Ueber die Möglichkeit, die Bewohner des innern Afrikas zu civilisiren
Ueber die Möglichkeit, die Bewohner des innern Afrikas zu civilisiren.
Seit einer langen Reihe von Jahren an die Pforten Afrikas gestellt, durch eine Mission deren Nutzen die Regierung schon mehr als einmal erfuhr, hatte Hr. Drovetti[1] häufige Gelegenheit den Ursachen jener gesellschaftlichen Verbannung nachzuforschen, zu welcher die Einwohner der Centralländer dieses ausgedehnten Welttheils von jeher sich verdammt sahen; denn offenbar müssen wir den Namen eines gesellschaftlichen Zustandes jenem trägen Dahinleben der mittelafrikanischen Volksstäme versagen, welche, blos physische Bedürfnisse kennend, nur ungefähr wie ihre Palmen fortvegetiren, die ihnen auch ihre Hauptnahrung reichen. Dennoch fand Hr. Drovetti bei dem größten Theile der jungen Afrikaner, welche jedes Jahr aus dem Schoße der Wüste zu dem Thale des Nils kommen, einen seltene geistige Empfänglichkeit und einen natürlichen Verstand, von welchem überdieß die europäischen Ateliers des Paschas von Aegypten jeden Tag die überzeugendsten Beweise liefern.
Hält man diese Thatsachen nebeneinander, so scheinen sich daraus auffallende Widersprüche zu ergeben. Warum, wenn die Neger als Individuen so verständig sind, bleiben sie doch als Volk in dieser geistigen Erstarrung? Warum erfinden sie nichts bei sich selbst, während sie doch bei uns einen scharfsinningen Geist zu verrathen scheinen? Warum haben sie noch nie Schiffe gebaut, Häfen gegraben, und die Wüsten durch Kanäle zu bewässern gesucht? Warum ist in der langen Reihe der Jahrhunderte kein Lycurgus unter ihnen entstanden, um Gesetze zu geben, und diese Horden zu Nationen zu bilden? Warum hat sich nie ein Romulus erhoben, und hat aus Sclaven Krieger gemacht?
Sollte das Klima der Grund dieser demüthigenden Gefühllosigkeit seyn? Ein großer Mann hat diese Behauptung gewagt, aber längst hat man ihm durch die Geschichte geantwortet, welche beweist daß die Tugend und der Geist der Nationen nicht nach den Graden des Thermometers berechnet werden können. Oder soll man den Grund in einer eingebornen Erniedrigung der Race suchen? Ist der Afrikaner eine ganz andere Gattung Mensch? Diese Träume einzelner Materialisten sind durch tausen Thatsachen widerlegt, und es scheint außer allem Zweifel, daß das Menschengeschlecht nur Eines ist.
Wir glauben vielmehr die wahre Quelle dieses sittlichen Phänomens weder in dem Einflusse des Klimas, noch in einer empörenden Unterordnung des Geschlechts, sondern blos in den einfachen Verhältnissen der bewohnten Länderstrecken in ihrer Beziehung auf die Bewohner suchen zu dürfen. Man darf annehmen, daß das Fell des Tigers – ein geistreicher Ausdruck mit welchem das Alterthum blos die lybische Wüste bezeichnete – über ganz Afrika ausgedehnt werden kann. Dieser ungeheuere Sandozean, in dessen Mitte nur einzelne Inseln fruchtbarer Erde liegen, mußte die Verbindung dieser Strecken unter einander von jeher äußerst schwierig, und folglich die Vereinigung ihrer Bewohner unmöglich machen. Ueberdies bildet die unermeßliche Saharah ein neues Bollwerk der Trennung zwischen diesen, schon unter sich getrennten Landstrichen und einem großen Theile der afrikanischen Küstenländer. Diese unbewohnbare, brennende Wüste, zwischen Mittelafrika und der civilisirten Welt liegend, stellte der letzteren ein Bollwerk entgegen, welches sie bis jetzt nie zu überschreiten wußte. Daher klagte man, um die eigene Schwäche zu entschuldigen, die Natur einer Verirrung an.
