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Ueberseeische Briefe

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Textdaten
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Autor: Friedrich Gerstäcker
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Titel: Ueberseeische Briefe
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 34, S. 542–543
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[542] Ueberseeische Briefe. Es ist eine merkwürdige Thatsache, daß unter hundert Briefen, die aus überseeischen Ländern zurück in die Heimath geschrieben werden, neunzig einen trüben, schwermüthigen, oft melancholischen Charakter haben und nicht selten sogar mit Klagen angefüllt sind, was nachher Freunde und Verwandte beunruhigt und sie um die Ausgewanderten besorgt macht.

Durch mein oftmaliges Wechseln der Welttheile bin ich nun verschiedene Male – oft sogar dringend von den Eltern dazu aufgefordert – mit solchen Unglücklichen da drüben zusammen getroffen, von denen man hier fürchtete, daß sie entweder eine gefährliche Krankheit, oder kaum genug hätten, ihre Existenz zu fristen. Aber in allen Fällen fand ich diese Befürchtungen nicht allein nicht bestätigt, sondern die jungen Herren wohl und gesund, mit reichlichem Auskommen und stets in bester Laune, ja oft übermüthig in einer sorgenfreien, unabhängigen Existenz.

Woher kommen nun diese trübseligen Briefe, die so oft schon ein armes Mutterherz sehr unnöthiger Weise betrübt und geängstigt haben?

Ich glaube, ich kann eine Antwort darauf geben, denn wenn ich auch nicht im Stande bin, anderen Menschen in’s Herz zu sehen, so weiß ich doch aus eigener Erfahrung gut genug, wie Jemandem zu Muthe ist, der sich fern von der Heimath und seinen Lieben in einem fernen Lande herumtreibt, und habe mich außerdem selber bei solchen Briefen ertappt, zu denen ich nicht die geringste Ursache hatte.

So lange wir uns da draußen befinden und dem Leben mit unserem Kopf oder unseren Fäusten eine Existenz abringen, oder auch eine lohnende oder uns angenehme Beschäftigung haben, die unsere Zeit und Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt, quälen wir uns wahrlich nicht mit Sorgen oder trüben Ideen. Wir denken wohl an die Heimath und malen uns dieselbe mit freundlichen Bildern aus, aber wir lassen deshalb wahrhaftig [543] den Kopf nicht hängen und Leute mit nur einiger Spannkraft verlieren auch nicht gleich denn Muth, wenn einmal wirklich nicht Alles so nach Wunsch geht, und würden noch weit weniger daran denken, den Ihrigen daheim durch vollkommen nutzloses Klagen die Herzen schwer zu machen. Helfen konnte ihnen ja doch Niemand da draußen, das mußten sie sich selber besorgen – was hätte es ihnen also genützt?

Und trotzdem und alledem schreiben sie schwermüthige Briefe und sind schwermüthig – aber nur so lange als sie vor ihrem Tintenfaß mit der Feder in der Hand sitzen.

Da plötzlich kommt ihnen der Gedanke: dies Blatt fliegt hinüber zu den Deinen – sie sehen im Geist, wie der Briefträger mit Jubel empfangen wird, wie die Zeilen von Hand zu Hand gehen, und auf einmal ist der Schreibende nicht mehr in irgend einem fremden Welttheil, wo er bis dahin gesteckt, sei das nun Amerika oder Australien, Indien oder Afrika – nein, er sieht sich plötzlich zu Hause – er durchwandert die alten, fast vergessenen und doch so lieben Räume; er hört das fröhliche Plaudern der Kinder, schaut in die guten und sorgenden, aber jetzt freundlich erregten Züge der Eltern und Geschwister, und während er schreibt, zieht, ohne daß er es weiß oder auch nur ahnt, das Heimweh ein in seine Seele und wirft, während die Heimath dort drüben im vollen Sonnenschein vor seinem inneren Auge liegt, seinen düsteren Schatten über das eigene Herz – die eigene Umgebung.

Nicht aus der Erinnerung schreibt er dabei, nein, aus der unmittelbaren Gegenwart, wie es ihm gerade in dem Moment selber zu Muthe ist – die dunkeln Farben schildernd, die er um sich sieht, und ist der Brief dann endlich fertig, in ein Couvert gesteckt, zugeklebt und adressirt, dann – ja, dann geht er sehr selbstzufrieden, daß er wieder einmal einen etwas versäumten Brief nach Hause fertig hat – und wahrscheinlich auch vergnügt in irgend eine Restauration oder in eine Gesellschaft, spielt dort seine Partie oder tanzt auch wohl gar mit den jungen Damen, kurz amüsirt sich vortrefflich und denkt gar nicht daran, daß die eben geschriebenen und fortgeschickten Zeilen noch nach Wochen oder selbst Monaten immer und Sorge in treue Herzen tragen werden.

Er weiß auch in der That gar nicht, was er geschrieben hat, denn von Privatbriefen werden keine Copien genommen. Es war nur eben eine augenblickliche Stimmung, in der er sich befand und der er Worte gab, weiter nichts – er hatte ja nicht daran gedacht, in irgend einer Weise zu klagen. Ueber was auch? es ging ihm ja ganz vortrefflich und er fühlte sich so gesund und wohl wie nur je, kann auch nachher, wenn eine Rückantwort kommt, nicht begreifen, weshalb die Seinen immer so in Sorge sind. Er brächte sich schon durch die Welt – sie sollten sich um Gottes willen nicht seinetwegen ängstigen.

Deshalb möchte ich denn alle Solche, welche Söhne oder Verwandte draußen in der Fremde haben – und welche Familie hat in jetziger Zeit keinen Verwandten in irgend einem Welttheil! – wohlmeinend bitten, sich um Gottes willen nicht zu ängstigen, wenn sie einen derartigen schwermüthigen Brief erhalten. Die ganze Geschichte ist nicht wahr, und wenn sie in dem nämlichen Augenblick, in welchem sie den Brief lesen, den armen „Einsamen“ und „Bedauerten“ nur in Wirklichkeit sehen könnten, so würden sie finden, daß sie in der That nicht den geringsten Grund zu irgend welcher Bekümmerniß haben.

Melden jene in ihrem Brief eine wirklich gefährliche Krankheit, die sie erfaßt hat, und machen sie dieselbe namhaft, oder einen thatsächlichen Unglücksfall mit genauer Angabe, der sie betroffen, dann mag Grund vorliegen, sich darum zu sorgen, aber alle derartige Andeutungen, die nur ahnen lassen, ohne auf irgend etwas Positives einzugehen, sind nichts als ein „fliegendes Heimweh“, das sie beim Briefschreiben selber erfaßt und das in demselben Moment wieder schwindet, wo die Post jenes Papier zur Besorgung überkommt.

Fr. Gerstäcker.