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Unter den Montenegrinern und Muselmännern

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Textdaten
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Autor: v. C.
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Titel: Unter den Montenegrinern und Muselmännern
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 37, 38, S. 617–619, 637–642
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Unter den Montenegrinern und Muselmännern.


Es war an einem schwülen Abende während der letzten Tage des Monats Mai im heurigen blutigen Jahre. Ich saß in Gesellschaft meines Freundes, Dr. K., in dem Jägerwirthshause eines kleinen steierischen Marktfleckens, und wir kannegießerten natürlich über die Eventualitäten, die aus dem drohenden türkisch-serbisch-montenegrinischen Kriege erwachsen dürften. Die gegenüberliegende Post öffnete ihre Thür zum letzten Male, eine nur den Eingeweihten verständliche Andeutung, daß jetzt die Neuigkeiten abzuholen seien, die der Abendzug gebracht, und bald war ich im Besitze eines Briefes, den ich mit steigender Verwunderung las, um schließlich über die sonderlichen Sprünge des Zufalls in ein helles Gelächter auszubrechen.

Ein renommirtes Bankhaus in T. richtete an mich die Anfrage, ob ich gesonnen sei, eine Besichtigung der Wälder Montenegros vorzunehmen und die Ausbringungsverhältnisse an Ort und Stelle zu studiren. War der Antrag mir als Forstmann schon interessant und willkommen, so war er es doppelt bei der jetzigen Zeit und den dortigen wildkriegerischen Zuständen. Ohne mir die Schwierigkeiten und etwaigen Gefahren einer solchen Reise zu verhehlen, namentlich bei meinem schon vorgerückten Alter, acceptirte ich postwendend, packte meine Kleidungsstücke in einen neuen, recht fest construirten Koffer, nahm für alle Fälle einen Paß, und der 4. Juni, ein glühender Pfingstsonntag, fand mich schon auf der Reise nach Triest.

Meine Erlebnisse in Triest sowie meine Weiterreise über Pola, Zara und Ragusa nach Cattaro gedenke ich vielleicht später einmal zu erzählen.

Den nächsten Tag nach meiner Ankunft in Cattaro hatte ein Herr, dem ich durch einen Brief empfohlen worden war, die Freundlichkeit, meine Weiterreise nach Montenegro zu vermitteln. Der slavischen Sprache völlig unkundig, nur mittelmäßig im Italienischen bewandert, waren mir solche Hülfen unentbehrlich. Herr J. engagirte für mich einen Führer sammt Pferd, sowie eine Montenegrinerin, die meinen achtundzwanzig Kilo schweren Koffer bis Cettinje tragen sollte.

Die Zeit der Abreise war auf drei Uhr Morgens festgesetzt, damit wir vor Ausbruch der großen Sonnenhitze den Hauptaufstieg hinter uns hätten, aber pünktlich erschien nur die Montenegrinerin. Diese hob den Koffer, fand ihn wohl etwas schwer, befestigte ihn aber mit Traggurten auf ihrem Rücken und verlangte als Trägerlohn für den schrecklichen Weg nach Cettinje, den ich bald beschreiben werde und zu dessen Zurücklegung ich sieben und eine halbe Stunde brauchte, nur – einen Gulden. Die Trägerin ging einstweilen voraus, und um halb fünf Uhr erschien auch der Führer, der glücklicher Weise italienisch sprach.

An der Riva stieg ich zu Pferd, und nach einem kurzen Trabe am Meeresufer ging es steil bergan. In Zeitschriften und Feuilletous war oft die Rede von einer Fahrstraße, die zwischen Cattaro und Cettinje gebaut werden solle und schon im Bau begriffen sei, ich aber glaube, daß diese schwerlich in’s Leben treten wird. Auf österreichischer Seite hat man bis zur Grenze der Czernagora einen Reitesteg angelegt, welcher, kaum so breit, daß zwei beladene Packpferde aneinander vorbeikommen in kurzen Zickzackserpentinen derart steil in die Höhe führt, daß man innerhalb drei Stunden über tausendsechshundert Meter hinaufklettert. Dieser Steg führt an so schwindelerregenden Abhängen vorbei, daß bei mir wenigstens das großartige Panorama über die ganze Bocca und das offene Meer nicht recht zum Genusse kam. Welches Interesse hätte Oesterreich, diesen Reitweg mit enormen Kosten in einen Fahrweg umzuwandeln? Auf montenegrinischer Seite hat man allerdings mit der Anlage einer Fahrstraße begonnen, aber nur dort, wo das Terrain hierzu am günstigsten, das heißt am wenigsten schwierig erschien, z. B. auf dem Plateau oberhalb Njegusch, im Bergthale von Njegusch selbst und in der Kesselebene von Cettinje. Es wird ungefähr ein Sechstel des ganzen Weges fertig sein und dies, wie gesagt, an den leichtesten Punkten. Seit der Insurrection der Herzegowina ist jede Wegearbeit eingestellt.

Das Pferd, welches ich ritt, gehörte zwar zu den stärkeren des dortigen Gebirgsschlages, war aber leider etwas zu alt. Dieser Uebelstand machte sich unter einem Reiter, der, wie ich, über hundert Kilo wiegt, bald bemerkbar. Bis zur halben Höhe ging es gut, dann suchte aber der Gaul, wenn ich ihn nicht fest im Zügel hielt, die lästige Bürde dadurch abzustreifen, daß er meine Beine so nahe wie möglich an die in den Weg vorspringenden Felsen anzudrücken sich bestrebte, und als diese Versuche mißlangen, blieb er zuweilen ganz stehen, und konnte nur durch feste Hiebe wieder in Gang gebracht werden.

Dieses fortwährenden Streites müde, zumal bei so schmalem Wege, zog ich es vor, abzusteigen und etwa eine Stunde lang zu Fuß bergan zu klimmen, während welcher Zeit sich das Pferd wirklich so erholte, daß ich ohne fernere Anstände nach Njegusch hineinreiten konnte, welches wir um halb neun Uhr erreichten und wo Rast gemacht wurde.

Noch ehe man das Plateau von Njegusch erreicht, hört das österreichische Gebiet auf. Die Grenze ist durch keinerlei Zeichen markirt, macht sich aber dadurch bemerkbar, daß der Reitweg plötzlich abbricht und man durch die zerklüfteten Felsen einen Ziegenpfad so lange hinaufreitet, bis man die Hochfläche und auf dieser die Anfänge der montenegrinischen Straße erreicht. Das ziemlich große Dorf Njegusch liegt in einem Gebirgskessel. Hier sah ich zum ersten Male einige bebaute Felder; bis dahin war mir noch kein einziges Stückchen Ackerland vorgekommen. Wir ritten zum Wirthshause, banden das Pferd an einen Baum, wo ihm etwas Heu vorgeworfen wurde, und ließen uns nieder, nicht in einem Wirthshauszimmer – bewahre! ein solches existirt nicht – sondern unter einem vor dem Hause angebrachten Vordache. Die Wirthin brachte Wein, Schafkäse, Brod, und von ihrem eigenen Bette ein ziemlich schmutziges Kopfpolster, das sie für mich auf die noch schmutzigere Holzbank legte.

