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Ungedruckte Briefe von Ernst Moritz Arndt

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Textdaten
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Titel: Ungedruckte Briefe von Ernst Moritz Arndt
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 13, S. 224
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[224] Ungedruckte Briefe von Ernst Moritz Arndt. Es liegt uns eine Reihe interessanter Briefe von Vater Arndt vor, welche derselbe in den Jahren 1805 bis 1850 an eine Freundin schrieb. Indem wir aus der für unsern großen Patrioten und edlen Dichter so bezeichnenden Correspondenz im Nachstehenden einige Proben mittheilen, können wir die Hoffnung nicht unterdrücken, diesen Arndt'schen Briefen demnächst im Buchhandel zu begegnen – einen Wunsch, dessen Erfüllung die deutsche Nation um einen werthvollen literarischen Besitz reicher machen würde.

Sehr bezeichnend für Arndt's Auffassung der ersten Zeit der Napoleonischen Herrschaft ist die folgende Stelle aus dem Briefe vom December 1805 aus Greifswald:

„Verstand und Männlichkeit sind unter den Menschen wunderbar im Abnehmen, sowie Albernheit und Eitelkeit im Zunehmen sind, und selten begegnet einem ein Menschengesicht, das Ernst und Liebe, oder nur besonnene Tüchtigkeit in sich trüge, denn auch damit kann man oft schon ausreichen, wenn man die ersten beiden mit sich wohnen hat. – – In einer verdorbenen und überklugen Zeit, wie die, worin wir leben und welcher wir entgegen leben, ist selbst in den Reinsten und Unschuldigsten Klarheit und Wissen, und Festigkeit in der geistigen Bildung des Zeitalters wünschenswerth, aber das Schönste bleibt ewig Einfalt und Menschenvertrauen auch ohne alles Wissen. – – Ich habe die Welt so ziemlich gesehen und ihre Freuden und ihr Leid vielfach gefühlt; die Natur und Zeit bat mir eine feste Brust gegeben, doch möchte ich oft weinen bei der Armuth unserer verkümmerten und verworrenen Zeitgenossen.“

Sehr charakteristisch ist ferner, was Arndt unterm 15. Juli, ebenfalls aus Greifswald, schreibt:

„Ein anderes Gesetz herrscht für den Mann, ein anderes für das Weib: Sie ist das Bild des ruhenden Gottes, der ruhenden Welt, er das Bild der bewegten Welt, ja der zerstückelten, und ein Spiel ihres Weberschlages, bis er oft selbst in Stücke fällt. Was soll er reden, wenn alles zerstückelt, zerrissen, vereinzelt ist, wie jetzt? Hinein soll er; er darf nicht immer in einer fremden und schöneren Welt schwelgen; er soll Mühe, Arbeit, Gefahr suchen, wenn sie ihn nicht sucht. Und was ist sein Gefühl, wenn er immer leerer zurückkommt aus dem Getümmel, als er ausging? Wenn nichts Volkliches, Menschliches, Allgemeines um ihn werden will, wohin soll er mit den vielen kleinen Arbeiten, Sorgen und Verdrüssen. die häufiger kommen, je mehr das fehlt, was Alle tragen und binden könnte? Ich glaube, ich bin von vielen Thoren nicht der verständigste, doch sehe ich täglich, wie die meisten Zeitgenossen sich in einem wunderlichen Wahn treiben, auch die Allerbesten, und wie das Uebel eigentlich nirgends recht bei der Wurzel angefaßt, nach Wahrheit und Tugend bis auf den tiefsten Grund des Unterganges untergetaucht wird, damit das Gefundene sich mit dem Leben verbinden könne.“

Vor Allem interessant erscheint uns aber eine Charakteristik Berlins und des Königs Friedrich Wilhelm des Vierten. Vater Arndt läßt sich im Jahre 1844 in einem Briefe aus Bonn folgendermaßen vernehmen:

„Wie viel leerer Spectakel und Hühnergekakel in Berlin auch sei, und zwar solcher Hühner, die immer über Eiern, die sie doch nicht herauskriegen können, kakeln und spectakeln, wir müssen gegen unsern Norden und gegen unser nördliches, sandiges Berlin doch billig sein. Viel Sand, viel Juden, viel Franzosen – das Alles haben sie gehabt und haben sie zum Theil noch, und das hat sie wohl in vielem dümmer und spitziger gemacht. Geist genug, Witz eben nicht viel, obgleich eine unendliche widerlichste Witzjagd, und nun kommt der König auch dazu, auch in Berlin geboren und erzogen, der dies Uebel ganz unschuldig und unbewußt, was er thut, noch mehren und fördern würde, wenn die Zeit seinen Berlinern und ihm selbst nicht zu mächtig wäre. Ich muß bei dieser Gelegenheit ein Wort über unsern Herrn sprechen: Er wird viel verkannt, weil er die Zeit nicht erkennt, weil er sie auch oft wohl verkennt. Viele meinen, er spiele bewußt, dem widerspreche ich aus innerer, reiner Ueberzeugung. Er spielt nicht mit Bewußtsein des Spiels; er spielt nicht des Spiels wegen, sondern er spielt als ein leichter, liebenswürdiger Spieler; seine spielende Natur geht häufig nur zu sehr mit ihm durch. Geist, Witz, Beredsamkeit viel, auch etwas Phantasie, die aber oft phantastisch ausschlägt. Wäre das mehr mit klarem männlichem Verstande versetzt, wodurch Haus und Vieh allein wohl regiert werden können, so wäre dieser sicher ein gewaltiger König. Aber leider sind ihm die Augen oft mit allerlei Blendwerk der Vergangenheit verdunkelt, und er läßt sich zu manchem buntem Spielwerke verführen, was der jetzt lebenden Welt kaum noch Spielwerk däucht. Der gute König, da es ihm an heiterer Ausdauer und Geduld des Verständnisses der Zeitnothwendigkeit fehlt, kurz, da er sich nicht grämen mag, so wird er sich noch viel ärgern müssen. Wir nun sollen uns über ihn freilich nicht ärgern, aber grämen müssen wir uns schon für ihn und für uns. Der König hat sich gegen meine Wenigkeit äußerlich zwar sehr gnädig bezeigt; wofür er mich eigentlich hält, kann ich nicht wissen, aber die Welt und Zeit und ihre Noth und ihr Streben steht allerdings durchaus anders vor meinen Augen, als vor den Augen meines Königs. Wir können viel Wunderliches – wende Gott das Heillose! – erleben, wenn er gegen Millionen Stimmen, auch der mäßigsten und gehorsamsten Unterthanen, den Tauben und Ablehnenden zu spielen fortfährt. Das geht Alles scheinbar so fort, bis einmal wieder eine recht große Noth wie ein Blitz vom Himmel darein schlägt. Die Könige wollen nicht begreifen, daß seit einem halben Jahrhunderte Alles ganz anders geworden ist, als Anno 1770 und 1780.