Treue Liebe (Elise Polko)

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Autor: Elise Polko
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Titel: Treue Liebe
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aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 57-59
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Leben des Hans Hemmling oder Hans Memling
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[57]
Treue Liebe.
Miniaturbild aus alten Zeiten von Elise Polko.


Es war noch früh am Tage im kühlen Octobermond und doch standen schon viele Verkäufer auf dem großen Marktplatz der reichen mächtigen Handelsstadt Brügge. Nun rede ich aber nicht von dem heutigen Brügge, das so still und ernst in dem blühenden Garten Belgiens steht wie eine zerbrochene Statue, ich meine jene berühmte Stadt des 14. Jahrhunderts, jenen hellfunkelnden Edelstein der Provinz Westflandern, nach dessen Besitz es damals gar manchen hohen Herrn nicht wenig gelüstete. Von den reichen Wochenmärkten der damaligen Zeit weiß auch das heutige Brügge nichts. Ungeheure Wagen voll des köstlichsten Gemüses standen dicht neben einander in langen Reihen, herrliches Obst war massenhaft aufgehäuft, weiterhin hatte man breite Tische aufgestellt mit Blumen von allen Farben, und endlich waren lange Tafeln zu sehen mit Körben und Käfigen voll Geflügel aller Sorten und Bergen von frischen Eiern. – Einzelne Mägde in weißen anliegenden Hauben und blendenden knapp übergesteckten Brusttüchern schritten mit ihren saubern Körben daher, prüften und handelten mit den derben Bauern. Hier und da trippelte auch schon eine sorgliche Hausfrau herbei, das Beste zu wählen und die Vorräthe zu mustern. Ernste Männergestalten in großen Halskrausen und Ehrenketten und schwarzen Talaren wandelten dem Rathhause zu, Mädchenblumen in langen faltigen Gewändern, den Rosenkranz in den Händen, schwebten gesenkten Blicks vorüber, – denn die Glocken der hohen Liebfrauenkirche und der Jerusalemerkapelle läuteten zur Frühmette, und dazwischen rief, hell wie eine Kinderstimme, das Glöckchen des St. Johannishospitals die frommen Nonnen zur Andacht.

Vor dem letzten Platze an einer der langen Tafeln lehnte ein Knabe von etwa vierzehn Jahren, ein Korb voll wohlgemästeter Gänse gehörte ihm. Der junge Gesell stand aber neben den schnatternden unruhigen Thieren wie einer der träumt, das feine blasse Gesicht war sehr ernst und die großen dunkeln Augen schauten weit – weit weg. – Wohin? das wußte er wohl selbst nicht. – – Seitwärts von ihm saß auf einer umgestürzten Tonne sein Vater, die kurze Pfeife im Munde, ein großer Bauer aus dem Dorfe Damm. Man nannte ihn nur „der lange Hans von Damm.“ Bei ihm kaufte man immer gute Waare, er ließ aber um keinen Deut mit sich feilschen, man mußte willig zahlen was er forderte, und das war auch nie zu viel, meinten alle Leute, nur die reiche Frau Vandermer meinte es nicht und zankte sich an jedem Markttage mit dem langen Hans herum. Eben kam sie herangewackelt, die dicke Goldschmidtswittwe, in dem großblumigen Damastkleide und der pelzbesetzten weiten Contusche, in der seidnen Kaputze, aus der ein weißer Haubenstreif und ein rothes mürrisches Gesicht hervorsahen. Ihre fetten Hände steckten in einem großen Muff, und die hinter ihr hertrabende Magd trug den Korb und nickte schon von Weitem schlau lächelnd dem dammer Bauern zu. – „Mafraw" trat heran, besah und befühlte eine Gans, wog sie in der Hand, drehte sie um und um, hielt sie in’s Licht und in den Schatten, kehrte fast jede einzelne Feder um und fragte endlich mit scharfer Stimme nach dem Gebot. Kaum hatte sie’s aber vernommen, als sie in gewohnter Weise losfuhr, schier außer sich gerieth und das schöne Thier mager und krank nannte. Der lange Hans wurde gar grob. „Mafraw" erwiederte herzhaft jede derbe Rede und kreischte gewaltig. Da blieb denn bald Der bald Jener stehen, wo Einer steht, da kommen Andere dazu, es sammelten sich allmälig viele Leute um das zankende Paar – die geizige Frau Vandermer war ja in der ganzen Stadt bekannt. – Plötzlich schrie aber die junge Magd ganz hell auf: „Ach, da ist ja das leibhaftige Conterfey von Mafraw!" – Man hörte verwundert, drängte sich dichter zusammen, machte lange Hälse, – ein Gemurmel erhob sich – dann aber brach ein Lachsturm aus, so gewaltig, so unaufhaltsam, daß noch mehr Menschen herbeigelaufen kamen und selbst die Verkäufer ihre Plätze verließen und schrien und jubelten. – „Mafraw" allein stand mit geballten Fäusten und schäumend vor Wuth in Mitte der allgemeinen Freude und überschüttete mit Scheltworten den Urheber des Auflaufs, den hübschen Knaben. – Der hatte nämlich während des Gezänks mit einem Stückchen Kohle auf die letzte Ecke der Tischplatte die ganze Gruppe in rohen Umrissen aufgezeichnet und den Kopf und die Haltung der Alten so treu, so sprechend, oder vielmehr so keifend wiedergegeben, daß niemand dies Conterfey ohne Heiterkeit anzublicken vermochte. „Mafraw" wollte zwar zu wiederholten Malen darauf losfahren, um die Striche zu verwischen, aber hundert Arme streckten sich aus, die Zeichnung zu schützen. Eben als der Tumult am heftigsten war, schritt ein hoher, mild blickender Mann langsam über den Marktplatz. Er trug einen braunen Sammetüberwurf reich mit Pelz verbrämt und ein schwarzes Barett auf den lang herniederwallenden hellen, schon silberschimmernden Haaren. Junge Männer in ähnlicher Tracht gaben ihm mit dem Ausdruck höchster Ehrfurcht das Geleite. Ein Flüstern durchlief die Menge als er nahte.