Es herrschte reges buntes Leben in Njegusch. Tags vorher war eine Partie Flüchtlinge aus der Herzegowina dort angekommen, Männer, Weiber und Kinder, deren Elend, Trübsal und Entbehrung aus den abgehärmten Gesichtern und den malerischen Lumpen heraussah. Ein Wojwode (Rangstufe, die unserem Titel: General entsprechen soll), der in Begleitung von einem Serdar (Oberst) von Cettinje gekommen, schien beschäftigt, die Flüchtlinge unterzubringen und überhaupt eine Art Controlversammlung in der dortigen Gegend abzuhalten. Es kamen und gingen Montenegriner ab und zu. Die Ankommenden küßten den Rockärmel des Wojwoden; er verzeichnete etwas auf einem Bogen Papier, hielt eine kurze Ansprache, und die Leute entfernten sich, wie sie gekommen, um anderen Platz zu machen. Mit einigen dem Anscheine nach einflußreicheren Kriegern zog er sich zuweilen in einen dunklen Raum des Wirthshauses zurück – ich weiß nicht, war es eine Tenne oder ein Kuhstall? – und schien dort geheime Instructionen zu ertheilen.

Ueber die malerische Tracht, die Bewaffnung und Gestalt der Montenegriner ist sattsam geschrieben worden. Wohl sah ich Viele, die sechs Fuß und darüber maßen, aber auch Viele nicht größer als fünf und ein halb Fuß. Aber Alle waren schlank mit breiten Schultern, hatten eine stolze, selbstbewußte, würdevolle Haltung, und aus jeder Bewegung sprach eine Elasticität und concentrirte Kraft, die nur Staunen erregen konnte. Man muß, wie ich später Gelegenheit hatte, diese an den Füßen mit Opanken bekleideten Gestalten über Felsen und Klippen mit der Genauigkeit [618] einer Gemse und der Geschmeidigkeit eines Tigers hinwegsetzen gesehen haben, um zu der Ueberzeugung zu gelangen, daß unsere besten Bergsteiger in Steiermark und Tirol dagegen nur Bleisoldaten sind. Die Anwesenheit eines Fremden schien die Neugierde oder das Mißtrauen der Männer nicht im Geringsten zu erregen; Niemand fragte nach der Richtung und dem Zweck der Reise. Mit einem Gruße war ich gekommen; mit einem Gruße ritt ich nach einstündiger Rast unbelästigt weiter.

Gleich hinter Njegusch hat die gute Straße schon wieder ein Ende, und abermals ging der Ritt bergaufwärts durch wildes Karstgebirge von grauschwarzem Kalksteine, nur dürftig bewachsen mit verkrüppeltem niedrigen Laubholze, das, stets von den zahlreichen Ziegenheerden verbissen, nie einen Höhenwuchs gewinnen kann. Ein Weg war eigentlich nicht vorhanden. Vielleicht hatte man einst die größten Felsblöcke weggewälzt, um einen bequemeren Uebergang zu gewinnen, kleinere waren aber noch viel zu viel übrig geblieben. Nur die Glätte der Felsen, welche durch den Hufbeschlag der Pferde und Maulthiere während Jahrhunderten abgeschliffen waren, ließ erkennen, daß hier ein Handelsweg factisch existirte, auf welchem häufig die größten Lasten expedirt werden, wenn auch nicht die vielen bepackten Saumthiere, die uns begegneten, dasselbe bewiesen hätten. In ganz Montenegro hat bis jetzt noch nicht das Rad eines einzigen Wagens geknarrt.

Nach ungefähr anderthalb Stunden hatten wir endlich den Gebirgsrücken erreicht, dann ging es jäh abwärts zur Thalebene von Cettinje. Selbstverständlich konnte von einem Sitzenbleiben auf dem Pferde hierbei nicht die Rede sein, sondern man mußte mühsam hinabsteigen über treppenförmige Klippen und Felsstücke, bis nach halbstündigem erschöpfendem Marsche in der Mittagssonne die Ebene von Cettinje und mit ihr ein neues Stück Fahrstraße erreicht war.

Der Hufbeschlag der Pferde ist für diese Gebirgstouren äußerst praktisch. Er besteht aus einer dem Hufe angepaßten ovalen Scheibe von drei Millimeter Dicke, welche in der Mitte ein ovales Loch hat und mit einem Eisenrand zum Schutze des Hufs versehen ist.

Der Gebirgskessel, in welchem Cettinje liegt, ist ungefähr zwei Kilometer lang und fünfhundert Meter breit. Das Städtchen liegt aber nicht in der Mitte, sondern ziemlich am nordöstlichen Ende desselben und besteht aus einigen fünfzig einstöckigen ziegelgedeckten Steinhäusern mit vier bis sechs Fenstern, nebst vier größeren Gebäuden. Letztere sind: das Schloß des Fürsten, einem größeren behäbigen Landwohnsitze ähnlich, mit Garten und anschließender Gartenmauer, das Spital, der Gasthof und das Mädchenpensionat, wo die Töchter der Helden aus den schwarzen Bergen unter einer russischen Vorsteherin in diversen Sprachen und Wissenschaften unterrichtet werden, von denen ihre Väter keine Ahnung haben.

Es war an einem Sonntag, als ich gegen halb ein Uhr das Städtchen erreichte und schon von ferne eine große Masse Männer auf dem Wiesenplan versammelt sah, theils stehend, theils sitzend und liegend hinter den in Pyramiden zusammengestellten Gewehren. Es mochten etwa drei- bis vierhundert Montenegriner sein, alle in stattlicher beliebiger Sonntagstracht, denn von einer gleichmäßigen Uniformirung ist natürlich keine Rede. Sie hatten eben eine Waffenübung beendet behufs Einübung mit den jüngst vertheilten Hinterladern. Cettinje hat nur zwei Straßen. Die eine läuft gerade aus und schließt mit dem gegenüberliegenden Gasthofe ab; die andere, kürzere führt von dieser in rechtem Winkel zum Schlosse des Fürsten. Die Straßen sind breit, reinlich und mit Laternen versehen. Ich ritt zum Gasthofe, begehrte ein Zimmer und war überrascht, ein solches zu bekommen, ausgestattet mit allem Comfort großer Städte. Mittlerweile hatte auch meine Montenegrinerin, die wir unterwegs eingeholt und die dann immer wacker mit uns Schritt gehalten, den schweren Koffer in die Stube gebracht und verließ mich dankerfüllt, da ich ihr außer dem vereinbarten Gulden Trägerlohn noch einen zweiten gegeben. Da mich der Kellner benachrichtigt, daß gleich table d’hôte gespeist werden solle, machte ich rasch Toilette und ging in’s Speisezimmer hinunter. Es saßen dort eine Menge Herren um einen enormen Speisetisch, der mit Couverts überladen war, unter anderen ein Minister des Fürsten, in allen Sprachen sehr unterrichtet, aber Nicht-Montenegriner, ein Herzog von Genua, dessen Aufenthaltsmotiv mir unbekannt blieb, ein französischer Capitän, der die Artillerie Montenegros organisiren sollte und irgendwo in einem Hafen angekaufte Kanonen versteckt hielt, russische Agenten, Aerzte und Pharmaceuten, Zeitungsreporter und Andere mehr. Das Gespräch wurde meistens in serbischer und französischer Sprache geführt. Nach Tische schickte ich ein Telegramm in die Heimath, für welches ich nur einen Gulden bezahlte, gab dann meine Empfehlungsbriefe ab, jedoch ohne die Herren zu Hause zu treffen, und ging in das dem Speisezimmer gegenüber befindliche Café des Gasthofes. Dort war Alles so besetzt, daß ich nur hinter dem Schenktisch ein Plätzchen erobern konnte, von wo aus ich bei einer Flasche Grazer Bier im anständigen Preise von fünfzig Kreuzern meine Umgebung musterte. Da trat ein reichgekleideter Montenegriner an mich heran und fragte auf französisch, ob ich nicht der Herr C. sei. Als ich dies bejahte, stellte er sich als M., Adjutant des Fürsten, vor, für den ich einen Empfehlungsbrief abgegeben.

