Ueber Schiffscollisionen
In längeren oder kürzeren Zeitabschnitten, aber immer und immer wieder kommt, wie noch jüngst, von der See her die unheilvolle Nachricht eines schweren Unglücks, das aus einer Schiffscollision hervorgegangen ist. Nun ist zwar anzunehmen, daß allwöchentlich solche Collisionen stattfinden, aber die Nachricht von ihnen dringt, wenn dabei keine größere Katastrophe eintritt, nicht über die Schranken des Seegerichts in weitere Kreise hinaus. Werden aber größere, vor allem Passagierschiffe von einem solchen Unglück ereilt und weitere Kreise dadurch in Mitleidenschaft gezogen, so bemächtigt sich die Aufregung hierüber auch des größeren Publicums und erfahrungsmäßig ist dieses jederzeit mit der Beurtheilung des Falles schnell fertig, indem es der Führung der Schiffe die Schuld in erster Linie beimißt, denn „hinten hat das Schiff ja ein Steuerruder, auf der Capitainsbrücke einen Capitain, ringsherum lauter unbegrenztes Wasser – warum sind sie also nicht ordentlich ausgewichen?“ So populär diese Auffassung ist, so ungerecht, aber auch so entschuldbar ist sie. Dem Binnenländer ist die See und alles, was damit zusammenhängt, eine fremde Welt, und es fehlen ihm alle Anhaltspunkte für ein irgend zutreffendes Urtheil.
Da nun die Collisionen von Schiffen nicht nur in der jüngsten Vergangenheit das Publicum in Aufregung erhalten haben, sondern auch unvermeidlich – der Leser wird das Warum? aus den nachfolgenden Zeilen ersehen – künftig noch manches Mal in Schrecken setzen werden, so wollen wir kurz und unter Vermeidung aller für das weitere Publicum weder verständlichen noch interessanten Detailausführungen die Gesichtspunkte zusammenstellen, unter denen eine Collision zu beurtheilen ist, Gesichtspunkte übrigens, deren Kenntniß die bisherige Beurtheilung des Publicums wesentlich wandeln müssen, da sie, so einfach an sich, doch in ihrer Verbindung dem Laien neu sind.
Fassen wir zunächst diejenigen in’s Auge, welche sich aus dem Weltschifffahrtsverkehr, seinem Apparat und seinem Wesen nach ergeben! Mit Errechnung der Küstenfahrt und aller Fahrzeuge geringsten Tonnengehaltes kann man die Weltflotte, das heißt Handels- und Kriegsmarine aller Nationen zusammen gerechnet – so weit eine Berechnung möglich ist – in runder Summe auf ungefähr 170,000 Fahrzeuge veranschlagen, eine Summe, die jährlich wächst und in ihrer imposanten Größe die Gefahr von Collisionen an sich wachrufen dürfte, stünde ihr nicht das unermeßliche Gebiet des Weltmeeres gegenüber. Die Zahl der verkehrenden Schiffe erhält erst eine verhängnißvolle Bedeutung da, wo an den Ufern stark gegliederter Continente hochentwickelte Culturvölker lebhafte Seefahrt treiben und in Folge dessen der Schiffsverkehr sich in einigen Gegenden wie in einem Brennpunkt vereinigt. Das hervorragendste Beispiel und zugleich das gefährlichste Fahrwasser bietet unser auch sonst durch seine Strömungen und Winde berüchtigter Canal. Wenn man bedenkt, daß z. B. allein die Elbmündung jährlich im Durchschnitt von 25,000 Fahrzeugen passirt wird, so kann man sich einen annähernden Begriff davon machen, welcher Schiffsverkehr auf der genannten Seestraße stattfindet. Zu den Gefahren eines gehäuften Verkehrs gesellt sich aber ein anderer bedenklicher Umstand: das beschleunigte Tempo unseres heutigen Güterumlaufes. Der Rheder verlangt von seinem Capitain um der Concurrenz willen eine möglichst schnelle Fahrt. Der gewissenhafte Capitain versucht nach Kräften, diesen Anspruch mit dem anderen an eine möglichst sichere Fahrt auszugleichen. Was geschieht? Bei der nächsten Fahrt überholt ihn ein anderer, weniger gewissenhafter College, und der Rheder bedauert achselzuckend, daß er bei weiteren solchen „langsamen“ Fahrten, auf die Verwendung des Capitains verzichten müsse. Dieser ist nun vor die Wahl gestellt: entweder mit Sicherheit seine Stelle zu verlieren und damit seine Existenz, die seiner Familie und überdies sein Renommée auf das Spiel zu setzen, oder zu riskiren, was Andere auch riskiren, und sich auf das gute Glück, daß Nichts passirt zu verlassen. Die menschliche Schwäche siegt, er wählt den letzteren Weg; das nächste Mal fährt er darauf los und – hat er gerade Unglück, so ist die Collision fertig. Wer wollte nun [861] den ersten Stein auf Capitain wie Rheder werfen, die dem Drucke des riesig gesteigerten Verkehrs unterliegen? Wir dürfen es gewiß nicht, die wir über den „abscheulichen Zeitverlust“ lamentiren, wenn der Zuganschluß oder das Telegramm sich um eine Viertelstunde verspätet. Wie schwer aber ist die Grenze zu bestimmen, wo ein wirklicher Leichtsinn an Stelle der Bedrängniß durch die Anforderungen des Verkehrs tritt!
