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Tragödien und Komödien des Aberglaubens/Erbschlüssel und Erbsieb

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Autor: Rudolf Kleinpaul
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Titel: Tragödien und Komödien des Aberglaubens. Erbschlüssel und Erbsieb. Die Zahl Dreizehn. Das Salzfaß. Der Freitag
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 815–817
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1892
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Tragödien und Komödien des Aberglaubens.

Erbschlüssel und Erbsieb.

Verlorene Sachen wiederzufinden, den Urheber eines Diebstahls zu entdecken, giebt es auf dem platten Lande ein erprobtes Mittel: es ist der Erbschlüssel. Ein alter Hausschlüssel, ein ehrwürdiges, von den Vätern ererbtes Inventarstück, wird in ein ebenso altes Gesangbuch oder in eine Familienbibel gesteckt, so daß der Bart oben daraus hervorragt, das Ganze wie ein Postpaket umschnürt und von zwei Personen unter dem Packreitel, dem Stäbchen zum Anziehen der Schnüre, mit dem Mittelfinger der rechten Hand in der Schwebe gehalten; hierauf werden die des Diebstahls Verdächtigen laut genannt und der Reihe nach durchgenommen, bis der Reitel bei Nennung eines bestimmten Namens den beiden Untersuchungsrichtern plötzlich entgleitet und die Postille auf den Boden fällt. Freilich sind die Gelehrten, die mit dem Erbschlüssel umzugehen wissen, meistens die Diebe selbst, die den Verdacht von sich ab auf andere zu lenken suchen.

So lebte z. B. in Gößnitz im Altenburgischen die alte „Schmatzveiten“, die sich diesen Spitznamen einst vor vielen Jahren bei ihrer Trauung erwarb; der Pastor sagte nämlich: „Und nun wechselt den Mahlschatz“ – womit er die Ringe meinte; sie aber verstand: „den Maulschmatz“ fiel ihrem Bräutigam um den Hals und gab ihm am Altar einen „Schmatz“. Besagter Mahlschatz, ihr Trauring, war aber der armen hochbetagten Frau eines Tages abhanden gekommen, wahrscheinlich entwendet worden, und sie bot alles auf, um ihn wiederzuerlangen. Nun befanden sich in Gößnitz zwei geriebene Gauner, der „Eisbeinaugust“ und der „Schlamassenmax“, die machten sich anheischig, der Sache vermittelst des Erbschlüssels auf den Grund zu kommen. Große Versammlung aller Hausbewohner: der Erbschlüssel liegt bereit, es ist derselbe, durch dessen Ohr die Schmatzveiten in der Sylvesternacht Blei zu gießen pflegt. Er wird in die große alte Hausbibel gelegt, wo vorn auf vier Blättern die Familienchronik steht, das Buch feierlich und stillschweigend mit einem Bindfaden umwickelt, die Schnur mit einem Reitel fest zusammengezogen, daran halten der Eisbeinaugust und der Schlamassenmax mit den Fingern das Paket, daß es gerade herunterhängt. Nun sagt Eisbeinaugust: „Der Hans hat den Ring gestohlen“; Schlamassenmax dagegen: „Der hat es nicht gethan“. So machen sie die Probe beim Peter, beim Otto, beim Hirtenfriede, bei der Schneideremile, bei Charlotte Schmuddlich, genannt „Ohrring-Lotte“ – der Erbschlüssel regt sich nicht. Jetzt aber heißt es: „Die Schüttelbahrdten hat den Ring gestohlen“ – auf einmal kommt Leben in die Postille, sie bewegt sich, schwebt, der Eisbeinaugust und der Schlamassenmax können nicht mehr halten, und bardauz! liegt sie mitsamt dem klirrenden Erbschlüssel auf der Diele. Ei, Du alte heimtückische Schüttelbahrdten, die immer mit dem Kopfe schüttelt, wer hätte das von Dir gedacht! Denn nun ist es ja heraus, alles Schütteln hilft ihr nun nichts mehr, der Erbschlüssel lügt nicht! Leider übte die Prozedur ihre Wirkung auf die hohe Polizei in ganz entgegengesetzter Weise. Sie hielt sich nicht an die alte Schüttelbahrdten, sondern nur an die beiden Gauner, den Eisbeinaugust und den Schlamassenmax.

