Unser Hund – ein Zugthier

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Textdaten
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Autor: Adolf Müller
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Titel: Unser Hund – ein Zugthier
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aus: Die Gartenlaube, Heft 43, S. 719–721
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Unser Hund – ein Zugthier?
Eine Thierschutzfrage.

Wenn wir im Hinblick auf diese Frage dem Hunde und vornehmlich dem Hunde der civilisirten Welt das Wort reden, so geschieht es nicht etwa aus Sentimentalität, dem Superhumanismus mancher Thierschützler. Wir sprechen aus der lebendigen Erfahrung von fast fünf Jahrzehnten heraus, in welchen wir den Hund gezüchtet, abgerichtet, mit ihm gejagt und ihn gründlich kennen gelernt haben. Sehet den treuen Hüter der Heerden sein schweres Amt Tag und Nacht mit immer sich gleichbleibendem Eifer und rührender Genügsamkeit ausüben, den mächtigen Bullenbeißer oder die englische Dogge als unbestechliche Schildwachen den Großhof beschützen, beobachtet den Hühnerhund in seiner Bravour, mit welcher er den Schützen an das Wild bringt, steigt in die schneeigen Alpen und bewundert die Hünen des Hundegeschlechts in ihrem großen Dienste für die in Unwettern Verirrten [720] und Verschütteten, überschaut dann mit einem Blicke alle dem Menschen gewidmete Dienstleistungen dieser bevorzugtesten Thierfamilie – und ihr werdet den treuesten Genossen des Menschen, der diesem in alle Zonen der Welt gefolgt ist, in seiner ganzen Bedeutung schätzen lernen.

Einem so wichtigen Bundesgenossen ist somit der Mensch ebenso sehr Aufmerksamkeit, wie Rücksicht, Gerechtigkeit und Dankbarkeit schuldig, und so ist denn auch die Frage, welche neuerdings wiederholt von den Thierschutzvereinen des gebildeten Europas in den Vordergrund der Besprechung gerückt wird, die Frage, ob der Hund als Zugthier zu verwenden ist, eine wohlberechtigte.

Die kleineren Racen kommen hier nicht in Betracht, die mittelgroßen und stärksten Arten allein trifft die Frage. Da begegnen wir denn dem Schäfer-, dem Hühner- und selbst dem größeren Haushunde, dem klugen, gelehrigen Pudel, dem Fleischerhunde, den großen Doggenracen, wie der englischen Dogge, der Bulldogge, dem Bullenbeißer, der dänischen Dogge oder dem „Blendling“ des Waidmannes, dem Saurüden und selbst dem fein- und hochbeinigen Windhunde; da gewahren wir den Bernhardiner und neben ihm den Bergamasker und Ulmer Hund, sowie den merkwürdigen Neufundländer oder dessen Abkömmlinge von der Kreuzung mit dem ersteren, die Leonberger: sie alle in dem Zwang und Drang einer „Scheere“ als Einspänner oder aber als Zwiegespann an der Deichsel.

Betrachten wir aufmerksam die Leibesgestalt aller dieser als Zugthiere figurirenden Hundearten, so erkennen wir an ihren Bewegungen auf den ersten Blick in ihnen Zehengänger, das heißt: solche, die beim Gange auf den vorderen Theil ihrer Pfoten, die Zehen, treten. Die Pfote stellt sich als ein elastischer, gegliederter Fuß mit mehr oder weniger körnig-häutigen Ballen dar, eine Gliedergestaltung, die sich schon beim flüchtigsten Beschauen als gründlich verschieden von dem Fuße der Ein-, Zwei- und Vielhufer zeigt. Dieser, der Huf, ist eine hartgewordene Pfote, von einer widerstandsfähigen Hornmasse panzerartig umgeben, unter welcher sich die Zehen nur unentwickelt erkennen lassen. Und doch, während man diesen ungleich festeren Stützpunkt durch Hufeisenbeschlag noch fester gestalten zu müssen glaubt, sieht man ohne Gewissensbeschwerden zu, wie bei dem ziehenden Hunde die Zehen der Pfoten sich widernatürlich auseinanderspreizen, wie endlich ebenso widernatürlich die Sohle des Thieres mit in Anspruch genommen wird, bis abgenutzte Zehen und wunde Füße als Folge dieses Mißbrauchs heraustreten. Und nun die Beine des Hundes! Sie sind durchgängig schlank und mager und ruhen auf verhältnißmäßig kleinen Pfoten, ermangeln alles Stämmigen, Derben, sowie besonders eines breiten festen Stützpunktes, wie ihn so charakteristisch der Huf darstellt. Die Pfoten sind nichts Anderes als die Hülfsmittel zu raschem Lauf und gewandter Bewegung.