Eine Reihe weiterer Veranlassungen zu Collisionen ergeben sich, wenn wir an die einzelnen Factoren der Fahrt selbst herantreten: – die Führung, Schiffsapparate, gesetzliche Bestimmungen und schließlich die unter den Begriff der höheren Gewalt zusammenzufassenden Eingriffe des Wetters, der See etc.
Unter diesen Factoren nimmt nun die Führung bei weitem die wichtigste Stellung ein. Es ist eine sonderbare Thatsache, daß das Publicum Eisenbahnunfälle mit stoischer Ruhe als ein unvermeidliches Uebel aufnimmt, während es über eine Collision von Schiffen sofort ein Geschrei wegen Nachlässigkeit etc. erhebt. Und doch, wie unendlich viel einfacher liegen die Verhältnisse einer Eisenbahn gegenüber denen der Schifffahrt! Kurz gesagt: es handelt sich in erster Linie gar nicht um die Frage, ob die Collision bei geringerer Nachlässigkeit seitens des Capitains zu vermeiden war, sondern darum, ob der Capitain überhaupt im Stande war, bei strengster Pflichterfüllung eine solche zu vermeiden. Denn dieses Vermeiden einer Collision ist unter Umständen eine der schwierigsten Aufgaben, welche der menschlichen Leistungsfähigkeit gestellt werden kann.
Fassen wir einmal die hier eine überaus wichtige Rolle spielende Frage der Entfernungen in’s Auge. Jedermann weiß, wie schwierig schon auf festem Lande unter Benutzung aller möglichen durch das Terrain gebotenen Anhaltspunkte die genaue Bestimmung einer Entfernung bleibt. Wie viel mehr auf dem Meere und zwar einem Schiffe gegenüber, von dessen Curs und Fahrgeschwindigkeit der Capitain sich ein möglichst klares Bild machen muß, da ein voreiliges Manöver leicht ebenso verhängnißvoll werden kann, wie ein zu spätes. Handelt es sich um ein Segelschiff, so kommt noch als weiter zu berücksichtigendes, höchst wichtiges Moment die Windrichtung in Frage. Ein Dampfer ist natürlich ganz anders Herr seiner Bewegungen, als ein Segelschiff; der erstere kann stoppen, wann und wie er will, das letztere gar nicht, ohne die Herrschaft über das Schiff vollständig zu verlieren, und zwischen Segelschiffen ist wieder eines, welches am Winde segelt, einem anderen, das mit dem Winde segelt, gegenüber im Nachtheil. Ist nun auch auf solche Uebelstände selbstverständlich die gesetzliche Instruction basirt, so reicht diese doch keineswegs aus. Hier nur ein Beispiel. Wie bei uns die Wagen auf den Chausseen, so haben Schiffe, welche in entgegengesetzter Richtung sich auf einander los bewegen, rechts auszuweichen, das heißt Backbord zu legen. Kann es etwas Einfacheres als diese Bestimmung geben? Und trotzdem hat sie gerade den Grund für eine Menge Processe abgegeben. Eine bekannte sophistische Vexirfrage lautet: wann hört ein Pferdeschwanz auf ein Pferdeschwanz, ein Sandhaufen ein Sandhaufen zu sein, wenn man immer nur ein Haar und ein Körnchen nach dem andern davon wegnimmt? Ebenso fragen wir: wann hört die Richtung des Schiffes auf, eine entgegengesetzte zu sein? Der Gesetzgeber hat diese Unsicherheit der Bestimmung empfunden und die Worte beigefügt: „oder in beinahe gerade entgegengesetzter Richtung“. Das macht die Sache aber statt besser nur schlimmer, und die Verwirrung wird noch größer, wenn die Gerichte, wie dies geschehen, in solchen Fällen widersprechende Sentenzen abgeben. Dieses Beispiel mag beweisen, wie vorsichtig der Laie bei Beurtheilung solcher Verhältnisse sein muß; auf jeden Fall aber ersehen wir daraus, welche Summe von schnellen Beobachtungen und Schlüssen einem tatsächlichen Handeln des Commandirenden vorausgehen muß.
