Ueber den Einfluss magnetischer Kräfte auf die Emission des Lichtes

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Autor: Hendrik Antoon Lorentz
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Titel: Ueber den Einfluss magnetischer Kräfte auf die Emission des Lichtes
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aus: Annalen der Physik 299 (13), S. 278-284
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Erscheinungsdatum: 1897
Verlag: Johann Ambrosius Barth
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Erscheinungsort: Leipzig
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40. Ueber den Einfluss magnetischer Kräfte auf die Emission des Lichtes; von H. A. Lorentz.

§ 1. Hr. Zeeman hat in seinen Mittheilungen[1] über die Spectrallinien einer in ein magnetisches Feld gestellten Lichtquelle die einfache Theorie entwickelt, mittels welcher sich die von ihm entdeckten Erscheinungen erklären und zum Theil vorhersagen liessen. Beschränkt man sich auf eine einzige Spectrallinie, so genügt es anzunehmen, dass jedes leuchtende Molecül (oder Atom) ein einziges bewegliches Ion enthalte, welches, sobald es seine Gleichgewichtslage verlassen hat, durch eine der Verschiebung proportionale, aber von deren Richtung unabhängige Kraft nach dieser Lage zurückgetrieben wird. Alle Bewegungen eines solchen Ions lassen sich zerlegen in geradlinige Schwingungen in Richtung der Kraftlinien und kreisförmige Schwingungen senkrecht zu denselben. Die Schwingungsdauer der ersteren wird durch die magnetische Kraft nicht beeinflusst, die Periode der letzteren dagegen, je nach der Richtung des Umlaufes, um einen bestimmten Betrag verlängert oder verkürzt. So erklären sich in einfachster Weise die von Zeeman beobachteten doppelten und dreifachen Linien, sowie die dabei bestehenden Polarisationsverhältnisse.

Es liegt nun aber der Gedanke nahe, dass die leuchtenden Theilchen wohl viel complicirter gebaut seien, und es erhebt sich also die Frage, ob die obigen einfachen Annahmen auch wirklich nothwendig seien. Eine Beantwortung dieser Frage soll im Folgenden gegeben werden, freilich nicht ohne eine gewisse Einschränkung. Ich werde z. B. absehen von den durch die beweglichen Ionen selbst hervorgerufenen magnetischen Kräften.

§ 2. Wir betrachten ein leuchtendes Molecül als ein materielles System, für welches ein Zustand stabilen Gleichgewichtes besteht und dessen Configuration und Lage sich durch allgemeine Coordinaten bestimmen lassen. Diese Coordinaten seien sämmtlich Null in dem Gleichgewichtszustande und sollen bei den zu betrachtenden Bewegungen nur unendlich kleine Werthe erreichen. Die kinetische Energie lässt sich dann als eine homogene quadratische Function der Geschwindigkeitscomponenten , mit constanten Coefficienten, darstellen. Befindet sich das Molecül nicht in einem magnetischen Felde, so sollen nur innere Kräfte wirken, welchen die potentielle Energie entspricht, und zwar sei diese letztere eine homogene quadratische Function der Coordinaten, ebenfalls mit constanten Coefficienten. Die Coordinaten können und sollen so gewählt werden, dass nur Quadrate der , und nur Quadrate der enthält, dass also

und

ist. Es sind dann, unabhängig voneinander, periodiseher Veränderungen fähig, und es sind die Schwingungszahlen[2] dieser „Hauptschwingungen“

Diese Werthe werden, wenn sie alle voneinander verschieden sind, ebenso vielen Spectrallinien entsprechen.

Nach der electromagnetischen Lichttheorie hat man sich nun vorzustellen, dass das schwingende System electrische Ladungen enthalte, die an der Bewegung theilnehmen und deren Lage durch die Coordinaten mitbestimmt ist. Gäbe es nur ein einziges, während längerer Zeit ungestört fortschwingendes Molecül, so müsste offenbar das in einen Punkt des umgebenden Aethers anlangende Licht in bestimmter Weise polarisirt sein. Dass dennoch Lichtquellen mit vielen Molecülen unpolarisirte Strahlen aussenden, ist in bekannter Weise zu erklären.