„Was geschieht hier“ fragte er sanft. Man machte ihm sogleich Platz und er trat an den Tisch. Da stürzte aber der Knabe vor, warf sich dem Fremden zu Füßen und rief:

[58] „Ach, edler Meister van Eyk[1], seht mein schlechtes Werk nicht an!“

Aber der hochberühmte Maler hatte sich über die Zeichnung gebeugt und betrachtete sie lange und aufmerksam. Dann wandte er sich zu dem aufgeregten Knaben, der aufgesprungen war und mit glühenden Wangen neben ihm stand, und fragte ernst:

„Wie heißt Du?“

„Hans Hemmling [2].“

„Hans Hemmling – willst Du mein Schüler werden?"

Da rang sich ein wilder Schrei des Entzückens aus der jungen Brust, mit überströmenden Augen rief der Knabe fast krampfhaft:

„ja – ja – ich will!"

Die Stimme brach ihm aber, er faßte des Meisters Hände und drückte sie fest an sein laut klopfendes Herz.

Der alte Bauer nahm seinen breitgeränderten Hut langsam ab und sagte:

„Nun habe ich ihn doch untergebracht, den Taugenichts, Dank Euch, Meister van Eyk! Hans hat von Euch geträumt Tag und Nacht und mir dabei Wände und Tische geschwärzt. Bei Euch wird er gut thun! – Aber, Hans, bedanke Dich zuerst bei Mafraw Vandermer."

Die aber war fortgerannt und van Eyk ging auch langsam weiter, die Leute verliefen sich, der lange Hans verkaufte seine Gänse, der braunlockige Gesell allein stand bewegungslos mit gefalteten Händen da und wiederholte sich immer und immer wieder die Zauberworte:

„Hans Hemmling, willst Du mein Schüler werden?"