Aber das Interessanteste dabei ist das hohe Alter dieses abergläubischen Verfahrens. Der Erbschlüssel trat an die Stelle des Erbsiebs, die Schlüsselprobe ist ein Rest der alten Siebwahrsagung, der sogenannten „Koscinomantie“, deren schon der griechische Dichter Theokrit in einer seiner Idyllen Erwähnung thut und die sich bis auf unsere Zeiten erhalten hat.

„Sieh durch das Sieb!
Erkennst du den Dieb,
Und darfst ihn nicht nennen? –“

so läßt Goethe in der Hexenküche im „Faust“ den Kater zur Kätzin sagen. Der Kater „hat läuten hören, aber nicht zusammenschlagen“, denn man blickte nicht durch ein Sieb, um den Dieb zu erkennen, das Sieb wurde vielmehr genau in derselben Weise wie der Erbschlüssel aufgehängt und dann zwischen zwei Fingern im Gleichgewicht gehalten, um seine Bewegungen genau studieren zu können.

In der Stadt Villingen, dem Hauptsitze der Schwarzwälder Uhrenerzeugung, lebte vor dreihundert Jahren ein berühmter Arzt und Schwarzkünstler Namens Pictorius, der über die Siebwahrsagung geschrieben und sie durch Holzschnitte erläutert hat. Zwei einander gegenüberstehende Personen halten je mit dem Mittelfinger der rechten Hand eine Schere, welche ein Kornsieb gefaßt hat, dicht unterhalb der Feder, am oberen Ende der Scherenblätter. Die Schere ist eine Schafschere und sieht etwa wie eine Zuckerzange aus – das ganze Mittelalter hindurch hat die Schere keine andere Form gehabt. Die Menschen halten also die Schere, die Schere hält den Rahmen des Siebs, so daß dieses wie vorhin das Buch mit dem Erbschlüssel in der Luft baumelt, und nun nennen die Wahrsager abermals wie vorhin die Namen derer, die des Diebstahls verdächtig sind. Eine unsinnige alte Formel „DIES. MIES. JESCHET. BENEDOFFET. DOWIMA. ENITEMAUS“ sprechen sie dabei aus, durch welche der Dämon in das Sieb gebannt und gezwungen werden soll, den Dieb zu offenbaren. Bei dem richtigen Namen erzittert das Sieb, bei Wiederholung des Namens fängt es an, sich um sich selbst zu drehen und mit einer Heftigkeit zu rütteln und zu schwingen, daß den Männern, die halten, die Handhabe entgleitet und sammt dem Siebe auf den Boden fällt. Doktor Pictorius hatte das Zaubermittel selbst wiederholentlich erprobt und einmal bei einem Diebstahl, ein andermal bei einem Jagdfrevel, wo ihm ein Vogelnetz böswillig zerschnitten worden war, ein drittes Mal bei Gelegenheit eines verlaufenen Hundes, wie er meinte, mit gutem Erfolg angewendet; das letzte Mal indessen foppte ihn der Dämon, so daß unser Doktor Angst bekam und keinen weiteren Versuch mehr machte. Auch Erasmus von Rotterdam kennt die Siebwahrsagung; in Deutschland verbirgt sie sich, wie gesagt, hinter dem Erbschlüssel, in Frankreich und in England ist sie immer noch im Schwange.

Wie die Menschen aller Zeiten gerade auf das Sieb verfielen, läßt sich leicht errathen – sie wollten Gericht halten, und das Sieb erschien ihnen als ein Sinnbild der strengen gerichtlichen Untersuchung.

Die berühmteste unter den zahlreichen Akademien Italiens heißt bekanntlich die „Kleien-Akademie“ (Accademia della Crusca) und hat ein Sieb im Wappen: sie will gleichsam die Sprache durchsieben und beuteln und die guten Worte wie feines Mehl von der Kleie trennen. Keinem Volke ist der Vergleich des Examens, der Zensur mit einem Siebe so geläufig wie dem italienischen, die Italiener sagen ganz allgemein „eine Sache sieben“ für „eine Sache prüfen“, und mit der Vorsicht, die ihnen im Umgange angeboren ist, meinen sie, man müsse die Menschen gehörig sieben, ehe man ihnen traue. Diese Auffassung geht durch alle Sprachen – unser eigenes „sichten“ ist eigentlich so viel wie „sieben“ und eine „Kritik“ nichts anderes als eine „Sonderung“. In der Bibel will Gott das Haus Israel unter allen Heiden sichten lassen, gleichwie man mit einem Siebe sichtet. Das Sieb ist eine Art Wahrzeichen der Gerechtigkeit wie die Wage.