§ 3. Es soll jetzt untersucht werden, wie die Schwingungszahlen sich ändern, wenn das Molecül sich in einem homogenen Magnetfelde befindet. Die Bewegungsgleichungen lauten dann

und zwar rühren die allgemeinen Kraftcomponenten von den Elementarkräften her, die im magnetischen Felde auf die Ionen (oder auf die electrisch geladenen Volumelemente) wirken. Jede derartige Elementarkraft ist bekanntlich der Ladung proportional und wird für die Einheit der Ladung durch das Vectorproduct der Geschwindigkeit des Ions und der magnetischen Kraft gegeben; ihre Componenten nach drei Coordinatenaxen sind folglich homogene und lineare Functionen, einerseits der Componenten , , andererseits der Componenten , , . Beachtet man nun weiter, in welcher Weise die rechtwinkligen Componenten der Elementarkräfte in die eingehen, so zeigt es sich, dass Gleichungen von der Form

(1)

bestehen müssen.

Die Coefficienten sind noch homogene, lineare Functionen von , , ; übrigens sind sie, aus demselben Grunde wie und , als constant zu betrachten.

Aus (1) folgt für die Arbeit der Kräfte während der Zeit :

Da nun jede Elementarkraft senkrecht steht auf der Bewegungsrichtung des Ions, muss dieser Ausdruck für alle Werthe der verschwinden. Es ist also:

und

(2)

Die Bewegungsgleichungen werden schliesslich

(3)

§ 4. Um die Perioden der Hauptschwingungen zu bestimmen, setze man in diese Gleichungen

( und constant)

und eliminire ,… . Die resultirende Gleichung wird ziemlich einfach, wenn man unter Berücksichtigung von (2) alle Glieder, die in Bezug auf die Coefficienten von höherem als dem zweiten Grade sind, vernachlässigt; man ist hierzu berechtigt, da ja erfahrungsgemäss magnetische Kräfte nur sehr kleine Aenderungen der Perioden hervorrufen.

Zur Abkürzung bezeichne ich mit das Product und mit das Product, das man erhält, wenn man in die Factoren und fortlässt. Die gesuchte Gleichung wird dann

(4)

wo die Summe aller Grössen von der Form

also

ist.

Als Unbekannte wollen wir betrachten. Für reducirt sich die Gleichung auf ; sie hat dann die Wurzeln . Will man nun wissen, was unter dem Einflusse des magnetischen Feldes aus einer der Spectrallinien wird, so hat man nur zu untersuchen, wie die zugehörige Wurzel, etwa , durch das Glied in (4) geändert wird. Bei der Berechnung beschränke ich mich auf eine erste Annäherung, indem ich Glieder mit höheren Potenzen der Coefficienten neben solchen mit niedrigeren Potenzen vernachlässige. Für die erste Wurzel von (4) ergiebt sich nun, wenn die Zahlen , …, alle von verschieden sind,

wo

(5)

ist.

Für selbst folgt hieraus der imaginäre Werth , und für die Schwingungszahl

In einer Lichtquelle mögen sich nun sehr viele gleiche, aber in allen möglichen Weisen orientirte leuchtende Theilchen befinden. In jedem derselben legen wir ein Coordinatensystem so, dass jedes Molecül dieselbe Lage gegen sein Coordinatensystem hat. Es sind dann bei allen Theilchen …, dieselben linearen Functionen von , und , und es ist daher nach (5) die Aenderung der Schwingungszahl bei allen dieselbe quadratische Function jener Componenten. Weil aber , und für die verschieden gerichteten Theilchen nicht gleich sind, wird die Grösse alle Werthe zwischen zwei bestimmten Grenzen erhalten (die entweder gleiche oder entgegengesetzte Vorzeichen haben), d. h. die Spectrallinie wird eine Verbreiterung - und im allgemeinen wohl auch eine Verschiebung - erleiden. Diese Wirkung würde von dem Quadrate von abhängen, und wahrscheinlich bei den erreichbaren Feldstärken zu schwach sein, um beobachtet werden zu können[3]

§ 5. Die Wirkung wird eine andere, wenn eine - und nur eine - der Zahlen , … der ersten gleich ist. Ist und entsprechen also der ersten Spectrallinie zwei gleiche Wurzeln und der Gleichung , so hat die Gleichung (4) die Wurzeln

Die hierzu gehörigen Schwingungszahlen sind

sodass jetzt die Schwingungszahlen geändert werden um Grössen, die der ersten Potenz von proportional sind.

