Unter dem Wasserfall

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Autor: Alfred Brehm
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Titel: Unter dem Wasserfall
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aus: Die Gartenlaube, Heft 2, S. 20–23
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Bilder aus dem Thiergarten.
Von Brehm.
5. Unter dem Wasserfall.

Die Zeiten der paradiesischen Unschuld sind auch für die Thierwelt längst vorüber. Zustände, wie sie uns die noch heutigen Tages beliebten Schöpfungsbilder vor Augen führen, sind gegenwärtig unmöglich. Es giebt unter den Thieren weit weniger Verträgliche, als wir glauben. Davon überzeugt man sich, wenn man die freilebenden beobachtet, noch viel eher aber, wenn man es tagtäglich mit einer so bunten Gesellschaft zu thun hat, wie ich, und jeden Einzelnen derselben nach und nach kennen lernt, mit allen seinen Arten und Unarten.

Es versteht sich ganz von selbst, daß in einem Thiergarten alle Raubthiere, groß und klein, in abgesonderten Räumen gehalten werden; es macht sich aber auch nothwendig, daß eine große Anzahl von Thieren und namentlich von Vögeln, welche man für harmlose zu halten geneigt ist, von den übrigen getrennt werden. Wohl oder übel muß in jedem Thiergarten ein Gehege errichtet werden für die Störenfriede in des Wortes eigentlichster Bedeutung. Solcher zählt nicht nur jede Ordnung dieser Classe, sondern sogar jede Familie. Es giebt unter den Vögeln ebenso zanksüchtige Wesen, wie unter den Menschen, und der einzige Unterschied zwischen diesen und jenen beruht höchstens darin, daß bei den Vögeln die Zänkereien sehr rasch in Thätlichkeiten überzugeben pflegen, während es bei zänkischen Menschen glücklicherweise gewöhnlich beim Wortgefechte bleibt.

Man sollte meinen, daß ein großer Teich mit stillen, umbuschten Inseln und anmuthigen Ufergeländen, welcher fortwährend mit hinreichender Nahrung versorgt wird, ein wahres Paradies sein müsse für alle Vögel, welche gewohnt sind, in und am Wasser zu leben, und doch ist dies nicht der Fall. So sehr auch für alle Bedürfnisse Sorge getragen wird, so unbeschränkt die Ansprüche eines jeden Einzelnen der Bewohnerschaft berücksichtigt werden: der Apfel des Paradieses fehlt auch hier nicht und erregt sündige Gelüste.

Welcher von unsern deutschen Vogelkundigen sollte wohl glauben, daß ein Pelikan, den die Natur von Haus aus zum Fischer gestempelt und gleich mit einem prächtigen Hamen zum Gewerbe versehen hat, daß ein Pelikan, sage ich, Gelüste haben könnte, welche man fast widernatürliche nennen möchte, daß er, anstatt hübsch bei den Fischen zu bleiben, sich an seiner Mitbürger Kinder vergreift und diese in seinen weilen Schlund hinabwürgt? Wer sollte es dem tiefsinnig erscheinenden Reiher wohl ansehen, daß er in böswilliger Weise dem Sperber in seine Gerechtsame pfuscht und anstatt nach Fischen oder Fröschen nach Sperlingen zielt? Und doch habe ich Beides zu meinem nicht geringen Erstaunen erfahren und den Einen wie den Andern aus dem Teichparadiese verbannen müssen! Wenige Tage, bevor gedachter Pelikan zwei junge Gänse verschlang, hatte mir ein kundiger Freund erzählt, daß er die Scharben beim Schwalbensang beobachtet, und ich hatte das kaum glauben wollen. Aber der Freund hatte Recht, denn auch die Scharben, welche ihrer Herrschsucht halber schon früher ausgewiesen werden mußten, zeigten mir, wie weit sich ein Thier von den ihm „ursprünglich vorgezeichneten Bahnen“ entfernen kann. Daß die Störche, Möven und Gänse auch nicht umsonst in der Strafanstalt untergebracht wurden, brauche ich wohl kaum zu versichern. Die Ersteren trieben es wie die Reiher, die Möven fielen sogar über alte Enten her, und die Gänse benahmen sich, als ob sie lebhaft bedauerten, nicht auch mit gleichen Waffen, wie Reiher und Möven, versehen zu sein: sie würden sonst die von ihnen beständig verfolgten Mitbewohner ihres Teiches wahrscheinlich auch gefressen haben.

