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Unser Kaiser in Italien

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Textdaten
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Autor: Woldemar Kaden
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Titel: Unser Kaiser in Italien
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aus: Die Gartenlaube, Heft 46, S. 784–787
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1888
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[784]

Unser Kaiser in Italien.

Von Woldemar Kaden.


„‚Italia, wir steh’n zu Dir!‘ so rief der junge Kaiser −
„Nun grünet neu zu Eh’r und Zier, ihr alten Lorbeerreiser!“


Die Blumen und Blätter, die dem gen Rom fahrenden Kaiser über den Weg gestreut und in Sträußen und Kränzen gereicht wurden, sind längst verwelkt und verweht; verklungen sind die Hymnen und Serenaden, das Beifallsjauchzen italienischer Begeisterung, die Salutschüsse der Kanonen von Kastellen und Panzerschiffen; die leuchtenden Fahnen Deutschlands und Italiens, die der frische kecke Herbstwind so lustig ineinanderflocht und die vereint von den stolzen Kriegsschiffen der italienischen Marine in Neapels Golf flatterten, sind zusammengerollt und geborgen worden; verlaufen auch hat sich nach stürmischer Brandung und lang nachdauernder Fluthung der Strom, das Meer der Völker, die aus den Gebirgen Kalabriens und der Basilikata, aus der lombardischen

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Der Besuch des Kaisers Wilhelm in Pompeji.
Originalzeichnung von E. Rossi.

[786] und apulischen Ebene, dem Gartenland Toskanas, von der Aetna-Insel und allen andern Inseln des schönen Landes, gekommen waren, den Kaiser zu schauen, ihn Hand in Hand zu sehen mit ihrem geliebten Herrscher, und, freudig überzeugt von dem Ernste, von der Herzlichkeit des Bundes, nun zurückgekehrt sind in ihre Städte und Dörfer, in Paläste und Hütten, um den Heimgebliebenen zu erzählen, daß sie mit eigenen Augen ihn erblickt, ihn, der Italien als Friedensfürst erscheint.

Auch der Kaiser selbst, nur schwer sich losreißend von all dem Lieben und Schönen, was ihm hier Fürst und Volk des Sonnenlandes entgegenbrachten, ist über die Alpen heimgekehrt in die Arme seiner Lieben, empfangen als ein Geliebter auch vom gesammten germanischen Volk.

Auf Wiedersehen! war sein Scheidegruß in Neapel und in Rom. Auf Wiedersehen! rief ihm das italienische Volk zurück, dem er durch ein stolzes Kaiserwort seine theure Kapitale für unabsehbare Zeiten gesichert. „… und wenn Dich im heimischen Norden droben der graue Tag wieder ernst und kalt empfangen wird, wenn Mühe und Sorge und Kummer in dunklen schleppenden Gewändern wieder in Dein Gefolge treten − dann erinnere Dich der warmen gluthfarbenen Sonnentage in unserem Süden, wo das Leben wohnt, erinnere Dich des Volkes, das Dir nicht bloß in flüchtigem Tagesrausch zujubelte, das Dich schon lange vorher, schon in Deinen Vätern liebte und ehrte und Dich heute feiert in dem Bewußtsein, Dich zur Seite ihres Königs zu sehen mit dem Gelöbniß, Freud und Leid mit ihm, mit uns zu theilen, mit uns und ihm Eins zu sein in den hohen Aufgaben, die Eurer Völker warten.“ …

So, oder ungefähr so dürfte der Auszug aller Ansprachen, Reden, Trinksprüche, Hymnen und Gedichte lauten, die in diesen hohen Zeiten allüberall laut wurden. − −

Die Chronik der jüngsten italienischen Ereignisse zu schreiben, ist nicht Aufgabe der „Gartenlaube“, die diese nothwendig den Tagesblättern überlassen muß; noch immer aber hat dieselbe in ihren Annalen in großen Zügen die Thatsachen markirt, die einer großen civilisatorischen Idee entspringen und das Ergebniß sind weisheitsvoller Vorbereitungen, die in einer Verbindung enden, durch welche ganze große Völker endlich in den Stand gesetzt werden, Hindernisse, die sich ihnen bislang als unüberwindbar auf ihrem zur Höhe aufschreitenden Wege entgegenstellten, zu überwinden. Unendlich viel bedeutet heute für Italien die Verbindung mit einer großen stabilen Macht mit wahlverwandten Interessen; und welche Bedeutung kann sie für unser umdrohtes Vaterland nicht vielleicht schon in nächsten Zeiten gewinnen!