Bisher hatten wir nur die Begegnung mit einem einzelnen Schiffe im Auge. Der Leser kann sich aber vorstellen, wie sehr sich die Situation verwickelt, wenn statt eines ein halbes Dutzend Schiffe in Frage kommt, sodaß der Capitain also z. B. dem einen Backbord ausweichen, das andere Backbord ansegeln, vielleicht aber bei Vermeidung beider ein drittes in Steuerbord bedrohen würde. Und daß man ein halbes Dutzend und mehr Fahrzeuge zugleich in Rechnung zu ziehen hat, ist z. B. auf dem Canal gar nichts Ungewöhnliches. Aber trotzdem erscheint auch diese verwickelte Situation noch einfach, so lange es Tag ist. Tritt nun gar die Nacht ein, so ist der Capitain lediglich auf die Beobachtung der Laternen angewiesen. Jedes Schiff muß drei Lichter zeigen, ein rothes auf der Backbord-, ein grünes auf der Steuerbordseite und ein weißes am Vormast. Als Grundsatz der hier eintretenden Manöver gilt nun zwar, Farbe an Farbe zu bringen, dies wird aber um so schwieriger, je mehr verschiedene Farben im Curs eines Schiffes auftauchen, dabei ist eine Berechnung des Curses und der Schnelligkeit der Fahrt der den Curs kreuzenden Schiffe, die bei Tage doch annähernd erreicht werden kann, auf ein Minimum beschränkt, ja oft unmöglich und erst in einer Nähe ausführbar, die bereits die Gefahr der Collision in sich schließt.
Hierzu kommen erschwerende Umstände äußerlicher Natur. So wird z. B. jedermann, der von einem helleren und einem matter leuchtenden Lichte die Distanz bestimmen soll, doch unbedenklich das erstere als das nähere, das letztere als das entferntere auffassen. In Wirklichkeit kann die Sachlage aber umgekehrt sein, indem das entferntere von einer in Ordnung gehaltenen, das nähere von einer schmierigen oder schlechtes Oel brennenden Laterne ausgeht, welche verderblichen Folgen das in seiner Rückwirkung auf das vorzunehmende Manöver haben kann, wird sich jeder selbst sagen. Auch die Unzulänglichkeit der menschlichen Sinnesthätigkeit, sowie überhaupt der menschlichen Natur spielt eine bedeutsame Rolle. In erster Beziehung brauchen wir nur an die Resultate der bei den Eisenbahnen angestellten Untersuchungen über Farbenblindheit zu erinnern. Aber auch schon der im ersten Schreck irrig oder ungenau abgegebene Ruf des auf Auslug stehenden Mannes, der plötzlich Lichter vor dem Schiff erblickt, vermag ein falsches Commando und damit die Collision zu bewirken. Daß nun ein zur nächtlichen Dunkelheit hinzutretender dichter Nebel und andere Witterungsverhältnisse die Gefahr einer Collision um so näher rücken, ist selbstverständlich.