Solche und mehrere andere Erfahrungen sind es gewesen, welche mich bestimmt haben, in dem kleinen Teich unter dem Wasserfalle eine Genossenschaft zu bilden, welche, so verschieden sie unter sich auch sein mag, doch in dem Einen sich gleicht, daß sie in

[21]

Unter dem Wasserfall im Thiergarten zu Hamburg.
Nach der Natur gezeichnet von H. Leutemann.

[22] guter Gesellschaft nicht geduldet werden kann. Wir haben es, wenn wir jenen Teich ins Auge fassen, beinahe mit lauter Ausgestoßenen, mit Thieren von mindestens zweifelhaftem Charakter zu thun.

Bis gegen die Futterzeit hin scheint das Leben am obern Teiche ein sehr gemüthliches zu sein. Jeder einzelne von den vielen Vögeln, welche dort vereinigt sind, beschäftigt sich meistens mit sich selbst, ohne sich um die andern besonders zu kümmern. Die Morgenstunden werden vorzugsweise der Reinigung und der Instandhaltung des Anzugs gewidmet. Die Pelikane sitzen am Strande und putzen das Gefieder; die Scharben sind auf die Felsblöcke unter dem Wasserfall geklettert, halten sich still, wie Bildsäulen, oder fächeln sich mit den Flügeln, wie es ihre Gewohnheit ist; die Möven laufen am Strande auf und nieder; die Gänse weiden; die Reiher sitzen, anscheinend in wichtige Betrachtungen versunken, regungslos hier oder dort; die Marabus ziehen den Hals ein und nehmen eine jener Stellungen an, welche unwiderstehlich zum Lachen hinreisten; die Löffelreiher erweisen sich gegenseitig ersprießliche Liebesdienste. Eine wahrhaft idyllische Stille liegt über dem ganzen Bilde, es geht friedlich und verträglich, der oberflächliche Beschauer würde sagen, langweilig her. Das Letztere ist jedoch durchaus nicht der Fall. Denn jeder von den Vögeln beschäftigt sich und jeder giebt dadurch Gelegenheit zu mancherlei Beobachtungen, namentlich auch hinsichtlich der Sorgfalt, mit welcher er sein Gefieder putzt.

