Urtheil des Ober-Apellations-Senats

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Autor: Johann Jacoby
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Titel: Urtheil des Ober-Apellations-Senats, in der wider den Dr. Johann Jacoby geführten Untersuchung wegen Hochverraths, Majestätsbeleidigung und frechen unehrerbietigen Tadels der Landesgesetze, mitgetheilt von Dr. Johann Jacoby.
Untertitel:
aus: Deutsch-Französische Jahrbücher; S. 45–70.
Herausgeber: Arnold Ruge, Karl Marx
Auflage:
Entstehungsdatum: 1843/44
Erscheinungsdatum: 1844
Verlag: Bureau der Jahrbücher
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Erscheinungsort: Paris
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Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
Zum Kontext siehe http://blog.delegibus.com/2011/04/10/geheimjustiz-im-wandel-der-zeit/
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[45]
URTHEIL
des
OBER-APPELLATIONS-SENATS


in der


wider den Doctor Johann Jacoby geführten Untersuchung wegen
Hochverraths, Majestaetsbeleidigung und frechen, unehrerbietigen
Tadels der Landesgesetze.
mitgetheilt


VON Dr. JOHANN JACOBY.


Eben so wenig als mir von den Gerichten bekannt worden, dass sie criminell Angeklagten die wider sie ergangenen Urtheile verweigert haetten, weiss ich auch von einem Pressezwange in dieser Beziehung bei uns. – Welcher Censor wird sich nicht aufrichtig freuen, so viel an ihm ist, zur Zerstreuung der trüben Wolken, die ein unverdientes Verdammungs-Urtheil erster Instanz um den lichten Schein des Rufs eines sonst unbescholtenen Mannes gezogen haben kann, mitzuwirken! – wenigstens moechte ich keinem meiner Landsleute eine entgegengesetzte Gesinnung zutrauen. –[1]
Hitzig, (1828.)


Den 2. Februar 1843 wurde mir das freisprechende Urtheil des Oberappellations-Senats publizirt.

Eine Abschrift des Erkenntnisses ward mir, dem Beschlusse des Königsberger Criminal-Senats zufoige, von dem Inquirenten versprochen, späterhin aber – auf Veranlassung des Chef-Präsidenten von Zander – vorenthalten.

[46]
An den königl. preuss. wirklichen Geheimen Staats- und Justiz-Minister, Ritter etc. etc., Herrn Mühler Excellenz.

Ew. Excellenz erlaube ich mir nachstehende Beschwerde über den Criminal-Senat des hiesigen Oberlandesgerichts gehorsamst vorzutragen:

In der wegen Abfassung der Schrift: „Vier Fragen, beantwortet von einem Ostpreussen“ geführten Untersuchung ist mir am 2. d.M. das völlig freisprechende Erkenntniss zweiter Instanz publizirt worden. Eine Abschrift des Urteils ward mir zugesagt und angefertigt, späterhin aber – mit dem Bedeuten, dass hierüber eine Anfrage an Ew. Excellenz geschehen sei – vorenthalten.

Oeffentlich des Hochverraths und der Majestätsbeleidigung bezüchtigt, vom ersten Richter zu 2 1/2 Jahren Festungsstrafe, wie zum Verluste der Nationalkokarde verurtheilt und endlich nach zweijähriger peinlicher Untersuchung völlig schuldlos befunden, glaube ich Nichts Unbilliges zu verlangen, wenn ich eine Abschrift der Erkenntnissgründe zu besitzen den Wunsch hege. Es kann mir dies um so weniger gleichgültig sein, als ich bereits in der ersten Instanz die Erfahrung gemacht, dass man von einem Vergehn freigesprochen und doch zugleich in Betreff seiner Gesinnung auf das ärgste verdächtigt werden kann.

Ew. Excellenz haben offenes Gericht als ein „begründetes Bedürfniss des Volkes“ und als die sicherste Schutzwehr der bürgerlichen Ehre anerkannt; um so vertrauensvoller wende ich mich an Ew. Excellenz mit der gehorsamsten Bitte:

Den Criminalsenat anzuweisen, mir nicht länger die abschriftliche Mittheilung der Erkenntnissgründe vorzuenthalten. –

Königsberg, den 11. Februar 1843.

Dr. JACOBY.




An den Justiz-Minister Herrn Mühler Excellenz.

Ew. Excellenz habe ich unterm 11. v. M. eine Beschwerde über den Criminalsenat des hiesigen Oberlandesgerichts eingereicht. Um geneigten Bescheid ersucht Ew. Excellenz gehorsamster


Königsberg, den 1. März 1843.

Dr. JACOBY.



[47]
Berlin, den 6. März 1843.

Auf die von Ihnen über den Criminalsenat des königl. Oberlandesgerichts daselbst,

wegen verweigerter Mittheilung einer Abschrift des in der Untersuchungssache wider Sie ergangenen Erkenntnisses mit den Entscheidungsgründen,

unter dem 11. v. M. eingereichte Beschwerde wird Ihnen eröffnet, dass Ihre Bescheidung noch vorbehalten werden muss, indem zuvörderst die Einsendung des Erkenntnisses angeordnet worden.

(Gez.) MÜHLER.


An den Dr. med. Herrn Jacoby zu Königsberg. Justiz-Ministerium Secr. Journal N° A. 405.




An den Criminalsenat des königl. Oberlandesgerichts in Königsberg.

Da ich durch einen mir zugekommenen Bescheid des Herrn Justiz-Ministers erfahren, dass das in meiner Angelegenheit gefällte Erkenntniss von demselben eingefordert worden, so ersuche ich Einen Hochverordneten Criminalsenat mir den Tag der Absendung gefälligst anzugeben.

Königsberg, den 11. März 1843.

Dr. JACOBY.




Auf Ihre Anfrage vom 11. d.M. eröffnen wir Ihnen hiermit, dass die von dem Herrn Justiz-Minister eingeforderten, wider Sie in zwei Instanzen ergangenen Erkenntnisse demselben unterm 18. Februar d. J. übersandt sind.

Königsberg, den 14. März 1843.

Criminalsenat des königl. Oberlandesgeriehts,
(Gez.) v. KEBER.
An Herrn Dr. Jacoby, hier.




An den königl. preuss. Wirklichen Geheimen Staats- und Justiz-Minister, Ritter etc., Herrn Mühler Excellenz.

Ew. Excellenz haben mir unterm 6. März c. eröffnet, dass meine Bescheidung in Betreff erbetener Abschrift des wider mich ergangenen Erkenntnisses noch vorbehalten bleiben [48] müsse, – „indem zuvörderst die Einsendung des Erkenntnisses angeordnet worden“. –

Wie Ew. Excellenz aus beifolgendem Zeugnisse des hiesigen Criminal-Senats ersehen, ist diese Einsendung unterm 18. Februar c. erfolgt, so dass das Erkenntniss zur Zeit des geneigten Schreibens Ew. Excellenz sich bereits 14 Tage, und gegenwaertig über fünf Wochen in Berlin befinden dürfte.

Ich glaube demnach nicht zu voreilig zu handeln, wenn ich Ew. Excellenz aufs neue um eine definitive Entscheidung anzugehen mir erlaube. –

Ew. Excellenz anerkannte Gerechtigkeit, so wie die im Rescripte vom 12. November 1831 von dem Justiz-Ministerium selbst aufgestellten Rechtsgrundsätze lassen eine Gewährung meines Gesuchs nicht bezweifeln.

Königsberg, den 29. März 1843.

Dr. JACOBY




Berlin, den 3. April 1843.

Auf Ihre erneuerte Anfrage vom 29 v. M.,

betreffend die Mittheilung einer vollständigen Abschrift des wider Sie ergangenen Erkenntnisses zweiter Instanz, wird Ihnen eröffnet, dass Sie die Bescheidung von dem Criminalsenate des königl. Oberlandesgerichts zu Königsberg zu erwarten haben, welcher deshalb von mir unter Rücksendung der Akten die geeignete Anweisung erhalten hat.

(Gez.) MÜHLER.

An den Doktor der Medizin Herrn Johann Jacoby, Wohlgeboren zu

Königsberg.

