Theodor Fontane (Gottschall)
Theodor Fontane.
Am 30. Dezember des vergangenen Jahres feierte ein deutscher Dichter von ausgesprochener Eigenart und liebenswürdiger Begabung seinen siebzigsten Geburtstag: es ist dies Theodor Fontane, der am 30. Dezember 1819 in Neu-Ruppin geboren wurde. Er hat die Chronik seiner Vaterstadt in den „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ mit großem Fleiß und sehr eingehend aufgezeichnet, wie er überhaupt seine Anhänglichkeit an die heimathliche Scholle treu gewahrt hat und sein schriftstellerisches Wirken wesentlich durch dieselbe bestimmt worden ist; er besuchte das Gymnasium seiner Vaterstadt und später die Berliner Gewerbeschule, da er sich dem Studium der Naturwissenschaften, besonders der Chemie widmen wollte. Zu diesem Zwecke begab er sich im Jahre 1840 nach Leipzig; doch fesselte ihn das erwählte Studium nicht und er wandte sich bald der Dichtkunst und litterarischen Bestrebungen zu. Im Jahre 1844 finden wir ihn, nachdem er vorher eine kurze Reise nach England unternommen, in Berlin. Hier schloß er sich dem litterarischen Verein „Tunnel“ an; wahrscheinlich hat er aber schon früher einem solchen Verein angehört; in dem Gedicht „Lebenswege“ heißt es:
„... blutjunge Ware,
Studenten, Lieutnants, Referendare.
Rang gab’s nicht, den verlieh das Gedicht,
Und ich war ein kleines Kirchenlicht.
So stand es, als Anno 40 wir schrieben,
Aber ach, wo bist du, Sonne, geblieben?
Ich bin noch immer, was damals ich war,
Ein Lichtlein auf demselben Altar;
Aus den Lieutnants aber und Studenten
Wurden Gen’rale und Chefpräsidenten.“
Im Jahre 1850 trat Theodor Fontane zuerst in die Oeffentlichkeit mit einer kleinen Sammlung „Männer und Helden“; ihr folgte der Balladencyklus „Von der schönen Rosamunde“ (1850), später „Gedichte“ (1851) und „Balladen“ (1861). In der [13] zweiten, vermehrten Auflage der „Gedichte“ (1875) und in der soeben erschienenen dritten, die als eine Art von Jubelausgabe betrachtet werden kann (1889), finden sich manche neue Lieder, Balladen, geschichtliche Bilder, meist aus der preußischen Ruhmeshalle; aber das Gepräge von Fontanes Lyrik ist dasselbe geblieben wie damals, als ihr noch der Stern der Jugend schien, und so können wir hier Fontane, den Lyriker, zusammenfassend schildern.
Er ist in erster Linie ein volksthümlicher Balladendichter, der preußische und englische Stoffe behandelt, mit vielsagender Kürze, in knapper, aber stimmungsvoller Fassung. Seine „Männer und Helden“, meistens Preußengenerale der altfritzischen Zeit, sind Bildnisse in Holzschnittmanier; sie streifen an den Bänkelsängerton; Vorbild sind ihm vorzugsweise Rückerts „kriegerische Spott- und Ehrenlieder“. Fontane hat freilich nur Ehrenlieder gedichtet. Der alte „Zielen aus dem Busch“ und der verwegene Reitergeneral Seydlitz vertrugen nur eine so derb zugreifende Verherrlichung; er trifft sehr glücklich den markigen Ton und schlaghafte Wendungen, welche entweder die einzelnen Strophen mit treffenden Wiederholungen befruchten oder dem Gedicht einen kräftigen Abschluß geben. „Der alte Dessauer“ ist solch ein Musterstück derb volksthümlicher Art, dem am Schluß eine beherzigenswerthe Nutzanwendung nicht fehlt:
„Wir haben viel von Nöthen
Trotz allem guten Rath,
Und sollten schier erröthen
Vor solchem Mann der That:
Verschnitt’nes Haar im Schopfe
Macht nicht allein den Mann,
Ich halt’ es mit dem Zopfe,
Wenn solche Männer dran.“
Die Muse Fontanes begleitet dann die weitere preußische Geschichte auf ihrer Ruhmesbahn; da finden wir Gedichte auf „Prinz Louis Ferdinand“, „Den Tag von Düppel“, „Die Gardemusik bei Chlum“ und in der neuesten Auflage auch auf „Kaiser Blanchebart“, „Jung-Bismarck“, „Kaiser Friedrich III.“ u. a. Von rednerischem Pomp und feierlichem Ton halten sich diese Gedichte fern; das Streben nach frischer Volksthümlichkeit und lebhafter Anschaulichkeit prägt sich auch in ihnen aus und es findet sich manch kräftiger Kehrreim: im ganzen aber ist der Ton nicht so herausfordernd keck wie in den Jugendliedern, welche den Helden der preußischen Walhalla galten; es sind häufiger weihevolle Klänge angeschlagen. Neben den zahlreichen Gedichten, die mehr geschichtliche Porträts als Schlachtenbilder sind, finden sich auch einzelne, die man echte Balladen nennen kann, wie die schwedische Sage „Der 6. November 1632“, eine gespenstige Beleuchtung des Schlachtentags von Lützen.
