Ulrich Schmidel, der älteste Geschichtschreiber Südamerikas
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Ulrich Schmidel, der älteste Geschichtschreiber Südamerikas.
Im ausgehenden Mittelalter lebte in der dazumal freien deutschen Reichsstadt Straubing eine hochangesehene Patrizierfamilie, die den schlichten Namen Schmidel führte. Sie gehörte zu den ältesten Geschlechtern Bayerns und spielte seit dem Jahre 1364 in der Stadtgeschichte von Straubing eine hervorragende Rolle. Friedrich III. hatte sie geadelt und ihr ein Wappenschild verliehen, und verschiedene Mitglieder der Familie waren als Bürgermeister zur höchsten Würde gelangt, die ihre Vaterstadt zu vergeben hatte. Am weitesten aber scheint es Wolfgang Schmidel gebracht zu haben, der als Zeitgenosse von Luther und Kolumbus jene großen Tage miterlebte, mit denen die Geschichte der Welt die neue Zeit anheben läßt. Dreimal ist er Bürgermeister von Straubing gewesen und hat auch sonst verschiedene Aemter und Würden bekleidet. Als er im Jahre 1511 das Zeitliche segnete, hinterließ er drei Söhne: Friedrich, Thomas und Ulrich. Während die beiden älteren Brüder ihrem Vater nacheinander in Aemtern und Ehren folgten, blieb es dem jüngsten vorbehalten, durch seine Theilnahme an einer der denkwürdigsten Unternehmungen, die in jenem Zeitalter der Entdeckungen und Eroberungen ausgeführt wurde, den Namen seines Geschlechtes über die Grenzen seines Vaterlandes hinaus bekannt und berühmt zu machen und durch die Schilderung seiner kühnen Reisezüge der erste Geschichtschreiber einer neuen Welt zu werden.
Jahr und Tag der Geburt Ulrich Schmidels konnten bis heute nicht mit unanfechtbarer Sicherheit festgestellt werden. Ebenso fehlen glaubwürdige Nachrichten über seine Jugendzeit. Seine charaktervolle Handschrift indessen, sowie einige seinem Reisebericht eingefügte litterarische Citate lassen vermuthen, daß er eine gute Schule besucht habe. Ein Regensburger Chronist nimmt an, daß sich Ulrich schon im Knabenalter nach Antwerpen begeben habe und in einem dortigen Kaufhaus thätig gewesen sei. So viel ist sicher, daß er an diesem Platze jenen Entschluß faßte, der für sein Leben von entscheidender Bedeutung werden sollte. Er mochte etwa 25 Jahre alt gewesen sein, als er sich „per mare (zur See) nach Cadiz in Hispaniam“ begab, um an der großen Expedition theilzunehmen, welche von Pedro de Mendoza daselbst vorbereitet wurde. Bestehend aus „14 große schieff vonn aller munizion unnd notturfft woll geriest, die habenn wollen fharen nach Rio delle Platta inn Inndiam“, verließ die stolze Flotte am 1. September 1534 den spanischen Hafen San Lucar. „2500 Spanier und 150 Hochteusche, Niederlennder unnd Sachsen, wol gerist mit pixenn unnd gewertenn“, waren die Bemannung, und dazu kamen noch 72 Pferde.
Das Wanderleben, welches mit diesem Augenblick für Schmidel anhob, seine zwanzigjährigen Kreuz- und Querzüge durch den größten Theil des südamerikanischen Festlandes bilden den Inhalt seines berühmten Reisewerkes, das im Jahre 1567 zu Frankfurt a. M. zum ersten Male gedruckt wurde und den Titel führte „Warhafftige unnd liebliche Beschreibung etlicher fürnemen Indianischen Landtschafften und Insulen, die vormals in keiner Chronicken gedacht und erstlich in der Schiffart Ulrici Schmidts von Straubingen, mit großer gefahr erkündigt, und von jhm selber auffs fleißigst beschrieben und dargethan.“
Nach einer mehrmonatigen, durch längeren Aufenthalt auf den kanarischen und kapverdischen Inseln unterbrochenen Seefahrt wurde die amerikanische Küste in der Nähe des heutigen Rio de Janeiro erreicht. Hier spielte sich das erste blutige Drama ab, welches das gesammte koloniale Leben Südamerikas kennzeichnet und einen Schlüssel abgiebt für die zahlreichen Räthsel der spanisch-amerikanischen Geschichte. Auf Befehl des kommandierenden Admirals nämlich wurde der Unterfeldherr Juan de Osorio „mit tolchen“ getötet und mitten auf den Platz gelegt „für einen fereter“.