Daher der Gebrauch des Siebes nicht bloß um einen Diebstahl, sondern um Verbrechen und geheime Sünden aller Art aufzudecken. Ja, die dunkle Anschauung, wonach im Siebe gewissermaßen Schuld und Unschuld verborgen liege, führte sogar dazu, in wichtigen Fällen von ihm das Unmögliche zu verlangen: das Sieb sollte Wasser halten. Im römischen Vatikan, im Museo Chiaramonti, sieht man die Marmorstatue einer Vestalin, die ein Sieb in Händen hält; am Rahmen des Siebes liest man ein paar lateinische Worte, die besagen: „Also mache ich die Verleumdung zu nichte“. Es ist die Vestalin Tuccia, die eines Vergehens wider ihr Gelübde angeklagt war und, um sich von dem Verdacht zu reinigen, angeblich Wasser in einem Siebe vom Tiber bis zum Vestatempel trug, ein Wunder, das ihr im achten Jahrhundert n. Chr. die heilige Amalberga in Flandern nachgemacht haben soll. So sollte sich die geheimnißvolle Kraft des Siebes offenbaren im Gottesurtheil, zu dem der hilflose Mensch zu allen Zeiten gern seine Zuflucht nahm, wenn er nicht mehr weiter konnte.


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Die Zahl Dreizehn. Das Salzfaß. Der Freitag.

Es war einmal ein König und eine Königin, so beginnt das Märchen vom „Dornröschen“, die sprachen jeden Tag: Ach, wenn wir doch ein Kind hätten! – und bekamen immer keins. Da gebar endlich die Königin ein Mädchen, das war so schön, daß sich der König vor Freude gar nicht zu lassen wußte und ein großes Fest anstellte. Er lud nicht bloß seine Verwandten, Freunde und Bekannten, sondern auch die weisen Frauen dazu ein, damit sie dem Kinde hold und gewogen wären. Es waren ihrer dreizehn in seinem Reiche, weil er aber nur zwölf goldene Teller hatte, so mußte eine von ihnen daheim bleiben. Als das Fest aus war, beschenkten die weisen Frauen das Kind mit ihren Wundergaben: die eine mit Tugend, die andere mit Schönheit, die dritte mit Reichthum und so mit allem, was man sich wünschen kann. Als elfe ihre Sprüche eben gethan hatten, trat plötzlich die Dreizehnte herein. Sie wollte sich dafür rächen, daß sie nicht eingeladen war, und rief mit lauter Stimme: Die Königstochter soll sich in ihrem fünfzehnten Jahre an einer Spindel stechen und tot hinfallen! – und verließ den Saal. Die Dreizehnte bringt Unglück.

Und es war einmal ein König in Thessalien, erzählt die griechische Mythologie, mit Namen Peleus, der freite die Nereide Thetis. Zu der großen Hochzeit, die auf dem Berg Pelion stattfand, waren die zwölf Götter eingeladen, nicht aber Eris, die Göttin der Zwietracht. Sie brachten dem Brautpaar reiche Gaben dar, Poseidon schenkte dem Peleus die unsterblichen Rosse, die nachmals Achilles erbte, der Centaur Chiron die wunderbare Lanze, die verwundete und heilte – da erschien plötzlich Eris, die nicht mit Eingeladene, und warf, da man sie nicht hereinließ, einen goldenen Apfel unter die Gäste mit der Aufschrift: „Der Schönsten“. Das war die Veranlassung, daß die drei Göttinnen Hera, Athene und Aphrodite einander schalten, Paris zum Schiedsrichter ernannt ward, die Helena raubte und der Trojanische Krieg ausbrach. Die Dreizehnte bringt Unglück.

Soll ich noch an ein drittes Fest erinnern, bei dem ein Dreizehnter Unglück gebracht hat? Es ist die letzte Mahlzeit, die Jesus mit seinen Jüngern am Vorabend seines eigenen Todes einnahm. Christus und die Zwölf, macht zusammen dreizehn: der Dreizehnte war der Verräther, der Unglückbringende. Aber auch der Erlöser selbst war der Dreizehnte – und er mußte sterben. So kam es, daß der Aberglaube umsprang und anstatt der Nutzanwendung: der Dreizehnte bringt Unglück! die andere zog: der Dreizehnte muß sterben.