So war es neu für mich, zu erfahren, wie es die Löffelreiher ermöglichen, alle Theile ihres Federkleides in Ordnung zu halten. Gerade sie halten sehr viel auf Reinlichkeit und brauchen viel Zeit zu ihrem Anputze. Der Löffelschnabel ist aber ein sehr ungefüges Werkzeug und seine Länge oft recht hinderlich. Den Leib, den Rücken, die Flügel sammt den Schwingen, den Schwanz zu putzen, jede einzelne Feder durch den Schnabel zu ziehen, sodann mit dem Fett der Bürzeldrüsen gehörig einzuölen und hübsch so, wie es sich gebührt, zu legen, das hat keine Schwierigkeit; denn was dem Schnabel an Gelenkigkeit abgeht, das ersetzt der geschmeidige Hals. Wie aber bringt es der Löffelreiher fertig, um diesen letzteren, den Hals nämlich, zu putzen? Ich gestehe offen, daß ich mir diese Frage erst gestellt habe, als mir der Löffelreiher die Antwort bereits gegeben halte. Mit seinem eigenen Schnabel seinen Hals zu putzen, ist ein Ding der Unmöglichkeit, mit dem Fuß dies zu thun, geht auch nicht an, und doch ermöglicht es der Vogel: er ermöglicht es – mit Hülfe eines andern seiner Art. Die Löffler gehören zu den geselligen und in Folge ihres stumpfen Schnabels auch zu den friedlichen Bewohnern des oberen Teiches. Sie thun Alles gemeinsam nun so auch das Putzen ihres Federkleides. Der eine beginnt, die andern folgen. Zunächst wird dasjenige Gefieder einer gründlichen Säuberung unterworfen, welches ohne fremde Hülfe geordnet werden kann. Hals und Kopf bleiben nach, und auch sie sollen nun an die Reihe kommen. Was geschieht? Zwei Löffelreiher treten freundschaftlich zusammen und einer beginnt nun, Hals und Kopf des andern zu bearbeiten, während dieser die gleiche Arbeit bei seinem Wohlthäter übernimmt. Zwar nicht eine Hand, aber doch ein Schnabel wäscht den andern! So stehen die Thiere halbe Stunden lang nebeneinander und bearbeiten sich mit gleicher Geschicklichkeit gegenseitig in der liebenswürdigsten Weise.

Man braucht jedoch seinen Beobachtungseifer nicht auf die Löffelreiher zu beschränken; die andern Vögel geben ebenfalls Stoff genug dazu. Dort der seinen Gedanken nachhängende Reiher brütet eben über einem jener Schelmenstückchen, welche ihm seine Verdauung zugezogen. Um den der zanksüchtigen Gänse halber mit Körnern gefüllten Futternapf haben sich Sperlinge in reicher Menge versammelt. Die zudringlichen Vögel sind selbstverständlich in dem futterreichen Thiergarten zu Hause, oft in größerer Anzahl, als es den Futterspendern lieb ist. Sie lernen sich sehr bald sicher fühlen und zeigen sich so dreist und unverschämt, wie Spatzen überhaupt sich zeigen können. Hundertmal haben sie ungestört aus eben demselben Futternapfe gefressen, welchen sie jetzt umlagern; sie haben dies auch gethan, ohne sich im Geringsten um diejenigen Vögel zu kümmern, denen das Futter bestimmt ist. Der Reiher, welcher jetzt zufällig dicht neben dem Napfe sitzt, sieht die bei all ihrer scheinbaren Plumpheit doch sehr gewandten Sperlinge wenig an: er erscheint ihnen viel zu ungeschickt und böser Vorsätze gewiß unfähig. Sie laufen ihm fast über die Füße weg. Flamingo, Ibisse, Pfuhlschnepfen, Gänse, Enten und Kraniche, bei welchen sie dasselbe versuchten, haben es ohne allen Anstand geduldet, und alle diese Vögel waren viel lebendiger, als die Reiher. Regungslos stehen diese auf einem Beine; wie im Schlafe ist der Hals tief eingezogen; sie gleichen mehr Bildsäulen, als lebenden Geschöpfen. Da plötzlich schnellt der zusammengekröpfte Hals hernieder und der spitze Schnabel schlägt mitten unter die Menge. Einer der armen Schelme ist durchspießt, wird nun nochmals gegen den Boden gestoßen, hierauf emporgeschleudert, aufgefangen und verschlungen. Dies Alles geht so schnell, daß die Sperlinge kaum zur Besinnung kommen, daß die jüngeren wirklich nicht wissen, was das sorgenvolle „Terrrrr“ eines alten Männchens, das glücklich der Gefahr entronnen und auf dem nächsten Baume sitzt, eigentlich besagen will. Ehe noch eine halbe Minute vergeht, ist der Reiher wiederum zur Bildsäule erstarrt, und einer oder der andere von den jüngeren, unerfahrenen Sperlingen hat sich bereits wieder beim Napfe eingefunden.