Ein Akt der Geschichte hat sich abgespielt. −

Sympathisch, wie dem italienischen Volke die vornehme und menschenfreundliche Dynastie der Hohenzollern, ist dem Volke Deutschlands seit langem die in Italien hochverehrte, freiheitliebende und -fördernde „Casa Savoia“. An der Wiege beider aber saß ein gemeinsames Geschick. Bis 1415 waren sie beide einflußlose Feudalwesen; in diesem Jahre erst verlieh Kaiser Sigismund dem Savoyer den Herzogstitel, gleichzeitig dem Hohenzollern die Mark Brandenburg mit der Kurfürstenwürde. In dreihundert darauffolgenden Jahren suchen Savoyer und Hohenzollern in Kraft die Grenzen ihrer Staaten zu erweitern, und 1701 giebt es so den ersten König von Preußen, und nur wenig Jahre später einen König von Sardinien, so daß nun beide Häuser ihren gebührenden Platz unter den Mächten Europas einnehmen.

1866 verbindet das Land, dem die Casa Savoia vorsteht, sich mit Deutschland, ein erster Schritt nach dem durch die politische Einigkeit zu erreichenden Ziele. 1870 wird das große Hinderniß der italienischen und der deutschen Einheit, Frankreich, überwunden, Victor Emanuel steigt aufs Capitol und Wilhelm setzt zu Versailles die deutsche Kaiserkrone sich aufs Haupt.

Von da ab sind Savoyen und Hohenzollern, sind Deutschland und Italien geeinigt, „verbunden“, wie der junge Kaiser vor dem versammelten Reichstage am 25. Juni erklärt, „durch die gleichen geschichtlichen Beziehungen und gleiche nationale Bedürfnisse der Gegenwart. Beide Länder wollen die Segnungen des Friedens festhalten, um in Ruhe die Befestigung ihrer neugewonnenem Einheit, der Ausbildung ihrer nationalen Institutionen und der Förderung ihrer Wohlfahrt zu leben.“

Sie beide aber werden, sowie sie einig sind im Bebauen der Felder des Friedens, auch eine treue Waffenbrüderschaft halten, wenn die Verhältnisse sie aufs Schlachtfeld drängen, und zu diesem Zwecke, damit der waffenkundige Fürst, der junge deutsche Kaiser die Stärke seines savoyischen Verbündeten kennen lerne, führte dieser ihm vor Rom, bei Centocelle, sein herrliches Heer vor, ließ er in Neapels herrlichem Golfe seine stolze Flotte an ihm vorüberfahren.

Nur einmal erst − das ist aber schon lange her und steht auf einer vergilbten Seite der Geschichte geschrieben − fanden Preußen und Piemontesen als Waffenbrüder sich zusammen auf dem Schlachtfelde, das war im Jahre 1706, wo Prinz Eugen sie nebst den Oesterreichern (eine alte Tripelallianz!) gegen die Turin belagernden 70 000 Franzosen des Herzogs von Orleans zum Siege führte.

Das andere Mal …? Niemand lüftet den Schleier, hinter dem hervor es blutroth schimmert, aber der Kaiser hat die Ueberzeugung gewonnen und hat dieser vor dem italienischen Kriegsherrn, vor dessen Heer- und Flottenführern lauten freudigen Ausdruck gegeben: die vereinten Waffen werden unter allen Umständen bewährt erfunden werden.

Rom hatte zum Empfange des Friedensfürsten viel gethan, dabei aber freilich nichts geschaffen, was würdig gewesen wäre der kunstgewandten Gegenwart und seiner großen klassisch-künstlerischen Vergangenheit. Sein Festapparat aus Straßen und Plätzen entsprach durchaus nicht seiner Größe, zu welcher zwei Jahrtausende Geschichte es erhoben − aber was auch wäre das Herrlichste, das Erhabenste gewesen im Vergleich mit dem wogenden Meere römischer und neapolitanischer Volksbegeisterung, das über die Dächer, über die Thürme hinaufschlug, in dem alles andere, Fahnen und Ranken und Triumphbögen unterging, das mit seinem Brausen den Donner der Kanonen selbst verschlang, und aus dem einzig und allein, von vielen hunderttausend Augen gesucht, die leuchtende Gestalt des Kaisers wie eines antiken Sagenhelden hervorragte!

Erschüttert bis in des Herzens tiefste Tiefen, bleich und stumm, nahm er die Huldigungen, wie sie ein nordisches Volk nicht zu bringen vermag, entgegen; eines freien Volkes Huldigungen, das verständnisinnig zu ihm und dem ernstblickenden, gleichermaßen tief erregten König an seiner Seite emporsah.

Und das traditionelle Wetterglück des alten Hohenzollern war auch dem Enkel treu, heute, da er zum zweiten Male über die Alpen kam.

Im letzten Frühlinge, da er seinen Vater in dessen dunkelsten Stunden zum Troste in San Remo besuchte, lagen Land und Meer im Trauergewand und Sturm und Regen waren seine Begleiter.

