Thüringer Industrie

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Autor: Reinhold Sigismund
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Titel: Thüringer Industrie
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aus: Die Gartenlaube, Heft 48, 49, S. 784–785, 796–798
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[784]
Thüringer Industrie.
Von Reinhold Sigismund.
Der Medicinhandel.

Die Thüringer Medicinhändler dürften wohl den meisten unserer Leser unter dem Namen „Balsamträger“, „Olitätenträger“, oder „Königseer“ (nach dem von dem Schwarzburgischen Amte Königsee ausgestellten Reisepasse) bekannt sein, da dieselben mit ihren Arzneiwaaren früher ganz Deutschland und die angrenzenden Länder durchwanderten. Es gab wohl einen ähnlichen Industriezweig auf dem Erz- und Riesengebirge; besonders wurden Schneeberger Wurzelmänner im vorigen Jahrhundert als Concurrenten der Thüringer Balsamträger genannt. Nirgends aber hat das Verfertigen von Arzneimitteln und deren Vertrieb eine solche Ausbildung erlangt wie in Thüringen und hier ganz besonders wieder in der Oberherrschaft des Fürstenthums Schwarzburg-Rudolstadt. Wir haben uns nun die Aufgabe gestellt, auf die Geschichte dieses merkwürdigen Industriezweiges näher einzugehen.

Zu welcher Zeit unsere Balsamträger vom Thüringer Walde zuerst in die Welt gezogen sind, ist uns unmöglich zu bestimmen gewesen. Berthold Sigismund in seiner Landeskunde des Fürstenthums Schwarzburg-Rudolstadt nimmt an, daß der Handel der Balsamträger im siebenzehnten Jahrhundert, bald nach dem dreißigjährigen Kriege entstanden sei und nennt einen aus Oberweißbach stammenden Apotheker in Breitenbach, J. M. Mylius, als den Ersten, der Arzneien durch Herumträger habe verkaufen lassen.

Indessen glauben wir einen älteren Ursprung annehmen zu dürfen. Sollte nicht der Apotheker Mylius als Oberweißbacher den hier schon herrschenden Medicinhandel erst nach Breitenbach verpflanzt haben? Auffällig ist jedenfalls, daß er in Oberweißbach in Zeiten, so weit man zurückgehen kann, in der Blüthe stand und noch steht, während er in Breitenbach nie zur Ausdehnung gelangte. Zuzugeben ist allerdings, daß der Aufschwung dieses Industriezweiges erst in die Zeit nach dem dreißigjährigen Kriege fällt. Daß es schon im sechzehnten Jahrhundert Ruß-Hütten, Pottaschesiedereien, Oefen zur Darstellung von Theer und Bergöl in diesem Districte des Thüringer Waldes gab, ist aus alten Urkunden ersichtlich. Schon frühzeitig wurde auch Wachholderbeersaft verfertigt und als nützliches Mittel weithin verkauft. Räucherungen mit Wachholderbeeren galten im Mittelalter als Schutzmittel gegen die Pest. Aus dem Samen der Tanne wurde Oel destillirt, das sogenannte Gustelöl, und als Bergöl verkauft, ebenso aus Fichtenharz. Daher wohl der Name Olitätenhändler. Da diese Stoffe in die Apotheke geliefert wurden, liegt es sehr nahe, anzunehmen, daß die Thüringer dafür Arzneiwaaren eintauschten, die sie weiter verkauften und zuletzt als anstellige Leute selbst zu verfertigen lernten.

In der ersten Zeit bestand der Haupthandel der Balsamträger in destillirten oder gebrannten Wassern aus unzähligen Pflanzen, denen man herzstärkende Kraft beilegte, und aus Branntwein, der im Mittelalter nur als Arznei gebraucht wurde. In Schweden wurden erst 1579 geistige Wasser als Heilmittel in der Pestzeit durch königliche Verordnung eingeführt. Mit der Zeit lernte man dann den Branntwein oder Spiritus über aromatische Pflanzentheile destilliren, gab ihm allerhand Zusätze und den so erzeugten bitteren oder aromatischen Liqueuren die verschiedensten Namen, wie Essentia amara, (gewöhnlich nur Senzamare), Mutterwasser, Kaiser Caroli Hauptwasser, Herz-Carfunkelwasser, Lungenwasser, Schlagwasser etc.

