Ueber den Gang der innern Entwicklung in den Vereinigten Staaten von Nordamerika

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Autor: Achille Murat
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Titel: Ueber den Gang der innern Entwicklung in den Vereinigten Staaten von Nordamerika
Untertitel:
aus: Das Ausland, Nr. 80–83; 85–86; 89. S. 3318–319; 323–324; 326–328; 330–331; 338–339; 344; 356.
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: München
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Fortsetzung von Politische Parteien in den Vereinigten Staaten
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[318]

Ueber den Gang der innern Entwicklung in den Vereinigten Staaten von Nordamerika.

[1]

Sie fragen mich, was ein Gebiet sey. Ich will es versuchen, diese Frage in ihrem ganzen Umfange zu beantworten, damit Sie die ans Wunderbare grenzende Erscheinung sich erklären können, wie es möglich ist, daß in den Vereinigten Staaten ungeheure Länderstrecken in Zeit von zehn bis zwölf Jahren aus dem Zustand der Unwissenheit und Barbarei sich auf den Gipfel der Civilisation und des Wohlstandes erheben. Bereits haben zwölf Staaten dieses Wunder zur Wirklichkeit gemacht, und in diesem Augenblicke lassen drei neu entstehende Staaten uns die ganze Stufenleiter dieser Umbildung in der Nähe betrachten, so daß wir als lebendige rasch sich entwickelnde Gegenwart studiren können, was die Geschichte sonst nur als das langsam reifende Werk von Jahrhunderten darstellt. Es gleichen diese Länder den Zaubergärten der Armide: in ewigem Frühlinge treten, gleich einer, tausendfältige Frucht bringenden Saat, Völker und Staaten ans Licht – E mentre spunta l’un, l’altro matura.

Sie werden auf der Charte bemerken, wie klein im Verhältniß der Raum ist, den jene neu entstehenden Staaten einnehmen. Versuchen wir es nun den in allen Staaten Nordamerikas gleichen innern Entwicklungsgang zu [319] verfolgen, nach welchem in den ungeheuern Länderstrecken der Union die Bevölkerung und Regierung sich bildet.

Die Indianer haben alles Land außerhalb der Grenzen der Vereinigten Staaten nebst vielen Ländereien innerhalb derselben inne, die sie jedoch allmälig, willig oder gezwungen, verlassen. Wenn ich von Indianern rede, so verstehe ich nicht gerade Wilde darunter. Man kann sagen, daß bei ihnen die wunderbare Stufenleiter der Civilisation beginnt. Viele Völker und Stämme im Westen von Missoury, die nie einen Weißen gesehen, nie in unmittelbarem Verkehr mit einem gestanden haben, sind allerdings Wilde. Aber der Creek oder der Cherokee, der, ringsum von Civilisation umgeben, sein Land anbaut, eine repräsentative Verfassung organisirt und Schulen errichtet hat, steht jener Civilisation näher, als der irländische oder österreichische Bauer.

Ein Weißer, gewöhnlich ein sogenannter Indian trader, kommt zu einem Volke, das noch im Zustande vollkommener Wildheit, in aller Barbarei und in allem Stolze der Unwissenheit und Gesetzlosigkeit lebt. Er ist ein unerschrockener Jäger, ein schaamloser Betrüger, der das gefährliche Handwerk treibt, durch unbekannte Gegenden zu dringen, um von den Indianern gegen Pulver, Waffen, rohe Stoffe, vor allem aber gegen Whisky (eine Art von Gersten-Brandwein) Pelzwaaren einzutauschen. Diese Weißen siedeln sich gewöhnlich an einem schiffbaren Flusse an der äußersten Grenze der Civilisation an, und leben meist mit indianischen Weibern, die ihnen als Dollmetscher dienen. Alle Jahre versehen sie sich in irgend einer großen Stadt mit Vorräthen, und sind lange Zeit die einzigen Vermittler zwischen den Weißen und den Ureinwohnern. Bald gewöhnen sich die Indianer an die Bequemlichkeit des Lebens und können sie nicht mehr entbehren. Vorher jagten sie bloß ihrer Nahrung wegen: jetzt kommt der Zweck eines vortheilhaften Handels hinzu. So gelangen sie zur ersten Stufe der Kultur.

Von der andern Seite bleibt der muthige Unternehmungs-Geist der amerikanischen Bürger nicht zurück. Die Rückkehr eines Indian-Trader, mit der reichen Beute eines noch wenig bekannten Landes beladen, in dem er eine reichliche Jagd, einen fruchtbaren Boden, gesundes Wasser gefunden, veranlaßt bald eine Auswanderung von seines Gleichen. Wie soll ich Ihnen diese Art von Leuten nach den unnachahmlichen Gemälden Cooper’s schildern? Ich verweise Sie auf seine beiden Romane: „Die Schanzgräber und der letzte Mohikan.“ Darin werden Sie sehen, daß sie mehr aus Neigung, als aus Noth, ein wildes Leben angenommen haben, und daß sie mit der Gewandheit, der Ausdauer und dem energischen Muthe des Wilden nicht selten auch die sanfte Menschlichkeit des Weißen vereinigen. Mit ihnen fängt die Kenntniß des neuen Landes an: sie erforschen alle Theile desselben, und theilen mehr oder weniger übertriebene Berichte darüber mit.

Der Indianer bleibt unterdessen auch nicht ohne Bewegung. Er kann Schießgewehr, Pulver, hitzige Getränke, Bedeckungen nicht mehr entbehren, er setzt sich neben seinem Handelsmann fest, und beginnt, Pferde und anderes Vieh zu kaufen. Die Einführung von Werkzeugen macht es ihm leicht, sich bessere Hütten zu bauen; die Weiber (squaws) fangen an, die Umgebungen derselben urbar zu machen, und etwas Mais und Taback zu pflanzen. Endlich entstehen indianische Dörfer in der Wüste. Der Indian-Trader macht gute Geschäfte; andere Kaufleute folgen ihm; das Land wird von Bürgern überschwemmt. Sie vermengen sich mit den Indianern, und es dauert nicht lange, so gerathen sie in Streit mit ihnen. Ein solcher Streit, der fast immer in Krieg ausartet, giebt gewöhnlich die erste Veranlassung zur Dazwischenkunft der Regierung der Vereinigten Staaten. Die Indianer tödten die Weißen, die ihnen in den Weg kommen, dringen oft selbst in ihre Ansiedelungen ein, und morden Weiber und Kinder. Die Bürger setzen ihrerseits den Krieg mit nicht geringerem Eifer fort, und erhalten bald Beistand von Linientruppen oder von der Miliz eines benachbarten Staates. Die Indianer werden geschlagen, ihre Hütten verbrannt, ihr Vieh getödtet, bis die Feindseligkeiten durch einen Friedensschluß enden, nachdem jene die Macht der Vereinigten Staaten zu schätzen und zu fürchten gelernt haben.

