Betrachtungen über die Völker und Regierungs-Formen Asiens
Betrachtungen über die Völker und Regierungs-Formen Asiens.
Der Verfall des Islamismus ließ in den an Europa grenzenden Ländern Asiens nur verarmte Staaten und schwankende Throne bestehen. Ihre gegenwärtige Schwäche sollte ihren einstigen Glanz nicht vergessen machen. Manches möchte zu berichtigen seyn in dem jetzt fast allgemein verbreiteten Urtheil über die Nachfolger der Kalifen und der Sofis, Harun-alraschids und Saladins, über die Enkel der Araber, welche die Wissenschaften Griechenlands erhielten, und der Mauren, welche die Galanterie nach Europa verpflanzten – wir wollen aber lieber den Blick auf jene Länder richten, deren Sitte und Verfassung man noch mit freiem, weniger durch vorgefaßte Meinungen bestochenem Urtheile studieren kann: Indien, Tunkin und Japan. Will man von den Türken, von den Unterthanen Feht-alischahs oder Mehmed Alis nicht gerade etwas Gutes sagen, so bleibt in der That fast nichts übrig, was man über diese Völker noch besonders Neues lernen könnte, da dieselben uns so nahe liegen, daß jeder sich für berechtigt hält, sie nach sich zu beurtheilen, wenigstens mit Beihülfe der Augsburger Allgemeinen Zeitung und der Correspondenzen von Triest und Odessa. Ein Aufenthalt von drei Monaten in Konstantinopel oder Smyrna, acht Tage in Tunis oder Kairo haben schon Tausende von Reisenden in den Stand gesetzt, ohne weiters über die gesammten muselmännischen Nationen abzusprechen.
Die Völker also, über welche man unsern viel unterrichteten Europäeren noch einige interessante Nachrichten geben kann, sind blos jene, welche möglichst fern von uns wohnen, zu denen seltener ein Reisender gelangt, von denen unsere Journale fast niemals reden, und welche daher denen, die kein Bedürfniß fühlen, nach andern Quellen der Belehrung sich umzusehen, fast gänzlich unbekannt sind.
Jenseits des Indus beginnen jene Länder, in denen sich noch jenes jahrtausendalte Gepräge erhalten hat, dessen eigenthümliche Züge nicht verwischt oder entstellt werden konnten, trotz aller Bemühungen der Abendländer, die nicht müde wurden, jene Länder zu durchstreifen und zu beschreiben, zu unterjochen und zu berauben. Hier finden sich noch die Schüler jener Brahmanen, an deren Weisheit man noch jetzt aufs Wort glaubt, wie zur Zeit Alexanders, und deren unbestreitbarstes Verdienst darin besteht, daß sie gewöhnliche Gedanken in die geheimnißvollsten Formen zu hüllen wußten.
Hier erhielten dreißig Nationen, denen der Sprachgebrauch den Namen Hindus gab, von ihren Unterdrückern, einem Haufen christlicher Kaufleute, das provisorische Recht Idole anzubeten, und die Frauen, die das Unglück haben ihre Männer zu verlieren, lebendig zu verbrennen, – gegen die Verpflichtung, einige Handelshäuser London als ihre Lehensherrn anzuerkennen und die Manufakturen von Birmingham und Manchester mit den Materialien der Fabrication zu versorgen.
Jenseits des bengalischen Meerbusens sind die Burmanen, welche kolossale Götzen- und Thierbilder, Brücken, Thürme und Klöster mit Goldplatten belegen. Diese Völker, deren prachtvoller Cultus und verschwenderischer Gottesdienst natürlich das Interesse ihrer Nachbarn in Bengalen in Anspruch nehmen mußte, erhielten von denselben kürzlich eine Lektion in europäischer Taktik und Diplomatik, und konnten deren Gunst nur durch eine freundliche Ueberantwortung von vier oder fünf Provinzen wieder erwerben.
Auf dem entgegengesetzen Ufer der Halbinsel verdankt das Anamitische Reich einigen aus Frankreich gekommenen Missionären und Offizieren den Besitz einer Flotte, fester Plätze und regelmäßiger Truppen, so daß es, vermöge dieser Macht, noch einige Zeit sich aufrecht erhalten kann, wenigstens so lange die Burmanen, durch welche sie von den brittischen Besitzungen getrennt sind, nicht in neue Händel mit den Herren von Hindustan gerathen, und sich mit der Regierung von Calcutta nicht wieder um denselben Preis abfinden müssen.