Der Name „Balsamträger“ wurde den Thüringer Arzneihändlern beigelegt, als die sogenannten Balsame die Hauptrolle in ihrem Medicinschatze zu spielen anfingen. Dieser Name, ursprünglich nur dem Erzeugniß einer orientalischen Pflanze, der Balsamstaude, eigen, wurde mit der Zeit auch künstlich zusammengesetzten Arzneimitteln beigelegt, anfänglich nur solchen, welche zum äußerlichen Gebrauche gegen Wunden und sonstige Schäden gebraucht wurden, nachdem Paracelsus in seiner mystischen Weise von einem Balsam gesprochen hatte, der aus den Kräften des Körpers in jeder Wunde und jedem Geschwüre abgesetzt werde und die Wunde allein heile. Solcher Balsam komme oft auch von äußeren Dingen, von Pflanzen und Bäumen her. Bringe man diesen nun auf die Wunde, so verwandle ihn die Natur in thierische Materie und veranlasse dadurch die Vernarbung. Nach dem Paracelsus hatten dann auch spätere Aerzte viel von solchen Balsamen gesprochen und dergleichen künstlich zusammengesetzt, welche die verschiedensten Namen erhielten, wie zum Beispiel Lebensbalsam, Universalbalsam, Wunderbalsam und dergleichen mehr.

Die ersten actenmäßigen Nachrichten, welche uns über diesen Gegenstand zu Gebote gestanden haben und nach denen wir dem Leser ein geschichtliches Bild dieses eigenthümlichen Geschäftes zu geben versuchen werden, stammen aus dem Jahre 1710. In diesem Jahre verlangte die schwarzburgische Regierung zu Rudolstadt wegen besserer Einrichtung des Laborantenwesens, da Unordnungen eingerissen seien, Bericht und Gutachten von dem Amte zu Königsee. Es sollen alle Laboranten genannt und ferner angegeben werden, wie eines Jeden Laboratorium eingerichtet sei, mit Aufzählung der im Gange befindlichen Fiolen, Kolben und Retorten. Es sollten Erkundigungen über eines Jeden Geschicklichkeit eingezogen werden, weil man die Geschicktesten mit einer Concession begnadigen wolle. Auch sollten Vorschläge gemacht werden, auf welche Art mehr Ordnung in das Geschäft gebracht werden könne. Aus dem Berichte des Amtes zu Königsee ersehen wir, daß schon damals in den Orten Oberweißbach, Lichtenhain, Cursdorf, Deesbach, Meura, Böhlen, Möllenbach, Rohrbach, Wittgendorf, Meuselbach, Schwarzburg, Unterhain und Burkersdorf einunddreißig Laboranten mit hundertsechsundvierzig Retorten, acht Destillatoren und dreihundertdreiundvierzig Olitätenhändler und Balsamträger sich befanden, welche durch ganz Deutschland und die angrenzenden Länder ihre Arzneiwaaren vertrieben. Wie die Laboratorien eingerichtet waren, wird uns nicht weiter bekannt gemacht. Die Laboranten werden aufgefordert, ihre Meinung über eine bessere Einrichtung des Medicinhandels abzugeben, und lassen sich folgendermaßen vernehmen:

„Es müsse ein Unterschied gemacht werden zwischen einem Laboranten, einem Destillator und einem Balsamträger, der vor sich nur einige Wasser und andere gemeine Dinge präparire und hinaustrage. Es solle nun einem Laboranten, der eine gute Experienz und Erfahrung habe, freistehen, Retorten, Kolben, Fiolen, viel oder wenig zu führen und darinnen Spiritus, Tincturen, Essenzen, Olitäten, Elixire und andere Simplicien zu machen, wie er auch eine Beschreibung, vor was es gut sei und wie zu gebrauchen, mit untergedrücktem richtigem Siegel von sich zu geben habe. Einem Destillator, der nicht mehr verstehe und zu machen wisse, als blos einige Wasser zu brennen und geringe Tincturen und Essenzen zu präpariren, dürfe nicht zugelassen sein, in Retorten, Kolben und Fiolen zu laboriren, ehe er seine Wissenschaft und Erfahrung erlangt habe.

