Todtenfeier in den Pyrenäen

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Textdaten
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Autor: A. W.
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Titel: Todtenfeier in den Pyrenäen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 48, S. 768
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[768] Todtenfeier in den Pyrenäen. Einer meiner Freunde hatte vor einigen Jahren einen mehrwöchentlichen Ausflug nach Andorra gemacht und bei dieser Gelegenheit die Gebirgsdörfer der ganzen Umgegend besucht. Er wanderte beständig umher, mit dem hohen Stab in der Hand bestieg er die höchsten Berge, das Haupt stets frisch durch die balsamische Luft des frühen Morgens. Dunkelgrüne Wiesen wechselten mit der Einsamkeit duftiger Tannenwälder ab, dichter und wilder als die der Tiroler Alpen. Abends deckte die Sonne einen rothen Mantel über die Landschaft und hier und da erschien ein hervorragender Baumgipfel wie eine Rose. Manch alte Kirche mit romanischem Gemäuer war zu sehen, und um sie herum lagen todtenstill die Kirchhöfe mit unzähligen Kreuzen von Holz. Aus diesen Gräbern sieht man keinen Kranz und keine Blume. Es konnte scheinen, als ob die Bergbewohner ihre Todten schneller vergessen als die Städter.

Keineswegs; sie erinnern sich ihrer im Gegentheil länger als wir. In unseren Städten ist alle Jahr nur ein einziger Tag den Todten geweiht, da geht man hinaus auf ihre Gräber und widmet ihnen eine Blume und einen Immortellenkranz. Ganz anders bei jenen Bergbewohnern, wo man jede Woche ein rührendes Schauspiel erleben kann.

Es ist Sonntag. Um zehn Uhr Morgens belebt sich der Weg zur Kirche. Es ist große Messe. Die Kirche ist mit wilden Bergblumen und Eichenblättern geschmückt. Vorn in der ersten Reihe der Stühle bemerkt man schwarze Tücher in Teppichform. Hier sind die Plätze der Wittwen; wenn sie sich wieder verheirathen, so wird das Trauertuch fortgenommen. So will es die Sitte des Landes.

Draußen stehen auf der einen Seite die Bursche, auf der anderen die jungen Mädchen und warten die Ankunft der Alten ab. Die jungen Männer tragen einen hellblauen Rock, einen großen Hut mit breitem Rand und kurze, unten zugeknöpfte Hosen. Die jungen Mädchen haben ein rothes Kleid mit grünem Leibchen, aus dem, nicht ohne ländliche Anmuth, schöne nackte und kräftige Rosenarme hervorragen. Alle aber waren in Trauer, die Frauen mit einer großen Kappe bedeckt und die Männer in einen großen schwarzen castilianischen Mantel gehüllt.

Sobald die Aeltern erscheinen, stellt sich Jeder auf seinen Platz; die Alten treten zuerst in die Kirche, das junge Volk folgt ihnen.

Nach Beendigung der Messe bietet sich alle Sonntage, gleichviel in welcher Jahreszeit und bei welcher Witterung, eine merkwürdige Scene dar. Die Dorfbewohner schreiten ordnungsmäßig, jede Familie für sich abgetheilt, aus der Kirche heraus, gehen in großem Schweigen vorwärts, bilden einen Kreis um das Kreuz, welches in der Mitte des Friedhofes steht, machen das Zeichen und gehen rechts und links auseinander an die Gräber der Ihrigen.

Die Frauen knieen nieder. Hier sagt eine junge Mutter mit lauter Stimme: „O mein Sohn, mein armes Kind, ich werde dich immer beweinen, ich konnte dich nicht groß und schön werden sehen, ich soll nicht mehr den süßen Namen Mutter hören!“ Dort ruft eine Wittwe: „O, du Einziger, den ich geliebt, o mein Mann, wie warst du so schön und immer so muthig bei der Arbeit!“

Auf dem ganzen Gottesacker hört man weiter nichts als Schluchzen und Wehklagen. Nur die Männer bleiben schweigsam, das Haupt entblößt und niedergebeugt, ohne eine Thräne zu vergießen, immer in ihren großen Mantel gehüllt.

Diese wöchentliche Todtenfeier dauert dreiviertel Stunden. So wahren jene schlichten Bergbewohner das Andenken an diejenigen, welche sie im Leben liebten und die sie auch im Tode nicht vergessen können.

A. W.