Um diese Behauptungen zu unterstützen, brauchen wir uns nicht gerade tief in die Geschichte zu verlieren. Es ist bekannt, daß von allen jenen civilisirten Völkern, welche im Alterthum die Küstenländer Afrikas inne hatten, keines in seine innern Provinzen vordrang. Nur der Ehrgeiz leitete ihre Eroberungen, während hiezu blos das reine Interesse der Menschlichkeit aufgefordert hätte.
In unserer Zeit sucht ein Handelsvolk das Innere Afrikas, oder vielmehr seine Hülfsquellen und Minen kennen zu lernen. Es verschwendet Gold, um Gold zu gewinnen. Eine Menge von Reisenden, auf’s reichlichste ausgestattet, zogen als Handelsagenten aus, und starben als Märtyrer der Wissenschaft. Auch andere Völker, großartiger in ihren Ansichten, aber beschränkter in ihren Mitteln, richteten hie und da auf diese entfernten Gegenden ihren Blick, jedoch gleichfalls ohne bedeutend größern Erfolg, als daß ehrenvolle Bemühungen mit denselben Opfern gekrönt wurden. Indessen erhielt man durch diese lobenswürdigen Versuche wenigstens einige geographische Notizen. Man sah Seen, Flüsse, Berge; die Charten des Landes änderten sich – die Einwohner blieben dieselben.
[206] Und doch, wir wiederholen es, ist der Afrikaner, trotz seiner wolligen Haare, seiner platten Nase und seiner aufgeworfenen Lippen, ein Mensch wie wir. In unserem grausamen aber feigen Geiz wagten wir es nicht, in das Innere seines Landes einzudringen; wir umschlichen nur seine Küsten, rissen ihn von seinen Feldern, und schleppten ihn in unsere Schiffe, um ihn unter fremdem Himmel zum Sklaven unserer Habsucht und unserer Willkür zu machen. Endlich ist die Stimme der Menschlichkeit, zu lange schon unterdrückt, erhört worden: die Könige Europa’s haben erklärt, der Afrikaner ist frei!
Aber es genügt nicht, ihn für frei zu erklären, wenn man ihm nicht zugleich das verleiht, was der Freiheit allein Werth gibt; man muß ihm Bildung und Aufklärung geben. Noch unheilbringender als Wüsten und Klima umgibt der muselmännische Fanatismus von allen Seiten das unglückliche Afrika. Er steht davor als Hüter, und bewacht seine Beute. Stets vergrößert sich sein Gebiet. Bereits hat er mehrere Provinzen des Innern sich unterworfen; er herrscht in Sudan; er lebt in der Wüste, unter den zahlreichen Tuariks; in Abyssinien triumphirt er über das Evangelium, und halb Tombuktu gehorcht seinen Gesetzen.
Unserer Beharrlichkeit gelingt es vielleicht, ganz Afrika zu durchstreifen. Der Islamismus, geblendet von unserem Gold, läßt uns freie Bahn; aber stets wird er als Hüter uns zur Seite gehen, und unermüdet jeden unserer Schritte bewachen. Wir können auf diese Art Charten entwerfen, Pflanzen und Steine sammeln, Bücher schreiben und unsere Kabinette bereichern; der unglückliche Bewohner Afrikas aber wird nach wie vor in Finsterniß und Unterdrückung bleiben. Keineswegs also dadurch, daß wir unsere bisherigen Opfer noch vermehren, daß wir dem Islamismus Geleits- und Lösegelder bezahlen, daß wir furchtlose Reisende in die Wüste zum gewissen Tode schicken, wird es uns gelingen den gesellschaftlichen Zustand des Negers zu verbessern. Blos wenn es möglich ist eine fortlaufende Kette der Mittheilungen zwischen diesen fernen Ländern und Europa herzustellen, blos indem wir den Afrikaner uns selbst näher bringen, werden wir es ihm vielleicht möglich machen, feste gesellschaftliche Formen in der Heimath zu gründen.