Inzwischen hat der Pelikan seinen Anputz beendet und tritt oder richtiger watschelt nunmehr, in dem rosenroth überhauchten Kleide prächtig geschmückt, längs des Strandes dahin, um sich seiner Freundin zu nähern. Die Freundin und mehr als Freundin, die Geliebte – ich darf die Verirrung des Pelikans nicht verschweigen – zu welcher der Pelikan sich schwerfälligen Fußes begiebt, gehört nicht zu dem Adel der Ruderfüßler, gehört überhaupt nicht zu den Schwimmvögeln, sondern einer ganz verschiedenen Ordnung, – sie gehört den Stelzvögeln an. Eine Störchin ist es, auf welche das liebebegehrende Auge des Pelikan gefallen, eine Störchin, welcher er sein Herz geschenkt und bei welcher er Erhörung gefunden. Es ist leider durch viele und betrübende Beispiele genügsam verbürgt, daß die Störche zu denjenigen Vögeln gehören, welche die heiligen Bande der Ehe in oft höchst unwürdiger Weise zerreißen. Die Eifersucht der Störche ist eine traurige Thatsache, aber leider ist diese Eifersucht nicht unbegründet. Man hat da sonderbare Dinge beobachtet, und ich selbst habe eine hierauf bezügliche Geschichte bereits in der „Gartenlaube“ veröffentlicht. Untreue unter den Störchen ist nichts Ungewöhnliches. Deshalb war es mir denn auch nicht eben wunderbar, daß eine Störchin sich so weit vergessen konnte, mit einem Pelikan zu liebäugeln; daß aber der Pelikan, er, gegen dessen sittsamen Lebenswandel bis jetzt auch noch nicht der leiseste Verdacht vorlag, daß er sich mit einer Störchin befreunden konnte: – das war mir entsetzlich neu. Es unterliegt gar keinem Zweifel, daß nicht er die Störchin, sondern daß die Störchin ihn vom Pfade der guten Sitte abgelenkt hat! Der Beweis der Untreue ist vor meinen eignen Augen gegeben worden.

Freilich muß ich, da ich duldsam sein will, anerkennen, daß dem Pelikan eine derartige Freundschaft wohl zu gönnen ist. Als die eben erzählte Geschichte spielte, war er der Einzige seines Geschlechts und genoß von den andern Teichbewohnern keineswegs Liebe, nicht einmal Freundschaft; ja, seine nächsten Verwandten, die Scharben, mißhandelten ihn sogar; sie bewiesen ihm wenigstens durchaus nicht die Achtung, welche ihm als dem größten ihrer Zunft von Rechtswegen gebührt. Ich muß, um dies zu erklären, zunächst über die Scharben selbst einige Worte sagen. Diese Vögel gehören unbedingt zu den anziehendsten Bewohnern eines derartigen Teiches, wie es der unsrige ist. Sie wissen die Aufmerksamkeit des Beschauers stets zu fesseln. Ihre Stellungen im Sitzen sind so eigenthümlich, daß auch das Auge des unkundigsten Beschauers unwillkürlich an ihnen haften bleibt, ihre Bewegungen im Wasser aber wirklich wundervoll. Mit der Geschmeidigkeit eines Aales und der Geschwindigkeit einer Forelle schwimmen sie durch die Fluthen, gleichviel, ob über oder unter dem Wasser. Von Haus aus Fischjäger, richten sie in jedem beschränkten Gewässer entsetzlichen Schaden an. Sie sind im höchsten Grade gefräßig, fangen aber auch dann noch Fische, wenn ihr Schlund bereits gefüllt ist, so wie der vollkommen gesättigte Fuchs noch Mäuse fängt zu seinem Vergnügen. Versuchsweise ließ ich einmal mehrere hundert ziemlich große Fische in den damals von ihnen bewohnten Teich setzen. Sie entdeckten diese wünschenswerthe Bereicherung an jagdbarem Wild in ihrem Gebiete sehr bald und arbeiteten nun ununterbrocken mehrere Tage lang. bis sie sämmtliche Fische gefangen, theilweise verschlungen, aber wenigstens alle getödtet hatten. Diese Jagdlust ist der Grund, daß sie sich möglichst viel im Wasser zu schaffen machen und nur, wenn sie von langer Jagd sehr ermüdet sind, sich an das Land begeben, um hier sich auszuruhen.