Da nun bei Verfertigung der oleorum viel Betrug von Denen, die ohne genügsame Wissenschaft dergleichen zu machen sich unterstehen, vorkomme, so soll dies nur den Laboranten, [785] die doch nothwendig mehr Verstand davor haben, allein überlassen sein.“

Die schwarzburgische Regierung geht auf die Vorschläge der Laboranten ein und verfügt, daß aus ihnen eine Societät gemacht werde, damit eine gewisse Ordnung eintrete und Mißbräuche abgestellt würden. Als dies aber ausgeführt werden soll, ziehen sich die Laboranten zurück, weil ihre Vorschläge bei den Destillatoren und Balsamträgern Feindschaft und Erbitterung verursacht haben und sie sich als Schelme und Diebe, die den Anderen ihre Nahrung abstehlen wollten, müßten hinstellen lassen. Man solle es daher gehen lassen, wie es wolle, denn sie befürchteten Gefahr und Feindschaft. Die schwarzburgische Regierung aber befiehlt Durchführung ihrer Anordnung, und hierauf werden alle Laboranten und Balsamträger geladen, um zu schwören, daß sie sowohl beim Laboriren und Destilliren, als auch beim Hinaustragen der Waaren ehrlich und treulich sich aufführen, nicht verfälschen, noch Jemand betrügen wollen, was Alle ohne Weigerung thun. Die Balsamträger bitten darauf nur, daß nicht jeder Junge oder Knecht, der vorher die Ochsen gehütet, die Erlaubniß erhalte, mit solchen Waaren auszuziehen, wodurch der Handel in Mißkredit komme. Auch müsse den Laboranten verboten werden, an Ausländer Waaren zu geben, wogegen die Laboranten sich beschweren, daß Hans Balthasar Walther, gewesener Schullehrer zu Döschnitz, jetzt in Lichtenhain, die Geheimnisse des Laborirens um einige Kannen Bier zum Besten gebe, weshalb man denselben wieder unter die Miliz stecken möge. Es wurde hierauf verfügt, daß Keiner unter achtzehn Jahren und Keiner, der nicht schreiben und lesen könne, als Balsamträger verpflichtet werden dürfe. Die Laboranten aber dürfen an Keinen, der nicht im Amte Königsee verpflichtet ist, Waaren abgeben. Das Amt hat auch künftig Jedem, der mit Medicinwaaren Handel in das Ausland treiben will, besondere Pässe auszustellen. Von dieser Zeit an nennen sich die Medicinhändler in der Fremde „wohlgeprüfte Olitätenhändler“, doch blieb ihnen der Name „Balsamträger“. In den Nachbarorten ihrer Heimath aber, in denen dieser Industriezweig nicht betrieben wurde, nannte man sie spottweise „Ränzer“ (von dem Ranzen, in welchem sie ihre Waare trugen).

Schon um diese Zeit begann man in einigen Ländern den Medicinhandel zu erschweren, ja wohl ganz zu verbieten, so zum Beispiel im Brandenburgischen, und im Jahre 1711 schreibt man von Dresden nach Freiburg auf eine von Hans Jahn und Consorten gesuchte Concession ihrer im gräflichen Amte Königsee verfertigten Olitäten und gebrannten Wasser: daß wegen der Privilegien der Apotheker und wegen des durch die Arzneikrämer unterlaufenden vielen Betrugs an Orten, wo sich privilegirte Apotheken befinden, außer an offenen Jahrmärkten, der freie Verkauf keineswegs zu gestatten sei.

In anderen Ländern aber war der Verkauf der Medicinwaaren erlaubt und wurde so frei und öffentlich getrieben, daß Heinrich Limprecht von Cursdorf die Stadt Hof gegen Erlegung von sechs Gulden überhaupt und einem Kreuzer von jedem Gulden Einnahme förmlich pachten konnte, wogegen keinem Andern gestattet sein sollte, mit gebrannten Wassern, Olitäten und anderen dergleichen in der Stadt Hof zu hausiren. Ebenso haben Hans Camlort und Michael Ehle zu Cursdorf das Markgräfliche gepachtet und lassen keinen andern Balsamträger dorthin hausiren, wobei der Erstere gegen einen Concurrenten die Worte brauchte: „Wo willst Du hin, Du Lumpenhund? Culmbach habe ich gepachtet.“ Ebenso haben Heinrich Gutheil, sein Sohn und Eidam das ganze Amt Jena gepachtet, so daß kein Anderer dort nur ausbieten darf.

