Ein Muster-Bonvivant

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: M. G.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Ein Muster-Bonvivant
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 37, S. 615–617
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[615]
Ein Muster-Bonvivant.

Karl Mittell als „Veilchenfresser“.
Nach einer Photographie auf Holz gezeichnet von Adolf Neumann.

Man kann von gastirenden Sängern und Schauspielern oft genug die Klage hören, daß das Theaterpublicum der Stadt Leipzig ein übermäßig sprödes und zurückhaltendes sei, daß es sich selbst angesichts der trefflichsten Leistungen nur langsam erwärme und daß es zur kühl beobachtenden und nüchtern abwägenden Kritik in einer Weise hinneige, die zuletzt auf den Künstler selbst und seine Darstellung einen lähmenden Einfluß ausüben müsse. Wie gesagt, die Klage ist nicht neu, aber sie bringt den Leipziger Theaterbesucher nicht aus der Fassung. Denn, sagt er sich, keine Seele auf Gottes weiter Erde ist schwerer zu befriedigen, als eben die idealgeschwellte ehrgeizerfüllte unserer heutigen Bühnenkünstler; von Jenen, welche [616] ihren Wirkungskreis auf die die Welt bedeutenden Bretter verlegen zu müssen glaubten, tragen zuletzt doch nicht Alle das Gottesgnadenthum auch wirklich auf der Stirn, und gar Manchem von jenem seltsamen Völklein scheinen in Haltung und Geberde auf der Lippe beständig die triumphirenden Worte zu schweben: „Vom Himmel hoch, da komm’ ich her,“ der es durchaus nicht nöthig hätte.

Und auf der anderen Seite wieder nimmt – jener oft gehörten Klage lorbeerbegieriger Sänger zum Trotz – kaum in einer zweiten deutschen Stadt das Theater und Alles, was damit zusammenhängt, so sehr das allgemeine Interesse gefangen, wie eben in Leipzig, und nirgendwo hält man dieses Thema zu jeder Tag- und Nachtzeit, an jedem Orte, in jeder Gesellschaft für so discutirbar, wie eben dort. Mit peinlichster Sorgfalt beobachtet man alle Vorgänge, die sich auf das Theater beziehen, controlirt, recensirt, corrigirt, und fast jeder Director, der seinen Sitz zu Leipzig am Schwanenteiche aufgeschlagen hat und der dem vielköpfigen, vieläugigen und – gestehen wir es offen – ebenso mundfertigen Publicum gegenüber durchaus nicht immer auf Rosen gebettet ist, weiß davon zu erzählen.

Kurz, die viel gescholtene Kühle des Leipziger Theaterpublicums oder, da an der Pleiße Jedermann Theaterpublicum ist, kürzer gesagt: des Leipzigers ist nur eine scheinbare – er erhitzt sich im Gegentheil oft sehr leicht und rasch bis zur äußersten Leidenschaftlichkeit, und dann gnade Gott dem Director oder dem Künstler, der nicht mit einem reinlichen Gewissen vor ihm steht! Der Begriff eines solchen ist natürlich dehnbar.

Die Theatergeschichte der letzten Jahre erscheint für Leipzig um so reicher an Aufregungen, je mehr man in Betracht zieht, wie still und gelassen – wenigstens nach außen – das Bühnenleben anderswo seinen Verlauf nimmt. Die letzte „Affaire“ wickelte sich unter der allgemeinsten Theilnahme von Groß und Klein, Alt und Jung ab, als jüngst der alle sechs Jahre vorgeschriebene Wechsel in der Theaterdirection vor sich ging und damit zugleich die Thätigkeit mehrerer der beliebtesten und tüchtigsten Kräfte an der Leipziger Bühne ihren Abschluß fand. Den scheidenden Künstlern wurden die letzten acht Tage lang unter donnernden Beifallsrufen solche Massen von Kränzen und Bouquets geworfen, daß zuletzt in keiner Gärtnerei der kleinste Lorbeerzweig mehr aufzutreiben war und die Fluren Leipzigs auf Stunden im Umkreise fast geplündert schienen.