Citissime. Justiz-Ministerium Secr. Journal N° 428.




Da Ew. Wohlgeboren in dem heute anstehenden Termin nicht erschienen sind, so eröffne ich Ihnen, dass der Herr Justiz-Minister Excellenz in einem Erlasse vom 3. d. M. bestimmt hat, dass, da Sie völlig freigesprochen worden, Ihnen nach § 515 und 534 der Criminalordnung [49] ein Recht auf abschriftliche Mittheilung der Entscheidungsgründe des Erkenntnisses nicht zusteht. – Die Ausfertigung der Erkenntnissformel wird Ihnen, sobald Sie solche beantragen sofort ertheil werden.

Königsberg, den 15. April 1843.

Der Inquisitoriats-Direktor,
(Gez.) RICHTER.
An Herrn Dr. Jacoby, Wohlgeboren hier.
Citissime.




Sr. Majestät dem Könige in Berlin.

Allerdurchlauchtigster. etc. etc.

Der erhabene Schutz, welchen Ew. Majestät mir schon einmal gegen die Entscheidung Allerhöchst Ihres Justiz-Ministers zu verleihen die Gnade hatten, ermuthigt mich mit einer neuen Bitte dem Throne zu nahen.

Als Verfasser der Schrift:

„Vier Fragen, beantwortet von einem Ostpreussen“ in erster Instanz zu einer entehrenden Strafe verurtheilt, bin ich durch das Erkenntnis des Oberappellations-Senats von jeder Schuld völlig freigesprochen worden.

Bei der dem unverdienten Verdammungsurtheil gegebenen Oeffentlichkeit musste der Besitz des freisprechenden Erkenntnisses mir wünschenswerth erscheinen, – wünschenswerth zur eigenen Genugthuung wie zur offenen Abwehr möglicher Verdächtigung. Diesem Zwecke konnte jedoch nur durch Mittheilung des ganzen Urtels Genüge geschehen, da die Criminalordnung in Absicht der Wirkung zwei Arten der völligen Freisprechung unterscheidet: „die wegen erwiesener Unschuld“ und die „wegen mangelnden Beweises;“ das Rescript vom 29ten April 1817 (v. B. I. L. Bd. 9. S. 218) aber diesen Unterschied in der Erkenntnissformel auszudrücken verbietet.

Eine Abschrift ward mir vom Inquirenten unbedenklich zugesagt, demnächst aber – ohne Angabe eines Grundes – vorenthalten. Auf meine dieserhalb an den Justizminister gerichtete Beschwerde erfolgte der Bescheid, dass,

– „Da ich freigesprochen worden mir nach §515 und 534 der Criminalordnung ein Recht auf abschriftliche Mittheilung der Entscheidungsgründe nicht zustehe.“ – [50] Mit der – dem Rechtsrathe Ew. Majestät schuldigen Achtung wage ich hiergegen zu bemerken, dass die angezogenen Gesetzstellen – weit entfernt ein genügendes Motiv zur Abweisung meines Gesuchs zu enthalten, – dessen Rechtmässigkeit vielmehr zu erhärten geeignet sind.

Im § 515 der Criminal-Ordnung ist festgesetzt, dass bei Publikation des Erkenntnisses dem Angeschuldigten die Gründe der Entscheidung vorgelesen werden sollen; – das Recht des Angeschuldigten auf abschriftliche Mittheilung der letztern wird daselbst weder bejaht noch verneint.

Der § 534 bestimmt, dass – wer völlig freigesprochen worden, eine Ausfertigung der Erkenntnissformel kostenfrei verlangen kann.

Wird hiermit die unmittelbar folgende Bestimmung der Criminalordnung, nach welcher bei Lossprechung von der Instanz die kostenfreie Ausfertigung zu verweigern ist, zusammengestellt; so kann der Sinn des § 534 nicht zweifelhaft bleiben:

Es ist daselbst nicht gesagt, dass

dem Freigesprochenen nur allein die Formel des Erkenntnisses auszufertigen, –

sondern dass

kostenfrei er nur diese zu verlangen berechtigt sei. –

Für die Gültigkeit dieser Auslegung sprechen nicht nur der bisherige Gerichtsbrauch, – denn kaum dürfte jemals einem Freigesprochenen die Abschrift des Erkenntnisses gegen Entrichtung der Schreibgebühren versagt worden sein, – sondern auch die von Ew. Majestät Justiz-Ministerium selbst hierüber aufgestellten Rechtsgrundsätze; – denn in dem Ministerial-Rescripte vom 12ten November 1831 (J. B. Bd. 38 S. 433), heisst es ausdrücklich:

„Es würde ein Fehlschluss sein, aus dem Stillschweigen des Gesetzes zu folgern, dass die abschriftliche Mittheilung der Entscheidungsgründe untersagt sei; es würde vielmehr ein ausdrückliches Verbot der schriftlichen Mittheilung dessen, was mündlich mitgetheilt werden soll um so mehr nothwendig sein als – die mündliche Mittheilung oft ganz nutzlos ist. Ueberdem disponiren die §§ 534 und 535 der Cr.-Ordnung blos darüber, in wiefern eine kostenfreie Ertheilung der Erkenntnisse in Abschrift oder respektive in Ausfertigung verlangt werden könnte, - betreffen also die Mittheilung überhaupt und daher auch nicht die Frage in wie weit sie erfolgen könne, wenn der Angeschuldigte, [51] sie auf seine Kosten begehrt, und ist daher, dass auch als dann die Ertheilung einer Abschrift oder Ausfertigung des Erkenntnisses mit den Gründen nicht erfolgen könne, nirgends ausgesprochen.“
„Es ist demnach“ – so endet dasselbe Reskript des Justiz-Ministeriums – „jeder Angeschuldigte befugt, auf seine Kosten eine Abschrift oder Ausfertigung der wider ihn ergangenen Criminal-Erkenntnisse mit den dazu gehoerigen Gründen, so weit sie ihn betreffen, zu verlangen, und weist demnach das Justiz-Ministerium sämmtliche königl. Gerichtsbehörden hierdurch an, für die Folge hiernach zu verfahren.“ –

Einen irgend denkbaren Rechtsgrund, mir die Abschrift des Erkenntnisses zu verweigern, hat der Justiz-Minister weder nach den von ihm angeführten Paragraphen noch nach der ministeriellen Deklaration derselben. Eben so wenig können besondere Rücksichten der Politik sein Verfahren bestimmen, weil solche auf Annahmen beruhen müssten, die in Preussen nicht Statt finden. Sollte endlich die Verweigerung der Abschrift eine Missbilligung der in dem Erkenntnisse ausgesprochenen Rechtsgrundsätze involviren; so dürfte dagegen zu erinnern sein, dass die Rechtsgründe des Richters, die zugleich den Grad seiner Gewissenhaftigkeit und moralischen Verantwortlichkeit bezeichnen, von jeher in Preussen vor der Verwaltungsbehörde eben so unantastbar gewesen sind, als das Unheil selbst. –

Und so wage ich denn – vertrauend der erhabenen Gerechtigkeit meines Königes – die Bitte auszusprechen:

Ew. Majestät mögen gnädigst zu befehlen geruhen, dass mir eine vollständige Abschrift des wider mich ergangenen Erkenntnisses ausgefertigt werde. –

In tiefster Ehrfurcht,

Ew. Majestät unterthänigster

Königsberg, den 25. April 1843.

Dr. JACOBY.




Sr. Majestät dem Könige in Berlin.
Allerdurchlauchtigster, etc.

In einem unterthänigen Immediat-Gesuche vom 25. April c, habe ich Ew. Majestät erhabenen Schutz

wegen vorenthaltener Abschrift des wider mich ergangenen Erkenntnisses

ehrfurchtsvoll angesprochen. [52] Mittlerweile hat Ew. Majestät Justiz-Minister in einem an den hiesigen Criminal-Senat gerichteten Rescripte vom 6. Mai c. verordnet, dass die Urlelsgründe mir zwar vorgelesen, jedes schriftliche Anmerken dabei aber sorgsam verhindert werden solle.