Solche Augenblicke der Ruhe sind es, welche die Thiere überhaupt [23] sichtbar werden lassen; wenn sie sich im Wasser befinden, gewahrt man von ihnen höchstens dann und wann den Hals. So lange nun das Gewässer eisfrei bleibt und tagtäglich mit Fischen versorgt wird, finden die Scharben in ihm Alles, was sie bedürfen, und befinden sich anscheinend außerordentlich wohl. Der Sommer gewährt ihnen außerdem noch andere Unterhaltungen. Sie fangen dann, wie ich bereits andeutete, eine und die andere der vorbeifliegenden Schwalben, wenn diese hart über das Wasser dahinstreifen; sie führen vielleicht mit dem oder jenem ihrer Teichgenossen einen kurzen Zweikampf auf und erlangen dabei regelmäßig den Erfolg, daß die von ihnen Angegriffenen das Weite suchen. Anders verhält sich die Sache, wenn der Winter seine Eisdecke über das Gewässer legt und ihnen ihr Haus im eigentlichen Sinne des Worts zuschließt. Dann sitzen sie sehr trübe am Strande und langweilen sich. So lange, wie ihre Kräfte ausreichen, versuchen sie die Eisdecke zu zerstören, und gewöhnlich halten sie das Wasser auch bei starkem Froste tagelang offen. Endlich aber wird das Eis ihnen doch zu stark, und sie sind dann gezwungen, am Lande zu verweilen. Im vorigen Winter hatte sie der Frost gänzlich überrascht. Das Wasser war über Nacht zugefroren, und sie saßen am Morgen sehr traurig auf ihren gewöhnlichen Sitzplätzen. Auch der Pelikan fühlte sich höchst unbehaglich. Ihm war das Eis etwas vollkommen Neues, ein Erzeugniß der Fremde, welches er in seiner Heimath niemals kennen gelernt. Er versuchte zuerst, auf dem glatt wie immer erscheinenden Spiegel zu schwimmen, rutschte selbstverständlich aus und bemühte sich lange Zeit vergeblich, wieder auf die Beine zu kommen. Unter diesen Bemühungen brach die schwache Eisdecke ein, und er begann jetzt aus Leibeskräften zu rudern. Die scharfe Kante des Eises hinderte ihn jedoch, und der arme Schelm wußte sich weder zu rathen noch zu helfen. Diesen Augenblick benutzten die Scharben. Sie hatten im Nu die Lage erkannt, eilten von allen Seiten herbei, stürzten sich neben dem Pelikan in’s Wasser und tauchten vergnüglich in die Tiefe, beim Emporsteigen aber hinderte sie das Eis, und sie mußten wohl oder übel zu der einzigen kleinen Oeffnung zurückkehren. Da blitzt ein Gedanke durch ihr Hirn, wie er ihrer würdig ist. Sie stürzen sich plötzlich mit vereinten Kräften auf den Pelikan und zwicken und beißen ihn von allen Seiten. Der wehrt sich mit seinem gewaltigen, aber unkräftigen Schnabel, so gut er kann, ohne Erfolg. Die Scharben greifen ihn von Neuem an, und der Geängstigte sucht endlich Rettung in der Flucht. Das war es, was die Scharben beabsichtigten; denn flüchtend zerbrach er ihnen das Eis. Die Vögel hatten zweifelsohne vorher beobachtet, daß ein schwererer Vogel das Eis zertrümmern kaum sie kalten also nur nach den gesammelten Erfahrungen gebündelt. Demungeachtet bewiesen sie aber eine Schärfe des Verstandes, welche man ihnen gewiß nicht zugetraut hätte. Fortan war der Pelikan der allgemeine Eisbrecher im Teiche. Die Scharben hetzten und quälten ihn, so oft sich eine dünne Eisdecke über das Wasser gelegt hatte, und Dank seiner Schwere brachten sie es dahin, daß sie am längsten unter allem Geflügel und ohne unsere Hülfe das Wasser sich auch während der strengsten Kälte offen erhielten.

