Thüringer Sagenbuch. Erster Band/Der Rabenbrunnen

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Die Prinzessin im Wittgenstein Thüringer Sagenbuch. Erster Band
von Ludwig Bechstein
Das Löthtöpfchen
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121.
Der Rabenbrunnen.

Vom „Rabenbrunnen“ in der Ruhl geht die Sage von einem Jäger, der seine Geliebte verlassen und in die Fremde ziehen mußte, aus welcher nach einiger Zeit die Kunde kam, er sei gestorben. Nach einiger Zeit verlobte sich die vormalige Geliebte des Jägers, und nach noch einiger Zeit kam letzterer frisch und gesund wieder in die Ruhl, und wollte seine Geliebte freien. Da war sie schon gefreit, obwohl noch nicht getraut, und der Jäger war außer sich, und wollte sich rächen. Ein altes Hexenweib [230] gab dem jungen Mann einen Teufelsrath. Er solle ungehandelt ein Hangeschloß kaufen und dazu in Gedanken sagen: In Gottes Namen. Dann solle er der Trauung in der Kirche beiwohnen, und bei der Einsegnung der Brautleute das offen gehaltene Schloß in des Teufels Namen zuschnappen, und es dann in einen Brunnen werfen. Das geschah alles und gleich nach der Trauung faßte jenes junge Paar eine unerklärliche Abneigung gegen einander, wenn sie beisammen waren, sobald sie aber fern von einander waren, sehnten sie sich zu einander hin, und so quälten sie sich gegenseitig ab. Nun bereute jener Jäger seinen bösen Zauber, den er durch diese Art des Nestelknüpfens geübt, und hätte ihn gern rückgängig gemacht, und das wäre auch gegangen, wenn er das Schloß wieder gehabt hätte. Aber er konnte es nimmermehr wieder erlangen, denn im Rabenbrunnen wohnte eine Wasserfrau, die liebte den schönen Jäger seit dem Tage, als er sich über ihren Brunnenrand gebogen, und das Schloß hinabgeworfen hatte. Und als er nun öfter und öfter kam, nach dem Schlosse zu fischen, ließ sie sich in ihrer holdseligen Melusinengestalt blicken, und zeigte ihm das Schloß und langte es ihm herauf mit dem schönen weißen, weichen Arme, und wie er es faßte, hielt sie es fest, und zog, und da fiel er über den Rand hinab, in ihre Arme. Die Leute oben aber sagten, er habe sich ein Leides angethan, aus Kummer, weil sein Mädchen einen andern gefreit.