Die „Gartenlaube“ hat von jenen trefflichen Künstlern, welche nun nicht mehr dem Leipziger Verbande angehören, in früherer Zeit Frau Peschka-Leutner, die unübertroffene Coloratursängerin, und Eugen Gura, den meisterhaften Wagnersänger, ihren Lesern in Bild und Wort bereits geschildert. Heute reiht sie ihnen als Dritten den angezeichneten Bonvivantdarsteller Karl Mittell an, der nach neunjähriger Thätigkeit an der Leipziger Bühne dieser nun gleichfalls Lebewohl gesagt hat und dem diese Zeilen als freundliche Begleiter bei seinem ferneren künstlerischen Wirken dienen mögen. Auch er hat in zahllosen Kränzen, Sträußen und Hervorrufen reich erfahren dürfen, einer wie warmen Beliebtheit er sich in Leipzig erfreute, und als ein echter Künstler mit vollströmender Empfindung wird er sich gewiß nie anders als mit aufrichtiger Dankbarkeit seines blumen- und ehrenreichen Abschiedes von Leipzig erinnern.

Denn nicht allein den eleganten Bonvivantdarsteller, der sich mit feiner, sicherer, weltmännischer Tournüre auf dem Parquet zu bewegen und seine Gestalten mit aristokratischer Vornehmheit zu beleben und zu durchgeistigen weiß, schätzte man an ihm, sondern man ergötzte sich ebenso sehr an dem frischen, kecken Humor, der ihm eigen ist und der, aus warmem, vollem Gemüthe kommend, um so unwiderstehlicher hinreißt, je trockener und zufälliger er sich giebt. Es ist nicht Jedermann vergönnt zu erheitern und zu rühren zu gleicher Zeit. Nur der echte Humorist versteht unter Thränen lächeln zu machen, weil er nicht allein mit dem Verstande, sondern ebenso sehr mit dem Herzen schafft, und gerade diese Gabe ist es, die den Leistungen Mittell’s einen so eigenthümlichen Reiz verleiht und sie des Erfolges immer sicher sein läßt.

So erinnere ich mich noch lebhaft jenes ausgezeichneten Gastspieles, das Mittell vor etwa zehn Jahren zum ersten Male nach München führte, wo er am damaligen Actien-Volkstheater, dem jetzigen königlichen Theater am Gärtnerplatz, in seinen ersten Rollen vor ausverkauftem Hause Tag für Tag rauschende Triumphe feierte, die er meistens mit Frau Agnes Wallner theilte, einer Salondame, wie sich Mittell freilich keine bessere wünschen konnte und mit welcher er dieses Gastspiel gemeinsam unternommen hatte. Das Auftreten dieses angezeichneten Künstlerpaares dürfte für das damalige Volkstheater wohl den Höhepunkt seiner Blüthe und seines Glanzes bedeutet haben.

Was Herman Schmid neulich von dem Münchener Charakterdarsteller Ernst Possart schrieb: daß, was ein Haken werden will, sich schon bei Zeiten krümme, gilt auch von Karl Mittell. Als der Sohn des gleichnamigen, erst vor einem Jahre verstorbenen Hofburgschauspielers zu Wien am 26. October 1828 geboren, wurde er allerdings erst, nachdem er bereits das Seminar der heiligen Piaristen mit dem fünfzehnten Jahre absolvirt hatte, von seinem Vater definitiv für die Bühnenlaufbahn bestimmt, aber schon als Knabe vom siebenten bis zehnten Jahre spielte er im Hofburgtheater die sogenannten Kinderrollen in „Tell“, „Medea“, „Nibelungenhort“ etc. Mittell’s Vater fühlte, daß die Jugendeindrücke für ein ganzes Leben entscheidend werden können, und hielt deshalb seinen Sohn an, täglich das Hofburgtheater zu besuchen, welches damals im Zenith seines Ruhmes stand, da die großen Namen, welche heute noch im Publicum leben, damals fast noch in der Blüthe ihres künstlerischen Wirkens waren, wie z. B. Sophie Schröder, Caroline Müller, Louise Neumann, Frau Haizinger, Frau Rettich und andererseits Korn, Anschütz, Löwe, Lucas, Fichtner, La Roche, heute der einzige noch aus jener großen Zeit.