Die Indianer wählen sich einige Anführer, welche auf einem der Centralpunkte der Gegend zusammenkommen, und dort Commissäre der Vereinigten Staaten finden, mit denen sie einen Talk (Conferenz) halten.

Die Bedingungen des Friedens sind gewöhnlich folgende. 1) Die Indianer entsagen dem größten und fruchtbarsten Theil ihrer Ländereien, und die Regierung garantirt ihnen dafür unter dem Namen eines Vorbehalts, so viel sie für gut findet. 2) Die Vereinigten Staaten geben ihnen eine jährliche Beisteuer, theils an Vieh, Geräthen, Werkzeugen zum Ackerbau und Lebensmitteln, theils an Geld. 3) Die Vereinigten Staaten ernennen bei der Nation einen Agenten, ohne dessen Erlaubniß kein Weißer Handel treiben, oder die Grenze überschreiten darf. 4) Auch die Indianer dürfen das Gebiet nicht ohne einen Paß des Agenten verlassen. 5) Bei ihm müssen die Indianer und die Weißen ihre Klagen gegen einander vorbringen, und er hat über die Handhabung der Gerechtigkeit zu wachen. 6) Im Hause des Agenten (agency) wird ein Schmidt, ein Zimmermann, und ein Schulmeister zum besten des Volkes bestellt. 7) Wenn die Erndte zerstört worden ist, so geben ihnen die Vereinigten Staaten Unterhaltsmittel bis zur nächsten. – Man findet noch solche Vorbehalte in den alten Staaten, und selbst in Neu-England. Auf diese Weise eingepförcht, ergeben sich die Indianer dem Ackerbau. Im Süden sind sie hie und da ziemlich vorgeschritten und haben sich civilisirt; im ganzen aber sind sie in Trägheit und Armuth versunken. Ihre Zahl hat furchtbar abgenommen, von einigen der mächtigsten Stämme ist jede Spur verschwunden.

[323] Wir wollen uns nun von den Indianern zu der weißen Bevölkerung wenden, die sich von nun an um sie her verbreitet. Der Krieg, den man mit den Indianern [324] führte, hat die Kenntniß des Landes gefördert; die Regierung richtet ihre Aufmerksamkeit auf dasselbe. Sie errichtet zur Disposition des Agenten einen Militair-Posten von etwa 40 Mann Linien-Truppen.

Die erste Art von Settlers oder Kolonisten sind die, die wir Squatters nennen. Diese sind meist arme Bürger ohne große Betriebsamkeit, die, da es ihnen an Mitteln fehlt, selbst Ländereien zu kaufen, auf den Gütern Anderer leben, und sie bearbeiten, bis sie vom Eigenthümer vertrieben werden. Bleiben sie arm, so ist dies nur die Folge ihrer Trägheit und ihrer Neigung zum Trunk: denn diejenigen unter ihnen, die fleißig sind, machen immer ihr Glück. Unter den letztern setzen manche jene Lebensart freiwillig, theils aus Neigung, theils aus Gewohnheit fort; gewöhnlich haben sie einige Neger, Weiber und Kinder, und manchmal sehr zahlreiche Heerden. Fast niemals halten sie zwei Erndten auf demselben Boden, sondern verlassen einen District, sobald er bevölkert wird. Unter ihren Händen gewinnt das Land schnell eine neue Gestalt. Alle sieben bis acht Meilen erheben sich kleine Hütten von Baumstämmen. Das Eisen ist zu kostbar, als daß sie sich dessen Gebrauch erlauben könnten; sie müssen es durch Holz ersetzen, selbst an den Thürangeln und Schlössern. Eine solche Hütte kann leicht in zwei bis drei Tagen erbaut werden; man sieht sie wie Pilze aus der Erde wachsen. Manchmal, wenn ich zu Pferde im Walde umherschweifte, um ein verirrtes Pferd oder Ochsen zu suchen, begegnete mir ein mit Möbeln und Kindern beladener Karren, nebst einen oder zwei Männern, die etwa 30 Kühe oder Schweine geleiteten. Nachdem sie die Fragen: Woher kommt Ihr? Wohin geht Ihr? freundlich beantwortet hatten, baten sie mich um genaue Beschreibung der Gegend, und um die Angabe des Weges zur nächsten Quelle. Nach einer Woche erblickte ich auf demselben Platze eine Hütte, eine eingezäunte Vieh-Weide und Federvieh, sah wie die Frau Baumwolle spann, wie der Mann durch einen cirkelförmigen Einschnitt (girdle) Bäume tödtete, kurz, wie sie ihren Wohnsitz aufschlugen, ohne sich um den Eigenthümer des Bodens zu bekümmern. Nach einigen Tagen veränderten sie oft um der leichtesten Ursache willen wieder ihren Wohnort, um Gott weiß wohin? zu ziehen. Diese Bevölkerung von Squatters ist manchmal sehr zahlreich; sie zieht den Viehhändler und den pedlar an, eine Art von Hausirer, der sich von dem europäischen nur dadurch unterscheidet, daß er seinen Kramladen auf einem Pferde hat.

Unter diesen ersten Settlers, von denen Manche großes Glück machen, Andere aber immer herumirrend und heimathlos bleiben, herrscht keine Regierungsform; jeder Streit wird mit Faustschlägen freundschaftlich beigelegt. Da sie außerhalb des Gebiets der Vereinigten Staaten leben, haben sie keine Wahlen und keine Politik; Land und Häuser haben nur einen untergeordneten Werth für sie; nur mit dem Vieh verbinden sie die Idee des Eigenthums. Jeder hat seine Zeichen; wenn er bestohlen wird, versammelt er seine Nachbarn, und, mit den Beweisen in der Hand, gehen sie zum Diebe, dem dann eine mehr oder weniger strenge Züchtigung zu Theil wird. In ihrer Sittenlehre ist der Diebstahl einer Kuh das größte Verbrechen. Sie haben noch keine Gesetze, und doch nimmt die Bevölkerung mit raschen Schritten zu. Ihre Religion beschränkt sich auf die Beobachtung des Sonntags und die Anhörung irgend eines fanatischen Methodisten, wenn sich einmal auf kurze Zeit einer in eine solche Gegend verirrt.

Rings um die Hütten öffnen sich unregelmäßige Felder; noch stehen die Bäume aufrecht, aber sind bereits abgetödtet; Grenzen von hölzernen Pfählen umgeben sie. Zahlreiche bequeme Fußpfade, auf der Rinde der Bäume bezeichnet, führen von einer Hütte zur andern, und einige Fahrwege schlängeln sich durch die Schatten des jahrhundertalten Waldes.