Dieses kluge Benutzen anderer Kräfte oder das Ausbeuten fremder Arbeit ist überhaupt etwas Gewöhnliches unter dem Wassergeflügel. Die Möven geben uns dafür alle Tage Belege. Sie haben sehr bald erkennen gelernt, daß die Tauchvögel auch dann noch Beute zu erlangen wissen, wenn die auf den Strand geworfene Nahrung bereits erschöpft ist. Sie haben gesehen, wie Scharben und Tauchenten aus der Tiefe herauf todte und lebende Fische holen und bezüglich verzehren. Darauf hin gründen sie ihren Plan. An die Scharben dürfen sie sich natürlich nicht wagen; die Enten aber sind ihnen gegenüber wehrlose Geschöpfe. Sie erscheinen also zwischen diesen, schwimmen harmlos unter ihnen umher und achten genau auf diejenigen, welche in der Tiefe verschwinden. Wehe ihnen, wenn sie mit einem Fisch im Schnabel wieder emportauchen, in der Absicht, diesen, mit dem Kopfe außerhalb des Wassers, zu verzehren! Im Nu erheben sich die leichten Möven, stürzen sich nach ihnen hin und versuchen ihnen die erlangte Beute abzunehmen. Die Tauchente will sich natürlich solches nicht gefallen lassen und taucht blitzschnell wieder mit dem Gefangenen in die Tiefe; sie ist aber gewöhnt, denselben über dem Wasser zu verzehren und kommt deshalb wieder empor. Die Möven stürzen sich zum zweiten Male auf sie; sie sinkt wiederum hinab, kommt zum dritten Male in die Höhe, und der Möve glückt es gewöhnlich doch endlich, ihr den Bissen vom Munde wegzunehmen. – Das sind gewissermaßen die stillen Stunden unserer Teichgesellschaft. Die Fütterung dagegen ist stets das Zeichen zu einer allgemeinen Erhebung.