Wir wollen jedoch bei diesem Fall nicht länger verweilen da er, ebensowenig wie der vorhergehende, mit den bis jetzt beobachteten Erscheinungen übereinstimmt.

§ 6. Hr. Zeeman hat nämlich gefunden, dass eine Spectrallinie sich durch die Wirkung des magnetischen Feldes in drei Componenten spaltet. Die Gleichung (4) muss also drei sehr wenig voneinander verschiedene Wurzeln haben; da nun diese für zusammenfallen, so muss die Gleichung drei gleiche Wurzeln besitzen. Und wirklich erklären sich die Beobachtungen, wenn wir annehmen, dass zwei den Zahlen , …, der ersten gleich seien. Ist nämlich , so enthält jedes Glied der Gleichung (4) den Factor ; der Werth ist also noch immer eine Wurzel, d. h. im Spectrum wird sich noch immer eine Linie an der ursprünglichen Stelle zeigen. Um die anderen wenig von verschiedenen Wurzeln zu finden, ersetzen wir in (4) die kleine Grösse durch dividiren durch und behalten in selbst nur die Glieder mit , und bei. Man kann dann schliesslich noch durch dividiren, und erhält

und für die Schwingungsdauer

(6)

Damit nun eine dreifache Linie mit scharfen Componenten auftrete ist noch Eines nothwendig. Es muss nämlich der Ausdruck (6) für alle Molecüle denselben Werth haben, was nur möglich ist, wenn die eingeklammerte Grösse die Gestalt annimmt. Leuchtende Theilchen, für welche auch dieses zutriift, bei welchen also erstens drei Hauptschwingungen gleiche Perioden haben, und zweitens der Einflnss der magnetischen Kraft auf die Schwingungszahlen unabhängig von der Orientirung ist, will ich „isotrop in Bezug auf die betreffende Spectrallinie“ nennen. Das einfachste Beispiel eines derartigen Theilchens ist nun gerade das bewegliche Ion, von dem im § 1 die Rede war. Doch lassen sich auch andere Beispiele ersinnen. Eine deformirbare elastische Kugel, in welcher electrische Ladungen in symmetrischer Weise vertheilt sind, genügte offenbar ebenso gut den gestellten Bedingungen, und, wie ich glaube, liessen sich durch die Annahme solcher Kugeln auch die Polarisationserscheinungen erklären.

§ 7. Die vorstehenden Betrachtungen lassen die Möglichkeit bestehen, dass eine Spectrallinie durch eine magnetische Kraft gar nicht oder in ganz anderer Weise als Zeeman es beobachtet hat, geändert wird. Sollte es sich aber herausstellen, dass alle Linien einer Lichtquelle sich in drei Componenten spalten, so hätte man anzunehmen, dass die leuchtenden Theilchen in Bezug auf alle Spectrallinien isotrop seien. Dieses lässt sich noch in verschiedener Weise denken. Einerseits kann man sich ein Molecül vorstellen, das verschiedene voneinander getrennte isotrope Gebilde, je mit einem einzigen beweglichen Ion (§ 1) enthält, und jedem dieser Gebilde das Entstehen einer Spectrallinie zuschreiben, andererseits sind Systeme denkbar, die, wie die obengenannten Kugeln, verschiedener Hauptschwingungen fähig und in Bezug auf jede derselben isotrop sind.

Jedenfalls darf man sich, wie mir scheint, für die Kenntniss der Lichtemission viel von der weiteren Erforschung der von Zeeman entdeckten Erscheinungen versprechen.

     Leiden, September 1897.

Anmerkungen

  1. Zeeman, Zittingsverslagen der Akad. v. Wet. te Amsterdam, 5. p. 181, 242. 1896; 6. p. 13. 99. 1897; Phil. Mag. (5) 43.p. 226; 44. p. 55. 255. 1897.
  2. Unter Schwingungszahl verstehe ich die Zahl der Schwingungen in der Zeit .
  3. Solange nämlich in den Gleichungen (3) die Glieder mit sehr klein sind gegen die mit , wird der Werth (5) sehr viel kleiner sein als die im § 6 berechneten und wirklich beobachteten Aenderungen der Schwingungszahlen.