Unterdessen sind die Augen der unternehmenden Bürger der benachbarten Staaten auf diese reiche Beute gerichtet. Einer und der Andere geht hin, um das Land kennen zu lernen; man spricht beim Kongreß davon. Die Regierung macht den Vorschlag, einen Raum von diesem oder jenem Umfang zum Gebiet territory zu erheben; eine Bill setzt die Formen der Territorialregierung fest, die auf dieser ersten Stufe aus folgenden Elementen besteht. 1) ein Gouverneur, mit der executiven Macht ausgerüstet, wird von dem Präsidenten der Vereinigten Staaten auf eine bestimmte Reihe von Jahren erwählt; er besetzt alle Aemter des Gebiets, hat das Recht der Begnadigung bei allen Vergehen gegen das Territorium, und das der Vertagung bei den Vergehen gegen die Vereinigten Staaten. Ihm steht ein Staats-Sekretär zur Seite, der zugleich Schatzmeister ist. 2) die gesetzgebende Macht ist in den Händen eines Rathes von zwölf Mitgliedern, die alle Jahre vom Präsidenten erwählt werden. Sie geben über jeden Gegenstand Gesetze, die jedoch von dem Gouverneur sanctionirt werden müssen, und von dem Kongreß verworfen werden können. 3) die richterliche Gewalt wird durch die Richter, deren es in jedem der Districte, in die das Gebiet getheilt ist, einen gibt, ausgeübt; ein solcher Richter vereinigt in seiner Person die Richtergewalt der Vereinigten Staaten und des Territoriums. 4) Alle zwei Jahre wird vom Volke ein Abgeordneter erwählt, um es beim Kongreß zu repräsentiren, wo er jedoch noch keine Stimme hat; er ist das letzte Glied in der Kette jener einfachen Verfassung die wir hier in ihrer lebendigen Bewegung und Entwicklung zu schildern suchen.

[326] Der Schritt, der gewöhnlich sehr nahe auf die Bildung einer Gebiets-Regierung folgt, ist die Errichtung [327] eines land-district. Ich habe Ihnen schon gesagt, daß alle Ländereien den Vereinigten Staaten gehören. Diesen kommt es zu sie zu verkaufen. Doch gilt diese Regel nicht in allen Staaten, die seit der Bildung der Union aufgenommen wurden. In Kentucky kamen land-warrants (Patente) vom Staate Virginien vor, dem das Land ursprünglich gehörte. In Louisiana und in Florida haben theils Veräußerungen, die von den alten Regierungen ausgegangen waren, und die dadurch von den alten Einwohnern erworbenen Rechte, theils wirkliche oder scheinbare Kaufverträge mit den Indianern die Ansprüche auf den Land-Besitz dermaßen verwirrt, daß es manchmal unmöglich war, ihn rechtlich zu ordnen. Man nahm hier gewöhnlich zu einer administrativen Kommission seine Zuflucht, die ohne über die Conflicte zwischen den Ansprüchen Einzelner zu entscheiden, sich darauf beschränkte, die veräußerten Länder von denen, die im Eigenthum der Vereinigten Staaten geblieben waren, zu trennen. Nur von diesen letztern kann hier die Rede seyn.

In Washington existirt eine Behörde für Staats-Ländereien, die mit den verschiedenen Distrikten, in die das Land getheilt ist, in fortwährender Verbindung steht. Soll ein neuer District errichtet werden, so werden dessen Grenzen festgesetzt, und gewöhnlich ein Mittelpunkt für den Bau einer Stadt angewiesen, die wahrscheinlich die künftige Hauptstadt des Staates wird. Ein General-Landmesser (surveyor general) wird ernannt; dieser begibt sich mit seiner Familie und mit seinen Gehülfen an den Punkt, von dem man dabei auszugehen hat; von da aus wird zuerst mit Hülfe des Kompasses die Basis und der Meridian gezogen, indem man nach Norden, Südosten und Westen, in gerader Linie durch Wälder, Sümpfe und über Flüsse fortschreitet; die Linie wird auf den Bäumen bezeichnet, so daß sie leicht zu verfolgen ist. Alle sechs Meilen wird ein Pfosten eingesetzt; von diesem Pfosten aus werden andere Linien parallel mit der Basis und dem Meridian gezogen, und so das Land in lauter Quadrate von acht Meilen getheilt. Jedes dieser Quadrate wird eine Stadt (township) genannt, und erhält eine Numer nach seinem Platz; jede Stadt wird dann wieder mit Hilfe neuer Linien, die ebenfalls, aber auf verschiedene Weise, auf den Bäumen bezeichnet werden, in Quadrate von einer Meile getheilt; diese neuen Abtheilungen, sections genannt, enthalten 640 acres, und werden durch imaginäre Linien in Achttheile, jedes zu 80 Acres getheilt. Die Sektionen und Achttheile werden in jeder Stadt numerirt, und die Numern auf Pfählen in der Ecke angezeigt, so daß man, wenn man in der Mitte des Waldes eine Linie antrifft, und sie bis zur Ecke verfolgt, sich immer orientiren kann. Zu bemerken ist hiebei, daß die Section Num. 16 von jeder Stadt zur Bestreitung der Kosten des öffentlichen Unterrichts bestimmt ist, und nicht verkauft werden darf.

Während dieser geometrischen Operationen wird zugleich die Verfassung organisirt. Der Gouverneur, gewöhnlich ein bedeutender Mann, der sich selbst in dem Gebiet niederzulassen gedenkt, ist mit seiner Familie und seinen Negern angekommen. Dann treffen die Richter ein, bald auch die Advokaten mit dem ganzen übrigen Zubehör der Rechts-Pflege. Jeder von ihnen bringt eine Familie und Freunde mit sich. Die gesetzgebende Behörde versammelt sich in der Mitte eines Waldes; eine Hütte von Baumstämmen, etwas größer, aber nicht zierlicher als jede andere, wird errichtet, und die ländliche Versammlung hält ihre Sitzungen darin mit so vieler Würde, oft auch mit so vielem Talent, daß man sich in ein Capitol versetzt glauben könnte. Man wird fragen, was für Gegenstände der Gesetzgebung eine so neue Gesellschaft, von der noch nichts als die Quadrate existiren, haben könne? Daran fehlt es indeß durchaus nicht; Die Versammlung setzt einen Platz für die Hauptstadt, und, wo möglich, auch für andere Städte fest; sie theilt das Gebiet in counties ein; sie organisirt die Friedens-Gerichte, wie die höheren Gerichtshöfe; sie macht Civil- und Criminal-Gesetze, (denn sie ist schon souverain, obgleich unter der Aufsicht des Kongresses stehend); sie richtet endlich ihren Einsichten und Bedürfnissen gemäß über alle möglichen Gegenstände Petitionen an den Kongreß.

