Vehmgerichte und Hexenprozesse in Deutschland/Erster Abschnitt. Auf roter Erde

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Autor: Oskar Wächter
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Titel: Erster Abschnitt. Auf roter Erde
Untertitel:
aus: Vehmgerichte und Hexenprozesse in Deutschland
Seite 43–51
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Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: W. Spemann
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Erscheinungsort: Stuttgart
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[41]
Erste Abteilung.
Die Vehmgerichte.


[43]
Erster Abschnitt.
Zwei Erzählungen.[1]


I.
Auf roter Erde.

Die üppigen Kornfelder reiften der Ernte entgegen. Auf den stattlichen Bauerhöfen, unter dem Schatten der Eichen und Linden entfaltete sich reges Leben. Es war zu Anfang Juli im Jahr 1425. Die hellstrahlende Morgensonne hatte schon den Tau von den Wiesen genommen, die Lerchen jubelten unter dem blauen Himmel.

Zwei Wanderer gingen raschen Schrittes auf der Landstraße zwischen Soest und Unna. Der [44] ältere, Hermann Grote, ein stattlicher Bauer, etwa sechzig Jahre alt, der jüngere, Gerhard Struckman, Doktor der Rechte zu Soest, beide in eifrigem Gespräch. „Wenn Heineman Weffer,“ begann Struckman nach einer Pause, „den Johann Laske wirklich erschlagen hat, so wird wohl kein Zeuge dabei gewesen, er selbst aber der That nicht geständig sein. Dieser Mord hat viel Redens gemacht durch ganz Westfalen. Aber es wurden von der Obrigkeit keine weitern Schritte gethan, auch ist kein Haftbefehl erlassen werden. Überall hieß es: die Vehme wird’s an Tag bringen. In andern Ländern würde man Verdächtige eingekerkert, in hartem Gefängnis mürbe gemacht, durch die peinliche Frage zum Geständnis gemartert haben. Nichts von alledem. Man hat nur gehört, daß der Freistuhl auf Anklage eines Schöffen Ladung gegen den der That verdächtigen Weffer erlassen habe. Und – wird er sich stellen? wird es zum Spruch kommen und zum Vollzug?“ – „Ihr seid ein Gelehrter,“ entgegnete Grote, „und haltet vielleicht nicht viel auf unsern Rechtsgang. Aber – folgt Weffer der Vorladung und wird er auf gichtigen Mund oder auf Eid des Klägers gerichtet, so scheint ihm die Abendsonne nicht mehr.“

[45] „Als ich“ – nahm Struckman nach einer Pause das Wort – „von meinen Studien und Reisen wieder in die Heimat kam, nachdem ich in andern Ländern den Rechtsgang gesehen, da erkannte ich, daß unsere uralten Volksgerichte mit mehr Kraft und Erfolg für Recht und Gerechtigkeit wirken, als die geschriebenen Gesetze und die gelehrten Richter irgendwo es vermögen. Die heimliche Acht ist für jeden Unwissenden in undurchdringliches Geheimnis gehüllt, und doch tagt sie unter freiem Himmel bei lichtem Sonnenschein, hat keine bewaffneten Häscher, hat weder Gefängnis noch Folter – aber es folgt die Ladung, und wenn er sie verachtet, das Urteil dem Schuldigen vom Meer bis zu den Alpen, bis es ihn trifft, unfehlbar mit tötlichem Stoß. – Ich bin noch nicht Wissender und es sei ferne, daß ich euch mit unziemlicher Frage lästig werde. Indes könnt ihr mir wohl sagen, ob es dem unwissenden Manne gestattet ist, dem offnen Ding anzuwohnen?“