Nachdem wir über meine forstliche Mission, über Krieg und andere Dinge der Tagesordnung geplaudert, lud er mich zu einem Spaziergange durch Cettinje ein, wie ich denke, hauptsächlich in der Absicht, um meine fremde Erscheinung den zahlreich in den Straßen versammelten Montenegrinern als persona grata darzustellen. Unterwegs begegneten wir einem anderen vornehm aussehenden jungen Manne, einen Vetter des Fürsten aus dem Heldengeschlecht der Njegusch-Petrovic, der ebenfalls französisch sprach und uns einlud, die Zelte zu besuchen, in welchen die in der Herzegowina verwundeten Söhne der schwarzen Berge unter dem russischen rothen Kreuze geheilt wurden.

Ich sah in zwei Feldlazarethen und schließlich im großen Spital selbst ungefähr vierzig mehr oder minder schwer verwundete Männer unter der sorgfältigsten Pflege. Aerzte, Apotheker und Wärterinnen, Alle sind Russen, und mit russischem Gelde wird der ganze Apparat unterhalten. Unter den Verwundeten befand sich auch ein junger Bursche von höchstens fünfzehn Jahren.

„Der ist doch noch zu jung für das rauhe Kriegshandwerk,“ meinte ich.

„Lassen Sie das gut sein!“ entgegnete mein Begleiter, „der hat schon drei Türkenköpfe abgeschnitten.“

Wir standen am Fußende des Bettes, und der Bursche mochte ahnen, da er sicher kein Französisch verstand, daß von seinen Heldenthaten die Rede war, denn sein Mund verzog sich zu einem breiten Lachen, wodurch zwei Reihen scharfer weißer Zähne sichtbar wurden, und seine Augen leuchteten grünlich wie die eines Wolfes.

Nachdem ich mich von meinen Begleitern verabschiedet, ging ich in’s Cafe zurück, wo ich die Bekanntschaft des deutschredenden Musikdirectors der Czernogora, eines Böhmen, machte. Drei Jahres hindurch hat dieser Herr halbwüchsige Hirtenbuben, wie er sie aus den Bergen eingefangen, zu Musikanten herangebildet, so daß außer den Nationalmelodien auch größere Stücke aus italienischen Opern ausgeführt werden konnten; da erklärten die jungen Leute ihre Lernzeit für beendet und forderten für ihre ferneren Leistungen Bezahlung. Sintemal aber die Landescasse, bei einer jährlichen Einnahme von etwa 45,000 Gulden, Alles in Allem, nicht in der Lage war, diese außerordentliche Ausgabe zu bestreiten, mußte man leider auf diesen Luxus verzichten. Das Musikcorps wurde bis auf bessere Zeiten aufgelöst und tritt nur bei außergewöhnlichen Fällen in Thätigkeit.

Durch Mittheilung des Musikdirectors erfuhr ich denn auch, daß ich mich inmitten der Gesellschaft der berühmtesten Helden Montenegros befand, deren Namen er auch nannte, – ich habe sie vergessen. Diese Herren spielten musterhaft Billard, auch Schach und Karten, oder saßen ernsthaft, ihre lange türkische Pfeife rauchend, beim schäumenden Bier. Handschar und Pistolen legten aber auch die Billardspieler nicht ab, obwohl sie dadurch beim Stoßen oft genirt wurden.

Als größten Helden zeigte man mir den Wojwoden Marko M., einen schon grauhaarigen, nicht gar so gefährlich aussehenden Mann, der bereits sechszig Türkenköpfe abgeschnitten hat. Wahrscheinlich ist jetzt das Hundert voll, da er, wie ich aus den Zeitungen ersah, eine siegreiche Abtheilung im Süden Montenegros commandirt. Seitdem diese Herren russisches Gold [619] in den Taschen haben, wird das Café nicht leer. Dieses, sowie das ganze Hôtel besteht erst seit einigen Monaten in seiner jetzigen vollkommeneren Einrichtung, nämlich seitdem so viele Russen und sonstige Fremde in Cettinje verkehren; früher soll Alles äußerst primitiv gewesen sein. Auch ein türkischer Oberstlieutenant in voller Uniform befand sich unter den Gästen. Derselbe war einer Commission zugetheilt worden, um Pferde zu kaufen, wußte aber seine Collegen zu täuschen und desertirte mit dem Betrage von hundertfünfzig Napoleonsd’or. So hat der Schuft selbst erzählt.

Am andern Tage suchte und fand ich durch freundliche Vermittelung einen Führer, der etwas italienisch sprach, und brach nach Rjeka auf, um von dort aus in die Waldungen der Czernagora weiter einzudringen. Der Weg nach Rjeka ist womöglich noch schlechter als der von Njegusch nach Cettinje. Die ersten drei Viertel Stunden geht es auf rauhem Felspfade steil aufwärts, um dann in weiteren drei Stunden gegen dreizehnhundert Meter hinunterzusteigen. Da mein Pferd auch wieder zu schwach war für den schweren Reiter, so mußte ich bei brennender Sonnenhitze, welche mit wolkenbruchartigem Gewitterregen abwechselte, den ganzen Abstieg zu Fuß machen.