Diese aussergewöhnliche, – weder zu meiner Genugthuung noch zum Schutz gegen Verdächtigung dienende Art der Publikation glaubte ich ablehnen und zuvor Ew. Majestät allerhöchste Entscheidung abwarten zu müssen.

In festem Vertrauen zu Ew. Majestät Gerechtigkeit und zu der Billigkeit meines Gesuches wage ich die unterthänigste Bitte zu erneuern:

Ew. Majestät möge zu befehlen geruhen, dass mir eine vollständige Abschrift des wider mich ergangenen Erkenntnisses ausgefertigt werde.

Königsberg, den 3. Juli 1843.

Dr. JACOBY.




Berlin, den 1. September 1843 ([2]).

Auf die Immediat-Vorstellung vom 25. April d. J. wird Ihnen in Folge allerhöchsten Befehls vom 17. v. M. eröffnet, dass Seine Majestät der König sich nicht bewogen gefunden haben, Ihrem Gesuche

um abschriftliche Mittheilung der Gründe des von dem Ober-Appellationssenate des königlichen Kammergerichts in der wider Sie geführten Untersuchung gefällten Erkenntnisses statt zu geben.
In Abwesenheit des Justiz-Ministers:
Der Wirkliche Geheime Ober-Justizrath und Direktor.
(gez.) RÜPPENTHAL.

An den Herrn Dr. Jacoby, Wohlgeboren, zu Königsberg in Preussen,

Justiz-Ministerium Secr. Journal, N° 467.




Geehrter Herr!

Da ich auf meine Immediat-Eingaben vom 25. April und 5. Juli c. (wegen vorenthaltener Abschrift des wider mich ergangenen Erkenntnisses) abschlägig beschieden worden, so ersuche ich Sie zur Vorlesung des Urtels einen Termin anzuberaumen. [53] Zugleich wiederhole ich meine Bitte um schriftliche Ausfertigung der Erkenntnissformel.

Königsberg, den 5. September 1843.

Dr. JACOBY,

An den Herrn Criminal-Direktor Richter, Hochwohlgeboren, hier.




Protokoll vom 7. September.

Verhandelt Königsberg, den 7. September 1844, 4 Uhr Nachmittags.

Zur Vorlesung des Erkenntnisses des Ober-Appellationssenats hatte sich heute der Dr. Jacoby eingefunden, und wurde vor dem unterzeichneten Criminalrichter damit vorgeschritten.

Der unterzeichnete Criminalrichter bemerkte, dass, nachdem die ersten Seiten gelesen, der Dr. Jacoby einige Notizen in seiner Schreibtafel zu verzeichnen anfing. Er eröffnete ihm, dass ihm ein Nachschreiben weder des Erkenntnisses noch einzelner Theile desselben gestattet werden könne, gegen welche Eröffnung Dr. Jacoby protestirte, indem er sich die Gründe dieser Verweigerung ausbat.

Es wird ihm der §. 51 der Criminal-Ordnung vorgelesen, wonach dem Angeschuldigten auf sein Verlangen die Gründe der Entscheidung vorgelesen werden sollen, ohne dass darin einer Befugniss des Angeschuldigten erwähnt ist, das Vorgelesene durch Nachschreiben zu fixiren und seinem Gedächtnisse einzuprägen.

Herr Dr. Jacoby hält dies nicht für ausreichend, noch für geeignet, ihm sein Recht, durch Aufzeichnung einzelner Notizen seinem Gedächtnisse zu Hilfe zu kommen, zu verkürzen, weil die Criminal-Ordnung ein solches Nachschreiben nicht verbiete, und das Verbot auch – so viel ihm bekannt – ganz gegen die bisher befolgte Praxis, so wie gegen die Billigkeit streite.

Da Subscriptus indessen nur unter der Bedingung mit dem Vorlesen des Erkenntnisses fortfahren zu wollen erklärt, wenn Herr Dr. Jacoby mit Nachschreiben einhalte; so erklärt derselbe zwar dieser Anordnung sich zu fügen, verlangt aber, dass seine feierliche Protestation gegen dies Verfahren im Protokoll niedergelegt werde, indem er niemanden, und namentlich dem Herrn Justiz-Minister nicht das Recht einräumen könne, die Niederschreibung einzelner Notizen zu untersagen.

Er erklärt, dass er zwar von der unter’m 6. Mai c. erlassenen Anweisung des Herrn Justiz-Ministers Mühler in Kenntniss gesetzt [54] sei, wonach ihm ein Nachschreiben nicht gestattet werden solle, er protestire aber wiederholentlich gegen diese ganz aussergewöhnliche, in seinem Falle getroffene, wie er glaube, einer geordneten Rechtspflege nicht entsprechende Massnahme. –

Vorgelesen, genehmigt, unterschrieben,

Dr. JACOBY.
(Bitte um Abschrift dieses Protokolls.)
(Gez.) BIJORK.




Es folgt hier das Urtheil des Ober-Appellalionssenates[3], und zwar die Erkenntnissformel – nach der mir ertheilten Abschrift, die Entscheidungsgründe so, wie selbige mir im Gedächtnisse geblieben sind.

Die mit Anführungszeichen versehenen Stellen sind auf mein Verlangen zweimal vorgelesen worden, und kann ich daher die fast wörtliche Uebereinstimmung derselben mit dem Originale verbürgen. – –




Erkenntniss des Ober-Appellations-Senats des Kammergerichts.


Auf weitere Vertheidigung des praktischen Arztes Dr. Johann Jacoby zu Königsberg

erkennt der Ober-Appellations-Senat des königlichen Kammergerichts den Akten gemäss für Recht,

dass

das Erkenntniss des Criminal-Senats des königlichen Kammergerichts vom 5. April 1842, dahin abzuändern, dass Inkulpat Dr. Johann Jacoby von der Beschuldigung frechen, unehrerbietigen Tadels, Verspottung der Landesgesetze und Erregung von Missvergnügen, so wie von der Anschuldigung der Majestätsbeleidigung voellig freizusprechen die Kosten der Untersuchung niederzuschlagen, Inkulpat aber die Kosten der weitern Vertheidigung zu tragen gehalten.
V. R. W.
[55]
Geschichtserzaehlung und Gründe.

Das Erkenntniss beginnt mit einer kurzen Darstellung des vom Huldigungs-Landtage gemachten Verfassungsantrages und der nächsten Folgen desselben.

„Mit Rücksicht auf diese Ereignisse“ – heisst es alsdann – „erschien kurz vor Eröffnung des Landtags des Jahres 1841 eine anonyme Schrift:

Vier Fragen, beantwortet von einem Ostpreussen, welche, wie sich später ergab, ohne Censur in Leipzig gedruckt, von Georg Wigand verlegt und in 2500 Exemplaren an alle deutsche Buchhandlungen versendet wurde.“ –

„Sie ist Preussens Landständen gewidmet und denselben zugleich mit einer von vielen Einwohnern Königsbergs unterzeichneten Petition überreicht worden.“ –

Nachdem hierauf der Zweck und Inhalt der „Vier Fragen“ grossentheils mit des Verfassers eigenen Worten angegeben, fährt das Erkenntniss also fort:

„Die Schrift, deren Inhalt eben auseinandergesetzt, wurde bald nach ihrem Erscheinen nicht nur in Preussen, sondern durch Bnndesbeschluss in ganz Deutschland unterdrückt, und die in den Buchhandlungen vorgefundenen Exemplare mit Beschlag belegt.“ – „Während dessen hatte der praktische Arzt Dr. Jacoby aus Königsberg sich in einer Immediat-Eingabe an Se. Majestät den König als Verfasser bekannt und – sich selbst der gesetzlichen Verantwortlichkeit unterziehend – seine Schrift gegen jeden Eingriff willkürlicher Deutung unter Sr. Majestät erhabenen Schutz gestellt.“ – „Durch Kabinetsordre vom 2. März 1841 überliessen hierauf Se. Majestät der König dem Justizministerium und dem Minister des Innern, gegen den Dr. Jacoby sowohl wegen des Inhalts als wegen der Verbreitung der quest. Schrift die gerichtliche Untersuchung zu veranlassen.“