Heute empfing ihn die Sonne Italiens mit ihrem hellsten Schein; was sie berührte, wurde zu Gold. Der ärmste Schmuck in Zweig und Blatt blitzte und glitzerte wie köstliches Metall; die Rosen wurden zu Rubinen, die armen Fähnchen zu Seide und Goldbrokat.

Aber am herrlichsten strahlte das Meer. In ihm berauschte die Sonne sich und berauscht kehrten die Blicke von ihm zurück. Auf diesem glänzenden Meere aber vollzog sich das glänzendste Schauspiel, das dieser Golf, den einst die Purpursegel der Herren der Welt durchkreuzten, je gesehen.

In Castellammare, zwischen dem Vesuv und dem Kap der Minerva, erwartete die italienische Flotte, eine der schönsten und bestgeführten der Welt, in den anwesenden Schiffen allein 150 000 Pferdekräfte repräsentirend, erwarteten ungezählte andere Dampfer, Schiffe, Yachts, Boote und Barken die vereinten, auf die schöne „Savoia“ steigenden Herrscher zur Taufe und zum darauffolgenden Stapellauf des Kolossalpanzerschiffes „Umberto II.“ Alles vollzog sich in größter Ordnung und höchster Begeisterung. Aber so prächtig dieses Schauspiel auch war, übertroffen bei weitem ward es durch die darauffolgende Flottenschau vor Neapel. Durch sie ward auch der Kaiser zu rückhaltloser Bewunderung hingerissen; durch eigene Augen überzeugte er sich, daß Italien zu einer Seemacht ersten Ranges sich emporgeschwungen.

Siebenundvierzig Schiffe, darunter die weltbekannten Riesen „Lepanto“, „Italia“, von je 18 000 Pferdekraft, der „Duilio“, „Etna“, „Vesuvio“, „Stromboli“, „Tripoli“ und wie diese Seeungeheuer sonst heißen mögen, manövrirten vor dem deutschen Kriegsherrn, dessen Streben es ist, auch Deutschlands Seemacht immer würdiger zu gestalten, in bewundernswerther Weise. Wie [787] lustige Delphine schäumte die Schar der Torpedoboote durch die blaue Fluth und jene Kolosse bewegten sich gleich zierlichen Tänzern.

Heer und Flotte Italiens hatten die große Probe bestanden, und Italiens Name wird fortan mit Achtung, mit höchster Achtung von dem Kaiser genannt, in aller Welt anerkannt werden.

Der Geschichtsforscher erinnert sich mit Lächeln der Zeit, nicht jener, wo ein deutscher Kaiser im Büßerhemd und barfuß von einem Papste gedemüthigt ward, sondern einer früheren, wo Deutschland ungestraft zur See beleidigt werden konnte.

Es war im Jahre 968. Im Palast des Nicephorus Phokas zu Konstantinopel gab es einen harten Wortstreit. Liudprand, Bischof von Cremona und Abgesandter des deutschen Kaisers Otto I., stand vor dem zornmüthigen Griechenkaiser, der ihn und seinen deutschen Herrn in schroffster, frechster Barbarenweise beleidigte.

„Sage Deinem Herrn, daß er in Ermangelung einer Flotte keine Herrschaft auf dem Meere ausübt. Ich allein habe eine Flotte, ich habe Seeleute, und kommt mich die Lust an, so werde ich mit ihnen seine Meerstädte angreifen und sie in Steinhaufen verwandeln …“

Und was ist heute der Orient? −

Und nun kam die Abreise. Himmel und Sonne hatten ihre Schuldigkeit gethan und hüllten sich aufs neue in ihr Herbstgewand.

Es war ein ernster, grauer, doch weicher Tag, der 18. Oktober, der Geburtstag seines unvergeßlichen Vaters, an dem der Kaiser Pompeji besuchte, um durch einen Blick in jene schweigende Vergangenheit das durch die überwältigende Herrlichkeit der letzten Tage berauschte und erregte Gemüth zu sammeln.

Ob er beim Anblick der in Ruinen liegenden Tempel und Häuser an unsere blonden Vorfahren dachte, da diese bei römischen Herren noch verachtete Thürsteherdienste versahen und jenen Kaisern als Leibwache dienten?

Die Nachkommen der alten italischen Völker, der König Humbert, dessen Bruder Amadeo, der Kronprinz standen ihm zur Seite als Freunde, als herzlich Verbündete; hoch über ihren Häuptern dampfte der Vesuv, ein Opferaltar, und drüben an der Station „Pompeji“, wo der Kaiser den Zug bestieg, um gen Norden zu fahren, schmiegten die deutschen und italienischen Fahnen sich eng ineinander und das dichtgescharte Volk schrie:

„Evviva la Germania, Evviva l’Italia, per sempre!“