ADB:Mosenthal, Salomon Hermann von
Dingelstedt und begab sich dann, durch den Rath eines [369] Verwandten geleitet, nach Karlsruhe, um am Polytechnikum zu arbeiten. Bald jedoch zeigte sich, daß diese Studien seinen Anlagen gar nicht gemäß waren, eine zu rechter Zeit eintreffende Aufforderung, in das Haus Goldschmidt zu Wien als Erzieher zweier Knaben einzutreten, befreite ihn von quälendem Zwiespalt. Am 30. November 1842 traf er in Wien ein und hat da seine neue Heimath gefunden. Schon 1846 wurde sein erstes Drama aufgeführt. 1850 erhielt er eine Beamtenstelle im Unterrichtsministerium und vermählte sich mit seiner Cousine Lina Weil, die aber ihm, der sie zärtlich liebte, schon Frühling 1862 entrissen wurde. Inzwischen hatte ihm der Erfolg seiner Stücke Ansehen und Auszeichnungen eingetragen: er war Bibliothekar und Regierungsrath geworden, und hatte mit dem Orden der eisernen Krone den österreichischen Adel erhalten. Er fühlte sich in Wien außerordentlich wohl, lebte in einer Gemeinde intimer Freunde, war aber sonst den weitesten Kreisen bekannt und betheiligte sich insbesondere an der Förderung der musikalischen Interessen der Hauptstadt, auch als Vicepräsident der Gesellschaft der Musikfreunde. Sein Tod, am Morgen des 17. Februar 1877 in Folge eines Risses der Herzwandungen, kam gänzlich unerwartet. M. wurde auf dem israelitischen Friedhofe in Währing bei Wien begraben.
Mosenthal: Salomon Hermann Ritter v. M. ist als zweiter Sohn des Kaufmanns Herz Mosenthal am 14. Januar 1821 zu Kassel geboren. An demselben Tage verlor der Vater sein Vermögen, und Dürftigkeit trat an die Stelle des früheren Wohlstandes. Doch wuchs der Knabe in sehr glücklichem Familienleben heran, absolvirte das Gymnasium seiner Vaterstadt, empfing dort manche Anregung durchM. hat 18 Dramen, an 20 Operntexte verfaßt, auch Gedichte und Novellen geschrieben. Schon bei den ersten Anläufen, dem „Holländer Michel“ (1845 nach Hauff’s Märchen vom steinernen Herzen bearbeitet) und der „Sclavin“ (1847), ist er auf kräftige Wirkung durch starke Mittel ausgegangen. Den ersten großen Erfolg gewann seine „Deborah“ (1848), von der man wol ohne Uebertreibung behaupten kann, sie sei bis jetzt das populärste Drama des Jahrhunderts, und nicht blos in Deutschland, sondern fast in allen Culturländern: Miß Bateman stellte z. B. die Heldin zu London an 500 aufeinanderfolgenden Abenden dar. Ein von Otto Prechtler vorbereiteter Stoff war hier durch M. vollständig umgearbeitet und erweitert worden. Das Problem verkörperte die Versöhnung der religiösen Gegensätze, Duldung, Humanität, aber auch starke und selbstlose Ueberwindung der eigenen Leidenschaft zu Gunsten des Glückes des Geliebten bildet einen wesentlichen Theil. Die Vorgänge sind mit großer Anschaulichkeit und Lebendigkeit geschildert; es ist merkwürdig, wie sehr sich M. in eine ihm ursprünglich ganz fremde Welt und Vorstellungsweise, die katholischer Gebirgsbauern, hineingelebt hat. So sind auch die Nebenfiguren vortreff1ich erfunden: Vater Lorenz, der Schulmeister, die Dorfleute, der alte Abraham. Das Stück spricht in gehobener Weise einfache verständliche Empfindungen aus, ohne trivial zu werden. Noch ein zweites Mal ist M. auf demselben Felde ein ausgezeichneter Wurf gelungen: „Der Sonnwendhof“ (1854). Wir sehen wieder ganz simple, klare und von selbst sich entwickelnde Vorgänge: eine in voller Kraft verwittwete Bäuerin, ein stattlicher Oberknecht, eine feine hübsche Magd, ein verstrolchter Schwager der Hofbesitzerin, welcher die treibende Rolle hat, und einige sehr gelungene Episodengestalten, wie die Hauptmagd Crescenz, der Pfarrer, Kesselflicker, Meßner etc. stehen als feste Typen des Bauernlebens einander in bestimmtem Verhältniß gegenüber. Auch hier wird eine Neigung geopfert, ein Vorurtheil bekämpft, ein Unrecht gutgemacht, der Schluß versöhnt. Die Leidenschaft scheint in diesem Stücke fast tiefer und echter empfunden als in „Deborah“, die Prosa fügt sich zweckmäßiger zu den ländlichen Existenzen und so möchte ich beinahe den „Sonnwendhof“ Mosenthal’s beste Arbeit nennen. Auch neben den aus der Tiefe des Volkslebens mit stärkster poetischer Kraft geholten realistischen Dramen Anzengruber’s werden diese Dichtungen von M. sich halten. Mit dem „Schulz von Altenbüren“ (1867) suchte M. neues Terrain, Westfalen. [370] Der Contrast zwischen hartnäckig conservativer Bauernanschauung und der schwellenden Thatkraft des amerikanischen Farmer-Neffen bildet, mit einer Liebesgeschichte verwoben, den Hauptinhalt des Stückes. Diesem mangelt vor Allem die rechte Beobachtung von Land und Leuten, über welche M. in den österreichischen Dramen verfügte, die litterarischen Neigungen und Reminiscenzen, hier etwas „Oberhof“, dort etwas „Erbförster“, konnten das Fehlende nicht ersetzen; das knorrige, widerborstige, innerlich aber weiche Wesen des niedersächsischen Bauers war dem Dichter entschieden weniger zugänglich als die mehr offenliegende Natur der alpinen Landleute. So ist das Stück zwar ganz hübsch, aber nicht wirksam. Nur genannt soll der „Dorflehrer“ (1852) werden, ein einactiges „Seelengemälde“ Iffland’schen Schlages, rührend, doch wol gar zu naiv. – Die Theilnahme, welche vom großen Publicum den Lebensumständen unglücklicher Dichter entgegengebracht wird, suchte M. in seinem Drama „Ein deutsches Dichterleben“ (1850) zu verwerthen, das Bürgers Ehe mit Dora und seine Liebe zu Molly nach Otto Müller’s Roman behandelt, mit einer gelungenen Schilderung anhebt, aber dann eintönig larmoyant wird und unbefriedigend ausgeht, die Litteraturgeschichte hat hier zu viele Rechte bekommen. „Die deutschen Komödianten“ (1862) gehören wol auch hierher, die Schicksale eines Studenten Ludovici darstellend, der aus Begeisterung für ein deutsches Nationaltheater selbst Schauspieler wird und zu Grunde geht. Daß die Neuberin und Prehauser vorkommen, wirkt anziehend, einige gute Nebenfiguren, begreifliche, wenn auch gar zu verbrauchte Conflicte, der treffliche Aufbau des Ganzen machten das Stück beliebt. Auf dem Gebiete der höheren Tragödie hat M., so viel er darum sich bemühte, doch wenig Erfolge gewonnen. Die einfachen, zum Theil abgenutzten Probleme werden nicht vertieft, vor Allem aber fehlt es fast gänzlich an scharfer Charakteristik, die kräftigen Striche, mit denen M. zu zeichnen gewohnt ist, reichen hier nicht zu und aus dem Vollen geschöpfte Gestalten mit feinen Details sind dem Dichter versagt. Leider bestrebt sich M., was fehlt durch Reizmittel roherer Art zu ersetzen, er scheut vor ganz ordinären melodramatischen Effecten und Kunststücken nicht zurück, läßt Liebesscenen durch Donner, Blitz und Wetterleuchten begleiten und sucht dem Mangel an Energie in seinen Helden durch raffinirte Bühnenanweisungen aufzuhelfen; resultatlos, denn die reichlichsten Vortragszeichen können nie für fehlende Melodik und Harmonie schadlos halten. Nicht wie die Figuren reden sollen, sondern was, ist des Dichters Sache. Zwar verfehlt dieses sensationelle Würzwerk nie ganz der Wirkung: die Glockenschläge im Momente furchtbarster Spannung, welche am Schlusse des dritten Actes von „Pietra“ erklingen, lassen gewiß Wenige unergriffen. Daher ist keines dieser Dramen für eine gewisse kleine Zeit ohne Eindruck geblieben, aber er hat nicht weiter vorgehalten als eben eine Saison. Sie haben einzelne Schönheiten, die Sprache ist sorgfältig, wenn auch mitunter etwas zu bunt, und sie sollten in unserer ärmlichen Zeit, schon der geschickten Mache wegen, nicht unterschätzt werden. Ich sehe von so mißlungener Arbeit wie „Gabriele von Precy“ (1853) ab und zähle hierher: „Cäcilia von Albano“ (1849, Otto IV. im Mittelpuncte, gut aufgebaut, aber durch die Inconsequenz der Heldin scheiternd), „Düwecke“ (1859, das durch ein Mißverständniß, welches den überaus loyalen Dichter arg kränkte, für ein politisch-tendenziöses Stück gehalten