„Auf diese Frage“ – erwiderte Grote – „will ich euch gerne Bescheid geben. Das freie Gericht unter Königsbann handelt im offnen Ding über den Angeklagten, wenn er der Ladung gehorsamt und nicht selber ein Freischöffe ist. Weffer ist kein [46] wissender Mann. Stellt er sich also ein, so bleibt allen Freien der Umstand unverboten. Im andern Falle läßt der Freigraf durch den Freifrohnen die heimliche Acht entbieten, und welcher Unwissende danach im Umkreis des Freistuhls getroffen wird, hat sein Leben verwirkt. Ein mehreres darf ich euch nicht sagen, denn jeder Schöffe muß der heiligen Vehme Heimlichkeit wahren. Wir sind jetzt am Königsweg, der zum Freistuhl führt. Nun mögt ihr auf euer eigen Abenteuer weiter gehen. Gehabt euch wohl, gegen Abend mag sein, daß wir uns wieder treffen.“

Mit diesen Worten verließ Grote seinen Begleiter und gesellte sich zu mehreren Hofbesitzern, die gleichfalls den Königsweg einschlugen. Auch sie waren Freischöffen. Bald hatten sie den Hügel erreicht, auf dessen Gipfel ein alter Hagedorn den steinernen Tisch überschattete. Der Tisch war auf drei Seiten von einer steinernen Bank umgeben. Auf dem Tische lag ein blankes Schwert und ein von Weiden geflochtener Strick. Der Freigraf Cord Hake, ein bäuerlicher Mann von ehrwürdigem Ansehen, und die erschienenen Freischöffen, zwanzig an der Zahl, nahmen Platz. Der Freigraf richtete an [47] den Freifrohnen die üblichen Fragen wegen der rechten Besetzung des Gerichts, der Befugnis des Freistuhls, den Königsbann zu üben, und der ordnungsmäßigen Ladung des Angeklagten; nach gegebner Antwort auf alle diese Fragen ließ der Freigraf den Ankläger und den Angeklagten wegen Ermordung des Johann Laske von Unna zum offnen gebotenen Ding aufrufen. Der Freifrohne verkündigte hierauf, daß als Ankläger erschienen sei Berndt Kopper, Freischöffe zu Unna, auch der Angeklagte in Person. Da nun, ließ der Freigraf ansagen, das Gericht über einen anwesenden unwissenden Mann zu halten obliege, so werde die Verhandlung im offnen Ding eröffnet und sei jedem freien großjährigen Manne der Zugang verstattet.

Lautes Murmeln durchflog den Umstand, die zahlreich sich herandrängenden Männer, die aus der Nähe und Ferne gekommen waren, – als Heineman Weffer, ein hagerer Mann von 30 Jahren mit stechenden grauen Augen und rotem Vollbart, kecken Schrittes auf den Freistuhl zuschritt.

Lautlose Stille lag auf der Menge, als der Freigraf dem Berndt Kopper das Wort erteilte und dieser nun vortrug, daß er kraft der allgemeinen [48] Rügepflicht der Freischöffen Klage erhebe gegen Heineman Weffer. Dieser sei am Sonntag nach Ostern abends mit Johann Laske im Krug vor dem Walde gesessen bis der Mond aufgegangen und mit ihm aufgebrochen; zwischen beiden seien heftige Worte gefallen. Am andern Morgen fand man den Laske im Wald erstochen, nicht weit von dem Toten ein Messer, welches Weffer kurz vorher in Unna gekauft habe. Weffer habe den Mord verübt. Übrigens weise auch das ganze Benehmen des Angeklagten auf seine Schuld; er sei nach der That ruhelos umhergelaufen und habe oft bei Nacht, wie von dem Hauswirt erzählt worden, laut aufgeschrieen, offenbar von schwerer Angst gepeinigt. Als der Verdacht auf ihn gefallen und die Ladung der Vehme ergangen, da sei er stundenlang in dumpfes Brüten versunken und daraus wie in jähem Schreck wieder aufgefahren. Daß er nun heute persönlich erscheine, beweise keineswegs, daß er sich schuldlos fühle, sondern nur, daß er nicht zu entfliehen vermöge, wisse er ja doch, daß, wenn er nicht erschiene, er unfehlbar der Acht und dem Tode verfalle; nicht entfliehen lasse ihn aber auch der Zeuge im Innern, das belastete Gewissen. Kläger erbiete sich, seine Anklage nach allen Teilen [49] mit zwei Eidhelfern zu beschwören, und sollte der Angeklagte dawider sechs Eidhelfer finden, so wolle Kläger die sieben Hände mit vierzehn Eiden echter Freischöffen niederlegen und überbieten.