Zu gleicher Erkenntniß führt uns die Untersuchung des Rumpfes, des Halses sowie des Kopfes und der Brust. Der Leib des Hundes ist mager, schlank und gestreckt, in den Weichen eingezogen, der Hals eher schwach und kurz, als derb, kräftig und lang, das Genick und die Stirnbildung der gerade Gegensatz zu den entsprechenden Theilen des Rindviehes, dessen Zugvermögen bekanntlich in der mächtigen Stirn und der Stärke des Nackens liegt. Das Brustskelet des Hundes ist zwar normal und nicht unkräftig gebaut, aber entfernt nicht mit dem Vordertheile der Einhufer, insbesondere unseres Zugpferdes zu vergleichen; dem Brustgerüste fehlt der mächtige Vor- und Aufbau, der den immerwährenden Gegendruck aushält, welchen die Fortbewegung von Lasten erheischt. Neben dem Körperbau fällt nun noch ein anderes Moment, das der Bewegung unseres Hundes, in’s Gewicht. Es ist der quere Gang desselben, wonach die Hinterbeine neben die Vorderläufe gesetzt werden, während beim geraden Gange unserer Zugthiere der Hinterfuß in die Spur des entsprechenden Vorderfußes tritt. Der schiefgehende Hund kann also nicht wie das Pferd, das Maulthier, der Esel etc. geradeaus ziehen, seine Brustgerüste gleichmäßig dem Gegendrucke hingeben, sondern wird bei dem Zugprocesse einseitig wirken und deshalb eine übergroße Kraftanstrengung anwenden müssen, um eine Last geradeaus zu bewegen.

Wenn wir alle diese hervorgehobenen Merkmale und Momente in’s Auge fassen und mit den einschlagenden Vergleichspunkten der zu Spanndiensten von jeher gebrauchten und herangebildeten Arten unserer Hausthiere zusammenhalten, so ergiebt sich uns gleichsam von selbst der Schluß, daß der Gebrauch des Hundes zum Ziehen ein – leider nur allzutief eingewurzelter – Mißbrauch ist.

„Aber“ – so hören wir im Geiste Manche einwenden, die es mit unserem Schützlinge nicht so ernst und genau nehmen wollen – „wir sehen doch die meisten Hunde mit ungemeinem Eifer vor den mannigfachen Fuhrwerken an uns vorüber eilen, gewiß ein Zeichen, daß die Thiere Neigung, Kraft und Ausdauer für den Zugdienst haben. Fliegen ingleichen nicht die Eskimos, die Sibirier, die Kamtschadalen, die Hasenindianer und viele andere nordische Stämme mit Hundeschlitten über die Schnee- und Eisfelder dahin, und könnten diese Völker ohne den Hund sich ergiebig fortbewegen, ihre Jagd betreiben, mit einem Worte: leben?“

In diese und ähnliche Einwendungen mischt sich wohl auch der alte Sermon und die Logik der teleologischen und theologischen Stimmen. Der Hund – so mag es aus diesen Lagern schallen – sowie überhaupt das Thier ist blos geschaffen zum unbedingten Dienste des Menschen, warum nicht auch zum Zug- und Lastthiere? Das verstand- und seelenlose Thier ist allein um des Menschen willen da, der für dasselbe denkt.