„In dem Ministerium des Innern wurde eine ausführliche Anklageschrift verfasst, in welcher unter spezieller Angabe der strafbaren Aeusserungen dem Inkulpaten frecher, unehrerbietiger Tadel, Verspottung der Landesgesetze und Erregung von Missvergnügen, sowie Majestätsbeleidigung und Conat zum Hochverrath zur Last gelegt wird“. –

[56] „Der Criminalsenat des Oberlandesgerichts zu Königsberg eröffnete die Untersuchung wegen der genannten Vergehen, und nach Beendigung derselben fällte der durch Kabinetsordre vom 11. December 1841 und durch eigene Wahl des Inkulpaten dazu ermächtigte Criminalsenat des königlichen Kammergerichts das Urtel, dass Inkulpat von der Anschuldigung des Hochverraths völlig freizusprechen; wegen Majestäts-Beleidigung dagegen, so wie wegen frechen unehrerbietigen Tadels, Verspottung der Landesgesetze und Erregung von Missvergnügen mit 2 ½ Jahr Festungsarrest ordentlich zu bestrafen, auch des Rechts, die preussische Nationalkokarde zu tragen, für verlustig zu erklären sei.“ –

„Gegen dieses Urtheil hat Inkulpat in einer selbstverfassten Vertheidigungsschrift das weitere Rechtsmittel eingelegt.“ etc. –




1. Hochverrath.

„Da in erster Instanz Inkulpat von der Anschuldigung des Hochverraths völlig freigesprochen worden, so kann diese Anklage hier nicht weiter Gegenstand der Erörterung sein. Zwar hat Inkulpat in seiner Vertheidigungsschrift sich über die Art und Weise, wie die Freisprechung motivirt worden und namentlich darüber beschwert, dass in dem Erkenntniss erster Instanz sein Charakter verdächtigt und seine politische Gesinnung eine unlautere und verwerfliche genannt wird. Da jedoch nach unsern Gesetzen nur gegen eine nachtheiliche Entscheidung das Rechtmittel zweiter Instanz zulässig ist, bei einer Freisprechung aber die Urtelsgründe keiner weitern richterlichen Prüfung unterliegen, so muss hier jede Erörterung über die Abfassung und die Entscheidungsgründe des ersten Erkenntnisses ausgeschlossen bleiben.“ –




2. Frecher, unehrerbietiger Tadel der Landesgesetze etc.

Der §. 151. (Tit. 20, Thl. II. des Allg. L. R ) lautet:

Wer durch frechen, unehrerbietigen Tadel oder Verspottung der Landesgesetze und Anordnungen im Staate Missvergnügen und Unzufriedenheit der Bürger gegen die Regierung veranlasst, der hat Gefängniss- oder Festungsstrafe auf sechs Monate bis zwei Jahre verwirkt. –

[57] „Eine freimüthige Besprechung der Staatsverwaltung und Anordnungen im Staate ist ausdrücklich durch das Gesetz in Preussen gestattet. Schon das Censuredikt vom 18. October 1819 befiehlt, keine ernsthafte und bescheidene Untersuchung der Wahrheit zu hindern, und die in Folge der Cabinetsordre vom 10. Dezember 1841 erlassene Ministerialverfügung vom 24. Dezember 1841 weist die Censoren an, keine öffentliche Prüfung der Staatsverwaltung um deswillen, weil sie in einem anderen Sinne als dem der Regierung geschrieben, zu verwerfen.“

Wie die Glaubensfreiheit, so ist auch die Freiheit zu denken und seine Gedanken durch Wort und Schrift zu äussern, in unserm Vaterlande stets geachtet und geschützt worden. Nur unter besondern Umständen und Zeitverhältnissen sind Beschränkungen dieser Freiheit im Interesse des allgemeinen Besten für nothwendig erachtet, dann aber auch jederzeit die Grenzen derselben durch bestimmte Gesetze umschrieben worden: Und dennoch haben selbst dann erfahrene, ihrem Könige treu ergebene und auf das Wohl des Volks eifrig bedachte Männer dergleichen Massregeln als nachtheilig bezeichnet, weil (wie sie nicht ohne Grund bemerklich machten) das Urtheil über die Beobachtung derselben stets der Willkür Einzelner anheim gestellt bleibt, so dass, indem man die Unwahrheit zu verhindern strebt, leicht auch die Wahrheit unterdrückt und die Aufklärung über die wichtigsten Angelegenheiten gehemmt wird. – Mit Recht sagt Inkulpat in seiner Vertheidigungsschrift:

Die Wahrheit, – so lehrt die Geschichte, – ist niemals den Staaten nachtheilig gewesen, wohl aber das Verhüllen der Wahrheit; nicht der freimüthige Schriftsteller, nur die Verfolgung desselben hat von jeher den Regierungen Gefahr gebracht.

„Da es der Zweck jedes öffentlichen Tadels ist, die Abstellung vermeintlicher Misbräuche zu bewirken, so kann dem Schriftsteller auch nicht verwehrt werden, seinen Tadel diesem Zwecke gemäss einzurichten. Nur der freche, unehrerbietige, spottende Tadel ist nach §. 151 des Strafrechts verboten.“

Das Erkenntniss erster Instanz hat keine Definition des Wortes: frech gegeben, weil

»eine abstrakte Feststellung dieses Begriffs unmöglich sei, und weil im vorliegenden Falle die Frechheit, mit welcher Inkulpat die bestehende Verfassung angegriffen hat, klar zu Tage liege.«

Allein aus dem weitern Verfolge geht deutlich hervor, dass der [58] Richter erster Instanz dem Begriffe: frech, eine ungewöhnliche Ausdehnung gegeben hat.

»Frech,« – so sagt er, – »ist derjenige, welcher sich anmasst zu belehren, ohne selbst gehörig unterrichtet zu sein, denn er stellt sich eigenmächtig auf einen Standpunkt, welcher ihm nicht gebührt.« –

Wer also handelt, dem kann wohl der Vorwurf gemacht werden, dass er seine Kräfte zu hoch anschlage, sich überschätze, oder, wie der erste Richter selbst es nennt, anmaassend sei; frech aber braucht er deshalb nicht zu sein. – Ferner heisst es in dem ersten Erkenntnisse: »frech ist derjenige, welcher behauptet ohne zu wissen; denn seine Behauptung muss nothwendig Lüge enthalten.« Dies ist ein unrichtiger Schluss, und hat der erste Richter selber ihn widerlegt, indem er an einer andern Stelle des Erkenntnisses sagt: »wer über Staatsangelegenheiten öffentlich urtheilen will, der hat vor allem die Pflicht, sich selbst genau zu unterrichten; wer mit Verletzung dieser Pflicht tadelt, der tadelt frech; denn er kann es nicht wissen, ob das, was er behauptet, in der Wahrheit beruhe.« – Wer behauptet ohne zu wissen, kann allerdings irren; er urtheilt leichtsinnig, übereilt, darf deshalb aber noch keineswegs frech genannt werden.“ –

Eberhard sagt: frech ist, wer den anerkannten Gesetzen der Sittlichkeit und des Wohlstandes trotzt.