Wir übergehen die Inseln des indischen Archipels, weil dort die europäische Industrie von der Civilisation des Eingebornen nichts übrig gelassen hat, als was unumgänglich nöthig war, um noch ferner den Campher und die Muscatnuß einernten zu können. Richten wir den Blick weiterhin, auf die Grenze der Welt, die japanischen Inseln, den weisesten Staat Asiens, um dort ein Volk zu bewundern, das, nach reiflicher Erwägung was es bei dem Besuche der Europäer gewinnen und was es verlieren könnte, den klugen Entschluß faßte, ihnen jeden Zutritt in seinen Seehäfen zu verbieten, und sie von allen seinen Niederlassungen auszuschließen – eine Maßregel, welche man als nachtheilig für die Interessen unserer Kaufleute und die Neugier unserer Philosophen erklären, schwerlich aber tadeln kann, wenn man weiß, wie die Gastlichkeit der Bewohner Hindustans, Ceylons, Javas, [202] Sumatras und aller jener Länder belohnt wurde, in denen man den Schiffen, die aus den Häfen Portugals, der Niederlande und Großbritanniens kamen, eine freundliche Aufnahme bereitet hatte.
Noch bleibt uns das chinesische Reich übrig, jene ungeheure Aggregation von Staaten und Nationen, welche seit dreitausend Jahren an dem andern Ende unseres Continents das ist, was einst in dem Occidente vier Jahrhunderte lang Rom, und ein Menschenalter lang das Reich Karls des Großen war – ein Mittelpunkt der Macht, des politischen Einflusses und intellektueller Ueberlegenheit. Hier erblicken wir ein ganz neues Schauspiel – Gelehrte, einig unter sich und friedlich sich verständigend, um die Erhaltung von zwei oder dreihundert Millionen Menschen zu sichern. Dieß ist der einzige asiatische Staat, der noch ein Prinzip der Dauer, eine Bürgschaft der Stabilität darbietet; denn, trotz der Wünsche und Drohungen gewisser übelgelaunten Diplomaten, und einiger ehrgeizigen Geographen, denen Eroberungen nichts kosten, hat es doch noch gar wenig Anschein, daß China durch die Theehändler von Canton sobald zerstückelt oder durch die moscovitischen Kosaken erobert werden sollte – ein Ereigniß, welches man freilich in London und St. Petersburg als unendlich vortheilhaft für die Civilisation betrachten würde.
Noch habe ich, in diesem schnellen Ueberblick, nichts von Tibet gesagt, ein Land, das die Schüler Baylli’s und Volney’s so eifrig anempfahlen, weil sie es als schon lange vor der Sündfluth hochcivilisirt glaubten, das aber bei etwas näherer Untersuchung keine andern Vorzüge als die höchsten Berge und die feinwolligsten Schafe besaß. Auch jene Tartarei haben wir noch nicht erwähnt, welche auf unsern Charten noch immer die unabhängige genannt wird, ungeachtet sie schon seit hundert Jahren China und Rußland gehorcht. Diese weitausgedehnten Länderstrecken, von denen so viele Geißeln der Menschheit ausgingen, wurden, als ihre Zeit gekommen war, auch ihrerseits von ihren alten Vasallen unterjocht, und von den zwei hohen contrahirenden Parteien freundschaftlich getheilt, ohne daß irgend jemand dabei zu Schaden gekommen wäre, als etwa die eingeborne Bevölkerung, welche man bei einigen Gelegenheiten auszurotten sich veranlaßt sah, was aber weder unsere Politiker noch unsere Geographen der Beachtung für würdig halten konnten. Europa kümmert sich nicht um solche Kleinigkeiten; erst die kürzlich erschienene neue Auflage des russischen Atlas belehrte uns, daß vor noch nicht langer Zeit ein Länderstrich, größer als Frankreich, mit dem Gouvernement von Siberien vereinigt wurde, nicht durch eine Armee, noch weniger durch einen Vertrag, sondern durch einen Ingenieur-Geographen, welcher eine rothe Linie um jenen ganzen Theil des Landes der Kirgisen zog, der hier seinem Pinsel und dem Gutdünken seiner Vorgesetzten eben just an geschickter Stelle lag.
