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ADB:Fichtner, Karl

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Artikel „Fichtner, Karl“ von Joseph Kürschner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 6 (1877), S. 773–774, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Fichtner,_Karl&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 04:32 Uhr UTC)
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Fichtner: Karl Albrecht F., bedeutender Schauspieler, geb. 7. Juni. 1805 zu Coburg, † 19. Aug. 1873 zu Gastein. Zu den liebenswürdigsten und lichtesten Gestalten, von denen die Theatergeschichte unsers Jahrhunderts zu erzählen weiß, gehört auch K. A. F., der nach Emil Kuh’s Urtheil in keiner Rolle Grazie, guten Ton, warme Empfindung und Sitte vermissen ließ und nie den feineren Sinn beleidigte, „da er der feinere Sinn selber war“. Noch treffender charakterisirt ihn Laube, wenn er sagt: „F. war ein Typus dessen, was schön und lieb am Wesen des Burgtheaters, ein Urbild des anmuthigen Schauspielers, welcher milde Schönheit, liebenswürdige Menschlichkeit darstellt innerhalb bestimmter Grenzen.“ Es ergibt sich bei genauer Prüfung des vorhandenen Materials als unrichtig, daß Fichtner’s Fach und Wirkungsgebiet – wie anderwärts behauptet – ein nur kleines, ein beschränktes gewesen sei. Vermißte auch das feiner gebildete kritische Auge bei seiner Darstellung einiger Partien aus der idealen Tragödie den „geistigen Hauch“, in einzelnen Rollen des Conversationsstücks eine herbere schneidigere Charakteristik, so beherrschte er doch mit vollendeter Meisterschaft das ernste Drama wie das Gebiet des Lustspiels nach den verschiedensten Seiten hin, und sein Talent wußte sich so glücklich mit jeder Aufgabe abzufinden, war so reich an Gestaltungsfähigkeit, daß man ihm am Burgtheater gewöhnlich auch die Rollen gab, die sich in kein Fach einpassen lassen wollten. Fichtner’s seltene Künstlerschaft war überaus geklärt und beobachtete unausgesetzt die Grenzen des Geschmacks, innerhalb deren er sich ohne allen Zwang, in vollständiger Harmonie, unerschöpflich in seinem Humor, bewegte. Für F. gab es keine undankbare Rolle, weil er jede Partie in Folge [774] seiner seltenen Beanlagung zu einer dankbaren zu gestalten wußte. Seine fesselnde Persönlichkeit war der wohlgebildete Träger seines Talents; edle Formen zeichneten ihn aus, sein Auge leuchtete freundlich und sein Organ besaß einen einschmeichelnden Klang, der nie versagte und sich den darzustellenden Seelenzuständen innig anzuschmiegen verstand. Dieses wohlgebildete Aeußere befähigte ihn zur vorzüglichen Repräsentation von Figuren des Salons, die neben Liebhabern, Lebemännern, würdevollen Persönlichkeiten des ernsten Drama’s, wie tollen Taugenichtsen in seinem Repertoire zu finden waren. Einigermaßen wurde F. die Ausübung seines Berufes erschwert durch ein Gedächtniß, das nur mit Mühe die Rolle sich einprägte und während der letzten 10 Jahre seiner Künstlerlaufbahn nicht einmal am Souffleur eine Stütze hatte, da der Künstler an nicht zu beseitigender Schwerhörigkeit litt.

F. war als Schauspielerkind geboren; seine Eltern wirkten in Coburg, als er zur Welt kam. 1806 schlossen sie sich einer Truppe in der Schweiz an und hier betrat F. in Kinderrollen (Infantin in „Don Carlos“, Bursche in „Die Hagestolzen“) zum erstenmal die Bühne, erst 5 Jahre alt. Nach längerem Besuch des Gymnasiums zu Freiburg ging er 1820 dauernd zum Theater und zwar zur Köhler’schen Truppe. 1822 am Theater an der Wien in Wien für zweite Liebhaber engagirt, debütirte er am 5. Aug. 1824 als Peter im „Herbsttag, am 9. als Secretär Dallner in „Dienstpflicht“ und am 12. als Ossakow in den „Strelitzen“ auf dem Burgtheater, das er bald als Wiege und bis zu seinem Rücktritte von der Bühne als Träger seines Ruhmes bezeichnen konnte. Schreyvogel wurde in vieler Beziehung sein Lehrer, der Schauspieler Korn sein Vorbild. – Außerhalb Oesterreichs gastirte F. nur wenig, so in Leipzig, Hamburg, München, Breslau (1858), Berlin (1861 Victoria-, 1862/63 Friedrich-Wilhelmstädtisches Theater) und Coburg (1861). Noch immer die Bezeichnung rechtfertigend „der ewig Junge“, nahm F. wegen seiner Harthörigkeit und Gedächtnißschwäche am 31. Januar 1865 als Gluthen im „Letzten Mittel“ unter herzlicher Theilnahme des Publicums von den Brettern Abschied. Der Kaiser ehrte den Künstler bei dieser Gelegenheit durch Verleihung des Ritterkreuzes vom Franz-Joseph-Orden. Wurzbach theilt mit, daß F. während seines Engagements am Burgtheater in nicht weniger als 460 Stücken (33 Kotzebue, 29 Bauernfeld, 15 Shakespeare, 13 Iffland, 12 Weissenthurn, 12 Raupach, je 10 Deinhardstein und Schiller, je 5 Goethe, Grillparzer und Gutzkow, je 4 Laube und Halm, 2 Hebbel etc.) 513 Rollen innehatte, die er 5497 Mal spielte. Von diesen Rollen die besten zu nennen ist schwierig, doch seien nachfolgend wenigstens einige zur Charakteristik namhaft gemacht: Bolz (Journalisten), Gust. Darvil (Rettende That), Durlach (Schmuckkästchen), Christian VII. (Struensee von Laube), Valentin (Faust), G. v. Grignon (Damenkrieg), Reibenstein (Helene), Fürst (Geh. Agent), F. Drang (Er muß aufs Land), Klingsberg (Beiden Klingsberg) u. a. – Seit 1830 war F. vermählt mit:

Elisabeth, geb. Koberwein, einer trefflichen Schauspielerin, die, als Tochter der Hoftheatermitglieder Joseph und Sophie Koberwein zu Wien 1809 geb., 1822 als Lottchen (Bruderzwist) auf dem Burgtheater debütirte und nach einer an gediegenen Leistungen reichen Wirksamkeit am 1. Jan. 1865 ins Privatleben zurücktrat. Beider Sohn, gleichfalls Schauspieler, starb 1874 zu Coburg, wo er engagirt war.

Vgl. G. C. (Czartoryski), Karl Fichtner, Eine Skizze seines Lebens und künstlerischen Wirkens. Wien 1875; Laube, Das Burgtheater. Leipz. 1868; Entsch, Deutsch. Bühnenalmanach. Berlin 1866. XXX. S. 95–101; 1874 XXXVIII. S. 105–110; namentlich auch Wurzbach’s Lexikon Bd. IV und Nachträge.