Christi Leiden und Sterben ist eine volksthümliche Tragödie, welche die Einbildungskraft der Menschheit seit Jahrhunderten erfüllt und heute noch in allen möglichen Formen zur Darstellung gelangt. Im Mittelalter war sozusagen jede Stadt und jede Kathedrale ein beständiges Oberammergau; die Gläubigen von damals ließen es beim bloßen Zusehen nicht bewenden, sie wollten selbst mitspielen und bei der Handlung mitwirken, die jah[r]aus jahrein die Gemüther beschäftigte: am Palmsonntag, wenn der Palmesel he[r]umgeführt ward, miteinziehen, auf Gethsemane mit den Erlöser greifen und mit den Judas jagen. Die Folge war, daß die gesammte evangelische Geschichte wie keine andere mit allen ihren Einzelheiten ins Leben und gewissermaßen ins Blut des Volkes überging, Sitten und Gebräuche veranlassend, deren Ueberlebsel jetzt kaum noch verstanden werden. Im Mittelpunkt der Passion steht das Abendmahl, und von ihm schreibt sich als Ueberlebsel der Aberglaube h[e]r, der die Zahl Dreizehn umspinnt. Aber auch der Freitag zog aus diesem Vorstellungskreise die ihm anhaftende geheimnißvoll schreckhafte Bedeutung, und ebenso könnte man versucht sein, dies bei dem Salzfaß zu vermuthen.

Auf des großen Leonardo da Vinci allbekanntem Bilde, das er in dem Kloster der Dominikaner von Santa Maria delle Grazie bei Mailand an die Wand des Speisesaals gemalt hat, stößt Judas Ischariot durch eine ungeschickte Bewegung mit dem linken Arme das Salzfaß um. Ist denn das nach den biblischen Berichten etwa thatsächlich geschehen und ist dadurch das schlimme Omen, das allerorten auf dem umgeworfenen Salzfaß ruht, hervorgerufen worden? – Unmöglich w[ä]re es an sich nicht, denn das Salz fehlte auf dem hebräischen Tische nicht, ja, es galt hier eben für ein Sinnbild der Freundschaft und der Treue, ein ewiger Bund heißt im Alten Testament ein „Salzbund“ und ein Verräther noch heute im Orient ein „Salzverräther“. Ueberhaupt aber betrachteten alle alten Völker, die Semiten sogut wie die Arier, das Salz als etwas Heiliges, es verlieh der Mahlzeit die Weihe eines Opfers, sie hielten strenge darauf, daß es ehrerbietig und nach Gebühr behandelt werde. Das Salzfaß stand in der Mitte der Tafel, von Silber und auf silberner Platte, es wird ausdrücklich berichtet, daß der ärmste Römer, als die Sitten noch einfach waren, dies Geräth von Silber haben wollte. Das Salz zu vernachlässigen, zu vergessen, auf dem Tische stehen zu lassen, weissagte dem Besitzer Unglück; es umwerfen, hieß die Hausgeister erzürnen. Es war wie das Feuer, von dem Schiller in dem „Lied von der Glocke“ singt:

„Wohlthätig ist des Feuers Macht,
Wenn sie der Mensch bezähmt, bewacht.“

Am unrechten Orte und im Uebermaß ausgestreut, besaß das Salz nach alter Meinung eine verwüstende, um mich modern auszudrücken, eine „sterilisierende“ Kraft; es machte – und die Wissenschaft widerspricht dem nicht gerade – unfruchtbar und vernichtete alles Leben wie die Salzfluth des Toten Meeres. Es wurde daher zum Zeichen einer ewigen Zerstörung auf die Ruinen einer geschleiften Stadt geworfen. Das geschah nicht bloß im Heiligen Lande, das geschah noch am 25. März des Jahres 1162 in der Lombardei, wo „Kaiser Rothbart lobesam“ Mailand mit deutschem Pfluge pflügen und mit Salz besäen ließ. Das war eben jenes Mailand, wo nachmals Leonardo da Vinci das Abendmahl gemalt hat. Nun erkennt man sofort die hohe Sinnbildlichkeit des verschütteten Salzes: wo das Salz hinfiel, konnte fürder nichts mehr wachsen, der Herd, auf den es flog, verödete, der Tisch, um den sich eine blühende Familie scharte, ward leer.