[206] Asien ist das Land der Fabeln, der phantastischen Imaginationen und Träume. Welch wunderbaren Wechsel, und, ich möchte sagen, welch beklagenswerthe Verschiedenheit bemerkt man nicht in der Art, mit welcher die menschliche Vernunft, ihres Führers beraubt, blos ihren Inspirationen anheimgegeben, jenes erste Bedürfniß der [207] frühesten geselligen Vereine, der Religion, zu befriedigen suchte. Wenn es wenige Wahrheiten giebt, die nicht in Asien ihre Lehrer und Schüler fanden, so giebt es auch wenige Ausschweifungen des Geistes, die dort nicht in Ehren gehalten wurden. Schon die bloße Namenaufzählung der vielfachen Religions- und Götzendienste, welche im Orient auf einander folgten, setzt den ruhigen, verständigen Beobachter in schmerzliches Erstaunen. Die Abgötterei der Sabäer, die Verehrung des Feuers und der Elemente, der Islamismus, die Vielgötterei der Brahmanen, Buddhisten und der Anhänger des großen Lama, der Dienst der Gestirne und die Vergöttlichung der Vorfahren, die Lehre der Geister und Dämonen, endlich so viele untergeordnete oder weniger bekannte Sekten, einander gegenseitig überbietend durch unsinnige Dogmen und bizarre Gebräuche – zeigen sie nicht alle wie groß dort die Verschiedenheit der Ansichten in einem so wichtigen Punkte ist? Und welche Festigkeit und Stetigkeit soll in der Moral, den Gesetzen und Gewohnheiten herrschen, wenn auf diese Weise die Grundpfeiler jeder Moral, jeder Gesetzgebung und überhaupt jedes geselligen Lebens schwanken und sinken? Ueberdies ist es nicht blos ein einzelnes Volk, nicht blos ein einzelner Volksstamm Asien, welche man diesen geistigen Fluctuationen unterworfen sieht: jedes Volk, jeder Stamm hat zu diesem ungeheuern Vorrath von Verstand und Narrheit sein Contingent geliefert, und fanatisch Theil genommen an dem Wechsel des Glaubens und der Vorurtheile, so daß sich daraus, ganz gegen die allgemein herrschende Ansicht, der Schluß ergiebt, daß bei diesen Völkern, die auf der einen Seite so hartnäckig an den alten Ideen hängen, doch das Bedürfniß einer Veränderung stets über die Macht der Gewohnheit und die Herrschaft der Nationalvorurtheile dem Sieg davon trägt, und ein neues System immer bei ihnen Glück macht.
Die alten Araber verehrten die Gestirne, und aus dem Schooße dieses Götzendienstes (des schönsten, wenn es erlaubt wäre, den Künstler mit seinem herrlichsten Werke zu verwechseln) gieng jener Reformator, der eifrigste Lehrer der Einheit Gottes hervor, dem man fast allein vorwerfen kann, die Folgerungen dieses Dogmas zuweit getrieben zu haben. In unsern Tagen erstand unter diesen Völkern, (welche das Joch des Islamismus sowohl ihren Besiegten, den Persern, als ihren Siegern, den Türken, aufgelegt hatten) plötzlich eine neue Lehre, der es vielleicht blos deßwegen, weil sie zu geläutert ist, bis jetzt nicht gelang, über den Koran zu triumphiren.
Die alte Religion Hochasiens erlitt eine bedeutende Reform zuerst zur Zeit Zoroasters, und änderte von da an bis zur Eroberung Persiens durch die Khalifen noch zwei oder dreimal ihre Gestalt. China, ein Uebel durch das andere vermeidend, schützte sich vor dem Götzendienste lange Zeit durch seine Indifferenz, und doch war es schon zu Confucius Zeit in zwei Hauptreligionen und vier oder fünf einander widersprechende philosophische Systeme getheilt. Später gesellte sich den beiden ersten noch ein dritter Religionskultus bei, und alle drei sind nun in Besitz eines Reichs, das ein Drittheil des Menschgeschlechts seine Unterthanen nennt. Während die Gebildeten der Lehre des Confucius anhängen, neigt sich die Mehrzahl zu demjenigen Kultus, der am meisten zur Imagination spricht: eine ganz eigenthümliche Erscheinung aber möchte seyn, daß es daselbst Leute giebt, welche zu allen drei Kulten zumal sich bekennen, ohne daß es ihnen einfällt, sie vereinigen zu wollen.
Auch Tibet und Japan erhielten von Indien jene wandernde Religion des Buddha, welche das Festland wie die Inseln durchlief, die Hirten der Thäler des Himalaya und die stolzen Reiter Turkistans bildete, und auf den unzugänglichen Höhen Tibets, wie in den Sandwüsten der Tartarei Klöster und Bibliotheken gründete. Man hat den Buddhaismus das Christenthum des Orients genannt; es liegt einige Uebertreibung in diesem Ausdruck, aber er weist wenigstens auf die wichtigen Dienste hin, welche beide Religionen der Menschheit geleistet haben.