Trotz der im Jahre 1710 versuchten Reformation des Laborantenwesens und des Medicinhandels erwiesen sich doch die getroffenen Einrichtungen als unzulänglich, um weitere Verbote in den übrigen deutschen Staaten zu verhindern, denn bei einem neuen 1751 angestellten Versuche der schwarzburgischen Regierung zu Rudolstadt, die Sache zu verbessern, erfahren wir, daß im Preußischen, Hannoverschen, Holsteinischen, Kursächsischen der Handel verboten sei. Das Amt zu Königsee schiebt in einem Berichte die Hauptschuld darauf, daß die Laboranten die Sache nicht kunstgemäß zu tractiren gelernt haben, die Waaren auch noch dazu von den Olitätenhändlern gefälscht worden seien, wodurch viele Leute betrogen, ja wohl viele Menschen gar gestorben seien. Die Hauptfehler sei Ignoranz und Betrug. Die Chemie, worauf Alles ankomme, verständen viele Mediciner und Apotheker selber nicht, und Einer, der noch kein chemisches Buch gesehen, wolle einen Chemicus abgeben. Man solle Keinem das Laboriren gestatten, der nicht ordentlich gelernt und sein Examen ausgestanden habe. Die, welche laboriren wollen, sollen erst bei alten Praktikern in die Lehre gehen. Von Seiten der Balsamträger begegnen wir wieder denselben Klagen von früher. Sie schieben die Schuld des Verbotes, mit Medicinwaaren zu handeln, auf die Laboranten, welche Jungen von sechszehn bis siebenzehn Jahren Waaren geben. Diese fingen dann auch selbst an, dergleichen zu fertigen, und verkauften solche nichtswürdige Waare um lüderliches Geld.

Die Regierung erläßt hier wieder die frühere Verfügung, daß nur gewissenhafte Leute zum Austragen verpflichtet werden sollen. Die Gläser sollen von den Laboranten gleich selbst gefüllt und mit Zeichen verwahrt werden, damit kein Betrug stattfinden könne. Auch sollen Solche, welche Laboranten werden wollen, künftig vor dem Amt durch den Physicus geprüft werden und nicht eher die Erlaubniß zur Verfertigung von Medicinwaaren erhalten, bis sie die Prüfung bestanden haben. Auch eine Visitation durch den Physicus wird angeordnet, worauf jedoch der Physicus Dr. Frobenius erklärt, die von den Laboranten verfertigte Medicin sei gut und echt, weshalb es keiner Visitation bedürfe. Er führt dabei mehrere von den Laboranten verfertigte Arzneien an, aus denen man erkennen kann, daß man damals noch ziemlich unschuldige Stoffe verwendete.

Für die damaligen Verhältnisse des Laborantenthums den Apotheken und Aerzten gegenüber sind noch folgende Verhandlungen lehrreich.

Im Jahre 1758 meldet der Laborant Nikolai zu Lichtenhain in einem Gesuche an die schwarzburgische Regierung zu Rudolstadt, daß er als ein dreißig Jahre her in Pflichten stehender Laborant bei seiner chemischen Praxi durch Gottes Gnade und Segen einen dem bekannten Schauer’schen (aus Augsburg) gleichkommenden und diesen noch übertreffenden Universalbalsam herausgebracht und erfunden habe, den er nach Danzig, Niedersachsen und anderen Orten verschicke. Aus den Gläsern des Schauer’schen Balsams stehen kaiserliche, königliche und andere hohe reichsständische Wappen zur Recommandation. Nun würde in Ermangelung desgleichen der Abgang seines Balsams Anstand finden. Er stelle nun das Gesuch, daß er seinen Balsam durch landesfürstliches Wappen autorisiren dürfe, und daß ihm ein Privilegium für denselben gegeben werde, weil er ihn dann häufiger vertreiben könne und dadurch mehr Geld aus fremden Landen herbeigezogen würde.