Die Hauptstoffquelle seiner Balladen war für den Dichter übrigens die englische Geschichte und Volkssage. Nach England führte ihn noch zweimal, in den Jahren 1852 und 1855, seine Reiselust und sein Interesse für englisches und schottisches Leben, für die Geschichte dieser Länder, ihre Kunst und Literatur; er hat mehrere Reiseschriften herausgegeben, in denen er sich über dies alles in fesselnder Weise ausspricht; namentlich aber hat der englisch-schottische Balladenschatz eine große Wirkung auf ihn selbst und seine eigene Dichtweise ausgeübt: eine beträchtliche Zahl dieser Balladen, wie sie im Volksliede oder von englischen Dichtern gestaltet worden sind, hat er frei übersetzt, dabei den Volkston und die knappe Fassung beibehalten und in der durchaus ungezwungenen Wiedergabe große Gewandtheit gezeigt. Er selbst hatte schon früh das Schicksal der schönen Rosamunde in einem lyrisch-epischen Liederkranz besungen; auch „Maria Stuart“ machte er zur Heldin von vier Balladen; doch auch sonst wandert seine nicht blutscheue Muse sowohl über die Schlachtfelder, von den Kämpfen der „weißen und rothen Rose“ an bis zu Cromwells Bürgerkriegen, als auch über die Richtstätten; nicht bloß Maria Stuart, auch Sir Edward York, Johanna Gray, Sir Walter Raleigh, James Monmouth begleiten wir auf ihrem letzten Gang zum Schafott. Es finden sich in diesen Gedichten viele stimmungsvolle Bilder; eine Perle ist das Lied von James Monmouth:
„Das Leben geliebt und die Krone geküßt
Und den Frauen das Herz gegeben,
Und den letzten Kuß auf das schwarze Gerüst –
Das ist ein Stuart-Leben.“
Noch enthalten die Gedichtsammlungen „Lieder und Sprüche“; die Zahl derselben ist nicht allzu groß, und man muß das aufrichtig bedauern; denn in den Liedern ist manches duftig Hingehauchte voll zarter Empfindung und die Sprüche lehren sinn- und maßvoll echte Lebensweisheit und sind von einer wohlgelungenen Form, so daß sie sich dem Gedächtniß einprägen:
„Du wirst es nie zu Tücht’gem bringen
Bei deines Grames Träumerei’n;
Die Thränen lassen nichts gelingen,
Wer schaffen will, muß fröhlich sein.
Wohl Keime wecken mag der Regen,
Der in die Scholle niederbricht:
Doch golden Korn und Erntesegen
Reift nur heran bei Sonnenlicht.
Das Glück, kein Reiter wird’s erjagen,
Es ist nicht dort, es ist nicht hier:
Lern’ überwinden, lern’ entsagen,
und ungeahnt erblüht es dir.“
Nach seiner letzten Rückkehr von England nahm Fontane in Berlin seinen dauernden Aufenthalt. Seine Beziehungen zum erbgesessenen Adel der Mark wiesen ihn auf die Geschichte ihrer Stammsitze und seiner heimathlichen Provinz hin; die Anregung dazu aber gab ihm ein Phantasiebild, das seiner Seele vorschwebte, als er über den Levensee in Schottland fuhr und auf einer Insel mitten im See, hinter Eschen und Schwarztannen halbversteckt, die Trümmer von Schloß Lochleven erblickte, aus welchem einst Maria Stuart geflüchtet war. Da gedachte er plötzlich einer andern Kahnfahrt über den Rheinberger See, ringsum die Schöpfungen und Erinnerungen einer großen Zeit: sollten solche Eindrücke verloren gehen? War die märkische Heimath mit ihrer reichen Geschichte nicht ebenfalls der Schilderung und Aufzeichuung werth? Er fühlte sich dazu berufen und so entstand sein umfangreiches Hauptwerk: „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ (4 Bde. 1862-82).