Indien endlich, diese ungeheure Länderstrecke, scheint alle Gegensätze in sich zu vereinigen, alle Widersprüche in seinem Schoße zu pflegen, und die Urquellen beinahe aller Philosopheme in sich verborgen zu halten. Dort erstanden die subtilsten Metaphysiker, wie die plumpsten Götzendiener, und ohne daß Fremde sich einzumischen brauchten, folgten sich die widersprechendsten Glaubenslehren. Ewig kann Indien wechseln, indem es stets nur aus seinem eigenen Grunde schöpft. Immer bleiben es dieselben Bücher, die hier schon seit den entferntesten Zeiten sich finden, aber stets werden sie auf andere und wieder andere Weise erklärt. Man findet in ihnen jeden Sinn, den man sucht, und die Keime der allerentgegengesetztesten Doctrinen. Die gleiche Stelle des gleichen klassischen Textes beweist, je nachdem man sie gerade auslegen will, daß man nur Einen Gott, oder daß man Millionen Götter anbeten soll; daß Alles oder daß Nichts Gott ist, d. h. – wie die geschickten Interpreten sogleich hinzuzusetzen sich beeilen – daß Gott Nichts von dem ist, was wir begreifen können, und Alles das, was wir nicht begreifen können. Einst hatten die Indier das gehässige System der Kasten gegründet; später schafften sie es ab; dann aber führten sie es wieder ein, und beugen sich nun strenger als jemals unter dessen Joch. Noch jeden Tag bilden sie sich neue Gegenstände der göttlichen Verehrung. Vor einigen Jahren ward selbst der cholera morbus, unter dem Namen der Göttin Ola Bibi, die Ehre der Apotheose zu Theil, und vielleicht erleben wir es, daß man diese Ehre auch einmal der ostindischen Compagnie zuerkennt, welche das gute Volk von Bengalen, das stets von ihr sprechen hört, ohne sie je gesehen zu haben, für eine alte, mächtig reiche Dame hält, die weit über dem Meere wohnt, ein höchst zähes Leben hat, und besonders äußerst viel Geld braucht.
[209] Ueberall berühren und vermischen sich Religion und Politik, wenn man auf den Ursprung der Staaten zurückgeht. [210] Eine Art übernatürlicher Autorität wurde allen, die an der Spitze der Geschäfte und Ereignisse standen, zuerkannt. Die Harmonie einer so schönen Ordnung der Dinge ward nur durch Cometen oder Sonnen- und Mondfinsternisse gestört, welche der Erde eine Abweichung in dem Gang der himmlischen Gestirne zu verkündigen schienen, so wie noch jetzt in China deren Erscheinen den obersten Staatsbeamten alle Popularität zu rauben droht. Ein ähnliches System scheint in frühester Zeit auch in Persien gegründet gewesen zu seyn. Aber diese glänzenden Fictionen verschwanden bald vor den nur zu sehr an die Erde erinnnernden Kämpfen. Theilungen, Kriege, Revolutionen, Eroberungen führten eine Feudalherrschaft herbei, welche im östlichen Asien sieben bis acht Jahrhunderte dauerte, ungefähr gleich der, die während des Mittelalters in Europa bestand. Endlich überwog die Monarchie, und feierte zuletzt den vollständigsten, entscheidensten Triumph, indem das in China geschah, was auch in Europa nicht zu vermeiden gewesen seyn würde, wenn es im Mittelalter einem kühnen Eroberer gelungen wäre, Frankreich, die beiden Halbinseln, Deutschland und die Staaten des Nordens unter Einen Scepter und Ein Gesetz zu beugen. Ein gewisses Gegengewicht gegen die kaiserliche Macht bildete die Philosophie des Confucius. Anfangs war ihr Einfluß noch ziemlich unbedeutend; sie verstärkte sich aber im siebenten Jahrhunderte, wo sie eine förmliche Staatsorganisation erhielt; und nun sind es bereits zwölf Jahrhunderte, daß jenes System der Prüfungen und gemeinschaftlichen Untersuchungen, deren Zweck ist, die Ungelehrten der Autorität der Gelehrten zu unterwerfen, die Regierung wirklich in die Hände der letzteren gebracht hat. Die Einfälle der Tartaren, welche sich blutwenig um Literatur bekümmerten, suspendirten hie und da die Herrschaft dieser philosophischen Oligarchie; bald aber gewann sie wieder die Oberhand, indem die Chinesen offenbar die Autorität des Pinsels der des Schwerts vorziehen, und sich leichter unter die Pedanterei als unter die Gewalt beugen.
Jene geistreichen Leute, welche die tiefsten Untersuchungen darüber anstellten, wie es möglich gewesen sey, daß die chinesische Regierung seit viertausend Jahren unverändert habe fortbestehen können, übersahen dabei nur eine Kleinigkeit: die Gründe, die sie zur Erläuterung dieses Phänomens anführen, sind ohne Zweifel eben so scharfsinnig als gelehrt, nur ist unglücklicherweise die Thatsache selbst nicht wahr – ein Unglück, das übrigens schon vielen philosophischen Untersuchungen begegnet ist. Die Chinesen änderten ihre Maximen, erneuerten ihre Institutionen, versuchten verschiedenartige politische Combinationen, und ungeachtet es Dinge gibt, die ihnen nie in den Sinn gekommen sind, so bietet doch ihre Geschichte ungefähr die nämlichen Phasen dar, wie die Geschichte der Regierungsformen beinahe aller andern Staaten.