Das fürstliche Amt zu Königsee berichtet hierauf, daß dem Nikolai als einem geschickten Laboranten eine solche Vergünstigung wohl zu gönnen sei. Da aber noch mehrere Laboranten einen Balsam nach Art des Schauer’schen anfertigten, auch der Handel allgemein bleiben müsse, möchte ihm kein Privilegium mit verbindender Kraft ertheilt werden. Nikolai erhält hierauf zur Aufmunterung seines Fleißes und zur Aufnahme des Erwerbes angeborener Unterthanen die Erlaubniß, für seinen Balsam das fürstliche Wappen sowie die Worte „Privilegirter schwarzburger Balsam“ zu führen. Später beklagt sich Nikolai über den Laborant Joh. Peter Himmelreich zu Lichtenhain, der eigentlich das Tischlerhandwerk erlernt, nachher aber das Laboriren angefangen habe, weil derselbe den Universalbalsam dem Geruche nach nachahme und um ein geringes Geld verkaufe, wodurch die Kunden nur stutzig gemacht würden.

Nach der Untersuchung des Physicus Dr. Eckner ist der gerühmte Schauer’sche Balsam weiter nichts, als ein Destillat von aromatischen Species mit Spiritus.

Wir führen als lehrreich für die damaligen Zustände noch die Klage des Apothekers Geudtner zu Königsee an. Dieser sagt, daß seine Apotheke jährlich sechszehn Thaler Steuer erlegen müsse, was er aber schwerlich für Medikamente lösen könne, da man auf dem Lande die Arzneien von den Laboranten ohnehin erhalten könne, der hiesige Physicus aber um deswillen wenig zu verschreiben nöthig habe, da er von seinem Stiefvater Dr. Worm zu Oberweißbach hiermit gratis versehen werde. Also neben den Laboranten dispensiren auch noch die Aerzte selbst.

[796] Obgleich der Handel mit Medicinwaaren in einigen Ländern verboten war, blühte doch das Geschäft der Laboranten und Balsamträger ohne ernsthafte Hindernisse weiter, bis sich durch die Schuld eines Laboranten ein schweres Gewitter über Alle zusammenzog.

Es hatte nämlich der mit Verfertigung verschiedener Medicinalwaaren sich befassende Dr. Worm in Oberweißbach 1805 von einem Elixir, dem Elixir Proprietatis des Paracelsus, welches er selbst verfertigt, eingenommen und Uebelsein darauf verspürt, ebenso ging es einer Magd und anderen Personen. Dr. Worm schöpfte hierdurch Verdacht und beschuldigte voreiliger Weise eine aus einem Leipziger Hause bezogene Pottasche, die er zu diesem Elixir verwendet, giftiger Eigenschaften, was sich zu bestätigen schien, als zwei Hunde, denen man davon auf Butterbrod zu fressen gegeben, convulsivische Zufälle und langanhaltendes Brechen darauf bekamen. Dr. Worm vernichtete hierauf das noch vorhandene Elixir und schrieb an die Balsamträger, welche dergleichen von ihm gekauft hatten, daß sie mit dem Vertriebe desselben inne halten sollten. Die tausendzungige Fama aber hatte sich schon der Sache bemächtigt und trug die Begebenheit, wie gewöhnlich, ganz entstellt in alle benachbarten Länder. Es hieß: Dr. Worm habe seine Medicamente aus Versehen mit aufgelöstem Arsenik vergiftet, eine Magd und ein Hund seien bereits daran gestorben. Regierungen und Publicum wurden alarmirt; es wird in Saalfeld, Koburg, Gera, Altenburg, Gotha, Meiningen, Hildburghausen, Anspach, Bamberg verfügt, die Waaren der Balsamträger mit Beschlag zu belegen. In der „Bamberger Zeitung“ macht der Polizeidirector bekannt, daß die sogenannten Königseer zu verbannen seien, man solle Anzeige über die Anwesenheit solcher schädlichen Arzneimittelhändler machen. [797] Von den Predigern werden Warnungen gegen dieselben von den Kanzeln herab verlesen. Es half nichts, daß sich später durch die Untersuchung der ausgezeichnnetsten Chemiker herausstellte, daß die Leipziger Pottasche ohne schädliche Beimischung und die Vergiftungsgeschichte nur blinder Lärm gewesen sei. Balsamträger, die von den Briefen des Dr. Worm nicht erreicht worden waren, hatten das Elixir ruhig weiter verkauft und nirgends waren giftige Wirkungen desselben beobachtet worden.