Diese erste Sitzung gibt dem neuen Gebiet einen gewaltigen innern Aufschwung, äußeres Leben aber erhält es durch den Verkauf der Staats-Ländereien. Der Präsident macht, wenn er es für gut findet, die öffentliche Anzeige, daß an dem und dem Tage, von dem und dem Orte, die und die Ländereien werden verkauft werden. Er ernennt einen Registrator und einen Einwohner (register and receiver). Endlich erscheint der lang erwartete Tag – einer der wichtigsten für die kleine aufblühende Gesellschaft. Von dem Augenblick der öffentlichen Anzeige an ist das Land von Fremden angefüllt. Der Eine sucht Ländereien zur eigenen Niederlassung, der Andere für einen Sohn oder Schwiegersohn; noch Andere kaufen bloß aus Spekulation, um wieder zu verkaufen. Alle zerstreuen sich mit ihrem Kompaß im Lande umher, verfolgen die bezeichneten Linien, untersuchen den Boden. Jeder beobachtet das tiefste Stillschweigen, und immer geht Einer dem Andern aus dem Wege. Mancher hat vielleicht von einem der Messer das angebliche Geheimniß von den unbekannten Vortrefflichkeiten dieser oder jener Section erkauft. Unter dem Mantel verstecken sie kleine Plane mit mysteriösen Chiffern. Man spricht von nichts als von Ländereien, von ihren Eigenschaften, von ihrem wahrscheinlichen Preise u. s. w. Die Intrigue und der Betrug entfalten sich in ihrem höchsten Glanze.

Die angehende Hauptstadt, wo die Versteigerung Statt findet, hat seit der Sitzung des Rathes schon eine andere Gestalt bekommen. Ein Plan ist festgesetzt, die Straßen sind gereinigt, die Antheile auf Kredit verkauft, ein Capital ist decretirt worden. Für die Menge von Leuten, die man zu den Versteigerungen, zu den Sitzungen der Gerichtshöfe und des gesetzgebenden Rathes erwartet, werden Wirthshäuser errichtet, die den größten Theil des Jahres über leer stehen. Bei dieser Gelegenheit aber wird für dreißig Personen gedeckt. Zwei oder drei große Zimmer, die man kaum des Namens einer Scheune werth halten möchte, nehmen, in einem Dutzend Betten, zweimal so viel Gäste auf. Wer darin keinen Platz hat finden [328] können, legt sich auf den Boden, und deckt seinen Mantel über sich. Keiner hat einen bestimmten Platz zum Mittagessen oder zum Nachtlager: dazu sind wir zu gute Republikaner. Für den Dollar, den er bezahlt, hat jeder das Recht, zu essen und zu schlafen wo es ihm beliebt: nur darf er keinen stören, der bereits vor ihm einen Platz eingenommen. Es ist allgemein angenommen, daß ein Bett zwei Personen faßt, und Niemand ist so thöricht, sich um die Person seines Nachbarn zu bekümmern, so wenig wie man dieß im Parterre eines Theaters zu thun pflegt.

[330] Der große Tag ist endlich angebrochen. Die Menge der Geschäftigen wie der Neugierigen hat sich noch vermehrt; der Spekulant und der Wucherer sind in Bewegung, und berathen sich; der Pächter der sich niederlassen will, verhält sich ruhig; der hat seinen Plan gemacht, und seinen Preis bestimmt. Wenn die Stunde naht, so kommt auch der arme Squatter zur Stadt. Er hat das ganze Jahr gearbeitet, um das Land zu bebauen, auf welchem sein Haus gelegen ist; vielleicht wird es ihm jetzt aus Mangel an einem oder ein paar Dollars von habsüchtigen Spekulanten entrissen. Unruhe und Angst drücken sich in seinen redlichen halbwilden Mienen aus. Ein Wucherer nähert sich ihm, beklagt ihn, und verspricht, für die Summe von drei Dollars von seinen Absichten abzustehen. Der arme Tropf giebt sie ihm, ohne zu ahnen, daß der Wucherer keineswegs die Mittel hat, ihn zu überbieten. Dieß wird hush money (Geld, das einen zum Schweigen bringt) genannt.

Der Ausrufer versteigert die Ländereien nach Achttheilen, und nach der Ordnung der Sectionen; die Preise sind verschieden, aber angefangen wird mit 1 Dollar, 25 Cents für den Acker; denn dieß ist der niedrigste Preis, zu dem die Regierung der Vereinigten Staaten verkauft. Ein altes indianisches Dorf, eine Lage für eine Mühle, die Pflanzung eines Squatters, ein Ort wohin ein gebahnter Weg oder ein Fluß führt, oder der für eine Stadt oder für einen Stapelplatz bestimmt zu seyn scheint – solche Umstände vermehren den Werth um das zehnfache und mehr. Da alle Verkäufe übrigens nach reellen oder eingebildeten Linien geschehen, so ereignet es sich oft, daß das Feld oder das Haus eines Squatters mitten durch getheilt wird.

Die Versteigerung und die dadurch angeregte Bewegung dauern fort, bis alle Ländereien ausgeboten sind. Diejenigen, die keinen Käufer gefunden haben, können für hundert Dollars das Achttheil in Besitz genommen (entered) werden. Diejenigen Käufer, welche die Güte der verschiedenen Ländereien kennen, thun wohl, bis dahin zu warten: denn da sie dann ohne Mitbewerber sind, erhalten sie die besten der übrig gebliebenen Güter um einen wohlfeilen Preis.

Der Verkauf ist zu Ende. Der Spekulant, seine Ansprüche in der Tasche, geht nach Hause, um für seine neuerworbenen Ländereien Gegenkäufer zu suchen. Der Pflanzer versammelt seine Neger und seine Familie. Auch der arme Squatter kehrt heim, mit schwerem Herzen über seine getäuschten Hoffnungen, und über die Nothwendigkeit, sich noch einmal eine neue Heimat zu suchen. Vielleicht hat er sich auch als Verwalter dem Pflanzer vermiethet, der sein Haus und seinen Hof gekauft hat. Uebrigens ist es im Interesse des Pflanzers, bis zum Augenblick, wo er das Land selbst braucht, den Squatter darauf zu lassen, da seine Anwesenheit dessen Werth verdoppelt.