Nun dürfte man sich doch zu den vier Evangelisten dessen versehen, daß sie sich, wenn Judas beim Abendmahl wirklich das Salz verschüttet hätte, diesen wirkungsvollen Zug nicht hätten entgehen lassen; sie erwähnen indessen davon nichts. Man darf also schließen, daß Leonardo da Vinci diesen Zug aus eigenem Ermessen hinzugefügt hat und daß der Aberglaube in diesem Falle ungleich tiefer sitzt.

Beim Freitag liegt es dagegen auf der Hand, daß, wenn er ein Unglückstag ist, er es nur deshalb ist, weil Christus nach den übereinstimmenden Angaben der Evangelien an einem Freitag litt und starb.

Man darf annehmen, daß diese Verfehmung des Freitags bei den germanischen und romanischen Völkern des Abendlandes nicht ohne Widerstand zur Geltung kam. Denn der sechste Wochentag war bei ihnen der Göttin der Liebe, der Frau gewidmet, deren Name vom „Freuen“ kommt; er heißt noch heute in der einen Hälfte Europas nach der holden Venus und in der anderen Hälfte nach der jungen schönen fröhlichen Himmelsgöttin Freya. Noch heute wird er daher in gewissen Gegenden, z. B. in Westfalen und in Schottland, gern zum Hochzeitstag, zum Freien, also im ganz eigentlichen Sinne zum „Freitag“ gewählt. Sonst aber hat die Bedeutung des Freitags als eines Verrufenen fast überall in Europa die Oberhand gewonnen. Nicht nur gehört eine Hochzeit an einem Freitag zu den größten Seltenheiten, der Tag ist überhaupt verpönt – an einem Freitag soll man nichts beginnen, namentlich keime Reise unternehmen, nicht abfahren und nicht segeln. „Nicht einmal ein frisches Hemd anziehen,“ setzt der Bauer in Oberösterreich hinzu. Er meint, wenn man an einem Freitag ein frisches Hemd anziehe und es komme zufällig ein Donnerwetter, so könne dieses nicht vorbei.

In der That ist die Ziffer der Eisenbahnreisenden und der abgehenden Dampfschiffe an diesem Tage geringer als an anderen Wochentagen. Der Freitag hat freilich andererseits auch seinen Herold und seinen klassischen Fürsprecher. Kolumbus hat sich an einem Freitag eingeschifft, als er zur Entdeckung des Seewegs nach Ostindien ausfuhr; es war ein Freitag, als er nach einigen sechzig Tagen an der Watlingsinsel landete, eines Freitags endlich kehrte er nach Spanien zurück. Deshalb gilt auch der Freitag in Amerika für einen guten Tag, für einen „lucky Day“, viele der wichtigsten politischen Ereignisse haben seitdem an dem lucky Friday stattgefunden. Die englischen und die deutschen Matrosen aber kennen nur den „unlucky Friday“. Sie kehren sich nicht an den Kolumbus, ihnen ist der Fliegende [817] Holländer, der an einem Karfreitag in See stach und nun zur Strafe ruhelos auf dem Meere umherrast und beim Kap der Guten Hoffnung gegen die Stürme kreuzt, ein warnendes Beispiel. Theologen haben ausgerechnet, daß nicht nur Christus an einem Freitag gekreuzigt worden ist, sondern daß auch Adam und Eva eines schönen Freitags den Apfel aßen und sündigten.

Den Bann des Freitags mißachten, ein Salzfaß verschütten und als der Dreizehnte am Tische sitzen, das läuft bei abergläubischen Seelen auf eins hinaus. In allen drei Fällen droht ein Unglück!

Der vornehmste Beweis dafür, daß die Dreizehn ihren unheilbaren Mißkredit nur dem Passahmahle in der Stadt Jerusalem verdankt, ist der, daß diese Zahl bis dahin nicht nur nichts Anstößiges hatte, sondern daß die ungeraden Zahlen sogar für besser galten als die geraden. Ich will ja nicht behaupten, daß alle heiligen Zahlen ungerade seien, obschon gleich die vier ersten ungeraden Zahlen, die Drei, die Fünf, die Sieben und die Neun, seit den ältesten Zeiten für heilig gegolten haben, eine Eigenschaft, die in diesem Grade eigentlich nur die Zwölf mit ihnen theilt. Aber im allgemeinen scheint es fast, als ob die Völker geradezu eine Furcht vor den geraden Zahlen und den runden Summen hätten, das lehrt uns eine Menge recht befremdlicher Eigenheiten. Warum werden bei festlichen Anlässen nicht 100, sondern 101 Kanonenschüsse abgebrannt? Warum dem indischen Sträfling 101 Stockhiebe aufgezählt? Ist das eine bloße Vorsichtsmaßregel oder eine gewisse adelige Gepflogenheit, mit der eins dreingegeben wird, wie die Marktfrau in Leipzig für die Mandel Eier 16 Stück verabreicht, was sie eine Bauernmandel heißt? – Also die Dreizehn besäße an sich eher Anwartschaft darauf, eine gute Zahl zu sein. Wenn sie unter allen die schlechteste, die gefährlichste, die verrufenste ist, so liegt das an Jerusalem.

