Unsere Osterbilder
[259] Unsere Osterbilder. (Illustrationen auf S. 249 und 253.) Auf der Winter- und Sommerscheide liegt es, das geheimnißvolle Fest der Weltauferstehung, unruhig bald früher, bald später auftauchend, eine Verlegenheit für Wetterpropheten und Festordner. „Weiße Ostern? Grüne Ostern? – das ist hier die Frage,“ würde Hamlet sagen. Wir haben’s gefeiert in dickem Schnee, mit Pelzen und rothen Nasen, unwissend, woher die für eine Chardonnerstagmahlzeit so unumgänglich nöthigen Rapunzeln hernehmen – und wieder in luftiger Gewandung und sonnengestreichelt, die berühmten „ältesten Leute“ sogar unter blühenden Apfelbäumen. Das Normalostern der Poeten und Maler fordert bedeckten Himmel, glänzende Baumknospen, grüne Stachelbeersträucher und sprossende Saaten – „jedes Blatt ein grünes Ohr“.
Ob es diesmal Blüthen schneit? Wer weiß es?
Niemand. Nicht einmal Er.
Er ist ein merkwürdiges Geschöpf. Daß er zu Ostern kommt und dann bis auf das nächste Osterfest verschwindet, wäre nicht ohne naturgeschichtliche Analogie: es giebt Zugvögel und Eintagsfliegen. Freilich: Er ist weder ein Vogel, noch eine Fliege. Er ist ein Monstrum, das größte Kreuz für Zoologen. Darwin und Häckel haben klüglich vermieden, sich mit ihm zu beschäftigen.
Ein Hase, der Eier legt! Unerhört. Aber es ist so. Er kommt und nistet, ob im Schnee, in Stuben, in sprossendem Grün, das ist ihm gleichgültig. Jedenfalls an versteckten Orten.
Es giebt mehrere Arten dieser Gattung, das steht wohl außer Zweifel. Zum mindesten zwei. Die gewöhnlichen Eier gleichen täuschend den Hühnereiern, selbst in der Farbe. Es ist ein offenes Geheimniß unter den Kindern, daß die bunten Farben der Eier auf Rechnung menschlicher Einwirkung kommen, indem man in der Osternacht Gefäße voll kochenden Wassers aussetzt, welches letztere mit Rothholz-, Blauholz- oder Zwiebelschalensaft, jetzt auch mit Anilinfarben, gefärbt ist. Derartige Gefäße zieht der Osterhase als Niststätte jeder andern vor – nein, nur als Ort zum Eierlegen, denn er pflegt später die Eier herauszunehmen – wie? das ist sein Geheimniß – und zu „verschleppen“, wie die Hühnerzüchter sagen, oder auch in einem Nest zu vereinigen. Zuweilen wird er vorher überrascht, dann bleibt der Mutter die Aufgabe, die Eier selbst aus der Brühe zu nehmen, wie unser eines Bild dies vor Augen führt.
Die zweite Hasenart, von der ich sprach, legt Eier von höchst mannigfaltiger Beschaffenheit. Die Schale der meisten besteht, wie chemische Untersuchungen nachgewiesen, aus Zucker. Fast immer zeigen sie bunten plastischen Schmuck. Der Inhalt ist unberechenbar. Viele sind leer, in anderen finden sich Confect, Blumen, junge Hasen, Kücken, kleine Kinder, ausgewachsene Gnomen u. dergl. Ich möchte diese zweite Art von Osterhasen den gebildeten oder Kunsthasen nennen. Er legt vorwiegend in den Läden der Conditoren, meist schon vor Ostern, und diese Eier werden für[WS 1] schweres Geld verkauft.
Ich meinerseits ziehe die erstere Art vor; die Personen auf dem Bilde von F. Bergen auch – überhaupt, wie ich beobachtet habe, die Kinder. Diese Eier sind weniger werthvoll, aber man hat eben darum den Muth, mit ihnen zu spielen und sie aufzuessen, und man findet sie im Freien.
Welch ein Zauber liegt in diesem Eiersuchen unter werdendem Grün, in weicher Frühlingsluft! Die Kinder nur genießen ihn voll, wir großen Zuschauer aber, so wir das Herz auf dem rechten Flecke behalten haben, genießen mehr durch etwas anderes dabei. Unser Herz bekommt Besuch, Besuch von seiner Jugend. Sie ist so helläugig begehrlich, ungeduldig, so übermüthig lachlustig und gläubig, wie diese Kinder da. Sie kommt nur auf Stunden, aber schon diese Stunden sind unvergleichlich.
Sie gehört mit in das große Auferstehungswunder des Osterfestes, diese Auferstehung unserer Jugend! Victor Blüthgen.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: fur