Finden wir in Japan mehr Beständigkeit und Einförmigkeit? Allem voraus ging die Administration der Götter und Halbgötter, und dauerte einige Millionen Jahre. Dann folgte, sechs hundert Jahre vor Christus, die patriarchalische Regierungsweise, und währte achtzehn Jahrhunderte. Hierauf bemächtigte sich ein Generalissimus der irdischen Gewalt, wobei er jedoch dem Priester, den er vom Throne stieß, fortwährend die tiefste Ehrerbietung erwies. Da auf diese Weise in Japan das Recht des Stärkeren allgemeines Gesetz geworden war, so gab es nun Usurpationen, Dynastieveränderungen, Rebellionen, Gebietsabtretungen, Lehensvertheilungen etc. aller Art. Hieraus ging jene Verfassungsreform hervor, welche man noch jetzt mit Bewunderung betrachtet – ein königlicher Priester, ein militärischer Usurpator und fünfzig große Vasallen, welche die unruhigen Insulaner unter dem dreifachen Joch einer theokratisch-militärisch-feudalistischen Regierung halten, gleichsam um zu zeigen, wie lange ein Staat allen Arten des innern Widerspruchs und Verderbens widerstehen kann, wenn nur ein Arm des Meeres ihn vom Continent trennt.
Was Indien betrifft, so muß ich gestehen, daß in der Geschichte dieses Landes allerdings eine ganz besondere Art von Einförmigkeit sich zeigt, für deren Erhaltung die Fremden seit undenklicher Zeit zu sorgen sich bemüht haben. Schutzlos und friedlich bis zur höchsten Uebertreibung, waren die Indier gewöhnlich die Beute eines jeden, der sie anfiel. Will man aber einen Beweis von dem unerschöpflichen Reichthum des Landes, so darf man nur betrachten, wie seit drei Jahrtausenden so viel verschiedene Völker fortwährend die Erzeugnisse des Bodens und der Industrie geraubt, und die Bewohner tyrannisirt haben. Die Scythen, Perser, Macedonier, Muselmänner, Türken, Mongolen und Europäer haben nacheinander Indien erobert und gebrandschatzt. Ein willenloses Spielwerk in den Händen ihrer Tyrannen, und getreue Unterthanen dessen, der sie unter dem Joche zu halten weiß, bauen die friedlichen und industriösen Bewohner dieser herrlichen Länder die Baumwolle, weben die Wolle von Cachemir, sammeln die Diamanten Golcondas und die Rubinen Candahars – alles zum ausschließlichen Vortheil der Portugiesen, Holländer, Franzosen und Engländer. Bald wird in dem weiten Umfang ihres Gebiets kein einziger unabhängiger Fürst ihres Stammes mehr seyn, während diejenigen, die, durch die Sieger unter erniedrigende Bedingungen gebeugt, als Schattenfürsten gegenwärtig noch übrig sind, weder Kriegselephanten, noch feste Plätze, noch Soldaten besitzen dürfen, und sich, um ihre Zeit tödten und ihre Einkünfte verschwenden zu können, darauf beschränkt sehen, Wörterbücher zu entwerfen und dann mit Zustimmung der ostindischen Compagnie drucken zu lassen.
Mitten unter so mannichfachen Abwechselungen der orientalischen Regierungsformen tritt uns besonders Ein Zug als auffallend entgegen – daß wir nirgends, und fast zu keiner Zeit jenen gehässigen Despotismus, jene herabwürdigende Sklaverei finden, dessen ertödtenden Geist man über ganz Asien schweben zu sehen glaubte.
Die muselmännischen Staaten, deren Verfassungsformen und Verhältnisse eine ganz eigene Betrachtung fordern, ausgenommen, ist sonst überall die souveräne Autorität zwar mit dem imposantesten Glanz, zugleich aber mit den beengendsten Schranken umgeben, ja ich möchte sagen mit den einzigen, welche den Herrscher wirklich, und nicht, wie bei [211] andern Völkern, blos dem Namen nach, zu beschränken im Stande sind.