Adelung bezeichnet denjenigen als frech welcher sowohl die Gefahr auf eine unbesonnene Art verachtet, als auch die Gesetze des Wohlstandes, der Ordnung, der Menschheit und der guten Sitten ohne Scheu verletzt.“

„Dass dem Urtheile der gesitteten Welt Trotz geboten werde, darin besteht das eigentliche Merkmal der Frechheit.“

„Ein Tadel kann demnach seinem Inhalte oder seiner Form nach frech sein.“

Dem Inhalte nach frech nennen wir denselben, wenn die zur Begründung dienenden Argumente den anerkannten Geboten des Anstands und der Sitte Trotz bieten, wenn man dabei unrichtige Thatsachen anführt und geflissentliche Entstellung der Wahrheit sich zu Schulden kommen lässt.“

„Frech der Form nach ist ein Tadel, wenn er in einer den Anstand verletzenden, den Gesetzen der Sittlichkeit Trotz bietenden Weise vorgebracht wird.“

„Ueber den formell frechen Tadel wird freilich im Wesentlichen dem Gefühl die Entscheidung anheimfallen; das Urtheil über den materiell [59] frechen Tadel aber wird durch Prüfung der zur Begründung desselben aufgestellten Argumente und Thatsachen sich finden lassen.“

„Verschieden hievon ist jedoch das Urtheil über die politische Ueberzeugung des Schriftstellers. Principienfragen der Politik, Grundsätze des öffentlichen Wohls, Erörterungen über Gediegenheit oder Verwerflichkeit der Staatsverfassung und Staatseinrichtungen, über Mängel oder Vorzüge derselben, Untersuchungen über die Mittel jenen abzuhelfen und diese zu erhöhen, – alles dies kann nicht Gegenstand richterlicher Entscheidung sein. Erörterungen der Art gehören einem Gebiete an, von welchem die Wirksamkeit des Richters ausgeschlossen ist und deshalb sich fern halten muss. Die richterliche Wirksamkeit findet ihre natürliche und gesetzliche Begrenzung in der Sphäre des positiven Rechts; von jeder politischen Ansicht muss sie sich frei erhalten. Insoweit sie über Privatstreitigkeiten urtheilt, ist sie als Civil-Justitz; insoweit sie über Schuld oder Unschuld des eines Verbrechens angeklagten Individuums Recht spricht, – als Criminal-Justitz thälig. Eine Meinung aber kann als solche niemals ein Verbrechen sein; nur die Form, in welcher sie in die Oeffentlichkeit tritt, oder die Absicht, die bei der Veröffentlichung obwaltet, können strafbar sein. Nur Form und Absicht einer Schrift dürfen daher Vorwurf richterlicher Entscheidung sein; und je schwerer es oft wird, diese beiden von dem Inhalte der Schrift zu sondern, um so strenger ist die Verpflichtung des Richters sich selber zu überwachen, damit die Selbstständigkeit und Unabhängigkeit seines Urtheils vor dem Einfluss der eigenen politischen Ueberzeugung gewahrt werde.“ – –




Diese vom Oberappellations-Senate ausgesprochenen Grundsätze werden demnächst auf die einzelnen Stellen der Schrift angewendet, welche von dem Richter erster Instanz – „in Uebereinstimmung mit der im Ministerium des Innern verfassten Anklage“ – als frech und unehrerbietig bezeichnet worden sind. In keinem Punkte wird dem ersten Erkenntnisse Recht gegeben; überall vielmehr die Deduktion desselben widerlegt, und sowohl die Wahrheit der in den Vier Fragen vorgebrachten Thatsachen, als die Schicklichkeit der gewählten Ausdrucksform beifällig anerkannt. –

In den Seite 8 der incriminirten Schrift befindlichen Worten:

Und welchen Antheil an der Regierung hat dieses an Sitte und Intelligenz so hoch stehende Volk? – Erröthend müssen wir gestehen: kaum den allergeringsten, –

[60] hat das erste Erkenntniss einen unzweifelhaften Beweis für die verbrecherische Tendenz des Inkulpaten finden wollen. Inkulpat beabsichtige offenbar, bei seinen Lesern Missvergnügen und Unzufriedenheit zu erregen, indem er gleichsam dasjenige Gefühl in Anspruch nimmt, welches in einem Mündiggewordenen durch zu grosse Beschränkung hervorgerufen zu werden pflegt. –

„Hierin.“ – so lautet die Entscheidung des zweiten Erkenntnisses – „kann man dem Richter erster Instanz keineswegs Recht geben. Inkulpat erwähnt mit wahrhaft patriotischem Stolze der hohen geistigen und sittlichen Bildung des preussischen Volks, und spricht dann sein Bedauern darüber aus, dass dieses in intellektueller und sittlicher Hinsicht so hervorragende Volk – an politischer Bildung weit hinter den andern Nationen zurückgeblieben ist. – »Welchen Antheil an der Regierung« – fragt er – »hat dies an Sitte und Intelligenz so hochstehende Volk?« und antwortet hierauf sich selbst: »Erröthend müssen wir gestehen: kaum den allergeringsten.« Wenn Inkulpat sich darüber schämt, dass wir hinter allen andern Nationen an politischer Bildung zurückgeblieben sind (denn nur für sich antwortet er); so kann ihm dies Niemand verwehren.“




In Bezug auf die S. 9 und 10 der incriminirten Schrift enthaltenen Aeusserungen über Censur sagt das Erkenntniss erster Instanz:

In solcher Weise darf ein Unterthan über die Gesetze und Anordnungen im Staate sich nicht auslassen, etc.

„Inkulpat hat als Belege seiner Behauptungen mehrere Censur-Exemplare der Königsberger Zeitung, ein Ministerial-Rescript, durch welches die Besprechung der hannöver’schen Angelegenheit verboten wird, Bescheide der höheren Censur-Behörden, einen vertrautamtlichen Briefwechsel zwischen dem preussischen Ober-Regierungsrath Seiffert und dem Redakteur der Leipziger Allgemeinen Zeitung etc., beigebracht. Die Richtigkeit dieser Belege ist nicht angefochten worden; es sind dieselben aber überflüssig, da der Form nach ein frecher Tadel hier gar nicht vorliegt. Eine Pflichtverletzung wird den Censoren nirgends zur Last gelegt; auch nicht einmal über die Censurgesetze wird ein Tadel ausgesprochen, sonder nur über die Handhabung derselben. Dass diese aber zu strengegewesen, steht ausser Zweifel, und ist auch seitdem durch die Censurinstruktion vom 24. December 1841 officiell anerkannt worden.“ –

„Der Richter erster Instanz hat besonders darin eine strafbare [60] hat das erste Erkenntniss einen unzweifelhaften Beweis für die verbrecherische Tendenz des Inkulpaten finden wollen. Inkulpat beabsichtige offenbar, bei seinen Lesern Missvergnügen und Unzufriedenheit zu erregen, indem er gleichsam dasjenige Gefühl in Anspruch nimmt, welches in einem Mündiggewordenen durch zu grosse Beschränkung hervorgerufen zu werden pflegt. –

„Hierin.“ – so lautet die Entscheidung des zweiten Erkenntnisses – „kann man dem Richter erster Instanz keineswegs Recht geben. Inkulpat erwähnt mit wahrhaft patriotischem Stolze der hohen geistigen und sittlichen Bildung des preussischen Volks, und spricht dann sein Bedauern darüber aus, dass dieses in intellektueller und sittlicher Hinsicht so hervorragende Volk – an politischer Bildung weit hinter den andern Nationen zurückgeblieben ist. – »Welchen Antheil an der Regierung« – fragt er – »hat dies an Sitte und Intelligenz so hochstehende Volk?« und antwortet hierauf sich selbst: »Erröthend müssen wir gestehen: kaum den allergeringsten.« Wenn Inkulpat sich darüber schämt, dass wir hinter allen andern Nationen an politischer Bildung zurückgeblieben sind (denn nur für sich antwortet er); so kann ihm dies Niemand verwehren.“




In Bezug auf die S. 9 und 10 der incriminirten Schrift enthaltenen Aeusserungen über Censur sagt das Erkenntniss erster Instanz:

In solcher Weise darf ein Unterthan über die Gesetze und Anordnungen im Staate sich nicht auslassen, etc.