Die Bewohner der Stadt, besonders die Gastwirthe, haben bei allem dem viel Geld verdient. An die Stelle ihrer log-houses (Häuser aus Baumstämmen) erheben sich plötzlich wie durch Zauberei elegante Häuser aus Zimmerholz und buntfarbigen Planken, in der Mitte eines Gehölzes, das von nun an Stadt heißt. Die Bäume fallen von allen Seiten; verbrannte Stämme zeigen die Straßen und öffentlichen Plätze an. Bald wird die Wichtigkeit des Orts durch ein Postamt für Briefe und durch die Residenz eines Postdirectors vermehrt, der eine sehr wichtige Person ist; so wie überhaupt in dem kleinen Staate eine neue Familie oder auch nur ein neues Individuum keineswesgs etwas gleichgültiges ist. Bald sind Journale im Ueberfluß da; außer einer Zeitung von Washington oder einer andern Stadt am atlantischen Ozean, empfängt jeder der neuen Kolonisten noch eine aus dem Dorfe, aus dem er ausgewandert ist: denn jedes Dorf hat sein eignes Blatt. Reviews und Magazine, Literatur-Zeitungen und literarische Neuigkeiten aller Art erhalten wir aus New-York, Philadelphia und England für einen mäßigen Preis, einen oder wenige Monate, nachdem sie auf der einen oder andern Seite des atlantischen Meeres erschienen sind. Ich bin überzeugt, daß ich den letzten Roman von Walter Scott eher gelesen habe, als der nach Wien gekommen ist.

Aber wir wollen jetzt die Stadt verlassen, und noch einmal auf das Land zurückblicken. Der Pflanzer ist, wie wir angeführt, von der Versteigerung der Ländereien nach Hause zurückgekehrt, hat dort Haus und Hof verkauft, die Zahl seiner Neger vermehrt, und ist dann mit seiner ganzen Habe abgereist. Möbeln und Lebensmittel sind auf Karren geladen, seine Neger folgen zu Fuß, er selbst und seine Familie zu Pferde oder im Wagen. Sie lagern sich jeden Abend; sie dringen durch Einöden, bahnen sich Wege, schlagen Brücken, und kommen endlich nach vielen Mühseligkeiten auf ihrem neuen Eigenthum an. Das erste, was sie zu thun haben, ist, daß sie Hütten für die Neger und für die Familie bauen. Dieß dauert zwei bis drei Wochen; bis dahin muß man unter freiem Himmel leben. Bald wird der Feldbau eröffnet; [331] aber es ist sehr schwierig, für das erste Jahr seinen Unterhalt zu finden. Der Mais ist selten und theuer; Transporte sind sehr kostbar. Glücklich ist der Squatter, der in der Nähe wohnt, wenn er eine gute Erndte gemacht hat, und von seinem Vorrath mittheilen kann. Er bekommt seinen Preis heraus, nimmt sein Land als Käufer in Besitz, wird selbst Pflanzer, und hat so den Grund zu einem unabhängigen Wohlstande gelegt. – An die Stelle kleiner unregelmäßiger urbar gemachter Felder, kleiner unter Bäumen zerstreuter Hütten treten schon im ersten Jahre angebaute Felder von 50 bis 100 Acres Landes, mit guten Hecken umgeben, nebst regelmäßigen Dörfern von Hütten für die Neger, und einem großen loghouse für die Familie, mit drei oder vier recht bequemen Zimmern,nebst Küche, Stall u. s. w. Diese Häuser haben allerdings ein ziemlich klägliches Außere; aber wie überrascht wird man, wenn man hineintritt! Dieß Land ist die wahre Heimat der Kontraste. In einer Wohnung, die fast der eines Wilden gleicht, findet man eine so gebildete und so unterrichtete Familie, wie man sie nur irgend in Boston oder in New-York sich wünschen mag. Trotz des Bauernhauses sind ihre Sitten nichts weniger als bäurisch. Sie hat die Welt auf einige Zeit verlassen und ist beschäftigt, eine neue Welt um sich her zu schaffen. Sie empfängt Briefe und Zeitungen; sie ist mit jeder Bewegung in der Politik des Tages vertraut. Oft trifft man in diesen unscheinbaren Niederlassungen Männer an, deren Namen man mit Achtung in den Zeitungen nennen zu hören gewohnt ist, weil sie auf dem Kongreß oder in den gesetzgebenden Behörden einzelner Staaten eine Rolle spielen. Es sind Bürger, die gekommen sind, ein neues Vaterland zu gründen. Die Frauen insbesondere ertragen alle Entbehrungen mit engelgleicher Geduld, und mildern durch ihre Gegenwart die Wildheit der Scene. Nie kommt ein Pflanzer allein; immer hat er Verwandte oder Freunde überredet, mit ihm auszuwandern, oder doch mitzugehen, um das Land kennen zu lernen. Die Mehrzahl dieser Besuchenden nimmt Theil an der Niederlassung. So lebt er glücklich und ruhig in seiner aufblühenden Pflanzung, im Cirkel von Freunden und alten Bekannten; und selten nur rufen ihn Geschäfte in den Norden zurück.

[338] Die erste Pflicht des neuen Pflanzers ist, in der Jury zu sitzen: denn die ersten Gerichts-Sitzungen beginnen, und der Sheriff ist gekommen ihn zu laden, und bei ihm zu speisen. Auch ein Richter ist angelangt, gewöhnlich ein Mann von Verdienst, manchmal jedoch der Auswurf anderer Tribunale. Es existirt noch kein court-house. Der Richter erwählt anstatt dessen das große Zimmer eines Gasthauses, oder einen geräumigen Speicher. Ich habe Gerichts-Sitzungen in einem Magazine halten sehen, wo Bretter, über Mehlfässer gebreitet, die Sitze des Richterpersonals bildeten. Eine Gerichtswoche ist zugleich eine Gelegenheit zum Verkehr und zum Erwerb für die Gastwirthe. Das Volk läuft von 50 (engl.) Meilen weit in der Runde in Masse zusammen, theils in Geschäften, theils aus Neugierde. Die Epoche dieser Vereinigung wird von Allen benützt, die vom Publikum leben wollen. Der Eine bietet seinen Neger feil; der Andere bestrebt sich die Anmuth seines Springhengstes im vortheilhaftesten Lichte zu zeigen, um ihm Praxis zu verschaffen. Die Advokaten suchen Klienten, die Aerzte Patienten. – Der Sheriff eröffnet die Sitzung: alles wird stille. Auf zwei Bänken sitzen 24 freie Männer, Familien-Häupter, Hausbesitzer, welche die große Jury bilden. Eine sonderbare Versammlung! Von dem mit ledernem Hemde und ledernen Beinkleidern bekleideten Jäger, dessen Bart seit einem Monat keine Scheermesser berührt hat, von dem Squatter im Strohhute und mit Stoffen angethan, die seine Frau verfertigt hat, von dem Kleinhändler an, mit aller übertriebenen Höflichkeit seines Geschäfts, bis zum reichen neu angekommenen Pflanzer sind alle Stände, alle Gewerbe hier unter einander gemischt. Sobald es still geworden ist, beginnen die Advocaten ihre Verhandlungen. Der Richter hält seine Rede (charge) mit so viel Würde, als wenn er in Westminster säße, und an den Aussprüchen der Jury bemerkt man nichts von der scheinbaren Abnormität des Ganzen. Am Abend vertagt sich die Sitzung auf den folgenden Tag, wo dann dasselbe Schauspiel wiederholt wird. Zu dem allem muß man noch die Anreden hinzudenken, welche die beiderseitigen Advokaten in den Gasthäusern an’s Volk über die Gerechtigkeit ihrer Sache halten, und ähnliche Scenen.