wurde, sehr lebendig, der Ausgang aber durch Unbegreifliches beschädigt), „Pietra“ (1864), „Isabella Orsini“ (1868, wol das farbenreichste, nur wieder am Schluß gefährdet), „Maryna“ (1870, eine wenig tiefgenommene Darstellung des Demetriusstoffes), „Parisina“ (1875, von vornehmer Haltung). Schon in diesen Dramen treibt der sehnsüchtige Wunsch nach dem Beifall der Menge den Dichter bisweilen zu bedenklichen Concessionen an den augenblicklichen Zeitgeschmack, an die [371] Stimmung des großen Publicums, das sofort aufhört den Poeten recht zu achten, sobald er zu lebhaft um seine Gunst wirbt. Auch die Beschäftigung mit Operntexten – M. hat darunter sehr hübsche geliefert, so ist der „Goldschmied von Ulm“ ein reizvolles Gedicht – übte nachtheiligen Einfluß auf diese Werke. – Schlimmer steht es mit ein paar Dramen, die bloß der momentan geltenden Neigung des Publicums für gewisse Stoffe zu Liebe gearbeitet sind, wie: „Madeleine Morel“ (1872), eine schwache, dem Inhalte nach fast unbegreifliche und unmögliche Nachahmung französischer Thränenkomödien (Augier, Sardou, Dumas Fils); „Die Sirene“ (1874), welche so sehr von Bauernfeld’s „Aus der Gesellschaft“ und „Moderne Jugend“ beeinflußt erscheint, daß sie ohne diese Vorgänger nicht denkbar wäre; M. fehlt aber zu glücklicher Nachbildung in diesem Falle das Wichtigste, die Masse eindringender Detailbeobachtung, die dem Altmeister des Wiener Lustspiels eigen ist, und dessen graziöse, leichtironische Conversation, M. ist nicht flink und fein genug dazu. Eine romantische Phantasie in Form eines Dramaz „Das gefangene Bild“ (1857) ist viel getadelt worden, enthält aber einige schöne Scenen und ist aus wärmstem Enthusiasmus geschaffen. – Ein ehrliches, ernstes Streben müssen M. auch feindselige Kritiker zugestehen und deshalb mag man es um so bedauerlicher finden, daß er vom Volksschauspiel (noch sein „Konrad Vorlauf“ von 1872 ist eine tüchtige Leistung) sich frühzeitig abgewandt hat, dem Gebiete, welches seinem Talente am meisten angemessen war, wo sein Bühnenverständniß, sein Geschick in derberer Decorationsmalerei sachgemäß paßte, und dagegen sein Talent so lange in den Dienst der versificirten Tragödie hohen Stiles gestellt hat, für die seine poetischen Mittel nicht auslangten. – M. hat Gedichte veröffentlicht („Primulae veris“, 1847, „Gesammelte Gedichte“, 1866), bei gutem Fluß der Verse und einer angenehmen Lebhaftigkeit haben sie doch wenig Eigenthümliches und lehnen sich allzuoft an bekannte Muster. Davon sind die seiner Frau gewidmeten Poesien auszunehmen, welche wahrer Empfindung entquollen sind. Ein Sammelwerk „Oesterreichisches Museum“ (1854), das von den Anfängen im XII. Jahrhundert bis auf die Gegenwart Proben österreichischer Lyrik und Epik gibt, erwähne ich nur, weil M. darin eine Anzahl freier Uebersetzungen aus dem Mittelhochdeutschen geliefert hat. In den letzten Jahren seines Lebens, als Mißerfolge auf der Bühne ihn sehr verstimmten, fing er an, Novellen zu schreiben, die jetzt im 6. Bande der Gesammelte Werke vereinigt sind. Sie entnehmen fast alle ihren Stoff aus des Autors eigenen Erlebnissen und schildern Personen und Zustände der Judengemeinde zu Cassel und Umgebung. Die Erzählung ist schlicht, im Ausdrucke hie und da salopp, macht aber durch Treue, Wärme, scharfe Beobachtung und pietätvollen Sinn für die Intimitäten jüdischen Familienlebens einen behaglichen und erfreulichen Eindruck, der an Oppenheim’s reizende Bilder erinnert. – Manches konnte man von M. noch erwarten, seine Laufbahn war nicht durchmessen, er ist vorzeitig abberufen worden.
- S. H. Mosenthal’s Gesammelte Werke, ed. Joseph Weilen, Stuttgart und Leipzig, Hallberger, 6 Bände, 1876. Im 6. Baude eine ausführliche Lebensskizze vom Herausgeber. Außerdem die Einzeldrucke und Bühnenmanuscripte, welche nicht in die Sammlung aufgenommen wurden. Berichte Wiener Zeitungen und einzelne Mittheilungen von Mosenthal’s Freunden.