Wenn die Mark Brandenburg in Wilibald Alexis ihren Walter Scott gefunden hat, so besitzt sie in Fontane einen nicht minder poesievollen Erforscher und Darsteller ihrer Eigenart in Bezug auf [14] Land und Leute. Das Werk von Fontane enthält nicht nur die Chronik der Mark, ihrer hervorragendsten Geschlechter und berühmten Männer, die Geschichte ihrer Städte und Schlösser; auch eine Schilderung ihrer landschaftlichen Schönheiten, die gar nicht so spärlich in dieser „Streusandbüchse des heiligen römischen Reiches“ ausgestreut sind, wie man gewöhnlich glaubt. Wie reizend schildert uns Fontane die Müggelsberge, die so unvermuthet und unvermittelt aus dem Flachland aufsteigen wie der todte Rumpf eines fabelhaften Wasserthieres, der hier in sumpfiger Tiefe zurückblieb, als sich die großen Fluthen der Vorzeit verliefen; wie weiß er alle Reize der Landschaft hervorzuheben, welche das Bad Freienwalde umgiebt, mit den eine prächtige Aussicht gewährenden Randbergen des Oderbruchs, und gern betreten wir an seiner Hand das große Wald- und Jagdrevier des Werbelliner Forstes mit seinem Muränensee. Wenn er uns das Wustrauer Luch und das Dossebruch schildert, so versäumt er nicht, auch eine Geschichte der Bestrebungen zu geben, durch welche Preußens Regenten diese unwirthlichen Landstrecken der Kultur zu gewinnen suchten. Wo er uns aber über berühmte Schlachtfelder führt, wie diejenigen von Zorndorf und Fehrbellin, da malt er anschaulich das Bild des Geländes, auf dem die Kämpfe hin- und herwogten. Die Chronik mancher Schlösser gehört mehr der Ortsgeschichte an; auch einige der hervorragenden Männer, deren Lebenslauf uns dargestellt wird, dürften sich nur wenig aus dem Bereiche der preußisch-brandenburgischen Geschichte erheben; doch auch an weltgeschichtlichen Größen fehlt es nicht und diese werden hier meist durch die kleinen Lichtflämmchen der Anekdote beleuchtet.
Ein so umfassendes Werk über eine einzelne Provinz zu schreiben, ohne daß der Strom der Darstellung allzu viele todte Arme bildet, dazu gehört ein aufgeschlossener Sinn für die kleinen Einzelzüge, die Fähigkeit zu einer meisterlichen Kleinmalerei und das warme Herz des Poeten, der alles, was einen höheren Flug nimmt, gleichfühlend zu verfolgen weiß. Und diese Vorzüge hat Theodor Fontane in seinem Werke bewährt. Spricht sich schon in diesem seine Vorliebe für das Kriegswesen und seine Begeisterung für preußischen Kriegsruhm an jeder geeigneten Stelle aus, so trieb ihn beides auch zu selbständiger Darstellung der letzten großen Kriege an. Die Schrift „Der schleswig-holsteinische Krieg im Jahre 1864“ erschien 1866; diejenige über den „Deutschen Krieg von 1866“ im Jahre 1869; die zweibändige Geschichte des „Deutsch-französischen Kriegs“ in den Jahren 1874–76. Es sind keine militärischen Fachwerke, es sind Volksschriften. Allen gemeinsam sind die Lebendigkeit und Anschaulichkeit der Darstellung, die Rückblicke auf die Geschichte, die Schilderung von Land und Leuten, die farbenreiche Charakteristik der Heerführer und Fürsten, welche auch die Anekdote nicht verschmäht.