Die Zeit der Gerichts-Sitzungen ist auch der Moment, wo die Kandidaten für die Würde eines Abgeordneten sich um die Gunst des Volks bewerben. Sie und ihre Freunde sind bemüht, durch alle Mittel der Ueberredung, manchmal auch durch Täuschungen, die Stimmen der Menge zu gewinnen. Geschichten über die Kandidaten werden fortwährend verbreitet und widerlegt. Jeder haranguirt das Volk oder läßt es durch seine Freunde thun. Daraus entwickeln sich Streitigkeiten, die gewöhnlich in Schlägereien ausarten, besonders Abends, wo die Mäßigkeit gerade nicht an der Tages-Ordnung ist; denn jeder Kandidat bewirthet seine Freunde.

Auf dem Lande muß man eine Wahl sehen. Schon seit mehreren Monaten sind die Kandidaten und ihre Freunde in Bewegung, machen die Runde von Wohnung zu Wohnung, suchen zu überreden, zu erklären, zu beweisen u. s. w. Gewöhnlich geben sich die Freunde noch mehr Mühe, als die Kandidaten selbst. Der Gouverneur hat durch eine Bekanntmachung den Tag angesetzt, das Land in Sectionen getheilt, in jeder derselben ein Central-Haus bestimmt, und drei Richter für die Wahlen ernannt. Diese drei Würdeträger eines Tages versammeln sich früh Morgens, und leisten einen Eid auf die Bibel, ihr Amt unparteiisch zu verwalten u. s. w. Sie setzen sich rings um einen Tisch neben ein Fenster. Eine alte Cigarrenschachtel mit einem [339] Loch im Deckel, ein Blatt Papier nebst Schreibzeug bilden das Material ihrer Einrichtung. Jeder Stimmende präsentirt sich außerhalb des Fensters, sagt seinen Namen, der auf das Blatt geschrieben wird, wirft dann seine Stimme in die Schachtel und entfernt sich. Wenn die Richter an der Fähigkeit des Wählers zweifeln, so lassen sie ihn schwören. Im Zimmer geht alles in der größten Ordnung zu, aber nicht so draußen. Der Wald wird bald mit Pferden und Karren angefüllt. Die Wähler kommen schaarenweise an, lachen und singen, oft schon frühmorgens halb berauscht, und feuern sich gegenseitig zur Unterstützung ihrer Kandidaten an. Diese selbst oder ihre Freunde treten den Ankommenden mit fertigen, oft mit gedruckten Stimmtäfelchen entgegen, und setzen sich ihren Spöttereien und ihren Grobheiten aus. Jeder Ankommende wird über seine Stimme befragt, und, je nachdem er einen Namen sagt, mit Beifallklatschen oder mit Pfeifen empfangen. Ein Mann von Einfluß tritt hervor, um seine Stimme abzugeben, wobei er seine Meinung und seine Gründe in einer kleinen Rede entwickelt. Das Geräusch hört einen Augenblick auf und der Redner gewinnt eine Menge der Wähler; Niemand stört ihn. Unterdeß geht die Branntweinflasche umher; am Abend ist Jeder mehr oder weniger betrunken, und selten entsagt das Volk seiner souveränen Macht ohne einen allgemeinen Kampf, wo Keiner den Andern hört, und in den alle diejenigen, die noch nüchtern sind und ihren Wagen noch bei der Hand haben, sich wohl hüten, sich einzulassen. Nachts schläft Jeder zu Hause. Die Richter zählen die Stimmen, und schicken das Resultat nach der Hauptstadt. Am andern Morgen sind Sieger und Besiegte wieder die besten Freunde, als wenn nichts vorgefallen wäre: denn Jeder hat von seiner Kindheit an gelernt, sich dem Willen des Volkes zu fügen. Vox populi vox dei ist hier ein unbestrittener Grundsatz. Es muß hiebei bemerkt werden, daß das öffentliche Wohl nicht bei diesen Tumulten leidet: denn gewöhnlich hat Jeder lange, ehe er seine Stimme giebt, seine Wahl getroffen, und nüchtern oder nicht, er hält sich daran. Das Ungestüm der Wahlen geht schnell vorüber. Vorher spricht man von nichts anderm, nachher aber spricht fast kein Mensch mehr davon.

Der Posten eines Abgeordneten ist die gesuchteste von den Stellen, die ein Gebiet zu vergeben hat, denn außer dem Vortheil, Mitglied des Kongresses zu seyn, den Winter auf die angenehmste Weise unter lauter Festlichkeiten und in der besten Gesellschaft zuzubringen, mit allen ausgezeichneten Männern persönlich bekannt zu werden, hat er einen unübersehbaren Einfluß auf das Schicksal des Gebiets. Er wird ex officio über alles, was sich auf dasselbe bezieht, zu Rathe gezogen: auf seine Empfehlung werden gewöhnlich die Territorial-Aemter vergeben. Er hat dem Volke Versprechungen gemacht, die er zu erfüllen streben muß. Sie betreffen gewöhnlich Landstraßen, Kanäle, Postämter, Veränderungen in den Gerichtsdistrikten, Vermehrung oder Verminderung derselben; unentgeldliche Anweisung vakanter Ländereien, um Städte zu bauen; Errichtung neuer Brücken; Vermehrung der Mitglieder der gesetzgebenden Behörde; die Bestätigung oder Verwerfung dieses und jenes Gesetzes. Einige dieser Punkte wird er durchsetzen; in andern gibt er wenigstens seine Stimme ab. Seine Partei wird alle seine Schritte billigen, die Gegenpartei wird sie alle tadeln; und unter diesem Conflict der Meinungen kann man darauf rechnen, daß er nicht zum zweitenmale wird gewählt werden, um so mehr, da während seiner beiden Amtsjahre die Interessen der Bevölkerung und die Bevölkerung selbst sich umgestaltet haben.