Es half nichts, daß die schwarzburger Regierung das Resultat der Untersuchung in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften an die Regierungen bekannt machte. Das Hausiren der Balsamträger, Olitätenkrämer und Arzneihändler blieb bei Strafe verboten, ja in manchen Ländern sollte ihnen sogar der Durchgang durch das Gebiet nicht mehr gestattet und die Waaren beim Transport durch dasselbe confiscirt werden. Die schwarzburger Regierung war dem Medicinhandel gegenüber in eine unangenehme Lage versetzt worden. Es war dieser Industriezweig zu einer Zeit entstanden, wo der Handel mit Arzneiwaaren in keinem deutschen Staate verboten war. Er hatte sich immer mehr entwickelt. Eine Menge Menschen nährte sich davon und zog, wie gewissenhafte Männer versicherten, jährlich mehrere Hunderttausend Thaler fremdes Geld in das Land. Im Jahre 1805 wurden neunundzwanzig Laboranten und sechshundertvier Olitätenhändler ermittelt. Sollte man die Fabrikation der Arzneiwaaren und den Handel mit denselben nun, wo derselbe mit den Gesetzen der meisten Länder in Widerspruch gekommen war, verbieten, Elend, Verarmung, ja völlige Brodlosigkeit über einen ganzen District herbeiführen? Man wird zugeben müssen, daß dies der schwarzburger Regierung nicht zuzumuthen war. Wenn sie sich auch bestrebte, andere Industriezweige einzuführen, so war es doch unmöglich, sogleich durch dieselben Ersatz zu bieten. Sie versuchte dagegen Alles, um eine gewisse Ordnung in das Laborantengeschäft zu bringen.

Obgleich auch bisher schon von dem Amtsphysicus vor Amte Diejenigen, welche Laboranten werden wollten, examinirt worden waren und nach bestandener Prüfung verpflichtet wurden, sowie auch die Olitätenhändler, wurde doch eine neue Verordnung erlassen, in welcher diese Bestimmungen verschärft wurden. Es soll Keiner die Erlaubniß zu laboriren, das heißt Medicinwaaren zu verfertigen, erhalten, der nicht seine Recepte oder das Dispensatorium, nach welchen er arbeitet, dem Physicus anzeigt. Dann erst wird er zum Laborantenexamen zugelassen. Er erhält nach bestandener Prüfung, und nachdem er verpflichtet worden ist, die Erlaubniß, alle von ihm zur Prüfung vorgelegten Recepte, durchaus aber keine anderen Medicamente, zum Verkaufe zu verfertigen. Er darf seine Medicinwaaren nicht anders als bereits gefüllt, versiegelt und verpackt an die Medicinhändler abgeben, zu welchem Zwecke jeder Laborant sein eigenes Petschaft zu führen hat. Zum Medicinhändler soll Keiner aufgenommen und verpflichtet werden, der nicht wenigstens drei Jahre mit seinem Vater oder mit einem anderen verpflichteten Medicinhändler gereist ist. Die Medicinhändler sollen sich alles Curirens und Pfuschens in der Medicin und Chirurgie enthalten und durchaus keine Medicamente selbst verfertigen. Sie sollen ferner nur bei einem bestimmten Laboranten ihre Medicamente entnehmen und von einem Anderen nur dann Waaren bekommen, wenn sie ein Attest ihres bisherigen Laboranten beibringen, wonach derselbe bezeugt, keine Anforderungen mehr an Jene zu haben.

Allein diese Vorkehrungen genügten nicht, die gegen den Medicinhandel gerichteten Verbote der übrigen Regierungen rückgängig zu machen. Im Gegentheil wurden die Maßregeln gegen die Balsamträger und Olitätenkrämer immer schärfer. Eine an die schwarzburgische Regierung, natürlich in französischer Sprache, gerichtete Zuschrift des damaligen Königreichs Westfalen 1810 nennt die Händler in echt französischen Hyperbeln eine wahre Pest im Laufe ihrer Invasion, die eine gute Polizei nicht dulden dürfe, ohne das öffentliche Wohl zu compromittiren. Vom königlich sächsischen Ministerium läuft später eine Liste der von 1825 bis 1835 aufgegriffenen Medicinhändler ein, an Zahl siebenundachtzig, deren Waaren confiscirt, und die auch sonst mit Geld und Gefängnißstrafen belegt worden waren. Aehnliches geschah in allen übrigen Ländern. Aus diesem Grunde wagten es die Medicinhändler bald nicht mehr, unter ihrem alten Titel zu reisen. Sie zogen als Glas-, Porcellan-, Sämereienhändler in die Welt, und da die Pässe nicht mehr auf den Namen „Olitätenhändler“ ausgestellt werden durften, wurden auch keine Medicinhändler mehr verpflichtet.