Daß dem Thiere – so erwidern wir in der Sprache einer vernünftigen Humanität des neunzehnten Jahrhunderts – keine Seele eigne, das kann nur das eingewurzeltste Vorurtheil gegen eignes, richtigeres Gefühl und gegen zahlreiche Zeugnisse für das Gegentheil behaupten. Aber selbst gesetzt, daß der Hund nicht durch diesen Umstand unserer Rücksicht näher gerückt wäre, so muß sich, wenn der Mensch für das Thier denkt, dieses sein Denken auch auf seine bessere menschliche Erkenntniß gründen und sein Thun und Handeln nach seinem edleren Fühlen lenken.

Denjenigen, welche es leichter mit unserem Thiere nehmen, entgegnen wir: allerdings greift der Hund vielfach mit Eifer in die Stränge des Gespannes, aber aus dem alleinigen Grunde, weil er vor allen Thieren gerade dasjenige Wesen ist, das Alles, was es thut, mit großer Energie und Ausdauer verrichtet. Es ist sein glühendes Temperament, es ist die Hingabe an seinen Herrn, es ist das Aufgehen in dem Menschen, was ihn Alles, auch das ihm nicht Zusagende, mit der Hochherzigkeit und dem Feuer seiner Seele ergreifen läßt. Aber ob er „mit urkräftigem Behagen“ gegen seine natürlichen Anlagen und Neigungen die ungebührliche Last hinter sich herschleppt, das ist hier die wohl zu erwägende Frage.

Die Thatsache, daß die nordischen Völkerschaften den Hund als Zugthier gebrauchen, steht fest. Die Mittheilungen guter Forscher und Polarfahrer bezeugen es. Aber was und wie berichten uns diese Gewährsmänner über dieses Thema? Jene Volksstämme bedürfen des Hundes als Zug- und Lastthier, weil sie überhaupt in dem unwirthlichen Klima und in den primitiven Verhältnissen ohne ihn gar nicht existiren und denselben auch durch kein anderes Hausthier ersetzen können. Nur da, wo neben ihm das Renthier vorkommt, sehen wir vielfach dieses für ihn in das Joch treten.

Und wie steht es mit der Behandlung und dem Aussehen der nordischen, zum Zug- und Lasttragen benutzten Hunde? Der Hund auf Kamtschatka wird uns als ein verkommenes, erbärmliches Wesen geschildert, das vom Frühjahre bis zum Herbste der Freiheit genieße, sich vom Fischfang ernähre, das aber zur Winterzeit von den Einwohnern wieder aufgegriffen werde, um es an den Pfosten der Hütten anzulegen und hungern zu lassen, bis ihm das Fett vom Sommer vergangen. Das durch dieses Hungern zum Zuge vor dem Schlitten fertiggemachte Thier versehe nun den Winterdienst. Jetzt geht, nach des Polarfahrers Steller Mittheilung, „der Hunde Noth an, sodaß man sie Tag und Nacht mit gräßlichem Geheul und Wehklagen ihr Elend bejammern hört.“

„Von dem heftigen Ziehen und Anstrengen wird das Geblüt, sowohl in den inwendigen als äußerlichen Theilen, mit solcher Gewalt gepreßt, daß auch die Haut zwischen den Zehen der Füße rötlich wie Blut wird.“

Diese Thiere sind nach Steller durch solche Behandlung wie Armesünder furchtsam, schwermüthig und im höchsten Grade mißtrauisch geworden; keine Spur von Liebe und Anhänglichkeit an den Herrn oder Interesse an dessen Hab und Gut beherrscht sie; sie müssen mit List oder Gewalt an das ihnen verhaßte Fuhrwerk gebracht werden. Ihr Sinn ist sogar darauf gerichtet, des Herrn und des Schlittens an gefährlichen Abhängen und Ufern los und [721] ledig zu werden, den letzteren, der Führung des ersteren entwunden, an Fels und Baum zu zertrümmern und dann sich zu flüchten. „Woraus man sieht“ – schließt Steller richtig – „wie sehr die Lebensart unvernünftige Thiere verändert und welchen großen Einfluß sie auf die Hundeseele hat.“