„Inkulpat hat als Belege seiner Behauptungen mehrere Censur-Exemplare der Königsberger Zeitung, ein Ministerial-Rescript, durch welches die Besprechung der hannöver’schen Angelegenheit verboten wird, Bescheide der höheren Censur-Behörden, einen vertrautamtlichen Briefwechsel zwischen dem preussischen Ober-Regierungsrath Seiffert und dem Redakteur der Leipziger Allgemeinen Zeitung etc., beigebracht. Die Richtigkeit dieser Belege ist nicht angefochten worden; es sind dieselben aber überflüssig, da der Form nach ein frecher Tadel hier gar nicht vorliegt. Eine Pflichtverletzung wird den Censoren nirgends zur Last gelegt; auch nicht einmal über die Censurgesetze wird ein Tadel ausgesprochen, sonder nur über die Handhabung derselben. Dass diese aber zu strengegewesen, steht ausser Zweifel, und ist auch seitdem durch die Censurinstruktion vom 24. December 1841 officiell anerkannt worden.“ –

„Der Richter erster Instanz hat besonders darin eine strafbare [61] Frechheit gefunden, dass Inkulpat die Censur überhaupt als eine »Feindin der Presse« und wie sie in Preussen gehandhabt werde, als eine »anmassende Bevormundung« und »wahrhafte Unterdrückung der öffentlichen Meinung« bezeichnet. Dagegen ist aber zu bemerken, dass der deutsche Bundestag selbst in seinen Beschlüssen vom 20. September 1819 die Censur als einen vorübergehenden Nothstand anerkannt hat, und dass – wie von Einigen die Censur eine Freundin der Ordnung genannt wird, mit demselben Rechte Andere sie eine Feindin der Freiheit nennen können.“

»Inkulpat« – so fährt das erste Erkenntniss fort – »urtheilt nicht in ruhig erörternder Weise, sondern tadelt in solchen Ausdrücken, welche, wenn sie gegen Personen gerichtet wären, unzweifelhaft als Injurien anzusehen sein würden.« –

„Solche Ausdrücke hat jedoch der erste Richter in seinen Entscheidungsgründen nicht nachgewiesen, und sind sie auch in der incriminirten Schrift nicht zu finden.“ –




Die Worte des Inkulpaten (S. 11 d. Schrift):

Die ältere Städteordnung trägt den liberalen Charakter der damaligen Zeit und achtet der Bürger Selbstständigkeit; die revidirte wird überall von der Jetzt-Regierung begünstigt und den Städten dringend empfohlen, –

sollen nach dem Erkenntnisse erster Instanz

die frech tadelnde Behauptung enthalten, dass die jetzige Regierung nicht allein illiberal sei, sondern dass sie überhaupt die Selbstständigkeit der Bürger nicht achte. –

„Mit Recht wendet Inkulpat dagegen ein, dass, – wenn er auf einleuchtende Thatsachen gestützt, die Jetzt-Regierung minder liberal als die frühere genannt hat, dies nur als ein historisches Urtheil, keineswegs als eine strafwürdige Beleidigung gelten könne. Die eine Städteordnung für liberaler zu halten als die andere, muss Jedem freistehen. – Der Ausdruck illiberal ist weder frech noch strafbar; denn durch denselben wird nur eine unbestimmte Richtung angedeutet und keineswegs die Möglichkeit ausgeschlossen, dass auch der als illiberal Bezeichnete dem allgemeinen Besten zu nützen glauben kann.“ –




Die S. 11 und 12 befindliche Vergleichung der beiden Städteordnungen ist es ganz besonders, woraus der erste Richter

die unlautere Gesinnung und verwerfliche Tendenz der Schrift

[62] darzuthun versucht. Wie sehr ihm dieser Versuch misslungen, wird von dem Verfasser des zweiten Erkenntnisses in jedem einzelnen Punkte und zum grossen Theil mit den in der Vertheidigungsschrift gebrauchten Worten nachgewiesen. Es genügt, hier einige Beispiele anzuführen:

S. 12 der incriminirten Schrift heisst es: Endlich steht es gar den Ministern (das Gesetz sagt: dem Könige) frei, die Stadtverordneten-Versammlung bei Partheiungen in derselben aufzulösen oder die Schuldigen auszuschliessen. –

Die ministerielle Anklage hat in diesen Worten eine

Anreizung zum Missvergnügen und einen Tadel des Monarchen gefunden, dem vorgeworfen werde, dass er zu dem Willen der Minister ohne Prüfung seinen Namen hergebe.

In Uebereinstimmung mit der ministeriellen Anklage erklärt das Erkenntniss erster Instanz, dass

Inkulpat die Sache so darzustellen suche, als ob die Auflösung der Stadtverordneten-Versammlung der Willkür der Minister Preiss gegeben sei. Obwohl des Königs Majestät sich in solchen Fällen wegen ihrer Wichtigkeit die Allerhöchst eigene Entscheidung vorbehalten haben, behaupte dennoch Inkulpat, dass dieser Vorbehalt nur zum Scheine geschehen sei, etc. –

Das Erkenntniss des Oberappellations-Senats nennt diese Auslegung „eine sehr gewagte,“ stellt derselben die Vertheidigung des Verfassers (s. Rechtfertigung S. 29 und Akten Vol. I, fol. 138[4]) entgegen und fährt dann also fort:

Den Worten des Schriftstellers einen Sinn unterzulegen, der weder aus den Worten selbst entnommen noch durch eine Beziehung gedeutet werden kann, ist – ein unstatthaftes Verfahren, namentlich, wenn es sich – wie in vorliegendem Falle – darum handelt zu entscheiden, ob Etwas strafbar sei oder nicht, und die Strafbarkeit erst aus dem untergelegten Sinne gefolgert wird. – [63] Der Ausdruck: Ministerwillkür (S. 14. d. S.) und die Aeusserung,

Dass nur durch wahre Volksvertretung der Beamten-Willkür Einhalt geschehen könne (S. 36), –

werden von dem ersten Richter als frecher Tadel bezeichnet, und dabei folgende Bemerkung gemacht:

Dergleichen generelle Angriffe gegen die Beamten enthalten unverkennbar das abgenutzte Strategem, hinter ihnen die Angriffe auf die Regierung selbst zu verstecken. –

„Dadurch“ – So antwortet hierauf das zweite Erkenntniss – dadurch wird nichts bewiesen. In derselben Art und mit gleichem Rechte könnte gesagt werden, es sei ein verfehltes Unternehmen, hinter jeden generellen Angriff auf Beamte eine Demonstration gegen die Regierung und die bestehenden Staats-Einrichtungen finden zu wollen. Das eine beweist eben so wenig etwas wie das andere. –




In Betreff der über die Provinzialstaende gemachten Bemerkungen (S. 14 bis 17, d. S.), sagt das Erkenntniss des Oberappellations-Senats:

„Inkulpat hat hier ein freimüthiges, seiner politischen Ueberzeugung vollkommen entsprechendes Urtheil über die Bedeutungslosigkeit der Provinzialstände abgegeben. Ob diese Ansicht die richtige sei, darüber hat der Richter nicht zu entscheiden. Die Ausdrücke, deren Inkulpat sich bedient, sind zuweilen scharf, aber weder hämisch noch frech. Jeder Schein der Frechheit schwindet zumal, wenn man die Schrift in ihrem Zusammenhange betrachtet und mit den geschichtlichen Thatsachen in Verbindung bringt.“

Es folgt hierauf eine Zusammenstellung der Gesetze, welche von der in Preussen einzuführenden Nationalrepräsentation handeln. Das Finanzedikt vom 27. October 1810, das Edikt vom 17 Januar 1820, vor allem aber das Gesetz vom 22. Mai 1815 werden theils dem Inhalte nach theils wörtlich angeführt, und daraus der Schluss gezogen, dass des Verfassers Ansicht über die Unzulänglichkeit der Provinzialstände, so wie über die Nothwendigkeit ergänzender Reichsstände – eine geschichtlich begründete sei. –

Der Satz (S. 14, d. S.):

Das Gerichtsverfahren ist in Preussen von Anfang bis zu Ende ein heimliches und einzig und allein in Händen besoldeter, vom Kabinet eingesetzter Beamten, –

[64] soll nach der Behauptung des ersten Richters eine Herabwürdigung der preussischen Rechtspflege enthalten.