Schon ehe man Rjeka erreicht, ändert sich der Charakter der Landschaft. Anfangs nur sterile Felspartien, dann hier und da urbares Land mit Mais und Kartoffeln bebaut, noch tiefer Weinberge, und nahe der Thalsohle, an sanfteren Hängen, in Mulden und kleinen Thälern, allüberall wo sich nur Humus bilden konnte, eine reiche Vegetation von Weinreben, Maulbeerbäumen, Feigenbäumen mit reifen bräunlichen Früchten, zahme Kastanie, Oelbäume, üppig wachsende Tabakfelder, Alles durchleuchtet von den rothen Blüthen der Granatbäume. In Rjeka begann das Reise-Elend, was Kost und Nachtquartiere betraf; in Cettinje hatte ich das letzte Bett gesehen. Und von dort hatte ich noch drei Tagereisen zu machen bis zum Quellengebiete der Muraca, durchschnittlich täglich zehn Stunden, dabei nur zwei kleinere Ortschaften berührend, nämlich Danilograd und Rovce. Ich übergehe die Nächte auf dieser Reise mit ihren Plagegeistern jeder Art, die aber der todmüde Körper kaum verspürte; ich mag nicht erzählen von der schlechten Kost, aus Ziegenfleisch, Ziegenkäse und frischgebackenem kleberigem Maisbrode bestehend, bei deren Erinnerung ich noch heute einen Brechreiz empfinde, noch von dem stets warmen, aber zum Glück kräftigen Rothweine, den wir in einem Ziegenschlauche, dessen Haare nach innen gekehrt waren, am Sattel mit uns führten; auch mag ich nicht den Leser ermüden mit stets wiederholten Klagen über die halsbrecherischen Wege.

Die Berge der Czernagora, die ich bisher gesehen, waren alle kahl und nur mit kurzem Gestrüpp bedeckt, im Nordosten des Landes aber, von der Muraca und ihren Seitenflüssen durchsetzt und zerklüftet, zieht sich ein gewaltiger Gebirgsstock hin, das Rovcigebirge mit dem zweitausend Meter hohen Dormitor als größte Erhebung. Diese wilden Alpenzüge, gleichfalls aus dunkelgrauem Kalkfelsen gebildet, tragen auf einer Fläche von circa neunzigtausend Hectares, dem fünften Theile des Fürstenthums, einen eigentlichen wahren Urwald von Fichten und Edeltannen, im Gemisch aller Altersclassen, aber durchschnittlich zweihundert Jahre alt. Bis jetzt ihres entlegenen Standortes wegen von der Axt verschont, sollten in nächster Zukunft diese Riesenstämme von fünfzig bis siebenzig Meter Höhe und fünfzig bis hundertfünfzig Centimeter Stammdurchmesser der Speculation zum Opfer fallen. Aber dem conservativen Forstmanne zur Beruhigung sei’s gesagt, ihre Stunde hat noch nicht geschlagen. Die mühseligen Transportverhältnisse verursachen einen Kostenaufwand, der mit den jetzigen Holzpreisen nicht im Verhältnisse steht.

In Rjeka, wohin ich nach wöchentlicher Abwesenheit zurückkehrte, hatte ich meinen Koffer gelassen, weil ich von dort, der Wasserstraße folgend, die das Holz im Falle einer Schlägerung zu nehmen hätte, über Albanien das adriatische Meer gewinnen wollte. Diese Wasserstraße genau kennen zu lernen, war für das projectirte Geschäft von großer Wichtigkeit. Die Stimmung in Montenegro war indessen immer kriegerischer geworden; allenthalben sind Hinterlader nebst Munition ausgetheilt, und allgemein wird der 27. Juni als Tag des Losschlagens bezeichnet. Dieser Zustände wegen konnte ich nur mit Mühe ein Boot mit der Besatzung von fünf Montenegrinern auftreiben, die mich für den hohen Preis von vierzig Gulden nach Scutari bringen sollten.

Ehe ich von der Czernagora auf Nimmerwiedersehen Abschied nehme, will ich noch einige Worte über Charakter und Sitten dieses halbcivilisirten Bergvolkes hinzufügen. Die Montenegriner sind ein „Volk in Waffen“ in der strengsten Bedeutung des Wortes. Vom Knaben an, sobald er mannbar geworden, bis zum Greise ist die rothe Schärpe, die den Leib umgürtet, mit Pistolen und Handschar geziert, die oft das werthvollste, häufig das einzige Vermögen ihres Besitzers repräsentiren. Die Pistolen, meistens mit eingelegter Arbeit versehen, haben durchweg Steinschlösser und sehr großes Kaliber. Ich halte sie mehr für Paradestücke, auch sind sie in neuerer Zeit häufig durch die praktischeren Revolver verdrängt worden. Der Handschar, durch Generationen vererbt, ist das Heiligthum des Besitzers. Dieser weiß genau aufzuzählen, wie viel Türkenköpfe seine Ahnen und er damit abgeschnitten. Sein Haß gegen diesen fünfhundertjährigen Erbfeind ist grenzenlos.

Das Benehmen und die Sprachweise des Montenegriners sind ernst und würdevoll; sein Ehrgefühl ist in so hohem Grade ausgebildet, daß ein Stockschlag auf der Stelle mit dem Tode gerächt wird, ohne daß das Gesetz den Mörder bestraft. Gemeiner Diebstahl wird gesetzlich mit Verbannung aus dem Lande oder nach Amnestie des Verbrechers im Wiederholungsfalle mit dem Tode gebüßt. Bei Ehebruch steht dem beleidigten Gatten das Recht zu, beide Theile zu tödten. Jedes intimere Verhältniß zwischen beiden Geschlechtern muß mit der Ehe abschließen; tritt der Mann zurück, so wird er von den Verwandten des Mädchens rettungslos getödtet; ein Zurücktritt des Mädchens ist nicht denkbar.

Der Montenegriner ist zu stolz zur gewöhnlichen Arbeit; alle Arbeiten im Hause, sowie auf dem Felde werden durch die Frauen verrichtet; selbst die Professionisten im Lande sind meistens Dalmatiner. Der Mann stählt seine Körperkraft durch förmlich homerische Spiele und übt sich in den Waffen. Sein ganzes Sinnen und Trachten geht dahin, ein Held zu werden, um in den Volksliedern fortzuleben. Lesen und Schreiben hält er zu diesem Berufe nicht für unumgänglich nothwendig, obgleich jetzt in den meisten Dörfern Schulen errichtet sind. Handel mit Ziegen und Schafen, mit Wein, Tabak, Oel und Gerber-Sumach sind die Haupterwerbsquellen. Die Frauen sind von mittlerer Größe, kräftig, aber nicht besonders schön, doch alle haben einen freundlichen angenehmen Gesichtsausdruck und prachtvolle Zähne. Die gewöhnliche Kleidung derselben ist: dunkles Kopftuch nach italienischer Manier getragen; weißwollenes, schwarz eingefaßtes und verziertes Ueberkleid ohne Aermel, vorne offenstehend; schneeweißes langes Hemd, hoch am Halse zugezogen und die Arme bedeckend; von der Taille abwärts schwarzwollene lange Schürze. Die Füße stecken entweder in Opanken oder in ausgeschnittenen schwarzen Schuhen mit weißen Strümpfen. Die ganze Tracht in ihrer Einfachheit ohne schreiende Farben macht einen keuschen und gewinnenden Eindruck.