Für das erste Jahr hat der Pflanzer die nöthigsten Lebensmittel, Geräthschaften, und was er zur Bekleidung seiner Neger braucht, mitgebracht: nicht so für die folgenden Jahre. Assortirte Schiffsladungen werden jetzt von den atlantischen Städten auf unsern großen Flüssen oder Kanälen versendet; in den neu entstehenden Städten werden Magazine errichtet, die sehr einträglich sind, denn alles wird doppelt und dreifach über den Preis verkauft. Die ersten Sendungen bestehen in Lebensmitteln: Rindfleisch, Schweinfleisch, gesalzene Fische, Schinken, Butter, Speck, Weingeist, Mehl; in Stoffen für die Familien und die Neger; in Eisenwaaren und Arzneimitteln. Das alles wird in demselben Laden, von demselben Kaufmann durcheinander verkauft. Dieser, der gewöhnlich nur der eigennützige Handlungsdiener eines großen Hauses im Norden ist, bringt in der Regel seine Familie nebst allen Moden und übrigen Vortrefflichkeiten der großen Stadt mit, aus der er kommt. Er kleidet sich auf’s zierlichste, und bildet einen vollkommnen Kontrast mit der übrigen Bevölkerung. Gewöhnlich macht er sehr gute Geschäfte, obgleich er oft jedem Pflanzer bis zur Ernte Kredit geben muß. Er bringt fast immer alle mitgebrachten Waaren an; wenn die erste Ladung erschöpft ist, kehrt er nach dem Norden zurück, und kommt bald mit einer neuen Ladung wieder.

[344] Jetzt finden sich auch die Lawyers ein, d. h. Rechts-Konsulenten, Advokaten, Prokuratoren, Notare, denn dieses Wort bedeutet, und jener Stand umfaßt alle diese Zweige. Unser Land ist voll von armen Teufeln, die jedoch eine gewisse Bildung haben. Solche Leute nun studiren die Recht ganz auf ihre eigne Hand, indem sie nebenbei ein anderes Gewerbe treiben, z. B. in der Armee, in einem Comptoir, in einem Gasthause dienen. Sobald sie im Stande sind, ein Examen zu machen, werden sie lawyers. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wie wenige von ihnen sich über die tiefste Niedrigkeit erheben. Der größte Theil besteht aus erbärmlichen Chicaneurs, die nichts anderes thun, als Streitigkeiten zwischen armen Dummköpfen anstiften, um sie durch fünf bis sechs Gerichts-Sitzungen hinzuziehen, und ihre 30 Dollars zu verdienen. Nichts ist ehrwürdiger, als der Advokatenstand der alten Staaten, aber nichts verächtlicher, als jenes Gesindel, das sich in einem neuen Gebiet um die Gerichtshöfe sammelt. Manche von diesen Leuten jedoch bilden ihre Kenntnisse durch Praxis aus, erwerben Vermögen und Achtung, und werden ehrliche Leute. Bald auch läßt sich ein regelmäßig für seinen Stand gebildeter Lawyer im Lande nieder; er zieht schnell alle Praxis und Sporteln an sich; alle jene Ränkemacher werden verdunkelt, und am Ende genöthigt weiter zu ziehen, oder ihr Glück auf eine andere Weise zu suchen.

In dieser Periode wird das Gebiet die Beute von Vagabunden, Bankerottierern, und Wucherern jeder Art, die aus allen Theilen der Vereinigten Staaten zusammenströmen. Früher war das Land zu arm, um einen hinlänglichen Gewinn zu versprechen; später werden jene Betrüger zu leicht entlarvt: es bleibt ihnen also nur diese Zwischenperiode als Feld ihrer Industrie übrig. Eine Art von Betrügerei verdient einer besondern Erwähnung. Ich habe Ihnen gesagt, daß ein Theil der Ländereien schon vor langer Zeit von den vorigen Regierungen veräußert worden ist. Nun giebt es Spekulanten, die von den armen ursprünglichen Erwerbern ihre zweifelhaften Ansprüche hinzudichten, oder Land von Indianern kaufen, was den Gesetzen zuwider und daher nichtig ist. Nun lassen sie schöne illuminirte Pläne von ihren Besitzungen entwerfen; lawyers stellen ihnen Consultationen aus, durch die ihre Rechte die klarsten von der Welt werden; mit diesen Mitteln des Betruges gewaffnet, gehen sie in die Länder, wohin die Auswanderung angefangen hat, und nehmen ihre angeblichen Besitzungen in Beschlag. Man kann sich keinen Begriff von der Schlauheit und Gewandtheit machen, mit der einige von ihnen zu Werke gehen. Manchmal werden diese Betrüger mächtig genug, um die Fortschritte der Civilisation zu hemmen; sie gewinnen durch ihre Lügen viel Einfluß, und wirken oft sehr nachtheilig auf die Wahlen ein.

Aber dieser Zustand der Verderbtheit dauert niemals lange; die Bevölkerung nimmt täglich zu; die Gesellschaft bildet sich, und jene Blutsauger sind genöthigt, sich zu entfernen. Die Geselligkeit beginnt gewöhnlich mit öffentlichen Festen. Der 4te Juli, der erste Tag der Freiheit, der 22te Februar, der Geburtstag Washington’s, der 8te Januar, der Tag der Schlacht von New-Orleans, geben dazu Gelegenheit. Einige Zeit vorher wird in einem Gasthause eine allgemeine Versammlung berufen. Ein Präsident und ein Secretair – denn alles geschieht mit der größten Förmlichkeit – werden durch laute Abstimmung ernannt. Ein Redner macht den Vorschlag, den Tag zu feiern, und giebt seine Gründe an; dann wird ein Mittagessen in Vorschlag gebracht, wogegen sich nur der Zweifel erhebt, daß es an einem Zimmer fehle, das groß genug wäre, um alle zu fassen, die Theil daran zu nehmen wünschen; ein Anderer macht daher den Vorschlag unter freiem Himmel zu speisen: unterstützt und angenommen; ein Dritter will, daß eine Rede gehalten werde: angenommen. Auch von einem Ball ist die Rede, aber es sind leider nur drei Damen in der Stadt, die tanzen können; fänden sich darin vier, so würde die Motion gewiß durchgehen. Die Versammlung ernennt nun einen Redner und ein Fest-Comite, und geht dann auseinander. Das Protokoll wird gehörig beglaubigt, und in die Zeitung eingerückt, zur großen Zufriedenheit des Druckers und des Herausgebers, die Mangel an Stoff leiden. Am bestimmten Tage versammeln sich die Bürger und ziehen in Prozession in die Kirche oder in’s Wirthshaus, in das court-house oder in einen Speicher, um eine Rede zu hören, der es selten an Beredsamkeit fehlt. Ich mache Sie hierbei wieder auf den Kontrast aufmerksam, der hier immer zwischen dem Menschen und seinen Umgebungen Statt findet. Von da begiebt man sich in’s Freie, wo ein Ochsen- und einige Schweinebraten der Gäste warten. Die Kosten sind durch Subscription gedeckt. Die Toaste die nun ausgebracht werden, tragen stets die Farbe der politischen Ansichten des Volks. Im folgenden Jahre giebt es wieder ein barbacue ((Mittagessen im Freien), eine Rede, und – einen Ball. Das court-house ist indessen zu diesem Zwecke eingerichtet worden. Auf der Bank des Richters sitzt ein alter Neger, der auf der Violine kratzt, und von zwei kleinen Negern auf dem Tamburin und dem Triangel begleitet wird: Talglichter erleuchten die Scene; aber die Frauen sind trotz dem eben so hübsch und eben so geputzt, wie die in New-York. Der Pflanzer hat das grobe Jagdkleid abgelegt, und den blauen Frack aus dem Koffer genommen, den er zu einer andern Zeit in einem andern Lande getragen hat; seine Sitten sind wieder die der besten Gesellschaft. Die schlechte Musik u. dgl. vermehrt nur die Heiterkeit der Tänzer.