Das zweite Erkenntniss äussert sich also hierüber: „Wenn Inkulpat in Vergleich zu dem rheinischen öffentlichen Verfahren und mit Bezug auf den Bericht des Justiz-Ministers über Einführung des mündlichen Gerichtsverfahrens – das unsrige ein heimliches nennt, so mag dieser Ausdruck in so fern unpassend sein, als dabei der Punkt, worauf es bei der Vergleichung besonders ankommt, nicht getroffen, und daher der Streit über Oeffentlichkeit und Mündlichkeit auf ein fremdes Gebiet gezogen wird;([5]) frech aber ist der Ausdruck keineswegs, und eine Herabwürdigung der preussischen Justizpflege liegt eben so wenig darin.“ –




S. 17 der Schrift heisst es:

Die Unparteiligkeit wird bei gewöhnlichen Fällen nicht leicht fehlen; wo aber irgend die Minister oder was sie den Staat nennen, beiheiligt ist, dürfte diese Richtertugend in eine harte Collision mit den persönlichen Interessen gerathen; denn – abgesehen von dem subordinirten Verhältnisse – ist Gehaltserhöhung, Beförderung, Versetzung, die ganze Zukunft jedes Justizdieners von dem Willen des Ministers abhängig, etc. –

Dem ersten Erkenntnisse zufolge soll die in diesen Worten enthaltene „Verunglimpfung der Richter und ihrer Vorgesetzten in die Augen springen.“ –

Dagegen erklärt das Urtheil zweiter Instanz: „Es ist gewiss, dass bei einem gewissenhaften Richter, der Kraft genug hat, jeden Gedanken an weltliche Vortheile von sich fern zu halten, es keiner weitern Garantie bedarf; eben so gewiss aber, dass es auch unter den Richtern schwächere Naturen giebt, welche sich dem Einflusse jener äussern, von dem Willen ihrer Vorgesetzten abhängigen Vortheile nicht ganz zu entziehen vermögen. Wenn gleich solche Fälle – zum Ruhme der preussischen Justiz – bei uns nur äusserst selten vorkommen dürften, so heisst es doch sicherlich zu weit gegangen, [65] wenn man die Möglichkeit derselben ganz ableugnen und daher jede höhere Garantie für unnütz halten wollte.“ –




S. 19 der Schrift wird der Cabinetsordre vom 25. Januar 1823 gedacht, welche befiehlt, dass: – wenn bei Prozessen zwischen Privatleuten oder zwischen Privaten und dem Staate eine – in Staatsverträgen enthaltene Bestimmung zur Entscheidung der Sache beiträgt, die Gerichte – ohne Unterschied, ob der preussische Staat bei Abfassung der Verträge concurrirt oder nicht – vor Abfassung des Urtheils die Aeusserung des Ministers der auswärtigen Angelegenheiten einzuholen und sich bei der Entscheidung lediglich darnach zu achten haben. –

Der erste Richter erkennt hierin „eine weise Vorkehrung;“ – Dagegen bemerkt das Erkenntnis zweiter Instanz:

„Allerdings halte Inkulpat volle Veranlassung sich auf dieses Gesetz zu beziehen, indem nicht geleugnet werden kann, dass durch dasselbe die richterliche Thätigkeit in Entscheidung streitiger Fälle wesentlich beschränkt wird. Dies aber nachzuweisen ist gerade die Absicht des Verlassers.“ –

In der incriminirten Schrift (S. 18, Anmerk.) wird darauf aufmerksam gemacht, dass

die Justizkommissarien, welche – als Vertheidiger der Angeklagten gerade die freiste und unabhängigste Stellung einnehmen sollten, jetzt auch ohne vorangegangenen Rechtsspruch auf blos administrativem Wege (d. h. durch die Minister) ausser Thätigkeit gesetzt werden können. –

Das erste Erkenntniss hat, eben so wie die im Ministerium des Innern verfasste Anklageschrift, das Wörtchen: „jetzt“ als einen offenbaren Beweis der „strafbaren Tendenz und Frechheit des Inkulpaten“ hervorgehoben. –

In der weitern Vertheidigung (S. 62, 63) ist hierauf ausführlich geantwortet worden. –

Der Richter zweiter Instanz lässt den daselbst vorgebrachten Gründen vollkommene Geltung zu Theil werden und fügt dann die Worte hinzu: „Es handelt sich an der citirten Stelle der Schrift nur um das Factum, nicht um das Alter der Massregel. Der dem Inkulpaten gemachte Vorwurf ist – nicht zu rechtfertigen.“ –




[66]

Die Anschuldigung, dass S. 20
Die in den Jahren 1815 und 1838 veröffenlichten Budgets absichtlich weggelassen worden, –

widerlegt der Verfasser des zweiten Erkenntnisses mit denselben Gründen, welche die weitere Vertheidigung (S. 65, 66) aufgestellt hat. Bei dieser Gelegenheit wird des königlichen Befehles Erwähnung gethan, dass gleichzeitig mit dem Budget „Erläuterungen zu demselben durch die Amtsblätter veröffentlicht werden sollen“ (Cab.-Ord. vom 21. Februar 1839); dies sei jedoch – ausser 1859 – in keinem Jahre geschehen, und daher sei auch der Zweck, welchen die Verordnung vom 17. Januar 1820 angiebt,

dass nämlich jeder Bürger sich vollständig überzeugen könne, dass nichts mehr als das strengst Nothwendige zum Staatshaushalte an Abgaben gefordert werde, in Wirklichkeit nicht erreicht worden. –




Inkulpat (sagt das erste Erkenntnis) fasst die Totalsumme seiner Betrachtungen dahin zusammen:

Das ist das Gebrechen des theuern Vaterlandes: Beamtenallgewalt und politische Nichtigkeit seiner selbständigen Bürger. Wie über die Krankheit, so ist auch über das Heilmittel bei den Vaterlandsfreunden kein Zweifel, Oeffentlichkeit heisst es und wahre Vertretung. –

S. 42 der Schrift heisst es sodann:

Preussens Volkseinheit ist bis jetzt mehr mechanisch als organisch gewesen; denn nicht von jeder der acht Provinzen kann mit Gewissheit ausgesagt werden, dass sie, – durch ausserordentliche Ereignisse vom Ganzen getrennt, – sich als ein von seinem Körper losgerissenes Glied empfinden würde; eine solche Gliederung giebt es bei uns von Saarlouis bis Memel nicht. Jede einseitige Ausbildung der Provinzialverfassung ohne Reichsstände wäre daher eine Gefahr für die Zukunft; statt eines organisch gegliederten Staates würden wir nach wie vor ein Aggregat von Provinzen ausmachen, deren jede nur ihr Sonderinteresse im Auge hätte; an unserm theuern Vaterlande würde sich im Kleinen wiederholen, was wir im Grossen an Deutschland erfahren: Untergang der Einheit, mit ihr Verlust der bürgerlichen Freiheit und ausländische Unterjochung –

[67] Das Gefühl eines jeden Patrioten (so fährt nach diesen Citaten das erste Erkenntniss fort) muss durch solche Redensarten auf das Aeusserste beleidigt werden. Stände es wirklich so schlimm um die Verfassung, um das Wohl und Weh des preussischen Vaterlandes, so müsste jeder Preusse sich von dem äussersten Missvergnügen durchdrungen fühlen, dass die Regierung das Heilmittel, welches Inkulpat als das einzige und so nahe liegende, bezeichnet, unbenutzt lässt und den Staat einem sichern und schon nicht mehr fernen Untergange entgegenführt.

Die Frechheit und Unehrerbietigkeit, welche ein solcher Tadel enthält, ist von selbst klar. Fasst man den Sinn desselben kurz zusammen, so liegt darin die Behauptung: die jetzt bestehende Verfassung trage den Keim in sich, welcher sich nothwendig zu dem Verfalle des Staats durch innere Zerspaltung und ausländische Unterjochung entfalten müsse. Dieses Gebrechen sei von Allen bereits erkannt, nur die Regierung verkenne dasselbe oder wolle es nicht erkennen. Schon habe jener Keim zu einer nahen Gefahr sich fortentwickelt. Ueber das Mittel, derselben entgegen zu treten, sei gleichfalls überall kein Zweifel; da aber die Regierung die Krankheit verkenne, so thue sie auch nichts, diese nahende Gefahr abzuwenden; ihr ganzes Bestreben sei vielmehr nur dazu geeignet, das Uebel zu vermehren und die Gefahr zu erhöhen. –

Hierauf antwortet das Urtheil zweiter Instanz, wie folgt:

„Ob die politische Ansicht des Inkulpaten eine wohlbegründete sei: – ob nur durch eine reichsständische Verfassung, durch eine allgemeine – nicht bloss auf Provinzen beschränkte – Vertretung das Wohl des Vaterlandes gefördert werde, hierüber zu urtheilen, geziemt dem Richter nicht. Sein Urtheil hat sich von jeder politischen Meinung frei zu halten und sich allein darauf zu beschränken, zu untersuchen, ob die dem Inkulpaten unzweifelhaft zustehende Freiheit, seine Ansicht frei und offen auszusprechen, von demselben gemissbraucht, ob sein Tadel bestehender Einrichtungen in Frechheit und Unehrerbietigkeit ausgeartet und so die durch das Strafgesetz bestimmten Grenzen überschritten worden seien. Wir haben gezeigt, dass Inkulpat diese Grenzen überall beachtet, und dass die Gründe des ersten Richters das Gegentheil nicht zu erweisen vermocht haben.“ –



[68] Wenn schliesslich das Erkenntniss erster Instanz sagt:

Die Mannigfaltigkeit der von dem Inkulpaten aufgestellten Unrichtigkeiten führe zu der Ueberzeugung, dass er die Wahrheit absichtlich entstellt oder verschwiegen habe; –

so ist nach dem Vorgehenden offenbar, dass ein solcher Vorwurf durch die Entscheidungsgründe des Urtels in keiner Weise gerechtfertigt wird. Unrichtige Angaben oder gar absichtliche Unwahrheiten sind dem Verfasser nicht nachgewiesen, vielmehr hat seine Schrift die Grenze der Urtheilsfreiheit so wie die des Anstandes nirgends überschritten und von Persönlichkeiten sich überall fern gehalten.“ –

„Demnach ist das Urtheil erster Instanz dahin abzuändern, dass Inkulpat von der Anschuldigung frechen, unehrerbietigen Tadels, Verspottung der Landesgesetze und Erregung von Missvergnügen völlig freizusprechen ist.“ –


Majestaetsbeleidigung.

Die vom Oberappellations-Senate gegebene Definition der Majestätsbeleidigung kann hier füglich übergangen werden, da sie nur Bekanntes enthält. –

Aus den Worten (S. 21.):

Die Minister und deren Beamte allein sind in das Geheimniss der Verwaltung eingeweiht; sie selber schweigen aber, und – wer spräche ohne ihren Willen?! Wie hier so überall ist Wissen und Handeln Monopol der Minister; –

Und aus der schon oben angeführten Stelle:

Endlich stehet es gar den Ministern (das Gesetz sagt: dem Könige) frei, die Stadtverordneten-Versammlung etc. aufzulösen; –

hat das erste Erkenntniss eine „Verletzung der dem Staatsoberhaupte schuldigen Ehrfurcht,“ eine „Herabsetzung der Majestät in Beziehung auf ihre Wirksamkeit“ hergeleitet. –

Das Urtheil zweiter Instanz bemerkt dagegen, dass an den editirten Stellen der Verfasser nur die grosse Macht der Minister darzuthun sich bemüht, und ohne allen Bezug auf die Person oder Handlungen des Königs gesprochen habe; – wo aber eine solche Beziehung gar nicht vorbanden, da könne auch offenbar weder von Majestätsbeleidigung noch von Ehrfurchtsverletzung die Rede sein. – [69] In Betreff des S. 40 d. Schrift befindlichen Citats aus Iphigenia,

Ein König sagt nicht, wie geimeine Menschen, verlegen zu: dass er den Bittenden auf einen Augenblick entferne, etc. –

spricht sich das Erkenntniss des Oberappellations-Senats also aus:

„Der Versuch des ersten Richters aus diesen Worten einen indirecten Angriff auf die Gewissenhaftigkeit und das Verhalten des jetzt regierenden Königs herauszudeuten, ist ein vergeblicher, und mit völligem Rechte sagt Inkulpat in seiner Vertheidigung, dass nur durch eine völlige Umkehrung des Wortsinnes das ihn verdächtigende Resultat gewonnen werden konnte.“ –

Die Besprechung des Landtagsabschiedes (S. 37, u. d. f.) wird von dem ersten Richter als eine „beleidigende, ehrfurchtverletzende Kritik“ bezeichnet und dabei besonders der Unterschied hervorgehoben, der zwischen einem blosen Gesetze und einer „speciellen Willensmeinung Sr. Majestät“ zu machen sei. –

Dieser Unterschied – insofern daraus folgen soll, dass die königliche Willensmeinung weniger frei besprochen werden dürfe als ein Gesetz – lässt das zweite Erkenntniss nicht gelten; es beweist demnächst die Unhaltbarkeit der einzelnen Anschuldigungen und schliesst dann mit nachstehenden Worten:

„Inkulpat hat die dem Landesherrn schuldige Ehrerbietung an keiner Stelle seiner Schrift ausser Acht gelassen, vielmehr seine Ergebenheit und Ehrfurcht dem erhabenen Könige in solcher Weise und in so hohem Grade bezeigt, dass an der Aufrichtigkeit seiner Gesinnung nicht zu zweifeln ist. Dass aber mit einer solchen Gesinnung eine freimüthige, in den Grenzen des Anstandes bleibende Besprechung der Regierungshandlungen vereinbar ist, kann nicht in Abrede gestellt werden.“ –

„Nach allem diesem musste das erste Erkenntniss dahin abgeändert werden, dass Inkulpat auch von der Anschuldigung der Majestätsbeleidigung und Ehrfurchtsverletzung völlig freizusprechen ist, und nur nach § 622 der Criminalordnung die Kosten der zweiten Instanz zu tragen hat.“ –




„Endlich muss hier noch der Schluss der Schrift zur Sprache kommen:

Was bleibt der Ständeversammlung zu thun übrig? – Das, was sie bisher als Gunst erbeten, nunmehr als erwiesenes Recht in Anspruch zu nehmen. –

[70] Der Stamm, welcher Erbe hat an dem Hause Isais, hat zuerst gesprochen, – und nicht werden die übrigen sich zu ihren Hütten heben.“ –

„Da aus diesem Satze lediglich eine hochverrätherische Tendenz hergeleitet, Inkulpat aber von der Anschuldigung des Hochveraths völlig freigesprochen worden, und das erste Erkenntniss eine Ehrfurchtsverletzung in diesen Worten nicht gefunden hat, so musste es auch dabei sein Bewenden haben.“

Berlin, den 19. Januar 1843.

(L. S.) (Gez.) v. GROLMANN.

  1. Der Koenigsberger Censor, Herr Regierungsrath Schmitz, hat diesem Motto, so wie den nachfolgenden Blaettern die Druckerlaubniss versagt. – –
  2. Antwort auf die vor vier Monaten eingereichte Eingabe.
  3. Dasselbe ist 40 Bogen stark. –
  4. Die aus dem Protokolle des achten Verhoers entnommene Stelle lautet: „Wenn ich hierbei der Minister erwaehnte, so geschah es nur deshalb, weil – der Erfahrung gemaess – in staedtischen Angelegenheilen meistens nur auf den Bericht des Ministers hin entschieden wird. So sind z. B. auf Grund des einseitigen Berichts des Ministers alle Intraden der Stadt Koenigsberg zu Gunsten des Kriegskontributionfonsds in Beschlag genommen worden, wiewohl selbige ihre besondern allerhoechstgenehmigten Bestimmungen hatten; dies geschah ohne die Betheiligten zu fragen und ohne die daraus entstehenden Verlegenheiten der Stadtverordneten zu berücksichtigen. Dieser und aehnliche Faelle waren mir Veranlassung der Minister zu erwaehnen, waehrend in dem Gesetze allerdings nur vom Koenig die Rede ist.“ –
  5. Wahrscheinlich meint hier der Richter den Unterschied zwischen dem Accusations- und dem Inquisitionsverfahren. Bei einer juristischen Vergleichung mag dieser Punkt allerdings der wichtigste sein; in der vorliegenden Schrift aber, die nur beweisen will, dass „die richterliche Staatsthaetigkeit der Einsicht wie der Mitwirkung des Volks gaenzlich entzogen ist,“ musste gerade die Heimlichkeit des Gerichtsverfahrens vor allen andern Punkten hervorgehoben werden.
    A. d. H.