Hierdurch gelang es der Schwarzburger Regierung auch, die Reclamationen fremder Regierungen zurückzuweisen. Aber auch unter dieser neuen Firma des Porcellan- und Glashandels waren sie der schärfsten Controlle unterworfen und vor den Nachstellungen der Polizei nicht sicher.

Dennoch, trotz der härtesten Maßregeln der Regierungen, ist es ihnen nicht gelungen, den Medicinhandel zu unterdrücken. Das Laborantengeschäft ist noch heute die Nahrungsquelle vieler Ortschaften der Schwarzburg-Rudolstädter Oberherrschaft. Viele Laboranten beziehen die Messen, versenden auch große Mengen von Arzneimitteln über die See. So fand man, daß ein Laborant, der nicht zu den bedeutendsten gehörte, auf einmal hundertfünfzig Pfund Kaiserpillen nach Hamburg sandte.

Der Medicinhandel ist noch immer ziemlich lohnend, dabei interessant, nicht angreifend und Ansehen verschaffend. Ein damit vertrauter und zuverlässiger Mann gab im Jahre 1857 an, daß in einem kleinen Orte von dreizehn Medicinhändlern nach Abzug aller Auslagen und Bedürfnisse ein jährlicher Reingewinn von circa siebentausend Gulden gemacht werde. Manche Laboranten haben sich ein ganz anständiges Vermögen erworben, wovon die ansehnlichen Häuser derselben Zeugniß ablegen. Manches Laborantengeschäft ist so gut und reichlich eingerichtet wie die beste Apotheke. Die Medicinwaaren haben jedoch am Bereitungsorte selbst einen sehr geringen Preis. Meist sind die althergebrachten Namen und Gebrauchsanweisungen der Medicamente beibehalten; sogar das Papier, worauf die Gebrauchsanweisungen gedruckt sind, hat die Farbe und das Ansehen wie in früheren Zeiten. Auch die Fläschchen, in welche die Arzneien gefüllt werden, haben die althergebrachte Form, denn das Volk hält am Alten fest, und in Tausenden von Häusern wird der Balsamträger noch gern gesehen und gegen die Verfolgungen der Polizei so viel wie möglich geschützt. Man kauft, was die Mütter und Großmütter gekauft und geschätzt haben. Wie der viele Krankheiten betreffende Aberglaube auf dem Lande, wie leicht nachzuweisen ist, von den Aerzten des sechszehnten Jahrhunderts, von Paracelsus und seiner Schule, eingeführt worden ist, von dem sich das Volk bis heute noch nicht losreißen konnte, so wurden auch die Arzneien der Balsamträger von früheren Aerzten erfunden, und das Volk hat sie als Hausmittel, die gleich zur Hand sind, wenn etwas verkommt, beibehalten. Oft ist ja der nächste Arzt erst in mehreren Stunden zu erreichen; so hat man doch wenigstens einstweilen etwas, die erste Angst zu beschwichtigen.

Wir haben oben das Urtheil des Königseer Amtes angeführt, nach welchem die geringe chemische Kenntniß der Laboranten die Schuld an dem Verfalle des Geschäftes haben sollte. Wir glauben jedoch, daß gerade die Kenntniß neuer Stoffe und deren Verwendung dem Medicinhandel Schaden gebracht haben. Wären die Laboranten bei ihren alten unschuldigen gebrannten Wassern, Balsamen und Olitäten geblieben, so würde man ihnen nicht den Vorwurf haben machen können, sie richteten durch Verabreichung von schädlich wirkenden Substanzen Schaden an. Die in Tausenden von Attesten beglaubigte Wunderwirkung der neueren Brustsyrupe, die aus nichts als gekochtem Zucker bestehen, beweisen schon, wie es gar nicht darauf ankommt, daß eine solche Medicin wirksame Stoffe enthalte. Der Glaube thut das Meiste.