Die Zeit floß sanft weiter. – Hans Hemmling wohnte im Hause des Meisters Johannes van Eyk und war der fleißigste und geschickteste aller seiner Schüler. Der große Maler stand damals auf der Höhe seines Ruhmes. Er war erst seit wenigen Jahren von Gent zurückgekehrt nach Brügge, in ersterer Stadt hatte er in Verein mit seinem Bruder Hubertus und seiner Schwester Margarethe, dieser hohen Künstlerin, eine Kapelle in der Johanniskirche gemalt. Der Tod zerriß grausam den schönsten Geschwisterbund, Hubertus erkrankte kurz nach Beginne des Altarblattes und starb, und die edle Jungfrau, Margarethe, folgte ihm nach wenigen Monden. – Den tiefen Kummer des Ueberlebenden linderte nur die heilige Kunst, die ja zu allen Zeiten ein unversiegbarer Trostquell für alle Schmerzen der Erde gewesen. Er lebte fortan nur schaffend und lehrend in Brügge, aber nur einer kleinen Anzahl von Schülern wurde die Segnung seiner Unterweisung zu Theil. Unter ihnen wurde Hans Hemmling gar bald van Eyk’s Liebling. Sein wunderbares Talent zur Miniaturmalerei entzückte den Meister. Der Jüngling machte riesenhafte Fortschritte und bald kannte man seinen Namen, und vornehme Kunstfreunde ließen sich die Blätter ihrer auf Pergament geschriebenen Gebetbücher von ihm verzieren. Endlich wurde es gar Mode, eine Blume oder Arabeske, eine Landschaft oder eine Heiligengestalt von Hans Hemmling gemalt zu besitzen, und weltliche wie geistliche Fürsten ließen sich ganze Gebetbücher von ihm ausmalen und bezahlten ihm was er verlangte. Bescheiden nahm der junge Maler solche Auszeichnung hin, mit erhöhter Dankbarkeit sich seinem weisen und gütigen Lehrer zuwendend.

Da begab es sich eines Tages, als der Jüngling in der Liebfrauenkirche kniete, daß dicht neben ihm ein junges Mägdlein sich betend niederwarf. Das Malerauge verfolgte mit Wohlgefallen die reinen Linien des kindlichen Profils, die weiche demüthige Neigung des Hauptes, die schönen Formen des Nackens und der Arme – und mit der inbrünstigen Andacht war’s für diesmal vorbei. Hans Hemmling stand auf als das Mägdlein sich erhob, wandelte hinter ihr her aus der Kirche, folgte ihr durch viele Straßen wie im Traume und blieb mit ihr vor einem kleinen Hause stehen. Als sie den schweren Klopfer der Thür niederfallen ließ, – da erst hob sie den Kopf und schaute voll und gerade in Hans Hemmling’s Gesicht. Es waren zwei blaue engelliebe Augen, die dem jungen Maler tief, tief in’s Herz schauten. Und da blieben sie stehen wie zwei helle Sterne und strahlten ihn an Tag und Nacht im Wachen und Traume. In alle Engelsköpfchen, die fortan Hans Hemmling malte, stahlen sich diese Augen – die Ruhe seines Herzens war nun dahin für ewig. – Wohl zu hundert Malen ging er an ihrem Hause vorüber ohne mehr zu gewahren als die Spitze der schwarzsammetenen Haube, die das Mägdelein trug und ein Stückchen ihrer schweren blonden Flechten. – Aber erste Liebe ist genügsam wie ein Kind, die unscheinbarsten Dinge beglücken sie: – Die Spur des zarten Fußes im Sande, der Saum des Gewandes, eine Bewegung der Hand, ein Seufzer, ein Blick, ein Erröthen, ein Lächeln – das war so von Uralters her und wird immer so sein. – An den Sonntagen nun sahen sich der Jüngling und das schöne Mädchen aber gewißlich, – und eines Tages grüßten sie sich, und dann gab Hans Hemmling dem lieblichen Frauenbilde eine Strecke Weges das Geleit, und endlich redeten sie wenige Worte miteinander – Beide Anfangs so scheu und kindlich-zaghaft. – Nach und nach wurden sie muthiger und redeten länger, und so vernahm er von ihr, daß sie das einzige Töchterlein einer gichtkranken Wittwe sei, und die heftige und strenge Mutter ihr keinen andern Ausgang gestatte, als den zur sonntäglichen Messe. Sie müsse einsam leben Tag für Tag, sagte sie, und sähe gar selten ein menschlich Angesicht. – Und leise weinte sie als sie so sprach. – O, wie da des jungen Malers Herz litt bei ihren Thränen. Er sah die schönste der Rosen unbewundert verblühen, welken – sterben – und er faßte zur Stelle den Plan, um die Geliebte zu werben bei der strengen Mutter. Würde sie ihm ihr holdselig Töchterlein anverloben, so wollte er sich seinem Lehrer und Freunde entdecken, und der müßte helfen und rathen – meine er. – Davon sagte er aber der Geliebten nicht ein einziges Wort.