Alle Thiere kennen die Zeit, sie wissen sehr wohl zwischen den verschiedenen Stunden zu unterscheiden; sie kennen namentlich genau die Stunde, in welcher der allgemeine Wohlthäter, Wärter genannt, ihnen das Futter zu bringen pflegt. Des Nachmittags um drei Uhr wird es an unserm Teiche lebendig. Die Marabus erheben den langen Hals, der Pelikan schaut verlangend, die Reiher recken ein Mal um das andere die Köpfe in die Höhe; die Möven laufen eilfertig hin und her, und Alles versammelt sich allgemach in der Nähe des gewohnten Futterplatzes; Groß und Klein drängt sich durcheinander. Den Scharben wird die Zeit zu lang. und sie sinnen deshalb darauf, sie durch allerlei Kurzweil zu vertreiben. Eine ihrer beliebtesten Vergnügungen ist, andere Vögel zu beißen. Dank vielfacher Uebung haben sie hierin eine so große Fertigkeit und zugleich eine so große Furchtbarkeit erlangt, daß die meisten Mitbewohner des Teichs ihnen ehrfurchtsvoll Platz machen. Aber auch sie finden ihren Meister. Die Marabus sind so leicht nicht aus ihrer Ruhe zu bringen, können aber, wenn sie dieselbe ein mal verloren haben, sehr ungemüthlich werden. Sie schmettern, gereizt, mit ihrem Keilschnabel rücksichtslos zwischen die Menge, und ihnen müssen selbst die Scharben weichen. Solche Kämpfe finden statt, noch bevor eigentlich Grund zum Streiten vorhanden; wenn aber der Wärter sich endlich zeigt, entsteht ein wahrer Aufruhr. Die klugen Möven pflegen die Ersten zu sein, welche den fischspendenden Mann in der Menge der Besucher herausgefunden haben und kündigen das frohe Ereigniß mit einem sonderbaren und nicht zu beschreibenden Gelächter an. Auf diesen Ton stürzt Alles gierig nach der einen Stelle hin; es läuft und fliegt, es taucht und schwimmt, es hüpft und rennt herbei. Die große Freiheit, welche ich vielen Vögeln gewähre, zeigt jetzt ihre Lichtseiten. Unsere Lachmöven, welche in ihren Bewegungen vollkommen unbehindert sind, stürmen schaarenweise heran; es bildet sich eine Wolke von ihnen über dem Teiche, den Schwärmen derselben Vögel zu vergleichen, welche ein nahe an der Küste dahinsegelndes Schiff umgeben. Eine um die andere stößt von oben herunter, gleitet zwischen der Masse hindurch und vermehrt dadurch noch wesentlich das allgemeine Leben. Inzwischen ist der Wärter zur Stelle gekommen und hat sich seiner Bürde entledigt. Dreißig, vierzig, fünfzig Pfund Fische, je nach dem zeitweiligen Bestand, genug für Alle, werden hier mit einem Male auf die Tafel gebracht. Aber der hungrigen Gäste sind viele, und die Eßlust ist erstaunlich groß: da gilt es also schnell sein, um nicht zu kurz zu kommen! Alles rennt, schwimmt, fliegt durch einander; jeder schlingt, so schnell er kann, möglichst viel von den Fischen hinab, und der, welcher glücklich etwas erworben, versucht damit so schnell wie möglich wegzukommen. Wirklich ergötzlich sieht es aus, wenn der Pelikan seinen Hamenschnabel dazu benutzt, die an das Land geworfenen Fische aufzuschaufeln, genau so, wie es unser Bild darstellt. Der Schnabel ist dazu durchaus nicht geeignet, demungeachtet gelingt es seinem Besitzer nicht selten, mit einer einzigen Bewegung vier bis fünf Pfund Fische einzusenken und im Kehlkropf sicher zu bergen. So viel können die Scharben mit einem Male nicht hinabschlingen; dafür aber sind sie schneller und gewandter und kommen deshalb nicht im Geringsten zu kurz. Wie Schlangen winden sich die Hälse zwischen den Leibern und Flügeln und Beinen der Vögel hindurch; ein Fisch nach dem andern wird erfaßt und mit unglaublicher Hast hinabgewürgt. Doch geht ihre Mahlzeit nicht immer so ganz ohne Störung ab. Ihre Gier läßt die ihnen angeborne Herrschsucht rücksichtsloser als je austreten, und die Strafe folgt dann den Uebergriffen auf dem Fuße nach. Störche, Reiher und Marabus bringen den gefräßigen Ruderfüßlern manchen wohlgezielten Schnabelhieb bei, und gar nicht selten müssen diese den Wahlplatz verlassen, ohne ganz befriedigt worden zu sein. Dann schwimmen sie der Mitte des Teiches zu, tauchen in die Tiefe und durchsuchen das Gewässer eifrig nach allen Richtungen, in der Hoffnung, wo möglich hier noch Etwas aufzufinden. An ein Zurückkehren zur Tafel ist nicht zu denken; denn die Mahlzeit selbst währt höchstens zwei Minuten. In dieser Zeit muß jeder Tischgenosse sich versorgt haben, wenn er nicht Hunger leiden will. Die Hoffnung, nachträglich Etwas zu erhalten, würde vergeblich sein; denn nicht einmal eine Gräte bleibt übrig!