[637] Es war ein thaufrischer herrlicher Morgen. Die Nachtigallen sangen von den Granatbäumen der Berge, als ich, ohne jedoch wie Romeo eine glückliche Nacht durchlebt zu haben, in Rjeka mit meinen fünf Bootsleuten die Barke bestieg, die mich nach Scutari bringen sollte. Kaum eine Viertelstunde unterhalb dieses Ortes verliert der Fluß gleichen Namens seinen Charakter als Fluß und wird bei seitwärts weit zurücktretenden Ufern ein stehendes Wasser, dicht bewachsen mit weißen und gelben Wasserrosen, durch welche ein offener Wasserstreifen führt. Zahlreiche Möven, sowie kleine weiße und graue Reiher durchkreuzen die Luft, und schwarze Wasserhühner tummeln sich auf den lederartigen Blättern der Nymphäen; bei unserem Näherkommen tauchen sie plötzlich unter.

So ging es zwei Stunden, bis wir zum Scutarisee kamen. Gleichzeitig mit der Rjeka ergießt sich die von Nordosten kommende Muraca, ebenfalls als stagnirendes Wasser, in den See. Wir sind bereits in der Türkei. Auf einer Felseninsel, gleich am nördlichen Theile des Sees, wo dieser noch ziemlich schmal ist, liegt ein türkisches Fort; es könnte mit seinen Kanonen leichthin die Passage von jeglichem Schiffe auf beiden Seiten verhindern. Als wir in die Nähe desselben gekommen, luden meine Montenegriner die mitgenommenen Hinterlader und stellten sie mit den Mündungen herausfordernd an den Rand des Bootes, der den Türken zugekehrt war. Die Besatzung des Forts erschien zwar auf den Wällen, aber da der Krieg factisch noch nicht erklärt war, kam es zu keinen Feindseligkeiten. Ich glaube gar nicht, daß das Fort Kanonen besaß, denn die hierzu bestimmten Schießscharten erschienen leer. Immer weiter schwamm die Barke, von kräftigen Fäusten getrieben, auf dem schönen klaren See; immer heißer brannte die Sonne und zeigte die kahlen steilen Berge, die im Norden und Westen den See einrahmen, in ihren feinsten Contouren. Kein Schiff, kein Nachen begegnete uns. Höchst selten zeigte sich ein armes Fischerdörfchen am Ufer, nur zahlreiche weiße Reiher flogen an uns vorüber, und einzelne scheue Pelikane schwammen auf der ebenen Fluth, gleich kleinen Schiffen ohne Mast, doch mit weit vorragendem Bugspriet. Ganz fern im Norden Montenegros zog ein Gewitter zusammen. Es war elf Uhr Morgens, als meine Begleiter nach sechsstündiger Fahrt erklärten (einer derselben sprach etwas italienisch), wir hätten den halben Weg zurückgelegt und sie wollten jetzt rasten und essen. Zu dem Zweck wurde auf eine Felsenklippe zugerudert, die ziemlich weit in den See vorragte und an deren Hang zwei Bäume ihren Schatten warfen, die einzigen in der ganzen Gegend. Ich hatte ein halbes Lamm braten lassen und mitgenommen, sowie für Wein gesorgt.

Nach halbstündiger Rast ging es abermals vorwärts, gegen Scutari zu. Das Gewitter folgte uns langsam nach, begleitet von der eigenthümlichen stechenden Sonnenhitze. Um drei Uhr war die Sonne so brennend heiß, daß meine Leute stets trinken und Kopf und Hände mit dem kühlen Seewasser benetzen mußten. Ich hatte unvorsichtiger Weise den Rock ausgezogen und saß in weißen Hemdärmeln, den Kopf und einen Theil der Schultern wohl durch einen breitrandigen Panamahut geschützt, aber meine beiden Arme derart dem Sonnenstich ausgesetzt, daß sie bei meiner Ankunft in Scutari roth angeschwollen waren und heftig schmerzten. Je mehr wir uns Scutari näherten, desto häufiger wurden die Dörfer am Seeufer und die Nachen, welche, von der Stadt kommend, uns begegneten.

An den Nachen der Türken fuhren wir mit gegenseitigen grimmigem Anstieren vorüber, waren aber die Boote mit christlichen Albanesen besetzt, welche sich durch die Tracht von den Mohamedanern unterscheiden, so entstand ein lebhafter eiliger Austausch von Fragen und Antworten. Zahlreiche Schüsse krachten aus den verschiedenen Barken, denn in Scutari hatte man auch unter die mohamedanischen Albanesen Hinterlader vertheilt; auf Reiher und Pelikane wurde bei den unglaublichsten Distanzen geschossen. Ich erwartete jeden Augenblick eine Kugel in unser Boot fliegen zu sehen, und die Montenegriner schienen diese Besorgniß zu theilen. Sie erklärten mir, daß sie sich, laut eingezogener Erkundigung, nicht mehr in den Hafen von Scutari hineinwagen [640] dürften und mich deshalb in einem christlichen Dörfchen an’s Land setzen würden, wo sie auch zu übernachten gedächten. So geschah es auch, trotz meines Protestirens. Nach Allem, was ich später selbst erfahren, kann ich den Leuten heute nicht Unrecht geben.

Zum Glücke war im Oertchen bald ein kleiner Kahn gefunden, und zwei kräftige Albanesen ruderten mich und mein Gepäck in einer halben Stunde bis zum türkischen Mauthamte, woselbst ich nach zwölfstündiger Fahrt an’s Land stieg. Der Seeanblick von Scutari war wunderschön.