Als „Schlachtenbummler“ in Frankreich im Jahre 1870 hatte Fontane Abenteuer zu bestehen, die er uns in seiner Schrift „Kriegsgefangen“ in sehr eingehenden Plaudereien schildert. Niemand Geringeres als die Jungfrau von Orleans war schuld an den Fährnissen, welche ihm dort bereitet wurden. Im Oktober 1870 machte er von Toul einen Ausflug nach Domremy, dem Geburtsort der französischen Heldin; da ihm der Kutscher, der ihn fuhr, verdächtig erschien, nahm er sich einen Revolver mit, wie er auch im Besitze eines Stoßdegens war. Er besuchte die geweihte Stätte, wo die Jungfrau geboren wurde, und die gothische Kapelle, deren bunte Scheiben ihr Wappen aufweisen und vor deren Thore sich ihre Statue erhebt. Er klopfte mit seinem spanischen Rohr an der Statue umher, um sich zu überzeugen, ob es Bronze oder gebrannter Thon sei. Da kamen 8 bis 12 Männer auf ihn zu und fragten ihn nach seiner Legitimation; er überreichte eine rothe Tasche mit preußischen Papieren; man ging ins Wirthshaus zu näherer Untersuchung; da kamen zufällig Stockdegen und Revolver zum Vorschein; die Stimmung war eine heikle; man brachte ihn auf die Souspräfektur von Neufchateau. Nun begann jene lange Reihe von Verhören, Untersuchungen und Gefängnißwanderungen bis auf die Insel Oleron im Atlantischen Ocean, die uns Fontane in seiner kleinen Schrift so anschaulich und mit so gutem Humor schildert; es ist ein Gemälde, das nicht das geringste Kerkergrauen athmet. Ueber den französischen Nationalcharakter spricht sich Fontane im ganzen sehr günstig aus; er hat nur die besten Eindrücke erhalten. Im allgemeinen kämen, sagt er, auf 10 oder 7 oder 5 Individuen immer ein unleidlicher Mensch, in Frankreich habe er etwa 200 verschiedene Personen kennen gelernt und nicht die geringste Unannehmlichkeit, geschweige Unart erfahren; „sie waren alle verbindlich, rücksichtsvoll, zuvorkommend, dankbar für jeden kleinen Dienst, nie beleidigt durch Widerspruch, vor allem ohne Schabernack und ohne Neid.“ Leichter Sinn und heitere Laune, große Gutmüthigkeit war bei allen zu finden, – ein Urtheil, das sehr für Fontanes Unbefangenheit und Unparteilichkeit spricht.
In den letzten Jahrzehnten ist Fontane auch als Romandichter aufgetreten; sein Hauptwerk ist der Roman „Vor dem Sturm“ (4 Bände, 1878). Er spielt in Preußen in der Zeit vor dem Befreiungskriege 1812 bis 1813 und giebt ein treffliches, oft mit peinlicher Genauigkeit und Sauberkeit ausgeführtes Gemälde der damaligen Stimmungen und Vorgänge in allen Lebenskreisen. Volksthümliche Schilderungen, zum Theil mit humoristischer Beleuchtung, gehören zu den Glanzpunkten des Werkes. Die Handlung selbst bewegt sich nur langsam vorwärts. Kleinere Romane Fontanes sind „Ellernklipp“ (1881), ein düster schwermüthiges Stimmungsbild von poetischer Wirkung, in welchem das Leben der Heide meisterlich gezeichnet und die Liebe von Vater und Sohn zu demselben Mädchen den Knotenpunkt der Ereignisse bildet; ferner „L’Adultera“. ein Sittenbild aus dem Berliner Leben; „Schach von Wuthenow“ und „Graf Petöfy“. Die Ortsfärbung und die Charakterzeichnung sind in allen diesen Romanen gleich rühmenswerth. Das jüngste Werk aber, das aus Fontanes Feder geflossen ist, freut sich die „Gartenlaube“ als ein Angebinde zu des Dichters siebzigstem Geburtstage ihren Lesern vorlegen zu können. „Quitt“ zeigt die glänzenden Eigenschaften des Romanschriftstellers Fontane, die Kunst der Herausarbeitung der Charaktere und der liebevollen Kleinmalerei in ihrem vollen Lichte.
Ein Dichter aber von solcher Schlichtheit der Empfindung, so schlagfertiger Knappheit der Schilderung, so warmem patriotischen Gefühl, so unermüdlichem Fleiß in seinen geschichtlichen Studien und Vorstudien und uberdies von so gesundem volksthümlichen Humor wird unserem Volke immer lieb und werth bleiben.