Der Leser wird nach alledem zugestehen, daß wir nicht zu viel sagten, wenn wir aussprachen, die Vermeidung von Collisionen sei im gegebenen Falle eine der schwierigsten Aufgaben, die man der Ueberlegung und Geistesgegenwart eines Menschen stellen könne. Eine Reihe von keineswegs allzu einfachen Beobachtungen sind zu machen, diese zu einem klaren Bilde zu verbinden, hierauf gilt es, klar und entschlossen zu handeln, und das Alles unter einem doppelten, schweren Drucke, demjenigen der verzweifelt drängenden Zeit, denn es kann sich um Minuten, ja Secunden handeln, und demjenigen von Gesetzesparagraphen, in deren Rahmen die beobachtete Situation erst einzupassen ist. Und es ist doch wahrhaftig ein ganz anderes Ding, einen Gesetzesparagraphen vor dem grünen Tische anzuziehen und durchzuführen, als dies zu thun mitten im bangen Moment der Gefahr für Leib und Leben, Hab und Gut, Ehre und Zukunft, womöglich noch mitten in dunkler Nacht, umbraust von Sturm und Wogendrang. Zu alledem kann es aber noch geschehen, daß der Capitain selbst bei getreulicher Pflichterfüllung mit dem Gesetz in Conflict kommt oder durch dieses selbst der Collision eigentlich mit offenen Augen in die Arme getrieben wird! Ein Beispiel mag das verdeutlichen.
Bei gewissen Stellungen der sich begegnenden Schiffe zu einander schreibt das Gesetz dem einen vor, in seinem Curs zu verharren, während das andere auszuweichen hat. Der Capitain des ersteren Schiffes hält also, der gesetzlichen Vorschrift entsprechend, Curs; drüben auf dem anderen Schiffe ist aber von dem Manöver, welches diesem gesetzlich zufällt, Nichts zu bemerken - es weicht nicht aus; immer näher rückt der Moment, wo die Gefahr der Collision in die Wirklichkeit tritt - das Schiff gegenüber weicht nicht aus, jetzt ist die Gefahr da, dringend da, und nun sucht der Capitain des Schiffes, welches bisher ruhig seinen Curs halten sollte, sich noch durch ein selbstständiges Manöver zu retten, zumal, wenn sein Schiff das schwächere, also beim Zusammenstoße gefährdetere ist. Da, in der letzten Minute, macht das Schiff gegenüber die vom Gesetze vorgeschriebene Bewegung, allein zu spät, die Collision ist da. Sie kommt später vor dem Seegericht zur Aburtheilung und - der unschuldige Capitain, der, welcher ursprüglich in Ausführung der gesetzlichen Bestimmung seinen Curs einhielt, wird verurtheilt, denn er hat diesen schließlich, gegen das Gesetz, geändert.
„Ja,“ sagt er, „ich mußte es thun, denn der Andere wich nicht aus, wie er sollte.“
[862] „Ich bin allerdings ausgewichen,“ behauptet der Andere.
„Aber zu spät,“ sagt der Erste.
Die ganze Verhandlung spitzt sich also auf die Frage nach der Distanz zu - wer aber soll nachträglich diese noch feststellen? Es bleibt Nichts als der Thatbestand, daß der Eine seinen Curs gegen das Gesetz geändert, der Andere das Manöver ausgeführt hat, und der unschuldige Capitain bleibt der Verurtheilte. Dieser Sachverhalt ist klar, und er zeigt dem Leser, daß man die gesetzlichen Bestimmungen nur als einen Rahmen betrachten darf, in dem möglichst viele Constellationen gruppirt zu werden vermögen, aber ein absolutes Mittel zur Verhütung von Collisionen möge man darin ja nicht suchen.
Nun wird bei dem oben angeführten Beispiele dem Leser doch noch ein Punkt unklar bleiben. Warum wich das andere Schiff nicht aus, wie es sollte? Kann das öfters vorkommen, und ist nicht lediglich leichtsinnige Führung schuld? Nun, zunächst giebt es auch Möglichkeiten genug, wo eine eigentliche Schuld nicht vorliegt, wie z. B. wenn alle Mann aus einem Segelschiffe mit einem der complicirten Manöver beschäftigt sind und das ansegelnde Schiff nicht bemerkt wird, oder wenn das eine Schiff, namentlich bei Nacht, sich im Curse des anderen irrt, wie wir oben schon ausführten, u. dergl. m. Nächstdem ist allerdings der Leichtsinn ein weiterer Motor und namentlich in der Weise häufig, daß das betreffende Schiff, vorausgesetzt, daß es das stärkere ist, sein Ausweichungsmanöver eben nur so weit ausführt, wie es die alleräußerste Nothwendigkeit erheischt. Aber es giebt leider noch schlimmere Motive für ein Nichtausweichen, als eine leichtsinnige Führung, Motive welche uns in die Tiefen menschlicher Brutalität und Niederträchtigkeit blicken und schließlich bei einer Thomas’schen Dynamituhr anlangen lassen.