Man hat die asiatischen Könige für Despoten gehalten, weil man niederkniet, wenn man mit ihnen spricht, und sich in den Staub wirft, wenn man sich ihnen nähert. Man ließ sich hierbei durch den Schein verführen, weil man die Wirklichkeit nicht zu durchblicken vermochte; man hielt die Fürsten für Götter der Erde, weil man die unübersteiglichen Hindernisse nicht wahrnahm, welche Religion, Sitte, Gewohnheit und Vorurtheil ihrer Willkür entgegensetzen. Ein König der Indier ist, dem göttlichen Gesetzgeber Menu zu Folge, gleich der Sonne: er erleuchtet die Augen und die Herzen; er ist Luft und Feuer, Sonne und Mond; kein menschliches Wesen vermag ihm ins Auge zu schauen. Aber dieser erdengleiche Gott darf von einem Brahmanen keine Taxen erheben, selbst wenn er vor Hunger sterben sollte; aus einem, der der Kaste der Landbauer angehört, keinen Handelsmann machen, noch überhaupt nur die unbedeutendste Vorschrift des Gesetzbuches verletzen, das man für geoffenbart hält und das über die bürgerlichen Interessen wie über die Gegenstände der Religion allein entscheidet. – Der Kaiser von China ist der Sohn des Himmels, und wer sich seinem Throne nähert, muß neunmal mit der Stirne die Erde berühren; aber nicht einmal einen Unterbeamten darf er nach freier Wahl ernennen, sondern muß ihn aus der von den Gelehrten entworfenen Candidatenliste ziehen. Sollte er am Tage einer Sonn- oder Mondfinsterniß es versäumen, zu fasten und die Fehler seiner Verwaltung öffentlich zu bekennen, so würden hunderttausend, durch das Gesetz autorisirte Pamphlets ihm seine Pflicht vors Auge halten und ihn an die Beobachtung der alten Gebräuche des Reiches mahnen. – Schwerlich würde man in den Abendländern darauf verfallen, den Fürsten solche Schranken entgegen zu stellen, aber dennoch ist es nicht weniger wahr, daß im Orient noch eine Menge ähnlicher Institutionen, so verschieden sie auch ihrem Ursprung und ihrer Natur nach seyn mögen, den Launen der Tyrannei einen Damm entgegensetzen, so daß man eine auf diese Weise eingeengte Gewalt doch wohl nicht für zügellos und unbeschränkt, nicht für despotisch erklären kann.
[215] Ich habe von Institutionen gesprochen. Leicht möchte dieser ganz moderne, ganz europäische Ausdruck zu pompös und wohlklingend scheinen, wenn es sich von Völkern handelt, die so sehr in der Cultur zurück sind, daß sie weder etwas von Budgets, noch von Compte rendus oder Bills of Indemnity wissen. Man kennt hier jene improvisirten Regierungsakte nicht, durch welche man allen, die es betrifft, kund und zu wissen thut, daß von einem bestimmten Tage an eine Nation neue Gewohnheiten annehmen und neue Maximen befolgen wird, indem man den Dissidenten eine passende Frist bewilligt, ihre Interessen sowohl, als ihre Art, die Dinge zu beurtheilen, zu ändern. In diesem Sinne bietet der größte Theil von Asien allerdings nichts dar, was man eine Institution nennen könnte. Die Regeln, die Prinzipien, welche dort die Handlungen der Mächtigen leiten, und bis zu einem gewissen Punkte die Rechte der Schwachen schützen, sind blos einfache Wirkungen der Sitte und Gewohnheit, bloß natürliche Folgen des Nationalcharakters. Zur einzigen Grundlage und Stütze haben sie die Ansichten und Vorurtheile des Volks, seinen Glauben und seinen Aberglauben, seine gesellschaftlichen Verhältnisse und seine intellektuellen Bedürfnisse. Ein wahres Wunder für uns ist es, daß sie sich so lange erhalten konnten, ohne daß man für nöthig fand, sie je öffentlich bekannt zu machen. Wahrscheinlich leben sie zu tief in den Herzen, als daß man je daran gedacht hätte, sie drucken lassen zu müssen. Doch muß man hiebei China ausnehmen, welches auch in diesem Punkte die andern asiatischen Staaten überflügelt und sich Rechte erworben hat, die der Achtung der Europäer würdig sind, denn seit langer Zeit besitzt es geschriebene Constitutionen, die sogar, ebenfalls wie bei uns, von Zeit zu Zeit durch Zusatzartikel passend modifizirt werden. Ja man läßt sich hier zu Details herab, die man selbst in Europa nicht mit dieser Sorgfalt behandelt: denn unabhängig von den Befugnissen der souveränen Gerichtshöfe und der administrativen Hierarchie, welche genau bestimmt und reformirt sind, ordnet man auch, durch besondere Statuten, den Kalender, die Maße und Gewichte, die Begrenzung der Departements, und die Musik, die stets für einen wesentlichen Gegenstand der Reichsverwaltung gegolten hat.
