereicht worden, ist schon von vorn herein ein Gegenstand vielen Hin- und Hersprechens. In Wien und Berlin wurde es der Intendanz vom Fürsten Pückler zugesendet; in Stuttgart, Dresden und andern Orts, wurde es von Heinrich Laube eingereicht. Fast alle Journale nennen Laube als Verfasser desselben. Ein Brief, den wir vor wenigen Tagen von werther Hand erhielten, leitet uns jedoch auf eine andere Spur. Einige Winke bringen uns auf den Gedanken, daß zwei Verfasser die Hand (eine fürstliche?) im Spiele haben. Bei näherer Betrachtung scheint dieses nicht unwahrscheinlich. Das fünfactige Trauerspiel ist zur Hälfte in Versen, zur Hälfte in Prosa geschrieben. Wir haben das Manuscript vor Augen gehabt und eine gewisse Doppelgängerei darin gefunden. Die meisten Scenen voll blitzender Gedanken, voll origineller, bis zur Genialität reichender Charakteristik, in den andern Scenen dagegen, Salonparfüm, Lustspielfirniß, Tutti-Frutti-Witz. Die eine Scene ergreifend, pulsirend, keck bis zum Uebermaaße, in der andern diplomatische Sammetpfötchen, leises Dahinschleichen, verschwimmend, effectlos. Der Uebergang Christinens zur katholischen Kirche gehört namentlich zu der letzten Gattung. Er ist so schwach angedeutet, daß er ohne Einfluß auf die Charakteristik bleibt, während er doch wieder stark genug ist, um dem Stücke den Zugang zu den meisten Bühnen zu versperren. So viel wir wissen, ist leider Stuttgart bisher die einzige Bühne, die es zur Aufführung angenommen. Ehre der Stuttgarter Censur, die nicht kleinlich mäkelt; Ehre der Bühnenleitung, die vor einer scheinbaren dramatischen Unmöglichkeit nicht zurückschreckt. Man hat dieser, bei vielen Schwächen immerhin ausgezeichneten, höchst interessanten Composition voreilig alle Bühnenwirkung abgesprochen. Wir sind vom Gegentheile überzeugt. Es sind einige Scenen in dem Stücke, die verlöschen und effectlos verpuffen werden, aber es ist des Schönen und Ergreifenden mehr als genug darin, um eine gebildete Masse in Erregung zu bringen.
Graf Leutrum, der bisherige Intendant des Theaters, hat seine Entlassung erhalten. Man soll den Todten nichts Böses nachsagen, aber ein Exemplar, wie der Exintendant, ist selten zu finden. Graf Leutrum ist derselbe Mann, der, als einst Immermann in Stuttgart einige Tage verweilte, und Jemand ihm die Nachricht brachte, Immermann sei da, darauf antwortete: Verhüten Sie, daß er mich besucht, ich kann ihn nicht auftreten lassen, alle Gastspiele sind schon vergeben. Der edle Graf glaubte, Immermann sei ein reisender Schauspieler. Es ist in Paris kein einziges Theater, auch nicht unter den Boulevardstheatern, wo der Director Alexander Dumas, oder Edgar Quinet für einen Schauspieler nähme. Die deutschen Hofbühnen sind mit solchen Chefs stark gesegnet. Und man will dann einen Aufschwung des Theaters! Die Stuttgarter Bühne kann sich zu ihrem neuen Intendanten Glück wünschen, als solcher ist Baron Taubenheim ernannt worden: ein Mann voll Kenntnisse, Geschmack und nobler Gesinnung. Es ist dieß derselbe Baron Taubenheim, der im Laufe des vorigen Jahres, eine Reise nach Syrien (in Begleitung des Schriftsteller Hacklanders und des Doctor Bopp) gemacht hat, und der den Schiffbruch auf einem türkischen Dampfboote erlitt, dessen Beschreibung in der allgemeinen Zeitung, so vieles Aufsehen erregte. Bei dem Eifer, welchen das Stuttgarter Theater in der Aufführung neuer Stücke, von jüngern Schriftstellern, an den Tag legt, ist dieser Intendanzwechsel nicht nur für das Theater, sondern auch für die Literatur wichtig.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: zn