Dieß sind die hochherzigen Ansichten von denen Hr. Drovetti ausgeht. Aegypten, die Wiege der Civilisation, kann sie nicht mehr selbst zur Ausführung bringen, aber es kann wenigstens dazu wirksame Beihülfe leisten. Jährlich kommt dahin mit den Caravanen eine große Zahl junger Neger aus den verschiedenen Provinzen des Innern. Bereits hat Mahomed Aly angefangen, sie aus ihrem frühern gesunkenen Zustande etwas zu heben. Anstatt zu erlauben, daß sie, wie sonst, auf den Märkten verkauft würden, um den Launen der Harems zum Spielwerk zu dienen, gab er ihnen die Waffen in die Hand, und machte sie zu Soldaten; Menschen aus ihnen zu bilden, ist Europa vorbehalten.
In dieser Absicht will Hr. Drovetti jährlich eine Anzahl dieser jungen Afrikaner nach Frankreich senden, damit sie in unsern Schulen ihren Geist entwickeln, auf unsern Universitäten unsere Gesetze und die reiche Erfahrung der Völker und Zeiten kennen lernen. Die jugendlichen Gemüther, für jeden Eindruck empfänglich, werden mehr und mehr von jener begeisternden Philosophie erfüllt werden, welche Menschen an Menschen, Volk an Volk knüpft. Zurückkehrend in ihre Heimath, werden dort die neuen Ideen von Stamm zu Stamm, von Oase zu Oase wandern; die Geister werden erwachen, und so gelingt vielleicht einigen Jünglingen, was so viele Jahrhunderte nicht zu erreichen vermochten.
Dieß ist die summarische Auseinandersetzung des Entwurfs, den Hr. Drovetti micht bat, Ihnen vorzulegen. Es wäre eine Beleidigung Ihrer Einsicht, wenn ich es Ihnen nicht überlassen würde, selbst alle die wichtigen Folgerungen zu ziehen, die sich daraus ergeben müssen. Das Project ist nicht von heute; es ward schon 1811 entworfen. Schon damals besprach sich Hr. Drovetti darüber mit seinen Correspondenten. Die politischen Stürme jener Zeit erlaubten nicht die Ausführung dieser Idee des Friedens; jetzt aber, wo Ruhe an die Stelle der Bewegung getreten und, wenigstens bei uns, die ängstliche Sorge vorüber ist, darf man aufs neue den Blick in die Ferne richten.
Hr. Drovetti wird daher auf seine Kosten eine Anzahl junger Neger nach Paris schicken, damit sie hier Gelegenheit erhalten, sich zu bilden und mit den Vortheilen der Civilisation bekannt zu werden. Die gelehrten Gesellschaften werden so hochherzigen Absichten freudig entgegen kommen, vor allen aber muß die unsrige es sich angelegen seyn lassen, sie zu unterstützen, weil sie davon, mehr als jede andere, die herrlichsten Früchte sich versprechen darf. Vorzüglich müssen wir von der Behörde die unentgeldliche Aufnahme jener jungen Neger in unsere Schulen zu erlangen suchen, da Hrn. Drovetti schon die bloße Zusendung derselben große Opfer kosten wird.
Es ist selbst wahrscheinlich, wenigstens wollen wir uns vorerst mit diesem Glauben schmeicheln, daß nicht allein in Frankreich, sondern auch in dem übrigen Europa manche reiche Capitalisten, vielleicht selbst einzelne Regierungen dieser menschenfreundlichen Handlung sich anschließen und ihr alle Ausdehnung, die sie verdient, geben werden. Wie dieß aber auch werden mag – stets wird es ruhmvoll für Hrn. Drovetti bleiben, zu diesem neuen gesellschaftlichen Gebäude den ersten Stein gelegt, stets wird es ehrenvoll für uns seyn, zu seiner Aufrichtung mit die Hand geboten zu haben.
- ↑ Bekanntlich französischer Generalconsul in Aegypten.