„Man hat im unrechts gethon,“ meint Schmidel, „das weiß Gott der almechtig, der sey ihme genedig; er ist ein fromer, aufrechter und dapferer Kriegsman gewest, hat die Kriegsleut nur woll gehalten.“
Im Jahre 1535 ging die Flotte im Rio de la Plata vor [477] Anker, nachdem Juan Diaz de Solis dieses mächtige Mündungsbecken kaum zwanzig Jahre zuvor entdeckt und ihm den Namen „mar dulce“, „Süßes Meer“, gegeben hatte. „Do habenn wier ein stat gepaut, hat geheißen Bonas Ayers, das ist auf deuschs: gueter windt.“
Seit Romulus’ und Remus’ Tagen mögen die Gründer und Erbauer einer neuen Stadt nicht soviel Ungemach und Elend erduldet haben als Mendoza mit seinen Genossen in Buenos Aires. Durch die von Tag zu Tag feindseliger werdende Haltung der benachbarten Querandi-Indianer steigerte sich die Noth der Besatzung so sehr, „das weder ratzen noch meis, schlangen noch annder unzifer nit genug verhannden waren zur ersettigung des grosen, jemerlichen hungers unnd unnaussprechlicher armuet, auch schuch unnd leder, es muest alles geesen sein“. Standhaft und tapfer aber hielten die Unglücklichen aus, und erst als nach wahrhaft „afrikanischen Gräueln“ die Indianer, 23 000 Mann stark, einen neuen allgemeinen Angriff auf die kleine Erdfeste unternommen und die Strohhütten sowie einige Schiffe „mit feirigen pfeilen in grundt verprent“ hatten, beschloß Mendoza, den Platz aufzugeben und mit dem Gros der Besatzung stromaufwärts zu ziehen. Von den 2650 Mann, die von Spanien ausgezogen waren, lebten noch 560.
Zahlreiche Stämme, die zu jener Zeit die Gestade des Paraná bevölkerten, wurden passiert und nöthigenfalls mit Waffengewalt unterworfen. Unterwegs legte Pedro de Mendoza seine Würde nieder und verließ die Expedition, um mit zwei großen Schiffen und 50 Mann nach Spanien zurückzukehren. „Aber da er unngeferlich auf halben weg kham, da grief in Gott der almechtig an, das er armselig starb.“ Burmeister erzählt, während der Seefahrt habe sich der Hunger eingestellt, so daß sich Mendoza genöthigt sah, seinen Lieblingshund schlachten zu lassen, um von dessen Fleisch zu leben; bald nach dem Genuße desselben habe er einen Anfall von Raserei bekommen und sei nach zwei Tagen gestorben.
Schmidel folgte unterdessen dem neuen Führer der Expedition, Ayolas, den Paraná und Paraguay aufwärts, half das mächtige Menschenfresservolk der Carios unterwerfen und die Stadt Asuncion gründen, die als Vorort der ganzen La Plata-Provinz während der Kolonialzeit und später als Hauptstadt der Republik Paraguay zu besonderer Bedeutung gelangte. Von hier aus nahm unser Held im Laufe der nächsten Jahre an allen Ereignissen und Unternehmungen theil, die für das Leben der Kolonie von Einfluß waren. Im Jahre 1548 durchkreuzte er als Begleiter des neuernannten Befehlshabers Martinez de Irala, dessen Vertrauen er in besonderem Maße genoß, das endlose Selvasgebiet des Gran Chaco, drang bis Ober-Peru vor, wo er mit den von Norden her kommenden Eroberern dieses Landes zusammentraf. Auch das Quellgebiet des Paraguay wurde durchzogen, immer auf der Suche nach dem „Goldland“ und dem „Reich der Amazonen“, wovon ihnen die Wilden so wunderbare Dinge erzählten. Nur wer selber Gelegenheit hatte, einmal eine kleinere oder größere Reise in diesen Gegenden auszuführen, kann sich eine annähernde Vorstellung bilden von all den Mühen, Unbilden und Gefahren, die auf jenen Zügen zu bestehen waren.
Mit den übrigen Kolonisten unterzeichnete Schmidel am 13. März 1549 eine Urkunde, worin dieselben aus eigener Machtvollkommenheit den schon erwähnten Irala zum Gouverneur der Kolonie ernannten. Diese Namensunterschrift, die als einziges Autograph Schmidels erhalten blieb, bestätigt die bereits ausgesprochene Vermuthung über seine Schulbildung.