Und als etwa ein halber Mond vergangen und der Frühling eben die Augen aufschlug – da stand Hans Hemmling eines Sonntags Nachmittag vor dem wohlbekannten Hause und klopfte. Eine alte Magd öffnete und fragte nach seinem Begehr. Da fiel’s ihm urplötzlich schwer auf die Seele, daß er nicht einmal den Namen des Mädchens wisse, das er zum Weibe begehren wollte, und er erröthete heiß und gab unverständliche Antwort. Die Schwerhörige aber führte ihn durch das saubere kleine Vorhaus, die schmale teppichbelegte Treppe hinaus, klinkte eine Thüre auf und der junge Maler stand in einem gar zierlichen Gemach. Die holzgetäfelten Wände glänzten, auch das künstliche Schnitzwerk an den hohne Sesseln und die Messingknaufe und das Geländer am Kamin. Am blanken Fenster standen Scherben mit Tulipanen und Hyacinthen, und die Mädchenblume stand davor und erblaßte und fuhr mit der Hand nach dem wild pochenden Herzen, als sie den Geliebten erkannte. Am Kamin aber saß eine alte dicke Frau in großblumiger, bauschiger Damastrobe und weißer steifer Haube. – Hans Hemmling trat verwirrt näher, legte gesenkten Blicks der Alten ein Päcklein auf den Schooß und sagte leise:

„Hier habe ich Euer holdseliges Töchterlein conterfeyt, ich schenke es Euch – aber gebt mir dafür das lebende Kind zum Weibe!“

Die Frau erhob sich erstaunt – beugte sich vor – schrie laut auf – und ließ das wunderfeine gemalte getreue Bildniß des Mädchens auf den Boden fallen. – Entsetzt schlug jetzt der Maler die Hände vor sein Antlitz – er hatte Mafraw Vandermer erkannt. Zitternd vor Wuth trat sie ihm näher und eine Fluth von Zornreden strömte von ihren Lippen. Weinend stürzte die Tochter zu ihr hin.

„O, Schande über Dich und Deinen Buhlen, Ursula,“ schrie sie gellend, „hast immer geredet von einem sittsamen Jüngling, hast mir erzählt von seinen sanften Augen und seinem edlen Wesen – und bringst mir den – den da in’s Haus! weißt Du, wer der ist? ’S ist jener verwegene Bauerjunge, der vor vier Jahren Deine ehrbare Mutter auf öffentlichem Markte vor allen Leuten beschimpft! – Nun will er auch Dich beschimpfen, der Farbenkleckser, der Pinselmann und freit um Dich. – Aber das soll ihm doch nicht glücken. Ursula ist zu gut für eines dammer Bauern Magd, und Ursula folgt keinem Manne, der einst ihre Mutter so schnöde verhöhnt! Ich sage Euch, sie wird nicht, sie darf nicht! – Und wenn sie diese Worte vergessen sollte, so wird mein Fluch sie aus dem Grabe noch treffen. – Da seht – seht – wie viel Eure Kunst mir werth ist!“

Sie nahm die feine Holzplatte, auf deren dunkelm Grunde [59] leuchtend wie ein Engelbild die Gestalt des Mägdleins sich abhob im braunen faltigen Gewande, den Rosenkranz in den Händen, den Blick gesenkt und das Goldhaar gelöst – und warf sie in das Feuer, wo sie prasselnd aufloderte und verging.

Da zuckte der Jüngling auf – warf stolz das Haupt empor, stürzte auf die Geliebte zu, umfaßte sie verzweifelt wie zum ewigen Scheiden, küßte ihre bleichen Wangen – und stürmte fort zum Hause hinaus.


Hans Hemmling kehrt nicht in das Haus seines geliebten Lehrers zurück – man sah ihn seit jenem Tage nicht mehr in Brügge, er war und blieb verschwunden, umsonst forschte Johannes van Eyk in tiefer Trauer nach seinem Liebling. Niemand vermochte Kunde von dem Jüngling zu geben, und der große Meister beweinte ihn als einen Todten.