Die beste Kritik des Laborantenwesens haben wir in einer Schrift der gothaischen Regierung an die schwarzburgische bei Gelegenheit der Worm’schen Sache gelesen. Diese sagt, sie glaube, keinen besseren Beweis gegen den Arzneihandel bringen zu können, als das von der schwarzburgischen Regierung selbst Gesagte, nach welchem die Worm’sche Arznei nur übel gewirkt habe, weil sie verkehrt angewendet worden sei. Eben deshalb könne man solches nicht Unberufenen in die Hände geben, noch weniger aber zusehen, wie leichtgläubigen Landleuten dergleichen als Universalmedicin angepriesen und aufgeschwatzt werde.

Die Medicinhändler verfertigen in der neueren Zeit ihre Waaren selbst und die Laboranten sind zum größten Theile Droguisten, von denen jene die Rohstoffe kaufen. Titel von den gebräuchlichsten Arzneien, die verfertigt werden, sind: Redlinger’sche, [798] Morrison’sche, Kaiser-Pillen, Dr. Stoughton’s Elixir magnum, Sulzberger’sche Flußtinctur, der goldene volatilische Melissengeist oder extra-ordinäres Schlagwasser, Menadische oder Altonasche Wunder-Kron-Essenz, Dr. Steer’s chemisches Opodeldok, das edle, gerechte und herrliche Bergöl, Universal-Lebensbalsam und ebenso Lebensöl, Augsburger Lebensessenz, Ballhausische schwarze Magen- und Gallentropfen, Jerusalemitanischer Balsam, Wiener Wunderbalsam, Schmerzstillende Kinder-Tinctur, Roßessenz, Viehpulver, Roß-, Drus- und Freßpulver und dergleichen mehr. Außerdem fertigen die Laboranten Räucherpulver, Räucherkerzen, Eau de Cologne, Schneeberger Schnupftabak, Schwarzburger, Hamburger, Menrisches Pflaster und sind sehr geübt in Darstellung von allen Sorten sehr schmackhafter Liqueure, die im Volke oft sehr sonderbare Namen haben, wie z. B. Schweinstreiber, Krammetsvogelspiritus und so fort.

Durch die norddeutsche Gewerbeordnung von 1870, welche außer den Apothekergeschäften kein Gewerbe kennt, mit dessen Ausübung die Befugniß zur Anfertigung von Arzneimitteln verbunden ist, hat die Prüfung und Verpflichtung der Laboranten, sowie die in den letzten Jahren gesetzmäßig vorgeschriebene Visitation ihrer Geschäfte durch die Physici ein Ende genommen.

Da es späteren Bestimmungen vorbehalten ist, welche Apothekerwaaren dem freien Verkehre überlassen werden sollen, befindet sich die Angelegenheit des Medicinhandels noch in der Schwebe. Wahrscheinlich dürfte aber eine mildere Behandlung der Medicinhändler eintreten, besonders wenn sich dieselben angelegen sein lassen, sich unschuldiger Mittel zu bedienen. Alle Verbote und Verfolgungen waren ja ohnehin, wie man sieht, nicht im Stande, dem Medicinhandel ein Ende zu machen, denn das Verbotene reizt. Uebrigens wird der Handel mit anderen Geheimmitteln, die wir nicht zu nennen brauchen, so öffentlich und großartig betrieben, daß deren Erfinder reich davon werden. Will man dem Handel mit Dergleichen wirklich beikommen, so könnte dies nur dadurch geschehen, daß man den Glauben an deren Wunderwirkung durch eine bessere Bildung und Belehrung des Volkes zu vertilgen sucht. Doch meinen wir, daß man dies bei dem unserem Volke innewohnenden Hange, am liebsten das Wunderbarste zu glauben, niemals erreichen wird. Daß wir wenigstens noch weit davon entfernt sind, scheint uns das Beispiel mancher Volksschullehrer zu beweisen, welche am meisten von Wundercuren zu erzählen wissen und oft auch selbst gern etwas medicinische Praxis treiben.