Im Jahre 1552 traf vom Kaiser das Bestätigungsdekret Iralas ein, wodurch die neue Kolonie zum ersten Male zu innerer Ruhe und Ordnung gelangte. Um diese Zeit erhielt Schmidel einen Brief aus Europa, worin ihn sein Bruder Thomas dringend bat, nach Straubing zurückzukehren. „Vonn stund an hab ich vonn unnserem haupttman urlaub begert.“ Nachdem er denselben mit Mühe erhalten und auch Briefe zugestellt bekommen hatte „ann kay. may. nemlich darin seiner may. zu wiesenn gethonn, wie es im lanndt Rio delle Platta stehe unnd was sich darin in solcher zeit verloffen hab“, machte er sich auf den Weg, „nam auch mit 20 Indianer Carios“, und zog unter fortgesetzten Mühen und Gefahren quer durch Brasilien bis zum Hafen San Vincent. Am 26. Januar 1554 erreichte er nach einer schlimmen Meerfahrt, und nachdem er seine Aufträge in Spanien treulich ausgeführt hatte, den Hafen von Antwerpen, von wo er etwa zwanzig Jahre zuvor ausgezogen war. –
„Ja, Gott sey gelobbt unnd gepreiset in ewikait, der mir solch gliekhselige reiß so genediglich hat beschertt! Amen.“ Mit diesen Worten schließt Schmidel die interessante Darstellung seiner Reise. Es ist eine Robinsonade mit dem Vorzug unanfechtbarer Glaubwürdigkeit, oder, um mit den Worten des jüngsten Biographen Schmidels, des ehemaligen Präsidenten der argentinischen Republik, General Bartolomé Mitre, zu reden, eine amerikanische Odyssee, die mit dem Brand eines neuen strohgedeckten Trojas beginnt und wie der Gesang von dem griechischen Helden am väterlichen Herde ihren Abschluß findet. Schmidels Buch bildet nach dem einstimmigen Urtheil aller zuständigen Kritiker die zuverlässigste und pünktlichste, freimüthigste und unparteiischste Geschichte, das wichtigste Dokument der europäischen Kolonisation in Amerika. Mehr als ein Dutzend verschiedener, zum Theil mehrfach aufgelegter Ausgaben hat das Werk im Laufe der letzten drei Jahrhunderte erlebt. Man hat es in die lateinische, holländische, spanische und französische Sprache übertragen und in alle größeren Sammelwerke geographischen Inhaltes aufgenommen. Seine höchste Anerkennung aber hat der Kriegsmann und Geschichtschreiber Ulrich Schmidel auf dem Schauplatz seiner Thaten selbst gefunden. Südamerika, insbesondere aber die La Plata-Staaten schätzen sein Werk als das erste geschriebene Denkmal ihrer Geschichte, und in der entlegensten Elementarschule in den Pampas wird der Name seines Verfassers genannt und gefeiert. [478] Und als man im Jahre 1890 die Herausgabe der „Anales del Museo de La Plata“ beschlossen hatte, da war es ebenfalls die Prachtausgabe einer Biographie unseres Reisenden, die den Reigen eröffnete, verfaßt von Bartolomé Mitre, dem schon erwähnten, als Feldherr, Staatsmann, Dichter und Schriftsteller gleichberühmten argentinischen Präsidenten.
Um so räthselhafter bleibt die Thatsache, daß Schmidels Name gerade in seinem Vaterland fast unbekannt geblieben ist. Zwar haben Fachgelehrte, Historiker und Geographen sein Werk hier und da benutzt und darauf hingewiesen, in weitere Kreise des gebildeten Deutschlands ist die Kunde davon nicht gedrungen, und in der Vaterstadt des Reisenden selber soll sich nicht ein einziges Exemplar seines vielverlegten und -gedruckten Buches finden. Erst als Rektor Joh. Mondschein in Straubing unter Benutzung des vorhandenen Quellenmaterials vor etwa zehn Jahren den ersten wohlgelungenen Versuch einer Biographie Schmidels ausgeführt und Dr. Valentin Langmantel einige Zeit später in der Bibliothek des Stuttgarter „Litterarischen Vereins“ eine Neuausgabe des Buches nach der Münchener Handschrift veranstaltet hatte, regte sich eine größere Theilnahme für den Mann.[1] Man hatte sich eben während der gar zu langen Periode der politischen Ohnmacht Deutschlands daran gewöhnt, die Verdienste um das große Entdeckungs- und Eroberungswerk in der Neuen Welt ganz den großen romanischen Völkern jener Zeit zuzusprechen, auf den geringsten deutschen Antheil aber bedingungslos zu verzichten. Darum ist es Zeit, eine längst fällige Ehrenschuld abzutragen. Ein Deutscher aus dem alten Reiche ist es gewesen, der sich durch seine kühne That den Namen des ersten Geschichtschreibers Südamerikas erworben hat, und die Deutschen des neuen Reichs haben allen Grund, sich ihres wackeren Landsmannes zu erinnern in den Tagen, da alle Welt sich anschickt, das große Ereigniß der Entdeckung Amerikas zu feiern.
- ↑ Dem k. Seminarinspektor Herrn Schul in Straubing, der sich auf mein Ersuchen der Mühe unterzog, das in der Vaterstadt Schmidels zur Zeit noch vorhandene Urkundenmaterial wiederholt zu studieren, sage ich an dieser Stelle meinen wärmsten Dank. Der Verf.