Tiger im Lager

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Titel: Tiger im Lager
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aus: Die Gartenlaube, Heft 24, S. 385, 396
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[385]

Königstiger. Von Paul Meyerheim.
Nach einer Photographie aus dem Verlage der „Photographischen Gesellschaft in Berlin“.

[396] Tiger im Lager. (Vergl. die Abbildung auf S. 385.) Heutzutage dem Publicum eine Belehrung über die Naturgeschichte des Tigers geben, hieße Eulen nach Athen tragen. Gute Naturgeschichtswerke sind in Aller Händen, und der schrecklichste, gewaltigste aller vierfüßigen Räuber fehlt sicher auch in dem kleinsten nicht. In den großen Städten braucht man nicht einmal auf die Jahrmärkte mit ihren Menagerien zu warten, um ihn zu Gesicht zu bekommen: eine große Zahl dieser Städte hat bereits stehende Thiergärten, und auch hier gehört der Besitz eines Tigers zu den ersten Erfordernissen. Selbst die Schilderungen von Tigerjagden, einst das Entzücken gruselbedürftiger Leser, sind aus der Mode: man ist davon übersättigt; auch die kühnste Phantasie vermag diesem Stoffe kaum neue Seiten abzugewinnen.

Und doch: ob ich den so riesenstarken wie geschmeidigen „König der Wälder“ im schmalen Käfig tausendmal auf- und abschleichen sehe, ob ich die Zahl seiner Knochen und Zähne an den Fingern herzählen kann – ich kenne den Tiger erst, wenn mir einmal irgendwie das ganze herzlähmende Grauen im Gefühl vermittelt worden ist, welches über dem Jagdrevier des königlichen Thieres in freier Wildniß liegt, jene Atmosphäre von Tod und Verderben, von lauschender Einsamkeit, welche jeden Augenblick aufschrecken kann durch ein erschütterndes Gebrüll, das doch zugleich katzenhaft widrig in dem kaltfeuchten Laubdunkel erdröhnt, durch wilde, unheimlich lautlose, in hundert Muskeln spielende Tigersprünge, von deren Federkraft die matten, vorsichtig gewordenen Bewegungen im Käfig kaum etwas ahnen lassen.

Dieses Gefühl vermag nur die Reise in die Tigerreviere, oder aber der Künstler zu vermitteln, dem ein Anschauungsvermögen gegeben ist, wie es der menschlichen Durchschnittsphantasie versagt bleibt – der echte Künstler; und ein solcher echter Künstler von Gottes Gnaden ist Paul Meyerheim. Ein Blick auf die düstere Scenerie unseres Bildes, auf diese Bestien, welche sich offenbar so völlig zu Hause fühlen und so ganz geben, wie sie sind, auf die ganze Unheimlichkeit dieser mit abgenagtem Gebein bestreuten Waldstelle im tiefsten Dickicht, genügt, um zu fühlen: das sind wahre und wahrhaftige Tiger. –

Die Meyerheims sind eine ganze Künstlerfamilie. Man kennt längst den Großvater Karl Friedrich Meyerheim und seine Söhne und Schüler: Friedrich Eduard, den vor kurzer Zeit verstorbenen Meister in der Darstellung idyllisch gemüthlichen Volkslebens, und Wilhelm Alexander, welcher in Pferde-, Lager- und Schlachtenscenen excellirte. Von den Söhnen Friedrich Eduard’s hat sich der ältere, Eduard Franz, der Art des Vaters angeschlossen, indem er liebenswürdige Genrebilder von zarter Ausführung und guter Färbung malte; er folgte dem Vater vor Wochen im Tode nach. Der jüngere Sohn Paul ist zweifelsohne der Bedeutendste unter den Fünfen und wohl der genialste Thiermaler der Gegenwart. Im Jahre 1842 zu Berlin geboren, auf der Akademie daselbst unter Holbein, mehr noch unter seinem Vater ausgebildet, kehrte er nach mannigfachen Wanderungen, die ihn besonders in England bedeutsame Anregungen finden ließen, in die Heimath zurück, wo er seit 1869 auch als Mitglied der Akademie wirkt.

Seinen Ruf begründete eine Reihe origineller Bilder, in welchen er Thiere Genrescenen aus dem modernen Menschenleben darstellen ließ; zeigten schon diese Bilder eine ungewöhnliche Herrschaft über Farbe und Form, ein fast photographisches Auffassungsvermögen für die Natur, so wurden die späteren Arbeiten Meyerheim’s immer freier, realistischer und durchgeistigter: Aquarellen, Illustrationen, Fresken und Oelgemälde folgten einander, deren Aufzählung im Einzelnen hier zu weit führen würde. Am meisten gesehen dürften die Malereien des Antilopenhauses im Berliner zoologischen Garten sein. Einem prächtigen Löwenbilde ließ er vor Kurzem unser Tigerbild folgen, das Letzte, was von ihm, allgemein bewundert, die Runde durch die deutschen Ausstellungen gemacht hat.