Die Zeit eilte weiter. Trübe wilde Jahre kamen, Jahre voll Kampf und Zwietracht, Noth und Krieg. Karl der Kühne zog mit ungeheurer Heeresmacht gegen die Schweizer, die Schlacht bei Murten wurde geschlagen, eine Schreckensscene verdrängte die andere, bis endlich nach der unglücklichen Schlacht von Nancy 1477 den 6. Januar der blutige Vorhang fiel. – Die Schaaren des Fürsten wurden geschlagen und zerstreut, kranke, krüppelhafte Gestalten irrten nun mitten im härtesten Winter von Land zu Land. – Da wankte auch an einem stürmischen Abend ein gebeugter lumpenumhüllter Krieger durch das Thor von Brügge. Aber nur wenige Schritte trugen ihn noch seine Füße, von Hunger und Kälte erschöpft, stürzte er ohnmächtig zusammen. Gutmüthige Bürger hoben ihn auf und schleppten ihn in das naheliegende St. Johannishospital zu den barmherzigen Schwestern. Sanfte Hände nahmen ihn in Empfang, sanfte Augen schauten ihn an. Als man ihn aber in den großen Krankensaal brachte, sank eine der unermüdlichsten jener stillen Gestalten, die dienstthuende Schwester Ursula plötzlich bewußtlos zusammen. Nach einem geheimen Gespräch mit der Oberin hatte man ihr jedoch nachher die Pflege des Schwerkranken allein übertragen. Ja krank – sehr krank war der Fremde, viele Tage lang lag er ohne Besinnung, dann kam eine Periode heftigster Seelen- und Körperschmerzen, wo er wild aufschrie und sein Leben verwünschte; aber da sprach eine wunderliebe Stimme besänftigend ihm zu, und ein bleiches müdes Angesicht neigte sich mit zärtlichem Lächeln über ihn. Und dann redete er von blauen Engelsaugen, nannte längst verschollene Namen, und hielt Zwiegespräch mit dem todten Meister van Eyk und der schönen Ursula Vandermer. Als aber endlich des Kranken Sinn klar geworden, da feierten zwei Menschenherzen eine jener seligen Minuten, an denen die lieben Engel im Himmel ihr Freude haben. – Hans Hemmling und die getreue Ursula erkannten sich wieder. – Wohl waren sie Beide alt geworden, aber ihre Herzen waren jung geblieben, und aus beider Augen schaute noch die Jugendliebe wie ein Stück Frühling. Und diese Liebe that jetzt noch größere Wunder als damals: der Kranke erstarkte von Tag zu Tage und konnte bald wieder sich aufrichten von seinem Schmerzenslager. Da verlangte er Pergament, Farben und Pinsel und malte in wunderfeiner Weise auf matten Goldgrund ein Blatt für das Gebetbuch seiner frommen Pflegerin. Vögel und Blumen, Arabesken und liebliche Engelsköpfe waren sinnig mit einander verflochten und verwebt, und die Farbenpracht der zarten Malerei war zauberhaft. Das Blatt ging von Hand zu Hand, wanderte von einem zu dem andern, zu Hoch und Niedrig und mit frohem Staunen, mit dankbarer Freude erkannten die Bewohner Brügge’s an der Art der kunstvollen Malerei ihren unvergeßlichen, vielbetrauerten Hans Hemmling wieder. Da gab es großen Jubel, man drängte sich danach, ihn zu sehen, die angesehensten Bürger boten ihm eine Freistatt an in ihrem Hause, vielfache Bestellungen zu größeren und kleineren Malereien kamen für den berühmten Meister. Der aber lehnte alles ab und blieb im St. Johannishospital, allwo er seines Herzens erste heiße Liebe, um deretwillen er sich in das wüste Kriegerleben gestürzt, wiedergefunden. Aus Dankbarkeit für das friedvolle Asyl der Geliebten, in das sie sich noch vor dem Tode der Mutter geflüchtet – schmückte er die heiligste Reliquie des Klosters, den Kasten, der die Gebeine der heiligen Ursula enthielt, mit vierzehn der prachtvollsten Miniaturgemälde. Jene Ursula war der Sage nach eine junge wunderschöne Prinzessin, die mit zehntausend edeln Jungfrauen nach Köln zog, um daselbst den Märtyrertod zu Ehren ihrer heiligen Religion unter dem wilden Christenverfolger Maximian zu erleiden.