So unglaublich es dem Leser klingen mag: der Capitain manchen Dampfers – und namentlich sind die Engländer hierin in schlechtem Rufe – fährt ein kleineres ihm begegnendes Schiff mit kaltem Blute in den Grund, aus keinem anderen Grunde, als weil er es in Uebermuth und Trotz dem Schwächeren gegenüber nicht für der Mühe werth hält, vom Curse abzuweichen. Und wie hier die Bestie im Menschen, so ist es in einem anderen Falle die Berechnung des Verbrechens, welche das Steuer führt: der gewissenlose, bankerotte Rheder will eine Collision des gut versicherten Schiffes, er hat am Capitain einen Spießgesellen gefunden, und was man am Lande ein Actienfeuer zu nennen pflegt, nimmt hier die Gestalt der Collision an, wenn die Möglichkeit nicht vorhanden ist, das Schiff auf andere Weise in unverdächtige Havarie zu bringen. Wie hier gerade der Capitain mit einigem Geschick den Gesetzesparagraphen zur Verdeckung des Verbrechens verwenden kann, haben wir soeben an einem Beispiele gesehen.
Soweit die Möglichkeiten und Bedingungen einer Collision, insofern die Führung in Frage kommt! Was nun die aus der Construction des Schiffes hervorgehenden Ursachen betrifft, so haben wir bereits darauf hingewiesen, daß das Segelschiff gegenüber dem Dampfer und das kleinere Schiff gegenüber dem größeren im Nachtheil ist. Ein ganz specieller Fall aber darf nicht unerwähnt bleiben, da er den Grund zu mancher Collision gegeben hat und voraussichtlich noch geben wird: die Verschiedenheit des Steuercommandos, der zufolge die das Mittelmeer befahrenden Schiffe der Franzosen, Italiener, Oesterreicher, Spanier, sowie die der scandinavischen Reiche das Steuerrad auf das Commando Backbord nach Backbord, also nach links, alle übrigen Nationen dagegen nach rechts drehen. Da es nun Sitte geworden ist, um Mißverhältnissen im Commando zu begegnen, dasselbe mit einer entsprechenden Armgeste zu begleiten, so wird nur allzu leicht z. B. folgender Fall eintreten: der Lootse ist gewohnt bei Commando Backbord das Steuerrad nach links zu drehen, der Mann am Steuer aber nach rechts, hebt der Lootse nun den Arm links, eine Drehung nach links beabsichtigend, so dreht der Mann am Steuer nach rechts, und das Unglück ist fertig.
Dem Leser dürfte bei einer solchen Perspective anfangen unheimlich zu werden. Indessen darf man sich die Sache nicht so vorstellen, als mache das Schiff die Fahrt unausgesetzt zwischen solchen Möglichkeiten. Diese werden sich überdies vermindern, und zwar ist in dieser Beziehung zunächst zweierlei zu wünschen: erstlich, daß alle einschlägigen Einrichtungen und Bestimmungen einen internationalen Charakter erhalten, was bis jetzt durchaus noch nicht der Fall ist, und zweitens, daß weitere Erfindungen eine größere Vervollkommnung der in Frage kommenden Apparate gestatten.
Wenn z. B. die neueren Erfindungen in Bezug auf Herstellung eines billigen und ausgiebigen elektrischen Lichtes sich bewähren, so wird davon die Sicherheit der Schifffahrt einen gewaltigen Nutzen ziehen, denn nicht nur werden die Signallichter dadurch eine größere Leuchtkraft und Einheit erlangen, sondern es wird wohl auch möglich werden, durch eine unter Deckniveau, vielleicht unterhalb des Bugspriets befindliche Laterne, welche ihr Licht nicht in See hinaus, sondern rückwärts auf den Rumpf des Schiffes wirft, diesen so grell zu beleuchten, daß man bei Nacht deutlich Curs und Fahrt auf bedeutende Entfernung beobachten kann. Es wäre dies um so leichter durchzuführen, als das elektrische Licht von so mancher erschwerenden Bedingung unserer bisherigen Beleuchtung unabhängig ist.