Kane, der Nordpolarreisende, und Andere sprechen sich über die Eskimohunde ähnlich aus. Steller’s Mittheilung ist die sprechende Zeichnung eines herabgekommenen Hundes, dessen Urzüge sich trotz seiner unverwüstlichen Natur nur mit Noth und allenfalls blos wiedererkennen lassen in den von Kane beschriebenen muthigen Kämpfen der Hunde mit dem grimmen Eisbär. Sind solche Thatsachen nicht ernste Fingerzeige für die Behandlung unserer Hunde? Welcher vernünftige und humane Thierkundige wird nun noch aus der Verwendung der nordischen Hunde-Arten zum Zugdienste den Schluß ziehen wollen, daß auch der gesittete Culturmensch seine Hunde zu gleichen oder ähnlichen Zwecken gebrauchen könne oder solle?

Aber was bedarf es überhaupt des Hundes zum Zugdienste in unseren civilisirten Ländern! Ist etwa Mangel an anderen, viel besser dazu verwendbaren Hausthieren? Pferd und Maulthier, Esel und Ochse sind zur Genüge vorhanden. Alle diese Haustiere sind von Alters her in’s Gespann gebracht worden, ohne daß irgend eine Abnahme der typische Formen der Arten oder gar eine Ausartung sich bemerkbar gemacht hätte.

Wie anders zeigen sich die Folgen beim Hunde, wenn er zum Elende des Fuhrwerks verurtheilt ist! Wer begegnete nicht schon keuchenden, lechzenden Hundegerippen vor Schiebkarren und Fuhren der Marktkrämer? Da arbeiten die geplagten Thiere mit den Flanken vor übergebührlicher, aufregender Anstrengung. Die Zunge streckt sich vor als das Organ, an welchem sich fast ausschließlich der Schweiß des Hundes absondert, und wenn endlich Halt gemacht wird, so fällt das arme, verhetzte Thier – ja oft unterwegs schon – vor Ermattung hörbar auf den Bauch, daß es zum Erbarmen ist. Wie oft auch empört bei solchen Martern des armen Thieres die rauhe Behandlung der Führer, die dem erschöpften Gespanne die Arbeit mit Schlägen statt mit Dank und guter Pflege lohnen!

Den so benutzten Hund sehen wir denn auch bald zu einem erbarmenswerthen Bilde herabsinken. Die Haare auf dem äußerst abgemagerten Körper werden struppig und glanzlos; der Rücken krümmt sich; die Gruppe wird abschüssig, und die Hinterbeine nehmen in den Knieen eine dem spitzen Winkel sich nähernde Beugung an, zufolge deren das Thier nicht mehr, wie sonst, auf die Zehen, sondern auf die ganzen Sohlen tritt: vor der Zeit ein Greis geworden geht es den Schritt des alten Hundes.

Wir ziehen aus solchen Thatsachen den Schluß: der handwerksmäßige Gebrauch des Hundes zum Zugdienste ist eine Thierquälerei. Die Duldung derselben in Culturstaaten erweist sich als Ungerechtigkeit und Undank gegenüber unserem intelligentesten Zöglinge und treuesten Genossen in der Thierwelt. Hülfe und Befreiung von dem Drang und Zwang des widernatürlichen Fuhrwerks und Zurückführung unseres Hundes in seine eigentliche Sphäre, ist die freie, aus Liebe zum Herrn und Lust zur Sache dictirte Wirksamkeit, in Haus und Hof, in Wald und Feld, in die Tiefe der Schluchten und auf die Höhe der Berge – das ist die gerechte Forderung der vernünftigen Humanität an unsere Gesetzgeber und Regierungs- und Polizeibehörden.

Adolf Müller.