Versteht man also unter einem Despoten einen absoluten Herrscher, welcher, eine unbeschränkte Gewalt gebrauchend und mißbrauchend, über Vermögen, Ehre und Leben seiner Unterthanen nach Gutdünken und Willkür verfügt, so kann ich solche Despoten in keinem Theile Asiens finden; überall stellen Sitten und Gewohnheiten, Tradition und Aberglauben der Gewalt Schranken entgegen, welche diese weit mehr in Verlegenheit setzen, als geschriebene Stipulationen, ja welche die Tyrannei selten anders, als zu ihrem eigenen Verderben überschreiten darf. In ganz Asien nahm ich nur gewisse einzelne Punkte wahr, wo nichts geachtet wird, wo Einschränkungen unbekannt sind, und die Gewalt mit freier zügelloser Willkür herrscht: dieß sind jene Gegenden, in denen die Schwäche und die Unvorsichtigkeit der Asiaten die Fremden sich ansiedeln ließ, welche weit aus der Ferne her kamen, mit dem einzigen Vorsatz, die Reichthümer des Landes so schnell als möglich zusammen zu raffen, und dann in ihr Vaterland zurück zu kehren, um sie dort in Ruhe zu genießen – Menschen ohne Gefühl für andere Stämme des Menschengeschlechts, ohne irgend einen Anklang der Sympathie für die armen Eingebornen, deren Sprache sie nicht kennen, deren Geschmack, Gewohnheiten, Glauben und Sitten sie nicht theilen und nicht achten. Unter solchen von Grund aus sich entgegengesetzten Interessen konnte kein auf Recht und Vernunft gegründeter Vertrag sich bilden. Gewalt allein konnte einen solchen Zustand der Dinge eine Zeitlang aufrecht erhalten. Nur ein absoluter Despotismus konnte einer Handvoll Tyrannen, die alles nehmen wollen, Schutz verleihen gegen die Masse der Bevölkerung, die das Recht zu haben glaubt, nichts geben zu dürfen. Die Folgen dieses stets fortgesetzten innern Kampfes erblickt man in den asiatischen Kolonien, und die Fremden sind, wie man sieht, die Europäer.
Es ist, unter uns gesagt, ein ganz besonderes Geschlecht um diese Europäer; die Ansichten und Raisonnemens, auf die sie sich stützen, würden einem unparteiischen Richter wunderlich genug vorkommen, wenn es auf der Erde einen solchen unparteiischen Richter geben könnte. Berauscht von ihren Fortschritten von gestern her, vorzüglich von ihrer Superiorität in den Künsten des Kriegs, blicken sie mit stolzer Verachtung auf die übrigen Familien des Menschengeschlechts, die nur geboren sind, um sie zu bewundern und ihnen zu dienen; ja sie scheinen die zu seyn, von denen geschrieben steht: „Und die Söhne Japhets werden herrschen über die Stämme Sem, und ihre Brüder werden ihre Sklaven seyn.“ Alles soll wie sie denken, für sie arbeiten. Sie wandern über den Erdball und zeigen den armen, demüthigen Völkern ihre Gestalt als den Typus der Schönheit, ihre Ideen als die Basis der Vernunft, ihre Einfälle als das non plus ultra der Intelligenz. Was ihnen gleicht ist schön, was ihnen Nutzen bringt ist gut; was aber ihrem Geschmack oder ihrem Interesse im mindesten widerspricht ist unsinnig, lächerlich oder strafwürdig. Dieß ist ihr einziger Maaßstab, nach welchem sie alles beurtheilen: und wem sollte es einfallen, dessen Richtigkeit in Zweifel ziehen zu wollen? Unter sich selbst beobachten sie noch einige Rücksichten: in ihren Streitigkeiten von Volk gegen Volk sind sie über gewisse Prinzipien übereingekommen, nach denen sie sich methodisch und regelmäßig morden können; alles dieß aber fällt außerhalb Europa weg; das Völkerrecht ist überflüssig, wenn es sich von den Malayen, den Amerikanern oder Tungusten handelt. Trotz des Vertrauens auf die raschen Evolutionen ihrer mit vortrefflichen Flinten bewaffneten Soldaten, vernachläßigen die Europäer doch nie die Vorsichtsmaßregeln einer verschlagenen Politik. Eroberer ohne Ruhm, und [216] Sieger ohne Edelmuth greifen sie die Orientalen an, obgleich sie sie glauben machen wollen, daß sie nichts von ihnen zu fürchten hätten, und unterhandeln dann mit ihnen ohne ihre Verachtung durchblicken zu lassen. Was sie mit den Waffen in der Hand nicht erlangen können, erschleichen sie mit weniger Kosten auf dem Wege der Diplomatie, und machen so die Eingebornen zu Opfern des Friedens wie des Kriegs; sie verlocken sie zu gefährlichen Allianzen, legen, um ihr Monopolsystem durchzusetzen, dem Handel und der Industrie Fesseln an, nehmen ihre Seehäfen in Besitz, theilen ihre Provinzen, und behandeln die Völker als Rebellen, die sich unter ihr Joch nicht willig beugen.