Die Sonne stand schon tief im Westen und warf ihre schrägen, glühend rothen Strahlen auf den Wasserspiegel. Dieser, von einem leichten Gewitterwind erregt, blitzte und leuchtete aus tausend gekräuselten Wellen. Im Norden standen schwarze Gewitterwolken, zeitweilig durchzuckt von fernen Blitzen. Der Donner rollte dumpf in den Gebirgen. Das weit ausgedehnte Scutari, sanft vom Ufer aufstrebend, mit seinen schlanken Minarets und den vielen dichtbelaubten Bäumen in den Gärten und Friedhöfen der Stadt, stand in vollster Abendbeleuchtung, und ein Hügel am Ufer des Sees war mit weiß-schimmernden Soldatenzelten übersäet, beherrscht von einem größeren Zelte, ganz aus grünem Zeuge. Eine Schaar neugieriger Mauthbeamten umringte mich sofort. Ein alter Türke mit fliegendem schneeweißem Schnurr- und Knebelbarte, den Yatagan und zwei Pistolen im Gürtel, bedeutete mich, den Koffer zu öffnen. Da ich kein Wort der vielen an mich gerichteten Fragen verstand, so nahm ich all mein Türkisch zusammen und sprach: „Drago-man.“ Das half. Es wurde ein junger Mann herbeigerufen, der geläufig französisch sprach. Mit dessen Vermittelung ging denn auch die Visitation glücklich zu Ende, zumal ich, um keine Plackereien zu haben, niemals zollpflichtige Sachen ankaufe. Ferner hatte dieser Herr die Gefälligkeit, einen Gepäckträger für mich anzuwerben und mir das Gasthaus des Anastasio Papanico zu empfehlen, als das einzige einigermaßen anständige in Scutari, für mich besonders geeignet, da der Sohn des Hauses französisch spreche. Von der Mauth bis zum Gasthause mußte ich wohl eine halbe Stunde marschiren, von allen Begegnenden mit meist finsteren, mißtrauischen Mienen angegafft. Der bevorstehende Krieg mochte wohl schuld hieran sein; außerdem sind abendländische Fremde selten in Scutari. Das Gasthaus verfügte nur über zwei bessere Fremdenzimmer, und diese waren von einem türkischen Divisionsarzte, Obersten (Dey) Dr. Matkovic, einem so enragirten Türken, wie es nur ein Renegat sein kann, und einem Feldtelegraphendirector besetzt. Ich, an montenegrinische Quartiere gewöhnt, war auch mit einer schlechteren Kammer zufrieden und fand über meine Erwartung sogar ein leidliches Bett. Kaum hatte ich Wäsche gewechselt und meinen ersten schrecklichen Durst gestillt, als auch schon ein Polizeicommissar mit seinen ganz roth gekleideten Häschern erschien, um das Woher, Wohin und Warum des Fremdlings zu erkunden, der direct aus dem Lande des türkischen Erbfeindes dahergeschwommen. Ich schrieb ausführlich mein ganzes Nationale nebst Zweck der Reise französisch nieder, und der Sohn des Wirthes übersetzte dies in’s Türkische. Scheinbar befriedigt, entfernte sich der Commissar mit seinen Trabanten, wahren Galgengesichtern, aus denen man das Mißbehagen ablas, mich nicht mitschleppen zu können.

Seit Cettinje fand ich zum ersten Male ein ordentliches Nachtmahl, welches ich gemeinschaftlich mit dem Divisionsarzte und Telegraphendirector in der zum Speisesaale umgewandelten Stube des Hausknechts verzehrte. Beide Herren sprachen französisch, und Beide hielten mich, wie ich aus ihren Fragen und Reden entnahm, für einen Agitator oder gar für einen Spion.

Am folgenden Morgen durchlief ich mit dem Sohne des Wirthes die Stadt, besah den mehrere Straßen entnehmenden Bazar mit den offenen Verkaufslocalen, Garküchen und Werkstätten und ließ mich schließlich in ein Geschäftslocal führen, wo ich eine Barke miethen wollte, um den Wasserlauf und die Tiefe des Flusses Bojanna zu untersuchen, der, den Scutarisee berührend, diesen mit dem adriatischen Meere in Verbindung setzt.

Die beiden Repräsentanten der Firma hatten vielleicht ein Commissions- und Speditionsgeschäft, jedenfalls großen Zuspruch von Clienten und Geschäftsfreunden. Würdevoll mit gekreuzte Beinen auf den Teppichen einer Art Tribüne sitzend, zu welcher drei Stufen hinaufführten, empfingen sie die einzelnen Parteien mit dem orientalischen Gruße, die Hand auf Stirn und Herz legend, und diese setzten sich, die Pantoffeln auf den Stufen lassend, gleichfalls auf die Tribüne, um mit kurzen Worten das Geschäft abzuschließen. Sofort, wenn ein Gast die Pantoffeln ausgezogen, eilt ein Diener herbei und dreht dieselben in die umgekehrte Richtung, damit der Besucher beim Fortgehen wieder bequem hineinschlüpfen kann. Jedenfalls eine große Aufmerksamkeit. Außerdem waren zwei junge Leute beständig beschäftigt, Kaffee zu serviren und glühende Kohlen für die Cigarretten und Tschibuks darzureichen.

Scutari ist eine Stadt von 32,000 Einwohnern mit durchaus asiatischem Charakter. Die meist von Gärten umgebenen Wohnhäuser mit den eng vergitterten Fenstern der Frauengemächer, die fünf Moscheen, von ebenso vielen großen baumreichen Friedhöfen umschlossen, die dicht verschleierten und verhüllten Türkinnen, die christlichen Albanesinnen, unverschleiert, mit seidenen Hosen und rothen goldgestickten Mänteln, die zahlreichen Packpferde und Esel, zuweilen ein von Ochsen gezogener Karren, ganz von Holz ohne den geringsten Eisenbestandtheil, versehen mit zwei enormen Rädern von sechs Fuß Durchmesser, das rege Leben der hier concentrirten türkischen Truppen in ihren verschiedenen Uniformen, dazwischen von den Minarets das singende Rufen der Muezzins zum Gebet, dazu die erschlaffende Hitze – dies Alles versetzte mich in eine eigenthümliche träumerische Stimmung.

Kaum auf mein Zimmer zurückgekehrt, sah ich den Gouverneur von Albanien vorbeifahren, um dem österreichischen Consul einen Besuch abzustatten: zwei Vorreiter, den gespannten Carabiner aufrecht auf die Lende gestützt, dann der Wagen mit dem Pascha, dahinter zwei Ordonnanzofficiere und schließlich wieder zwei Reiter mit schußfertigem Carabiner. Ich ahnte nicht, daß dieser Besuch durch meine Person veranlaßt worden sei.

Kaum hatte ich zu Mittag gespeist, wobei ich mich nach acht Tagen zum ersten Male an Rindfleisch delectirte, so erschien ein Haiduck des österreichischen Consuls und ersuchte mich, ihn zu seinem Herrn zu begleiten. Ich folgte in’s Consulat und wurde von einem sehr artigen Herrn empfangen, der mir mittheilte, daß der Pascha gegen meine Person großes Mißtrauen hege und daß es in meinem eigenen Interesse liege, mich möglichst gründlich zu legitimiren. Ich gab dem Consul meinen Paß, sowie das Schreiben, in dem ich zur Besichtigung der Wälder in Montenegro aufgefordert worden war. Aus diesen Papieren machte er sich Notizen und versprach, dem Pascha jetzt derart beruhigen zu wollen, daß mich die Polizei nicht weiter belästigen würde. Nach Einnahme der obligaten Tasse Kaffee, bereits der sechsten an diesem Tage, empfahl ich mich. Am nächsten Morgen fuhr ich mit vier albanesischen christlichen Bootsleuten die Bojanna hinab, untersuchte hier und da die Tiefe des Wassers und drang so weit vor, wie es der Gegenfluß des Meeres der Ruderkraft gestattete. Die Gegend in der Richtung zum Meere ist flach und fleißiger angebaut, als ich dies bisher gesehen, obgleich die Cultur auch hier noch viel zu wünschen übrig läßt.

