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Unsterblichkeit (Die Gartenlaube 1888)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: M. H.
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Titel: Unsterblichkeit
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 47, S. 808
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1888
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[801]

Unsterblichkeit. Nach dem Oelgemälde von Hermann Kaulbach.
Photographie im Verlag von Fr. Hanfstängl in München.

[808] Unsterblichkeit. (Mit Illustration S. 801.) Wir sind im alten, kaiserlichen Rom. Durch den Sonnenglanz der Appischen Straße folgen wir einer jugendlichen schlanken Mädchengestalt, die elastischen Schrittes vor uns herschreitet. In der zierlichen Hand hält sie einen Korb mit Blumen und ein Lämpchen aus rothem Thon; über dem weißen Gewande, das ihr in reichen Falten bis auf die Fersen fällt, trägt sie ein dünnes schwarzes Flortuch. Nun biegt sie von der breiten Straße seitab in einen schmalen, von Oleandersträuchen überschatteten Pfad. Vor einem kleinen, zwischen Marmorsäulen sich öffnenden Pförtchen hemmt sie den elastischen Schritt; hier sitzt auf einem Steine ein dürftig gekleidetes Kind mit einer brennenden Ampel. Die Fremde zündet ihr mitgebrachtes Lämpchen an der Ampel an, läßt eine kleine Münze in die mageren Händchen des Kindes fallen und schreitet durch das Pförtchen. Nach wenigen Schritten kommt sie zu einer steil unter die Erde führenden Treppe und steigt behutsam die Stufen hinab. Wir folgen ihr auch hier und stehen gleich darauf in einem matt von oben herab erleuchteten Raume. Hier sind wir in einem römischen Columbarium, einer jener unterirdischen Hallen, welche in zahllosen Mauernischen die Urnen und Thonkistchen tragen, in welchen die Asche der Todten aufbewahrt wird. An manchen dieser Thongefäße zeigen Blumen und Kränze, daß man vor kurzem erst derjenigen gedacht hat, deren Asche hier liegt. In größeren Mauernischen sind auch einzelne Büsten aufgestellt. Zu einer dieser Büsten schreitet das Mädchen mit ihrer Lampe und ihren Blumen: es ist die Büste eines schönen jugendlichen Mannes. Lange steht sie mit gefalteten Händen vor dem schweigenden Bilde; ihre Augen werden feucht. Und zuletzt neigt sie ihr edles blasses Köpfchen gegen das steinerne Antlitz vor sich und preßt einen sanften Kuß auf die kalten Marmorlippen.

Nun wird sie noch die Blumen, die sie mitgebracht hat, um den Fuß der Marmorbüste legen, wird ihr Lämpchen in die Höhe halten, daß ein Strahl vom lieblichen Lichte in das stille Marmorgesicht fällt und dasselbe flüchtig belebt; und dann wird sie mit stummen Gruße wieder Abschied von dem geliebten Bilde nehmen und langsam heimwärts wandern durch den Sonnenschein der Appischen Straße. Wir aber ziehen uns zurück, um diese rührende Todtenfeier nicht zu stören; nur flüchtig werfen wir noch einen Blick auf die Inschrift über der Büste. Hier steht ein Name, der seit achtzehn Jahrhunderten unvergessen geblieben ist: der Name „Catullus“. Ist er’s wirklich, der heitere Dichter, der Liebling von Göttern und Menschen, der einst auf seinem prachtvollen Landsitze über den blauen Wellen des Gardasees seine Lieder sang und der, kaum dreißig Jahre alt, zu den Todten ging, um für immer zu verstummen? Und sie, die ihm da in stiller Treue ihr Todtenopfer gebracht hat – was war sie ihm? Schwester – Freundin oder Geliebte?

Es ist ein ergreifendes Bild treuer Liebe, welches der Münchener Künstler Hermann Kaulbach hier vorführt. Das große Gemälde, das uns diese Todtenfeier zeigt, war eine der anmuthigsten Zierden der internationalen Kunstausstellung des Jahres 1888; jetzt ist dasselbe Eigenthum der Münchener Staatsgalerie. Der Künstler selbst nannte sein Bild „Unsterblichkeit“. Und in der That – selbst wenn der Name jenes Todten nicht im Glanz der römischen Geschichte lebte, Unsterblichkeit wäre sein Los, weil treue Liebe über das Grab hinaus währt und zwischen den Todten und den Lebendigen unvergängliche Herzensfäden webt.
M. H.