Der Freigraf ordnete dem Angeklagten einen Vorsprecher aus der Zahl der Schöffen bei und forderte ihn auf, durch dessen Mund sich seines Lebens und höchster Ehre wegen zu verantworten. Weffer gab kurz und barsch die Erklärung, daß er völlig in Abrede stelle, der That schuldig zu sein, welcher man ihn aus arger Mißgunst zeihe.

Der Freigraf ließ ihm nun das Messer, welches in der Nähe des Ermordeten gefunden worden war, vorweisen und verlangte, daß Weffer dasselbe in seine rechte Hand nehme. Zögernd that dies der Angeklagte und in diesem Augenblick verließ ihn seine Fassung, – sichtlich erbleichte er, – doch gab er das Messer mit dem Bedeuten zurück, er habe dasselbe nie besessen.

Hierauf wurde dem Ankläger verstattet, nach Freistuhls Recht mit seinen zwei Eidhelfern unter Vorhalten des Schwertes feierlich zu beschwören, daß sie die Anklage für wahr und durchaus glaubhaft halten.

[50] Der Kläger und Angeklagte traten zurück. Der Freigraf bezeichnete den Schöffen Hermann Grote als Urteilsfinder. Dieser ging weg, gefolgt von den Freischöffen, mit denen er sich kurze Zeit beriet, dann wiederkam, und nachdem die Schöffen ihren Platz wieder eingenommen, sich bereit erklärte, das Urteil zu schelten. Die Schöffen erhoben sich und wiesen für Recht, und ihren Spruch verkündigte der Freigraf: daß man den Angeklagten Heineman Weffer solle nehmen und hängen ihn an den nächsten Baum zwischen Himmel und Erde.

Der Freigraf nahm den Weidenstrick vom Tische, übergab ihn dem Freifrohnen, dieser den beiden jüngsten Schöffen, und nun ergriffen sie den Verurteilten und führten ihn weg.

Nach kurzer Weile kam der Frohnbote wieder, legte einen neuen aus Weiden geflochtenen Strick zu dem Schwert auf den Tisch und der Freigraf eröffnete die Gerichtssitzung wieder. Zwei Boten des Freistuhls, welche eine Ladung zu überbringen gehabt, waren von den Bürgern einer kleinen Stadt am Rhein ihres Auftrags wegen gefangen gehalten worden. Die Anklage wurde vorgetragen und als „Vehmwroge“ erklärt, auch festgestellt, daß die Ladung an [51] die angeschuldigten Bürger ordnungsmäßig ergangen und die Frist von 6 Wochen und 3 Tagen verstrichen sei. Dreimal wurden die Beklagten aufgerufen, sie waren nicht erschienen. Das Gericht mußte versammelt bleiben und ihrer warten, bis die Sonne auf dem höchsten stand. Nun verwandelte sich das offne Ding in das Stillgericht, die heimliche Acht. Der Vehmfrohne entbot jedem unwissenden Manne, sich zu entfernen.

Als gegen Abend Grote den Heimweg angetreten, traf er am Königsweg auf Struckman, welcher ihn hier erwartete und seine Befriedigung über das, was er gesehen und gehört, aussprach. „Ich sah den verurteilten Weffer zwischen Himmel und Erde hängen und ich weiß, daß die Vehme recht gerichtet hat. Mit solchen Gerichten ist Westfalen gut versorgt und ihr bedürfet fürwahr nicht der Rechtsgelehrten und ihres Rates.“


Anmerkungen:
  1. Die technischen Ausdrücke finden ihre Erklärung im zweiten Abschnitt.