[356] Unterdessen sind die Sitzungen der gesetzgebenden Behörde fortgesetzt worden, und jedes Jahr hat sich die Zahl ihrer Glieder vermehrt. Die Regierung hat schon an Festigkeit gewonnen. Gerichtshöfe, ehrwürdig durch die Talente der Richter und Advokaten, sind in jeder county errichtet. die Zahl der counties selbst wird jedes Jahr verdoppelt. Es werden Taxen auf Neger, Vieh u. dgl. gelegt; die verschiedenen Städte sind durch Patente zu Korporationen erhoben; der Zeitpunkt ist gekommen, wo die zweite Stufe der Territorial-Regierung beginnt: diese besteht darin, daß das Volk das Recht erhält, selbst die Mitglieder der Gerichte zu wählen, nebst andern Privilegien, die Organisation der Gerichte betreffend. Bald empfindet das Volk die Wohlthat des Self-government (Selbst-Regierung.) Die öffentliche Meinung nimmt einen entschiedenen Charakter an; Intriganten und Betrüger bessern ihre Lebensart oder verlassen das Land; die letzten Schritte zur Vollendung geschehen mit der größten Schnelligkeit. Die Einwanderung nimmt in geometrischer Progression zu; die Kapitalien häufen sich; eine öffentliche Bank wird errichtet; es werden jährliche Truppenaushebungen angeordnet. Endlich tritt der ersehnte Zeitpunkt ein, wo das Gebiet 40,000 Seelen zählt, und nun wird es zum Rang eines Staates erhoben. Eine Konvention versammelt sich, um seine Verfassung zu organisiren, die immer aus einem gewählten Gouverneur und zwei gesetzgebenden Kammern besteht. Diese schicken zwei Senatoren und das Volk einen Repräsentanten nach Washington; der neue Staat fängt an, sich regelmäßig in seiner Bahn zu bewegen, im Senat die Kraft der einen oder der andern Partei zu vermehren, und das Gleichgewicht der politischen Meinungen zu verändern.

Bei dieser flüchtigen Skizze müssen Sie zwei Dinge bemerken. Erstlich habe ich nichts von der Religion gesagt, die in diesem Zustande der Gesellschaft meist ein so widriges Gewebe von Trug und Aberglauben ist, daß ich nicht davon reden mag. In demselben Maßstabe jedoch, wie die Sitten sich verbessern, läutert sich auch die Religion, und man kann die Fortschritte der Civilisation nach der Errichtung einer Presbyterial-, oder einer Episkopal-Kirche beurtheilen. In dem Zustande der Gesellschaft, den ich beschrieben habe, hält die Erziehung mit der Religion gleichen Schritt. Primärschulen in den Händen oder doch unter dem Einfluß der Geistlichkeit, und Akademien unter den Händen einiger Yankees sind alles, was dafür geschieht. Aber sobald das Gebiet zum Staat wird, oft auch noch früher, fällt demselben die früher erwähnte 16te Section der Gebietsländereien anheim, und dient zur Begründung eines dauernden Fonds für die öffentliche Erziehung, der theils auf die Schulen der einzelnen Städte, theils auf die Errichtung von Gesammtanstalten, Universitäten, Kollegien und dgl. verwandt wird. Dieser Gegenstand ist übrigens wichtig genug, um eine eigene Behandlung zu verdienen.

Ferner habe ich nur vom Süden gesprochen. Ich bin nie in den nordwestlichen Theilen der Vereinigten Staaten gereist. Doch glaube ich, daß meine Darstellung größtentheils auch auf diese paßt, wenn man die Neger wegläßt, und mehr Fleiß und Thätigkeit bei den Squatters voraussetzt. Auch spielt hier die Religion eine bedeutendere Rolle. Ferner scheinen die Spekulationen mit Ländereien hier in einem liberaleren Geiste betrieben worden zu seyn. Die Spekulanten habe sich nicht damit begnügt, die Ländereien in Augenschein zu nehmen, sondern haben sie zu verbessern gesucht, durch Anlegung von Straßen, durch Einrichtung von Mienen, durch Einsetzung von Pächtern. Diese Abweichungspunkte sind die bedeutendsten; ich kann sie Ihnen indeß nicht genau bis in’s einzelne nachweisen.

Lassen Sie mich diese Skizze mit einer wichtigen Reflexion schließen. Wir haben von Frankreich Louisiana, von Spanien Florida gekauft. Diese Länder waren schon bevölkert, und hatten Gesetze, die im Ganzen dem Geiste unserer Verfassung so entgegen waren, daß, wenn es ihnen auch nicht an der nöthigen Einwohnerzahl gefehlt hätte, um Staaten zu werden, es doch nöthig gewesen wäre, vorläufig ihnen eine Territorial-Verfassung zu geben, um sie allmälig mit uns zu amalgamiren. Mit den englischen Besitzungen auf dem Kontinent und in Westindien würde es anders seyn. Diese sind als Provinzen organisirt, haben ihre eigne Gesetzgebung und ihre eignen Gesetze. Um sie mit den Vereinigten Staaten zu verbinden, brauchte man sie bloß aufzunehmen, und ihre Senatoren und Abgeordnete beim Kongreß zuzulassen. Aber Gott möge uns hievor behüten! der Gewinn, der sich daraus für den Süden ergäbe, würde von den Vortheilen, die der Norden davon hätte, weit überwogen. Bei dem jetzigen Zustande der Vereinigten Staaten wäre dieß die einzige Möglichkeit der Auflösung, die sie bedroht. In zwanzig Jahren, wenn der Süden erst Gewicht genug hat, um sein Interesse schützen zu können, wird diese Gebietsvergrößerung wünschenswerth seyn, jedoch immer mehr für die Unterthanen Sr. brittischen Majestät als für uns.


  1. Fortsetzung der in Num. 46 bis 48 mitgetheilten Briefe.