Bei den zahlreichen Niederschlägen und der großen Wärme ist die Vegetation üppig und reich. Ein herrliches Stimmungsbild bot am Ufer die Ruine einer christlichen Kirche, halb versteckt unter dem Schatten riesiger Maulbeer- und Wallnußbäume, von blühenden Schlingpflanzen überwuchert, dabei belebt von vielen hundert Dohlen, die durch das Boot aufgeschreckt, schreiend umherflogen.

Da die Bojanna bei ihrem Austritt in’s Meer keinen Hafen hat, so ankern die Handelsschiffe, die mit Scutari verkehren, zwei Stunden von dieser Stadt entfernt, beim Dörfchen Abot. Näher können sie nicht heran kommen, weil die Bojanna bei Scutari zu seicht wird. Gegen Abend war ich zurück in Scutari, aber auch der Polizeicommissar erschien bald darauf, wenn auch dieses Mal ohne Begleitung seiner spitzbübisch aussehenden Trabanten. Er erkundigte sich in Auftrage des Gouverneurs, was ich auf der Bojanna zu thun gehabt hätte, und meine vielleicht nicht gut übersetzte Erklärung schien ihn so wenig zu befriedigen, daß schließlich der Consul wieder beruhigend für mich eintreten mußte. Aber noch an demselben Abend schickte dieser Herr seinen Secretär mit der Mittheilung zu mir, der Statthalter habe erklärt, da ich jetzt Alles gesehen hätte, was mich interessire, so wäre es ihm höchst angenehm, wenn ich die Stadt verließe.

[641] Gegen diese halbe Ausweisungsordre ließ sich nicht opponiren; ich gab die Versicherung, daß ich am andern Morgen nach Antivari abreisen würde.

Durch Vermittelung des jungen Papanico war ausgemacht worden, daß der kaiserliche Postillon, der die Post zwischen Scutari und Antivari reitet, mir ein gutes Pferd besorgen und mich mitnehmen solle. Pünktlich um fünf Uhr früh war der junge, wirklich schöne Mann vor meiner Thür. Auf der einen Seite seines kräftigen Packpferdes hingen die Poststücke; auf der anderen befestigte er meinen Koffer, dann schwang er sich selbst hinauf. Ich bestieg einen schönen breitbrüstigen Schimmel mit bequemem türkischem Sattel und verließ Scutari, froh der summarischen Paschajustiz entgehen zu können. Von Scutari nach Antivari bestand früher einmal ein gepflasterter Reitweg. Um denselben in irgend einem Kriege unwegsam zu machen, hat man das Pflaster in Unterbrechungen von etwa je einer Büchsenschußweite aufgerissen. Da du ersten vier Wegestunden meistens in der Ebene fortlaufen, und zwar über Moorboden, der durch die häufigen Gewitterregen tief aufgeweicht war, so hatten sich in den pflasterlosen Stellen wirkliche Sümpfe gebildet, deren festere Durchgänge man genau kennen mußte, um nicht mit dem Gaul stecken zu bleiben. Ich ritt deshalb dicht hinter dem Postillon und folgte dessen Fährte auf das Genaueste. Wie anstrengend aber ein Ritt von vier Stunden ist, auf dem man seine Aufmerksamkeit nie vom Pferde und vom Wege abwenden darf, weiß nur der, welcher schon einmal solche Höllenwege gemacht hat. Endlich bekamen wir festes Land unter die Hufe, und dann ging es aufwärts über den Gebirgsrücken, der sich zwischen Scutari und Antivari bis an’s Meer hinzieht. Das waren wieder montenegrinische Reminiscenzen, aber es war immerhin besser als der scheußliche Sumpfritt. Um elf Uhr machten wir Mittag bei einem einzelnen Hause hoch oben im Gebirge, wo sich gutes Wasser vorfand. In meinen Satteltaschen war Wein und Fleisch aus der Küche Papanico’s genug vorhanden, aber mein Postillon, mit dem ich übrigens kein Wort reden konnte, aß rasch und trank wenig. Als ich eben, lang hingestreckt, eine Cigarre rauchen wollte, führte er schon wieder die knappgefütterten Pferde vor. Da half keine Widerrede in Zeichen und Geberden; er zog die Uhr heraus und schüttelte ernst den Kopf. Also vorwärts!

Ich glaube nicht, daß ich während meiner Touren durch die Czernagora und Türkei irgendwo einer persönlichen Gefahr durch Menschen ausgesetzt gewesen, wäre es auch wohl ohne Reisebegleitung nicht, dort aber, scheint mir, ziemlich oben auf dem Gebirgskamme Albaniens, hätte sich doch der Fall ereignen können.

Der Postillon war ungefähr hundert Schritte voraus, als er auf einmal sein Pferd anhielt. Als ich mich ihm näherte, sah ich acht oder neun wild aussehende Burschen in zerfetzter Landestracht, alle mit langen türkischen Flinten, Pistolen und Messern bewaffnet, auf dem Boden lagern und uns, leise sprechend, aufmerksam betrachten. Nachdem ich beim Postillon angelangt, der mich ruhig erwartete, ritt dieser ohne irgend ein Wort oder Zeichen im Schritt weiter, und ich folgte ihm, an der Gruppe vorbei, die uns lautlos anstarrte. Er würdigte sie keines Grußes und keines Blickes. Endlich ging es bergunter, und das ewige Meer blitzte mir grüßend entgegen. Mir war zu Muthe, als wäre ich einem Gefängniß entflohen. Vor mir breitete sich wieder das Leben aus mit den Freuden und Genüssen der Civilisation.

Da der Abstieg steil und schwierig, so waren wir abgestiegen und folgten den Pferden, die mühsam und vorsichtig zwischen den Felsen hinunter kletterten. Nie hat mir bei dieser heißen Arbeit ein Wasser so gut geschmeckt, wie der kalte Quell aus dem schönen gewölbten Laufbrunnen auf der Hälfte des Weges. Der Cultus des Wassers ist das Schönste, was ich in der Türkei entdeckt; auch Scutari besitzt vorzügliches Trinkwasser.

Am Fuße des Berges angekommen, stiegen wir in den Sattel und ritten meistens in kurzem Trab durch die etwa stundenweite Ebene, die Antivari vom Meere trennt. Die Stadt und Festung liegt auf einem niedrigen Vorberge der gewaltigen Gebirgskette. Sie blieb uns zur rechten Hand, denn wir eilten direct auf die Riva zu. Ein eigentlicher Weg war es nicht, dem wir folgten. Wir ritten zwischen Hecken, auf Fußpfaden, über Oedland, über kleinere Bäche, stets durch eine blühende Wildniß von Tamarisken, Granatbäumen, Berberitzen, Waldreben, Bryonien und verstrickenden Brombeerstauden, bis wir gegen vier Uhr Nachmittags, also nach elfstündigem Ritt, an dem Hafen Antivaris ankamen. Vier Häuser sind an dem Strande gebaut: das Zollhaus, ein Wirthshaus, ein Gebäude mit der Agentur des österreichischen Lloyd und ein Contumazgebäude.