Der Reliquienkasten der Heiligen, der die Form einer kleinen Kirch, sogenannten Basilika hat, ist noch heutigen Tages der Stolz Brügge’s und durch die Hemmling’schen Malereien eines der hochberühmtesten Kunstwerke. Johanna Schoppenhauer in ihrem Werke: Johann van Eyk und seine Nachfolger, schildert diese Gemälde als ein Weltwunder von Schönheit und Farbenpracht und mit vollem Recht. Alle Bilder beziehen sich auf die Geschichte der Heiligen, und eines der Giebelfelder trägt ihr Bildniß. Engelhaft schön und hoch erscheint sie da in ihrem ausgebreiteten Mantel die fromme Königstochter, reizendes Weib und Heilige zugleich. Ihre Augen aber gleichen jenen blauen, sanft schimmernden Sternen, deren Licht nun einmal alle Schöpfungen des Meisters verklärte. Das zweite Giebelfeld zeigt die hehre Himmelskönigin Maria mit dem göttlichen Kinde. Ihr zu Füßen kniet eine schlanke, demüthige Nonnengestalt, es ist Ursula, die Jugendgeliebte, ein bleiches, vergeistigtes Angesicht, auf dessen Wangen schon die weißen Rosenknospen himmlischen Friedens stehen. Und die Engel pflückten sie bald, diese Rosen. – Ursula’s stilles Leben erlosch, nachdem ihr langes demüthiges Hoffen Erfüllung gefunden und sie den Geliebten noch einmal gesehen. Die Ausschmückung des Ursulakastens war noch ihre letzte Freude, mit hohem Entzücken verfolgte sie jeden Pinselstrich, und als sie so schwach wurde, daß sie sich nicht mehr aufzurichten vermochte von ihrem Lager, malte Hemmling in ihrem Krankenzimmer. Das letzte der vier Medaillons, in welchen vier liebreizende Engel mit Saitenspiel die Heilige feiern, war vollendet, da hauchte die frömmste aller Schwestern, die sanfte, stille Ursula ihre reine liebende Seele aus.


Den tiefgebeugten Meister Hemmling litt es aber ferner nicht mehr in Brügge, er vollendete nur noch die beiden begonnenen Altarbilder für die Klosterkirche und zog dann, lebensmüde, nach Löwen. Hier lebte er mehrere Jahre wie ein Einsiedler und malte jene kostbaren größeren und kleineren Bilder, die man leider nur einzeln zerstreut in wenigen öffentlichen Gallerien und meistens in Privatsammlungen findet. Als im Jahre 1494 der junge Philipp von Spanien bei seiner Huldigung als Herzog von Brabant auch nach Löwen kam, hörte er von der großen Kunst des menschenscheuen Meisters und suchte ihn auf. Entzückt von seinen Werken, bat Philipp den Maler, ihn nach Spanien zu begleiten, und Hemmling ließ sich auch nach langem Sträuben wirklich entführen. – Dort aber in dem Lande der Granatbäume und Pinien, unter dem glühenden Himmel Hispaniens trieb ihn unendliches Heimweh und sein müdes Herz in das Karthäuserkloster von Miraflores. – Er fand dort Frieden. – Sein Grab liegt mitten unter den Ruhestätten der stummen Brüder des ernsten Ordens, und die hohen Oelbäume des Klostergartens rauschen dem Fremdling sanfte Wiegenlieder aus der fernen Heimath.[WS 1]


  1. Johann van Eyk, Erfinder der Oelmalerei, der Perspective und Luftmalerei, einer der größten Meister der alten niederländischen Schule.
  2. Berühmtester Miniaturmaler der niederländischen Schule, nach Einigen in Damm bei Brügge geboren, nach Andern in Constanz in der Schweiz.

WS-Anmerkung

  1. Der hier geschilderte Hans Hemmling ist in unterschiedlicher Schreibweise des Namens bekannt. Allgemein hat sich aber der Name Hans Memling durchgesetzt. Dessen Vita weicht jedoch deutlich von der hier wiedergegebenen ab.