In diese Periode fiel auch sein Unterricht für die Bühne, welcher theils durch seinen Vater selbst, theils durch den auch als Declamationsmeister bekannten Dichter Dr. Vogl geleitet wurde. Schon jetzt zeigte sich der günstige Einfluß, den sein Vater durch den täglichen Besuch des Burgtheaters hatte erzielen wollen; es sprach sich Mittell’s unverkennbares Talent für die naiv-jugendlichen Rollen aus, für Partien, deren Grundcharakter in einem reichen Fond von Gemüth und drolligem Humor lag und die man kurz als Fichtner’sche Rollen bezeichnen könnte. Diese Richtung, die auch heute noch vorzugsweise Mittell charakterisirt, wurde noch gehoben und geläutert, als Fichtner selbst mit ihm zur Zeit seines ersten Engagements am Theater an der Wien, unter Director Carl, die bereits gelernten großen Rollen durchnahm und studirte, wie z. B. Ferdinand („Cabale“), Mortimer, Don Carlos, Max Piccolomini, Ferdinand („Er muß auf’s Land“), Bolz („Journalisten“) etc. Viele von diesen zeigen sich heute noch als wahre Perlen in Mittell’s Repertoire.

Eine Empfehlung des Regisseur Kürdler brachte ihn an das Königstädter Theater zu Berlin, wo sich namentlich die Künstler Moritz Rott und Dessoir, angezogen durch sein Talent, des jungen Eleven freundlich annahmen und seine ausschließliche Beschäftigung in ernsten, sogenannten tragischen Rollen veranlaßten. Dies blieb auch so, als Mittell nach mehrjähriger Abwesenheit wieder nach Wien zurückkehrte und dort nach Aufhebung der Censur den Schiller in den ersten „Karlsschülern“, den Joseph in Mosenthal’s „Deborah“ etc. spielte. Von unleugbarem Einfluß auf die günstige Weiterentwickelung seines Talentes war dabei die bekannte tragische Schauspielerin Amalie Weißbach, mit der sich Mittell in erster Ehe verheirathete und die ihm später auch in sein neues Engagement zu Riga folgte.

Und doch sollte es erst das Wallnertheater in Berlin sein, welches ihn endlich, hauptsächlich im Verein mit der schon genannten ausgezeichneten Repräsentantin französischer Salondamen, der Frau Agnes Wallner, zur Entwickelung seiner eigentlichsten Begabung und zum wahren Gebiet seines großen Talentes, zum sogenannten Bonvivant- und Conversationsliebhaberfach, führte. Es kamen in rascher Folge: „Cameliendame“, „Schuld einer Frau“, „Feenhände“, „Moderner Barbar“, „Attaché“ – lauter Rollen, in denen Mittell noch heute mit Meisterschaft das Feld behauptet. In diese Zeit fallen auch seine ersten Gastspiele, die ihn theils im Verein mit Frau Wallner, theils allein an die bedeutendsten Bühnen Deutschlands führten und stets von glänzendsten Erfolgen begleitet waren.

Dem nun folgenden Engagement am Dresdner Hoftheater entsagte er nur, weil ihn ein brillanter Antrag Witte’s an das neue Stadttheater in Leipzig rief. Auch hier gewann er durch Talent und Liebenswürdigkeit von Tag zu Tag mehr die Gunst des Publicums, das er zuletzt als „Veilchenfresser“ in Moser’s [617] gleichnamigem Lustspiel entzückte, in welcher Rolle ihn unser heutiges Bild darstellt.

Manchen Leser mag es interessiren zu hören, daß die Uniform, in welcher hier Mittell als blumenspendender Officier wiedergegeben ist, echt ist, ein Geschenk von militärischen Freunden, die dem Künstler damit ihre Anerkennung für die chevalereske Darstellung des Husarenlieutenants zu erkennen gaben. Auch Mittell mag daran seine Freude haben. Erfreulicher aber ist uns jedenfalls die Echtheit seines Talentes, und diese wird ihm auch für die Zukunft ruhm- und ehrenreiche Tage verbürgen.
M. G.