Ein anderer tröstlicher Gedanke entspringt dem Umstande, daß auf der Seestraße, auf welcher man wegen ihrer Frequenz in hervorragender Weise Collisionen ausgesetzt ist, naturgemäß auch die Aussicht auf Hülfeleistung und Rettung eine entsprechend größere sein muß. Dieser Umstand ist leider bei Ausrüstung unserer Dampfer, speciell der Passagierdampfer, noch durchaus nicht genügend berücksichtigt. Namentlich sind es zwei Punkte, die aus den Erfahrungen der letzten Zeit in Erwägung genommen werden sollten. Zunächst die Thatsache, daß, wenn der Einzelne sich längere Zeit über dem Wasser zu halten vermochte, die Möglichkeit seiner Rettung stieg. Dies weist deutlich auf die Nothwendigkeit hin, jedem an Bord Befindlichen einen leichten und sofort erreichbaren Rettungsgürtel oder besser noch eine für diesen Zweck präparirte Korkjacke zur Verfügung zu stellen, über deren schnelle Anlegung der Passagier nach der Abfahrt praktisch unterrichtet werden müßte.
Ein zweiter Punkt ist die namentlich bei Nachtzeit noch gesteigerte Verwirrung, welche durch die Passagiere erzeugt wird. Dieser Uebelstand aber beruht wesentlich darauf, daß man gewöhnt ist, den Passagier als ein hülfloses Packet anzusehen und in keiner Weise zur Selbsthülfe heranzuziehen. Zweifellos würde es sich als praktisch bewähren, wenn man die Rettungsboote numeriren und die Nummern vertheilt außerhalb und innerhalb der Kojen, sowie abtheilungsweise im Zwischendeck anbringen würde, sodaß je eine Gruppe von Passagieren gewissermaßen die Besatzung eines bestimmten Boots bildete, mit welchem ihre Platznummer correspondirt. Schon daß der Passagier fortwährend die Nummer der Koje sähe, bei jeder Promenade auf Deck an seinem Boote vorüber passirte, würde dem Strom der Passagiere, welcher sich im Moment der Gefahr über Deck ergießt, eine gegliederte Richtung geben. Dazu könnte man noch eine Reihe weiterer Maßregeln fügen, z. B. daß man die Passagiere von Nr. l mit denjenigen aus den Mannschaft, welche mit der Führung von Rettungsboot Nr. l im Voraus betraut wären, gleich bei Beginn der Fahrt bekannt machte. Auch ein täglicher Appell der männlichen Passagiere vor ihrem Boot, wobei sie stets genau denselben Weg von ihrer Koje dahin einzuschlagen hätten, würde sich in der Stunde der Gefahr vortrefflich bewähren. Dem Uebelstande, daß die Schiffskellner erst die Passagiere einzeln wecken müssen, wäre durch zahlreiche in den Kojen und dem Zwischendeck angebrachte elektrische Weckapparate abzuhelfen, die von der Capitainsbrücke und nur im Fall der Gefahr in Bewegung gesetzt würden, so daß sie eine ähnliche Aufgabe hätten wie das Abfeuern von Breitseiten auf der Kriegsmarine.
Endlich müßte auch eine sofortige grelle Beleuchtung des Decks, vielleicht durch während der Fahrt verkappte oder auf elektrische Selbstentzündung eingerichtete Laternen, stattfinden, wobei ganz besonders eine scharfe Beleuchtung der respectiven Bootsnummer vorzusehen wäre. Daß dann auch, ähnlich wie auf den Eisenbahnen, in jeder Koje Vorschriften bezüglich dieser Maßregeln in einem Reglement anzubringen wären, welches in mehreren Sprachen abgefaßt ist, versteht sich von selbst. Nun, es sind das eben einzelne herausgegriffene Vorschläge, welche, angesichts der jüngst wieder so schmerzlich empfundenen Gefahr von Schiffscollisionen, bezeugen mögen, daß hier weitere Sicherungsmaßregeln nicht nur geboten, sondern auch möglich sind.