Zwar ist ihr Benehmen gegen diejenigen Staaten, welche noch einige Selbstständigkeit sich bewahrt haben, etwas geschmeidiger, und sie beobachten z. B. in Canton und Nagasaki eine Mäßigung, die in Palembang oder Colombo überflüssig und übertrieben seyn würde; aber in einer Verkehrtheit der Ideen, die vielleicht noch auffallender ist, als jener Mißbrauch der Macht, nehmen unsere Schriftsteller alsdann Partei für unsere in ihrer Hoffnung getäuschten Abenteurer: sie machen diesen verständigen Asiaten dann die Vorsichtsmaßregeln zum Vorwurf, die eine so natürliche Folge des Betragens unsrer Mitbürger sind, und gerathen in Unwillen über die Ungastlichkeit ihres Charakters, als ob man uns Unrecht thäte, wenn man sich vor einer so gefährlichen Nachbarschaft ein wenig in Acht nimmt. Weist man das uneigennützige Umsichgreifen unserer Kaufleute zurück, so begeht man eine unverzeihliche Sünde gegen den heiligen Geist, man verachtet eine unschätzbare Wohlthat und weist alle die herrlichen Vortheile der Civilisation von sich. Diese Civilisation nämlich besteht, was die Asiaten betrifft, darin, daß sie im Schweiße ihres Angesichts die Erde bauen, um es den Europäern nie an Baumwolle, Zucker und Spezereien fehlen zu lassen; daß sie regelmäßig ihre Steuern und Abgaben bezahlen, damit die Dividenden derer, die sich die Mühe nehmen sie zu beherrschen, nie einen Ausfall erleiden; daß sie endlich ohne Murren ihre Gesetze, Gewohnheiten und Costüme ändern, mögen auch Tradition und Klima einer solchen Aenderung noch so sehr widersprechen. Die Nogaïs haben seit einigen Jahren sehr bedeutende Fortschritte gemacht, denn sie haben endlich der nomadischen Lebensweise ihrer Väter entsagt, so daß die Steuereinnehmer des Fiscus nun doch wissen, wo sie zu finden sind, wenn die Zeit des Tributs herannaht. Auch die alten Unterthanen der Königin Obeira haben sich seit Kapitain Cooks Zeit äußerst gut civilisirt, denn sie warfen sich den Methodisten in die Arme und wohnen nun jeden Sonntag in schwarzer Kleidung der Predigt bei, was für die Manufakturen von Somerset und Glocester eine neue Quelle des Absatzes ist. Mit nicht geringerem Vergnügen haben unsere Reisenden in der letzten Zeit einen Fürsten der Sandwich-Inseln in rothem Rock und Weste seinen Hof halten sehen, wobei sie nur bedauerten, daß die äußerst große Hitze ihn verhinderte, sein europäisches Costüm zu vervollständigen. Mögen auch derlei Nachahmungen noch unvollkommen und inkonsequent seyn, hie und da selbst etwas ungeschickt und wunderlich aussehen – man muß sie doch wegen der Folgen, die sie haben können, auf alle Art ermuntern.
Vielleicht wird, noch ehe wir’s vermuthen, die Zeit kommen, wo die Hindus, statt selbst ihre Mousseline zu weben, sich mit unsern Perkals begnügen werden; wo die Chinesen die Seidenzeuge von uns beziehen; wo die Eskimo’s Calicot-Hemden tragen und die Bewohner der Tropenländer die größte Freude an unsern Filzhüten und unsern wollenen Kleidern haben werden. Möchte doch endlich einmal die Industrie aller dieser Völker der unsrigen Platz machen! Möchten sie doch ihren nationalen Ideen, ihrer Literatur, ihrer Sprache, kurz ihrer ganzen einfältigen Eigenthümlichkeit entsagen! Möchten sie doch lernen zu denken, zu fühlen, zu sprechen wie wir! Möchten sie doch für all’ diese nützlichen Lectionen uns nichts geben als ihr Land und ihre Unabhängigkeit! Möchten sie sich gefällig gegen die Wünsche unsrer Akademiker, zuvorkommend gegen die Interessen unsrer Kaufleute, sanft, umgänglich und zuthulich zeigen! Dann wird man gewiß so billig seyn, ihnen zuzugestehen, daß sie allerdings einige Fortschritte in der Civilisation und Staatskunst gemacht haben, ja man wird ihnen gestatten, einen Rang unter den Völkern einzunehmen, nur freilich in gehöriger Entfernung vom privilegirten Volke, der besonders bevorzugten Race, der allein der Geist und die Herrschaft gegeben ist.