Die Erscheinungen, welche durch die Furcht vor der Zahl Dreizehn zu Tage gefördert werden, gehören entschieden zu den seltsamsten „Komödien des Aberglaubens“. Wir haben hier zu Lande Frauen, feine gebildete Frauen, die nicht in einem Geschäft kaufen mögen, das die Nummer 13 hat, und wenn sie vergoldet wäre. In den Zeitungen stand kürzlich zu lesen, daß man zu Luxemburg in einer neuen Schule bei der Numerierung der Zimmer die 13 durch eine 12b ersetzte und jene ominöse Zahl auf die Thür eines Raumes verbannte, den man nur vorübergehend zu betreten pflegt. In Gasthöfen wird man meist vergeblich nach der Zimmernummer 13 suchen, und wo sie sich findet, da ist sie sicher die letzte, die der Wirth anzubieten wagt. Am ärgerlichsten ist aber der Dreizehnte doch bei Tische, weil es dann gleich ans Leben geht. Es versteht sich, daß bei allen Einladungen peinliche Rücksicht darauf genommen und genau gerechnet wird; wie aber manchmal der Zufall sein Spiel hat, so geschieht es, daß plötzlich einer absagt oder ein Fremder unerwarteterweise mitkommt oder einer abgerufen wird. „Herrje, nun sind wir dreizehn! Wenn man’s nur nicht gleich merkt!“ – Eine kluge Wirthin weiß sich aber zu helfen. Etwa wird eine Nichte oder eine sonstige Verwandte, die zur Gesellschaft gehört, unter irgend einem Vorwand an ein Nebentischchen gesetzt – oder es muß ein unschuldiges Kind mit an den Tisch – oder es wird in aller Eile ein Vierzehnter eingeladen. Der Vierzehnte! Das ist nämlich ein Geschäft, der Vierzehnte zu sein. In allen großen Städten giebt es tadellose Stutzer, die sich ein Vergnügen daraus machen, in Frack und weißer Kravatte anzutreten und einzuspringen, wenn das Unglück irgendwo „des Teufels Dutzend“ geworfen hat. Ihre Adressen haben sie bei einem Agenten hinterlegt, an welchen sich der Gastgeber telephonisch wendet. Wer nicht zufällig eingeweiht ist, betrachtet sie als seinesgleichen und als Gäste, deren Beziehungen zum Hause er noch nicht kennt. Sie erhalten eine Doppelkrone, das gute Essen haben sie obendrein.

Für die „Vierzehnten“ bedeuten also die „Dreizehnerklubs“, die sich u. a. in London und New-York gebildet haben, um dem Aberglauben Trotz zu bieten, einen wirklichen Verlust. Diese „Dreizehner“ speisen nie anders als zu dreizehn, beziehungsweise in Gruppen von je dreizehn und zwar dreizehn Schüsseln am dreizehnten jeden Monats; selbst die Musikanten, welche die Tafelmusik machen, müssen gerade dreizehn sein und dreizehn Stücke spielen, wofür sie dreizehn Schillinge für den Mann erhalten. Durch die That wollen die Wackeren beweisen, daß sie sich vor keiner Vorbedeutung fürchten; es läßt sich denken, daß diese aufgeklärten Gesellschaften nebenbei auch den anderen Verfehmten, dem Freitag, dem Salze und allerhand Gespenstern zu Leibe gehen.

Fruchtloses Unterfangen! Der Aberglaube wird dennoch recht behalten, einer von den Dreizehnern wohl eines Tags dran glauben müssen und dann wird die Schuld erst recht auf die Ziffer geschoben werden. Rudolf Kleinpaul.