Mein Postillon brachte mich nach abermaliger Koffervisitation in’s Wirthshaus. Ich verlangte ein Zimmer, das mir auch bereitwilligst zugesagt wurde, ließ meine Effecten hineintragen und folgte, um mich umzukleiden, da ich vor Hitze keinen trockenen Faden am Leibe hatte. Der erste Stock hatte geräumige Zimmer, stand aber ganz leer; im zweiten wurde mein Zimmer aufgeschlossen, dessen ganzes Meublement in einer Strohmatte am Boden mit darübergelegter zerrissener Matratze und einem hölzernen Stuhl bestand. Ich war zwar nicht verwöhnt, verlangte aber wenigstens einen Tisch, und vor Allem Waschwasser. Ersterer hatte nur drei Beine, wurde aber so fest an die Wand gestellt, daß das vierte entbehrlich erschien; letzteres befand sich in einer Zinnschüssel, in welcher mir an demselben Abend auch der Salat servirt wurde. Von einem Fenster, mit der Aussicht auf das Meer, fehlte ein ganzer Flügel, dafür war aber der innere Fensterladen zugemacht und, damit ihn der Wind nicht aufreißen könne, mit einem schweren Steine zugedrückt worden. Der Wirth, ein Italiener, erzählte, daß dies ein dem Staate zugehöriges Haus sei, für das er jährlich fünfhundert Gulden Miethe bezahlen und dabei noch die Unkosten der Einrichtung (!!) tragen müsse.

Ich hatte mir das Abendessen, das der Wirth selbst gekocht und das aus gedünstetem Lammfleisch mit hinein geschnittenen und gekochten Gurken bestand, auf’s Zimmer bringen lassen. Ich erinnere mich nur dunkel, daß mir dieses fremdartige Gericht ziemlich gut schmeckte, dann breitete ich meine Reisedecke über die zerrissene Matratze, entkleidete mich nur nothdürftig und war bei offenem Fenster und dem Brausen der Wellen bald so fest eingeschlafen, wie es die Anstrengung eines elfstündigen Rittes zur nothwendigen Folge hatte. Mir war es wohl einmal, als wenn sich mehrere Mäuse oder Ratten um die Ueberbleibsel meines Mahles zankten und als wenn das hüpfende und schleichende Ungeziefer meinen Körper sehr martere, aber die Ermüdung behielt die Oberhand, und ich kam nicht zum vollen Bewußtsein.

Am andern Morgen ankerte ein türkisches Dampfschiff im Hafen. Es hatte ein Bataillon Soldaten an Bord, die nach der Festung Antivari bestimmt waren.

Der Hafen von Antivari ist ein Naturhafen, aber so seicht, daß tiefer gehende Schiffe in der Mitte desselben ankern und ihre Ladung mittelst flach gehender kleiner Boote an’s Ufer bringen müssen. So ging es auch mit den Soldaten. Mehr als acht bis zehn Mann faßten die Boote nicht, und man kann sich denken, wie viel Zeit die Ausschiffung von achthundert bis tausend Mann nebst Train in Anspruch nahm. Von meinem Fenster aus konnte ich das ganze kriegerische Schauspiel leicht und bequem übersehen.

Der Wirth selbst hatte mich gebeten, oben zu bleiben, da ich als Fremder bei den fanatisirten Truppen leicht Unannehmlichkeiten haben könne, außerdem ein Polizeibeamter unten sei, der telegraphisch von Scutari die Weisung erhalten habe, mich zwar nicht zu belästigen, aber sofort zu telegraphiren, ob ich mit dem nächsten Lloyddampfer abgereist sei oder nicht. Dieser Lloyddampfer sollte erst am folgenden Morgen kommen.

Gegen ein Uhr Mittags war die Ausschiffung beendet. Ueberall am Ufer wimmelte es von türkischen Truppen. Untersetzte Gestalten mit dunkelbraunen Gesichtern, gut gekleidet, mit Hinterladern bewaffnet und erträglich einexercirt. Die Einen wuschen ihre Leibwäsche in einem Bache, der hier in’s Meer fällt. Die Anderen aßen mit untergelegten Beinen oder weichten ihren steinharten Schiffszwieback in demselben Wasser auf; wieder Andere schliefen langausgestreckt im Schatten der wenigen dort befindlichen Maulbeerbäume. Ganze Gruppen waren rauchend um einen Erzähler gelagert; die Officiere hatten ein Zelt aufschlagen lassen, unter welchem sie sich erfrischten – allüberall an der Riva herrschte ein farbenreiches, kriegerisches Leben. Gegen drei Uhr ertönten die barbarischen, mir fremdartigen Klänge einer türkischen Musik, und von Antivari her kam ein Theil der Besatzung, um die Cameraden zu begrüßen und abzuholen. Der Abmarsch erfolgte endlich um vier Uhr, aber noch lange bemühte sich die frische Seeluft vergebens, den Geruch von Knoblauch und Zwiebeln zu verscheuchen, der Wirthshaus und Meeresufer verpestete.

[642] Noch eine schreckliche Nacht in stetem Kampfe mit den bösen Geistern der Finsterniß, und glänzend ging die Erlösungssonne auf. Das schon um acht Uhr Morgens erwartete Dampfschiff kam endlich um zehn Uhr an. Da sich, wie schon erwähnt, das Ufer sehr verflacht, so hat man aus roh gezimmerten Balken und Bohlen eine Art Tribüne erbaut, von welcher man mittelst einer Leiter in das Boot steigt. Beim Betreten dieser elenden Brücke mußte ich einem türkischen Beamten für meine Person zwei Piaster und für jedes Gepäckstück einen Piaster bezahlen, wobei mein Sonnenschirm auch als Gepäckstück gerechnet wurde.

Endlich betrat mein Fuß wieder das Verdeck eines österreichischen Schiffes: hinter mir lag die Barbarei des Ostens; vor mir lockten in doppelt glänzendem Lichte die geordneten Zustände des Abendlandes. Leider war der bestiegene Dampfer ein Waarenschiff und hatte keine Passagiercabinen, weßhalb ich in Ragusa wieder an’s Land ging und dort das Personenschiff „Mercur“ erwartete. Mit diesem dauerte die Fahrt nach Triest drei Tage und war gesellig ganz angenehm. Das Meer war bewegter als bei meiner Hinreise, und an einem Tage erhob sich gerade während der Mittagsmahlzeit ein so frischer Wind, daß das Schiff, gleich einem Betrunkenen, nach allen Seiten hin- und herschwankte und wohl alle Passagiere, meine Person ausgenommen, den Meergöttern reichliche Opfer darbrachten.

Jetzt ist der Krieg ausgebrochen in jenen Landstrichen, die ich bereist. Die Türken konnten sich meine Sympathie nicht erwerben, den tapferen Söhnen der Czernagora aber wünsche ich den glücklichsten Erfolg. v. C.